Titel: | Ueber die neuesten Fortschritte in der Soda- und Chlorkalk-Industrie in England; von Dr. Georg Lunge (South-Schields). |
Autor: | Georg Lunge [GND] |
Fundstelle: | Band 215, Jahrgang 1875, S. 54 |
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Ueber die neuesten Fortschritte in der
Soda- und Chlorkalk-Industrie in England; von Dr. Georg Lunge (South-Schields).
(Fortsetzung von S. 477 des vorhergehenden Bandes.)
Lunge, über die neuesten Fortschritte in der Soda- und
Chlorkalk-Industrie.
Die Einführung der Salpetersäure geschieht in England wohl
nirgends in flüssiger Form, sondern gasförmig, durch Einwirkung der Hitze der
Kiln-Gase auf ein Gemenge von Natronsalpeter und Schwefelsäure. Die alte,
rohe Methode, dieses Gemenge in eisernen Töpfen in die Kilns selbst einzubringen,
wobei die überschäumende Masse häufig den ganzen Betrieb störte, existirt schon
längst in keiner irgend gut geleiteten Fabrik mehr; dagegen findet man
merkwürdigerweise selbst in manchen großen Fabriken noch dieselben Töpfe, allerdings
in besonderen Ofen-Abtheilungen, darunter gußeiserne Platten mit aufgebogenem
Rande zum Auffangen des Ueberschäumenden. Diese „Nitre-Ovens“ sind entweder in einer Erweiterung des
auf den Kilns selbst fortlaufenden Gascanales, oder in einer besonderen Abtheilung
hinter dem letzten Kiln angebracht. Die Töpfe fassen nur etwa 3,5 bis 5 Kilogrm.
Salpeter, müssen also sehr häufig ausgewechselt werden – eine sehr
unangenehme Operation, da die Arbeitsthür länger offen bleiben muß, wodurch ein
Entweichen von schwefliger Säure nach außen und Einströmen von Luft nach innen
bedingt wird. Ein besseres System, welches sehr wenig zu wünschen übrig läßt, hat
sich zuerst in Lancashire und dann am Tyne in den meisten gut geleiteten Fabriken
eingebürgert. Man benützt danach fest eingemauerte halbcylinderförmige Tröge von
Gußeisen, welche mit einem Abflußrohre auf der einen Stirnfläche unten versehen
sind. In das Abflußrohr ist ein langer eiserner conischer Stöpsel dicht
eingeschliffen. Die Tröge
stehen auf ähnlichen Platten mit aufstehendem Rande zum Auffangen des
Ueberschäumenden, wie oben beschrieben; sie sind von einem Gewölbe überspannt und
werden von den Kiln-Gasen vor dem Eintritt in die Kammer oder in den
Gloverthurm umspült. (Ich halte es noch immer für besser, dazu einige Kilns zu
bestimmen, deren Gasgemisch mit den Salpeterdämpfen nicht in den Gloverthurm,
sondern direct in die Kammer geht.) In dem Deckgewölbe ist ein gußeiserner,
mühlrumpfförmiger Trichter mit Schieber an der Verengung, und ein Bleitrichter mit
schwanenhalsförmigem Abflußrohre angebracht. Durch ersteren wird die ganze Charge
Salpeter (12 bis 24 Kilogrm. auf einmal) eingebracht, und nach Schließung des
Schiebers durch Aufschütten der nächsten Charge ein gasdichter Verschluß bewirkt;
der Bleitrichter dient zum allmäligen Eingießen der Schwefelsäure. Ein Rechen,
dessen Stiel durch eine Stirnwand des Gewölbes geht, dient zum Ausbreiten des
Salpeters und Mischen mit der Säure in jedem Troge. Nach Beendigung der Zersetzung
wird das heiße, ganz dünnflüssige doppeltschwefelsaure Natron durch Oeffnung des
eingeschliffenen Stöpsels auf eine vorn angebrachte Eisenplatte entleert, worauf der
Trog für die nächste Beschickung bereit ist. Während der ganzen Operation kann ein
Entweichen von Gas nach außen oder ein Einströmen von Luft nach innen fast gar nicht
oder höchstens nur auf Secunden stattfinden. Indem man immer mehrere solche Tröge
anwendet und abwechselnd beschickt, kann man einen recht gleichmäßigen Strom von
Salpetergas erzielen.
