Titel: | Ueber das lösliche Stärkemehl; von Musculus. |
Fundstelle: | Band 214, Jahrgang 1874, Nr. CIII., S. 407 |
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CIII.
Ueber das lösliche Stärkemehl; von Musculus.
Aus den Comptes rendus, 1874 t. LXXVIII
p. 1413.
Musculus, über das lösliche Stärkemehl.
Die Chemiker stimmen hinsichtlich der Substanz, welche den Namen lösliches Stärkemehl
führt, keineswegs untereinander überein. Einige bezeichnen damit die durch Jod blau
werdende Materie, welche man dem Stärkemehl durch Wasser entziehen kann, und welche
Naegeli Granulöse genannt hat. Andere behaupten, es
sei die durch Jod violett werdende Substanz, welche Bechamp beim Behandeln des Stärkemehles mit Schwefelsäure erhielt. Die
Granulose ist, obgleich sie leicht durch die Filter geht, in Wasser nicht wirklich
löslich, denn beim Verdunsten der sie enthaltenden Flüssigkeit bleibt sie in einem
selbst in kochendem Wasser unlöslichen Zustande zurück. Bechamp's lösliches Stärkemehl ist ein Gemenge mehrerer Substanzen; man
findet darin Granulose, lösliches Stärkemehl, ferner Producte der Zersetzung des
Stärkemehles (Dextrin, Glykose oder Glykosine), die immer bei der Einwirkung der
Schwefelsäure auftreten.
Mit dem Namen globulisirtes Dextrin habe ich einen in
kaltem Wasser unlöslichen Körper bezeichnet (Comptes rendus,
t. LXV p. 857), welchen ich durch Auflösen des
Stärkemehles in kochendem saurem Wasser, Sättigen der freien Säure und Abdampfen zum
Syrup erhielt. Er lagerte sich daraus in reichlichen Körnern ab, die sich nicht in
kaltem, sondern erst in 50° warmem Wasser lösen, und daher durch Waschen von
dem anhängenden Dextrin und Zucker leicht befreit werden können. Einen kleinen
Gehalt von Granulose kann man ihm durch Weingeist entziehen. Man hat nunmehr reines
lösliches Stärkemehl vor sich – Körner, welche die ihrer Organisation
beraubten Stärkekörner repräsentiren, wie aus dem nachstehenden Verhalten
hervorgeht.
An der Luft getrocknet, ist es weiß und vom Ansehen des Stärkemehles. Frisch
gewaschen, löst es sich nicht in kaltem Wasser und wirkt nicht reducirend auf die
Kupfersalze; läßt man es aber mit Wasser einige Zeit in Berührung, so wird es davon
merklich aufgenommen und gleichzeitig entsteht auch etwas Zucker. Sein
Rotationsvermögen ist beinahe das vierfache desjenigen der entwässerten Glykose. Es
löst sich vollständig in Wasser von 50° und scheidet sich beim Erkalten nicht
wieder aus. Durch Verdunsten der Lösung erhält man einen Rückstand, der in kaltem
Wasser wieder unlöslich geworden ist; wenn man denselben neuerdings in Lösung bringen
will, so muß man das damit in Berührung gebrachte Wasser zum Kochen erhitzen, oder
eine halbe Stunde lang einer Temperatur von 100° im Wasserbade aussetzen.
Auch Weingeist schlägt es aus seiner Lösung nieder und führt es dadurch in den
unlöslichen Zustand über. Dieselbe Wirkung äußert das Gefrierenlassen in einer
Kältemischung; nach dem Wiederaufthauen des Eises findet man dann dasselbe als
weißen Absatz am Boden des Gefäßes.
Wenn man es mit Dextrin und Zucker, wie in der Mutterlauge, worin die Körnchen
entstanden sind, versetzt, so verschwinden alle diese Eigenschaften. Obgleich eine
solche Flüssigkeit noch viel davon enthält, so ist es doch nicht möglich, daraus
dasselbe im unlöslichen Zustande zu erhalten; wenn man aber einen Theil der fremden
Materien durch fractionirtes Fällen mit Weingeist beseitigt, so treten seine
charakteristischen Eigenschaften wieder hervor.
Das käufliche Dextrin, welches ein ähnliches Gemenge ist, verhält sich ebenso. Mit
Hilfe des Weingeistes gelang es mir, daraus lösliche Stärkekörnchen zu gewinnen;
besser ist es aber, seine Lösung zum Syrup zu verdunsten und demselben zur Verhütung
des Schimmelns ein wenig Weingeist zuzumischen. Nach einigen Monaten findet man dann
einen in kaltem Wasser unlöslichen Absatz, welcher alle oben angeführten
Eigenschaften hat.