Die Anwendung der Gay-Lussac'schen Absorptionsthürme war in England bis vor wenigen Jahren
noch keineswegs Regel, und namentlich in Lancashire waren sie nur sehr selten zu
finden. Seitdem jedoch der höhere Preis des Natronsalpeters darauf führte, auf
möglichste Ersparniß desselben zu denken, fand der Gay-Lussac'sche Thurm mehr Verbreitung; die Säure für denselben
wurde meist in Bleipfannen mit oberschlächtigem Feuer, wie ich sie früher in diesem
Journal (1871 201 352) beschrieben habe, oder auf
ähnliche Weise concentrirt. Ganz allgemein, wenigstens in allen besseren Fabriken
Englands, ist jedoch der Gay-Lussac'sche Apparat
angewendet, seitdem er, wie dies jetzt überall in England
geschieht, mit dem Glover'schen Thurme verbunden ist,
wodurch jede weitere Concentration der Säure fortfällt, so daß man nur noch an den
wenigsten Orten noch Abdampfungs-Pfannen findet. Den Glover'schen Apparat habe ich in diesem Journal (1871 201 341; vergleiche auch 202
532) ausführlich beschrieben, brauche aber kaum erst zu bemerken, daß derselbe seit
jener Zeit noch mehrfache Verbesserungen erfahren hat, über welche die sich dafür Interessirenden
am leichtesten von dem Erfinder selbst (Adresse: John
Glover
Esq., Wallsend near
Newcastle-upon-Tyne) Auskunft erhalten können. Bei
regelmäßigem Betriebe, d.h. wenn keine außerordentlichen Störungen vorkommen,
verbraucht man im Durchschnitt nach den von mir über die Fabriken im
Tyne-District angestellten Ermittelungen, 3 1/2 Proc. Natronsalpeter auf den
in dem chargirten Pyrit enthaltenen Schwefel, die best geleiteten und mit
ausreichenden Apparaten ausgestatteten Fabriken weniger (einige wollen bis 2 Proc.
heruntergehen, was ich jedoch nicht mehr verbürgen kann); bei unzureichenden
Apparaten kommt man auf 5 Proc. und vielleicht noch höher.Während des Niederschreibens meines Berichtes kommt mir der Aussatz von Fr.
Vorster im ersten und zweiten Septemberhefte
dieses Journals (1874 213 411 und 506) zu
Gesicht, und obwohl es nicht meine Aufgabe ist, als Vertheidiger des von mir
zuerst dem deutschen Publicum vorgeführten Glover'schen Thurmes aufzutreten, so kann ich doch nicht umhin,
die meiner Meinung nach unbegründeten Ausstellungen zu widerlegen. Der Zweck
von Vorster's Arbeit: die wissenschaftliche
Erforschung des im Glover'schen Thurme
vorgehenden Processes, ist im höchsten Grade lobenswerth, und würde wohl
auch vollkommen erreicht worden sein, wenn der Verfasser, wie er in der
Einleitung sagt, seine Resultate durchaus auf Beobachtungen stützte, welche
an im Betriebe befindlichen Apparaten gemacht worden sind. Man sieht aber
aus folgendem, daß diese Bemerkung sich eben nur auf die beiden ersten
Functionen des Thurmes bezieht, nämlich die Concentrirung und die Neubildung
von Säure; in Bezug auf beide Punkte macht Vorster Angaben aus dem
Großbetriebe, deren Zuverlässigkeit zu bestreiten mir fern liegt. Der
Verfasser weist dadurch sehr bestimmt die günstige Wirkung des Glover'schen Thurmes als Concentrationsapparates
nach und stellt namentlich auch fest, daß der durch denselben vermiedene
Verlust der beim Concentriren verdampften Schwefelsäure gar nicht so
unbedeutend ist, wie es Bode (vergl. dies
Journal, 1871 202 452) meint, welcher ihn nicht
für irgendwie nennenswerth und für ein großes Minimum hält. Im Gegensatze zu
solchen unbewiesenen Allgemeinheiten beweist Vorster (a. a. O. S. 417), daß die beim Verdampfen entweichende,
aber natürlich in der ersten Kammer wieder gewonnene Schwefelsäure täglich
3,89 Proc. des ganzen Betrages ausmacht.Ganz anders stellt es sich aber, wenn Vorster sich
zur Besprechung der zweiten wichtigen Function des Gloverthurmes, nämlich zu
der Denitrirung der nitrosen Schwefelsäure aus dem Gay-Lussac'schen Absorptionsthurme wendet. Aus
Beobachtungen im Großen stellt er nur fest, daß die Austreibung der
Nitroverbindungen bis auf einen verschwindend kleinen Betrag eine Thatsache
der täglichen Praxis ist. Indem er aber zur Betrachtung der Frage übergeht,
ob in dem Gloverthurm eine zu weit gehende Reduction der
Stickstoffverbindungen, und mithin ein theilweiser Verlust derselben als
permanente Gase (Stickoxydul oder Stickstoff) stattfindet, verläßt er den
Boden des Großexperimentes, und beschreibt eine größere Anzahl von
anscheinend mit größtem Fleiße und Umsicht geführten Laboratoriums-Versuchen, aus welchen hervorgehen soll, daß
allerdings eine solche zu weit gehende Reduction, und zwar in ganz
bedeutendem Maßstabe stattfindet. Die meisten seiner Versuche wurden
freilich unter Bedingungen angestellt, welche von den im Gloverthurme
obwaltenden völlig verschieden sind, und ihr Resultat kann somit in keiner
Art als maßgebend betrachtet werden. Je nach Abänderung der Bedingungen fand
Vorster Verluste von 55,1 32,5 58,5 40,25
67,9 Proc. – und zwar war gerade der letzte Versuch, wie Vorster meint, unter solchen Bedingungen
angestellt worden, wie sie denen im Großen herrschenden ganz ähnlich sind,
und wird von ihm als „völlig maßgebend“ für die
Verluste im Gloverthurme angesehen (a. a. O. S. 508). Er schließt mithin (S.
511), daß der Glover'sche Thurm zwar zur
Concentration der Kammersäure, aber nicht zur Denitrirung der nitrosen Säure
geeignet sei, daß der von den deutschen Fabrikanten befolgte Weg der
directen Einführung der nitrosen Säure in die Kammer nach vorheriger
Mischung mit Wasser der richtigere sei, und daß man dadurch in England 2
Proc. oder jährlich 3600 Tonnen Natronsalpeter unnöthigerweise verschwende.
Bei einem mittleren Handelspreise von £
13 (260 Mark) pro Tonne beliefe sich obige Quantität auf einen Geldwerth von
£ 46800 oder 936000 Reichsmark
jährlich, und müßte man sich mindestens wundern, warum die englischen
Fabrikanten die ihnen ja doch längst bekannte und früher auch von ihnen
allein ausgeübte Methode der Verdünnung mit heißem Wasser verlassen haben
und sämmtlich zu dem Gloverthurme übergegangen
sind. Diese Verwunderung schwindet freilich, wenn man sich die Sache näher
ansieht, und es stellt sich dann heraus, daß Vorster's Laboratoriumsversuche, wenn man die Richtigkeit seiner
Untersuchungsmethoden und die Zuverlässigkeit seiner Beobachtungen ganz
außer Frage stellt, nur ein freilich schon längst als Axiom Feststehendes
beweisen – nämlich, daß es ganz ungemein schwer ist, im Laboratorium
die im großen Fabrikbetriebe existirenden Bedingungen so nachzuahmen, daß
man ohne weiteres von dem Ersteren Schlüsse auf die Letzteren ziehen kann.
Daß dies mit den Vorster'schen Versuchen ganz
eminent der Fall war, daß diese den Bedingungen des Großbetriebes durchaus
nicht entsprechen und seine auf sie gebauten Schlüsse völlig werthlos sind,
geht mit vollster Sicherheit schon aus seinen eigenen Ziffern hervor. Nach
Vorster soll man nämlich 40 bis 70 Proc.