Die künstlichen Stärkekörner geben mit Jod alle Farben, welche man mit den
natürlichen Körnern erhält, und auch noch jene, welche das Dextrin liefert, je nach
der Lagerung ihrer Molecüle – einer Lagerung, welche man beliebig verändern
kann. So bekommt man mit einer verdünnten Lösung eine rein rothe Farbe, mit einer
concentrirten bis ganz gesättigten eine violette. Setzt man zu einer Lösung von
mittlerer Stärke, welche eine tief braunrothe Farbe geben würde, Jod im Ueberschuß
und überläßt sie der Verdunstung an offener Luft, so geht sie immer mehr ins
Violette über, und bei einer gewissen Concentration tritt eine prächtige rein blaue
Färbung ein. Verdünnt man alsdann mit Wasser, so kommt erst die violette und dann
die rein rothe Farbe wieder zum Vorschein. Anstatt die rothe Flüssigkeit durch
Verdunsten zu concentriren, kann man auch mit einem hygroskopischen Salz, z.B. des
Chlorcalciums, zu demselben Resultate gelangen. Ueberläßt man eine in dieser Weise
blau gewordene Solution 24 Stunden lang sich selbst, so bildet sich ein
schwarzblauer Niederschlag, welcher von kaltem Wasser nicht wieder gelöst wird;
damit zusammengebracht, trübt er dasselbe zwar nicht, auch läuft er mit durch die
Filter, aber nach kurzem Stehen lagert er sich wiederum ab. Die jodirte künstliche
Granulose kann durch
schwache Erhöhung der Temperatur zersetzt werden; in Wasser vertheilt, geht sie
dadurch in Lösung, die nicht mehr blau, sondern roth aussieht.
Wenn man Stärkemehl unvollständig entweder mittels Diastase oder in kochender
Essigsäure auflöst, so werden die am längsten widerstandenen Fragmente durch Jod
nicht mehr blau, sondern gelb bis orangeroth. Die künstlichen Körner geben dieselben
Farbenerscheinungen, wenn man ihre Cohäsion vermehrt, was man, wie schon angegeben,
durch Auflösen in Wasser und Abdampfen zur Trockne erzielen kann.
Aus vorstehenden Reactionen ergibt sich, daß das lösliche und das natürliche
Stärkemehl wesentlich ein und derselbe Körper sind; ferner muß man daraus den Schluß
ziehen, daß das durch Jod roth werdende Dextrin nichts weiter als Stärkemehl
ist.
Verhalten zur Diastase. Die Diastase schließt das
lösliche Stärkemehl ebenso auf wie das natürliche, aber viel leichter und
vollständiger. Nach den von mehreren Chemikern und auch von mir gemachten
Beobachtungen verschwindet bei der Einwirkung der Diastase auf das Stärkemehl
jegliche Färbung mit Jod, wenn man bis zum Viertheil der Zuckerbildung gelangt ist;
setzt man alsdann mehr Diastase hinzu, so nimmt die Zuckerbildung noch bis zur
Hälfte zu, aber nicht weiter. (Früher glaubte ich gefunden zu haben, nur der dritte
Theil des Stärkemehles lasse sich durch die Diastase in Zucker überführen.) Beim
löslichen Stärkemehl schreitet die Zuckerbildung mittels Diastase in derselben Weise
jedoch rascher vor.
Nach einer sehr verbreiteten, von Nägeli aufgestellten
Ansicht besteht das Stärkemehl im Wesentlichen aus Cellulose und ein wenig
Granulose. Bechamp hat gefunden, daß das aus Cellulose
dargestellte Dextrin ein geringeres Rotations-Vermögen besitzt als das aus
Amylum erhaltene.
Ich stellte mir Dextrin durch Auflösen von Baumwolle in concentrirter Schwefelsäure
dar, führte dasselbe durch Kochen mit saurem Wasser in Zucker über, und fand, daß
während dieser Umwandlung das Rotations-Vermögen sich nicht ändert. Auf
dieselbe Weise behandeltes Stärkemehl lieferte ein Dextrin, dessen
Rotations-Vermögen durch die Zuckerbildung über die Hälfte geringer wurde.
Hieraus folgt, daß das Dextrin der Cellulose dasselbe Rotations-Vermögen
besitzt wie der Zucker, welcher daraus hervorgeht, daß dasselbe aber beim Stärkemehl
nicht der Fall ist. Uebrigens scheinen alle Dextrine des Stärkezuckers ein noch
einmal so geringes Rotations-Vermögen zu haben, wie der Zucker selbst.
W.