Stickstoffverbindungen im Gloverthurme verlieren; wir wollen der Einfachheit
wegen 50 Proc. annehmen. Nun führt Vorster an,
daß in dem betreffenden Kammersysteme täglich 8900 Kilogrm. Schwefelkies mit
48 Proc., also 4272 Kilogrm. Schwefel chargirt wurden; ferner daß im Thurme
C binnen siebzehn Tagen 33, und im Thurme
A 147 Eggs nitrose Säure Herabflossen. Dies
macht zusammen 180 Eggs zu 1600 Liter, = 288000 Liter, oder per Tag 16941
Liter. Vorster gibt das specifische Gewicht der
Säure zu 1,75 und ihren Durchschnittsgehalt = 1,91 Proc. Stickstofftrioxyd
an. Das erstere entspricht einem Gewichte von 29647 Kilogrm., das letztere
ist = 4,27 Proc. Natronsalpeter, zusammen also 1265,9 Kilogrm.
Natronsalpeter täglich. Wenn man nun davon auch nur 50 Proc. verliert, was
nach Vorster's Versuchen eine viel zu günstige
Annahme ist, so beträgt der tägliche Verlust 632,9 Kilogrm. Natronsalpeter,
d.h. auf die Menge des chargirten Schwefels berechnet 14,8 Proc. von
demselben. Da man nun ohnehin schon etwa 3 Proc. Verlust auch bei dem
Verdünnungsverfahren durch den Kamin, die Kammersäure etc. erleidet, so
würde der Gesammtverlust an Natronsalpeter sich auf beiläufig 18 Proc. von
dem chargirten Schwefel steigern – eine Ziffer, deren Absurdität
sämmtliche Vorster'schen Laboratoriumsversuche
und die darauf gebauten Schlußfolgerungen schonungslos über den Haufen
wirft. Vorster selbst gibt den Verlust beim
Arbeiten mit dem Gloverthurm auf 5 Proc. von dem verbrannten Schwefel an;
diese Ziffer wird jedoch in den mit guten Apparaten ausgestatteten Fabriken
nur bei Betriebsstörungen erreicht, und kann man bei guten Apparaten ganz
gut, wie erwähnt, mit drei Procent von dem
chargirten Schwefel auskommen, welches eben auch der bei dem
Verdünnungsverfahren gewöhnlich stattfindende Verlust ist. Erst nachdem es
in den ersten Fabriken vollauf festgestellt worden war, daß der
Salpeterverbrauch bei der Denitrirung im Gloverthurm nicht oder jedenfalls
nur ganz unerheblich größer als in der Kochtrommel ist, haben sich die
hiesigen Fabrikanten allmälig sämmtlich entschlossen, Kochtrommeln und
Concentrationspfannen gegen den Gloverthurm auszutauschen, welcher nicht nur
die Feuerung für Dampf und Concentration erspart, sondern auch die Gase
kühlt und somit die erste Säurekammer erheblich schont.Ich habe übrigens die Menge der in meinem eigenen Kammerbetriebe durch den
Gloverthurm passirenden nitrosen Säure berechnet, und finde folgendes. Im
Durchschnitte fließen durch den Gloverthurm täglich 12960 Liter = 22680
Kilogrm. – mit einem Durchschnittsgehalt von Stickstoffverbindungen,
entsprechend 30 Proc. salpetersaurem Natron, also 680 Kilogrm. von
demselben. Wenn nun nicht 67 sondern nur 50 Proc. davon verloren gingen so müßte der
Verlust im Thurme täglich 340 Kilogrm. Salpeter entsprechen. Die tägliche
Charge ist 7 1/2 Tonnen Pyrit von 45 Proc. Schwefelgehalt = 3429 Kilogrm.
Schwefel. Ich müßte daher im Thurme allein 10, und im Ganzen 13 Proc.
Salpeter von dem chargirten Schwefel aufwenden, während ich es schon für
unvollkommene Arbeit ansehe, wenn vier Proc. erreicht werden. Eine weitere
Wiederlegung der Vorster'schen Resultate ist wohl
unnöthig.
Die weitere Concentration der Schwefelsäure, bis auf 65
oder 66° B., gehört nicht mehr in den Kreis der Sodafabrikation; es ist
übrigens darüber nur schon allgemein bekanntes zu sagen. Die verschiedenen Vorschläge zur Vermeidung
der Platin- oder Glasretorten haben sich nicht bewährt und werden in England
wenigstens nirgends ausgeführt. Der Faure-Keßler'sche Apparat – mit flacher Platinschale –
(beschrieben 1874 211 26. 213
204), welchem vielleicht ein besseres Schicksal bevorsteht, scheint bis jetzt in
England noch nicht eingeführt zu sein.
Ich habe bislang immer von den Verbesserungen in der Schwefelsäurefabrikation als
Zweig der Sodafabrikation gesprochen; es ist aber keineswegs unwahrscheinlich, daß
in dieser Beziehung bald eine noch viel radicalere Verbesserung bevorsteht, nämlich
die völlige Verbannung der Schwefelsäurefabrikation mit Kammern, Thürmen u. sf., ja
auch der Sulfat-Kessel und Oefen aus den Sodafabriken. Das Hargreaves'sche Verfahren (vergleiche dies Journal, 1874
212 259) scheint in Deutschland, wenn auch bekannt,
doch lange nicht die Beachtung gefunden zu haben, welche es unleugbar verdient, und
welche demselben in England im vollsten Maße zu Theil wird. Man muß es mit größter
Bereitwilligkeit anerkennen, mit welch unermüdlicher Energie Hargreaves seit einer ganzen Reihe von Jahren gearbeitet hat, um eines
nach dem anderen der großen Hindernisse wegzuschaffen, welche sich der technischen
Ausführung des, im Principe ja schon längst vor ihm bekannten, aber nie wirklich
gelungenen Verfahrens entgegenstellten. Eine der größten Schwierigkeiten war
diejenige, dem Kochsalze einen hinreichenden Grad von Porosität zu geben, um es für
die Gase vollkommen permeabel zu machen; die Klumpen mußten hinreichend consistent
sein, um den Druck der darauf liegenden Masse zu ertragen, und doch so porös, daß
sie ganz und gar in Sulfat umgewandelt werden können. Hargreaves erreicht dies dadurch, daß er das Salz anfeuchtet und dann auf
eisernen Platten sehr langsam austrocknen läßt, wobei sich Klumpen bilden, welche
durch eine Brechmaschine (mit cannelirten Walzen) passend zerkleinert werden. Dabei
gibt es freilich viel Abfall von Grus und Staub, welcher dem Anfeuchtungs-
und Trockenprocesse wieder von Neuem unterworfen werden muß. Alles dies kostet viel
Arbeitslohn und Brennmaterial, wenn man nicht, was übrigens vorläufig in
ökonomischer Hinsicht absolut nothwendig ist, eine sonst verloren gehende
Wärmequelle dazu anwendet. Man kann zu dem Processe nicht nur das sonst in England
allgemein angewendete Siedesalz, sondern auch gemahlenes Steinsalz gebrauchen, welches
ebenso vollständig wie das erstere zersetzt wird. Da jedoch das englische Steinsalz
zu unrein ist, um für sich allein hinreichend gutes Sulfat zu geben, so verwendet
man nur bis zu einem Viertel gemahlenes Steinsalz, gemischt mit mindestens drei
Viertel Siedesalz. Die wieder getrockneten, porösen und auf ziemlich gleiche
Korngröße gebrachten Salzklumpen werden in große eiserne Cylinder gebracht, von
welchen eine ganze Batterie in der Art mit einander verbunden ist, daß sowohl die
sie umgebenden Feuerzüge als auch die Gascanäle von einem zu dem anderen gehen und
jeder von ihnen zur ersten Eintritts- sowohl, als zur letzten Austrittsstelle
gemacht werden kann – ganz ähnlich den Soda-Laugereitrögen nach dem
jetzt allgemein üblichen Shanks'schen Verfahren. Das Gas
tritt immer oben in den Cylinder ein und unten wieder aus. In der Construction
dieser Cylinder und der an ihnen angebrachten Montirungen, Zügen, Verbindungen
u.s.w. haben die Patentträger Hargreaves und Robinson unaufhörlich Verbesserungen angebracht, die noch
keinesfalls abgeschlossen sind. Um nur eines der unzähligen Details anzuführen,
haben sie neuerdings vorgeschlagen, die Cylinder statt aus Gußeisen aus einer
doppelten Lage Ziegelmauerwerk mit dazwischen befindlichem Eisenblech zu
construiren. In der Praxis wird bisher ausschließlich Gußeisen hierfür angewendet.
Die von den Erfindern construirten Cylinder sind etwa 3 Meter weit, ebenso hoch, und
fassen je 14 Tonnen Sulfat; in neuerer Zeit werden sie bis 4,5 M. weit und 3,6 M.
hoch gemacht, so daß sie dann 40 Tonnen Sulfat aufnehmen. Sie sind ringsum mit
Feuerzügen umgeben und müssen auf einer Temperatur von etwa 450° C. (eben
beginnende dunkle Rothglut) gehalten werden; unter dieser Temperatur reagiren die
Gase nicht auf das Chlornatrium. Der Zug in denselben wird entweder durch einen
Dampfstrahl am Ende der Serie oder, was man vorzuziehen scheint, durch einen
mechanischen Exhaustor hervorgebracht, dessen Lager durch Wasser gekühlt werden. Der
Inhalt des ersten mit frischem Salze beschickten Cylinders wird erst gehörig
erhitzt, indem man die Feuergase in das Innere eintreten läßt; ist eine hinreichende
Temperatur erreicht, so sperrt man die Feuerungsgase von dem Inneren des Cylinders
ab und läßt nun die schweflige Säure aus einer Reihe von gewöhnlichen Kilns, mit
Beimischung von überschüssiger atmosphärischer Luft und von Wasserdampf, in den
Cylinder eintreten und aus demselben in den zweiten, inzwischen ebenfalls
vorbereiteten, Cylinder gelangen und so durch die ganze Batterie hindurch. Wenn das
Verfahren einmal in regelmäßigem Betrieb ist, so stellt sich die Sache natürlich so,
daß das frische Gas auf eine schon größtentheils in Sulfat verwandelte Masse trifft, während das in
dem letzten Cylinder enthaltene, schon fast ganz erschöpfte Gas auf frisches
Kochsalz wirkt. Die Verdünnung mit atmosphärischer Luft wird so gehalten, daß die
Gasmischung etwa 8 Volumprocent schweflige Säure enthält; der Wasserdampf hat
ziemlich hohe Spannung (6 Atmosphären). Wenn der Inhalt des ersten Cylinders so weit
in Sulfat umgewandelt ist, als es eben möglich oder nöthig scheint, so ändert man
den Gasstrom und läßt ihn jetzt in den nächstfolgenden Cylinder eintreten, dessen
Inhalt großentheils in demselben Zustande ist; man treibt dann wieder Feuerungsgase
durch den ersten Cylinder, um die in ihm noch befindliche schweflige Säure zu
entfernen, und dechargirt dann seine Füllung, welche noch ganz dieselbe Form hat wie
die Salzklumpen. Es ist kaum nöthig zu bemerken, daß das aus dem letzten Cylinder
entweichende Gas, welches nunmehr an Stelle der schwefligen Säure Salzsäure enthält,
in einen Condensator geführt wird; indem man es durch passende Kühlvorrichtungen
(Röhren etc.) recht gut abkühlt, erhält man die Salzsäure bis 32° Twaddle (=
1,160) stark, und dieses um so leichter, als die Entwickelung des Gases eine ganz
regelmäßige und stetige ist. Der Verlust an schwefliger Säure soll höchstens 2 Proc.
betragen; er dürfte aber noch viel höher sein, ehe er demjenigen in dem alten
Verfahren gleichkäme, welches sich aus dem Verlust von Gas aus den Bleikammern, und
der überschüssigen Schwefelsäure im Sulfat und in der Salzsäure zusammensetzt. Durch
die Reaction selbst entwickelt sich eine bedeutende Menge Wärme, welche den Proceß
unterstützt; würde man das Kiln-Gas unverdünnt auf
frisches Salz einwirken lassen, was freilich im
regelmäßigen Betriebe nicht vorkommt, so würde das Salz schmelzen und nicht nur
seine Porosität verlieren, sondern sogar den Zug ganz verstopfen. Man muß deshalb
die Temperatur der Cylinder beobachten und nach Bedarf mehr Luft zulassen. Auch die
Zulassung des Wasserdampfes muß genau regulirt werden; es ist vorgeschrieben, daß in
1 Liter des austretenden Gases noch ein Ueberschuß von 23 bis 27 Milligrm.
Wasserdampf enthalten sein soll. Der Gesammtverbrauch an Kohlen soll nach Angabe des
Erfinders 600 Kilogrm. pro Tonne Sulfat betragen, wovon allein auf die Cylinder 250
Kilogrm. kommen; von glaubwürdiger Seite wird mir jedoch mitgetheilt, daß ein dem
Sulfat gleiches Gewicht Kohle erforderlich ist.
Die zur Vollendung der Reaction erforderliche Zeit ist freilich eine sehr bedeutende
– 14 Tage bis 3 Wochen. Man hat daher die Zahl von 6 Cylindern, welche Hargreaves anfangs für hinreichend hielt, erst auf 10
oder 12 vermehrt, und spricht selbst von 20 Cylindern für größere Anlagen. Es ist demnach
durchaus nicht zu verwundern, daß von den jetzt bestehenden Anlagen solche, welche
ursprünglich auf 120 Tonnen pro Woche berechnet waren, schließlich nur 60 Tonnen
liefern und sich kaum auf mehr als 80 Tonnen bringen lassen werden. Da nun eine
Anlage dieses Umfanges factisch 220000 Mark gekostet hat, so ist sie entschieden
theurer als die einer Schwefelsäure- und Sulfatfabrik alten Stiles,
wenigstens nach englischer Bauweise. Man kann freilich das Sulfat nach Hargreaves' Methode auf 98 Proc. bringen, und eine
bedeutende Fabrik liefert es fast regelmäßig in dieser Stärke.
Ein sehr großer Vortheil der Methode ist die schon erwähnte, ganz stetige,
gleichmäßige Entwickelung des Salzsäuregases, wodurch seine Condensation eine
verhältnißmäßig leichte und sichere Aufgabe wird, trotz der bedeutenden nothwendigen
Abkühlung und der großen Verdünnung mit Stickstoff und überschüssiger Luft, im
Gegensatz zu der stoßweisen Entwickelung in der gewöhnlichen Sulfatfabrikation. Die
englischen Regierungs-Inspectoren der Sodafabriken hegen in dieser Beziehung
sehr günstige Erwartungen von dem Hargreaves'schen
Verfahren. Freilich ist ein so verdünntes Salzsäuregas völlig untauglich zur Deacon'schen Chlorbereitung, so daß sich diese beiden
Verfahren gegenseitig ausschließen. Auch in einer anderen, ganz ungemein wichtigen
Beziehung erwarten die Inspectoren Großes von dem Hargreaves'schen Verfahren – nämlich in derjenigen, daß die ganze
Operation in dicht geschlossenen Eisencylindern vor sich geht, und somit die vielen
Klagen über das Entweichen von Kammergasen und von Salzsäuregas beim Beschicken der
Kessel und beim Ausziehen des calcinirten Sulfates aufhören würden. Sollte überhaupt
eine Fuge undicht werden, so würde nicht Gas ausströmen,
sondern Luft oder Feuergase in den Apparat eingesogen
werden.
Der Kohlenverbrauch bei dem Verfahren im gleichen Gewichte des erzeugten Sulfates ist
entschieden höher als bei dem alten Verfahren; doch dürften gerade in dieser
Beziehung noch weitere Verbesserungen zu erwarten sein.
Im Allgemeinen hat das besprochene Verfahren demnach folgende Vortheile: Ersparung
des Salpeters, Erzeugung sehr hochgrädigen Sulfates, Anwendung weniger geschickter,
also leichter zu beschaffender Arbeitskräfte, Vermeidung des Entweichens von Gasen,
stetige Entwickelung und leichte Condensation der Salzsäure, sehr geringer Verlust
an Schwefel und somit größerer Ertrag. Seine Schattenseiten sind dagegen: größere Anlagekosten, größerer
Kohlenverbrauch, höherer Gesammt-Arbeitslohn (obwohl im Einzelnen weniger
hoch bezahlt) als bei dem alten Verfahren. Es liegt auf der Hand, daß sämmtliche erwähnte Schattenseiten
fast durchgängig bei längeren Erfahrungen sich verringern lassen; da jedoch eine Hargreaves'sche Anlage factisch den fast völligen Neubau
einer Sodafabrik bedingt, so werden die meisten Fabrikanten schon durch finanzielle
Bedenken dagegen eingenommen sein. Unter diesen Umständen ist es also um so mehr
bemerkenswerth, daß schon jetzt vier große Fabriken
(sämmtlich in Lancashire) nach diesem Systeme arbeiten; daß drei andere im Baue sind (davon eine für 150 Tonnen pro Woche) und daß
wohl kaum ein englischer Fabrikant daran denken würde, eine neue Sulfatfabrik (als
solche oder als Theil der Sodafabrikation) jetzt nach altem Systeme einzurichten,
weil hier Jedermann, wenn er sich nicht schon für Hargreaves entschieden hat, warten will, ob nicht die noch vorhandenen
Uebelstände in nächster Zeit ganz überwunden werden. Die Handelsverhältnisse sind
übrigens der Art, daß ohnehin Niemand gerade jetzt eine Erweiterung seiner
Sodafabrik vornehmen möchte. Die alten Kammern wird man freilich noch Jahre lang
erneuern, ehe man sie ganz aufgibt, selbst wenn das Hargreaves'sche Verfahren sich vollkommen siegreich über das alte bewähren
würde, was man in diesem Augenblicke zwar als sehr wahrscheinlich, aber noch nicht
als völlig sicher bezeichnen muß. Es ist mir sogar bekannt, daß ein französischer
Fabrikant noch in neuester Zeit, nach persönlicher Besichtigung von Hargreaves' Anlage, mit dem Eindrucke fortgegangen ist,
eine neu beabsichtigte Anlage lieber nach altem Systeme zu errichten; die meisten
Engländer denken, wie erwähnt, darüber eben anders.Es wird mir nachträglich aus directer Quelle mitgetheilt, daß von den nach
Hargreaves arbeitenden Fabriken die eine
schon 115 Tonnen Pro Woche macht und bis auf 140 Tonnen zu kommen gedenkt;
daß eine andere den Apparat schon erweitert hat und im nächsten Monat auf
300 Tonnen pro Woche zu kommen hofft, und daß schon eine Actiengesellschaft
gebildet ist, welche bis Anfang des Monats Mai 1875 eine Fabrik für 500
Tonnen Sulfat pro Woche herzustellen beabsichtigt.12. November 1874.L.
Ueber die Sulfatfabrikation nach alter Methode, wie sie
doch eben in diesem Augenblicke noch in der größten Mehrzahl von Fabriken ausgeübt
wird, ist kaum etwas Neues zu sagen. Wie von jeher wird noch immer in Lancashire
vorzugsweise in Muffelöfen, am Tyne dagegen ganz ausschließlich mit Flammöfen
calcinirt; die combinirten Oefen, von welchen sich eine Beschreibung mit Abbildung
in diesem Journal (1871 202 80) findet, haben keine
großen Vortheile gezeigt und sich nicht sehr verbreitet. Man zersetzt am Tyne in
jeder Schale (von 2,75 bis 2,90 Meter Durchmesser und 0,76 Meter Tiefe) 8 1/2 bis 11
Tonnen Kochsalz pro 24 Stunden, und calcinirt (stets in Flammöfen) entweder mit Coaks,
wo man dann noch ziemlich starke Säure auch aus den Oefen gewinnen kann, oder
(gewöhnlicher) mit Steinkohlen, wobei die Ofensäure freilich zu schwach für andere
Zwecke als zur Kohlensäure-Entwickelung (in der Bicarbonatfabrikation)
ausfällt. Man muß dann nämlich die Condensationsthürme mit möglichst weitläufig
geschichteten Ziegeln füllen und mit reichlichem Wasser speisen, um ihr Verstopfen
durch Ruß zu verhindern. Selbst das Einschalten von sehr langen Zugröhren und
Säuretrögen hilft dem nicht ab. Die Zugröhren werden jetzt meist aus Gußeisen
gemacht – auf eine Länge von 15 bis 30 und manchmal 45 M., d.h. so lange, als
sie noch heiß bleiben, weil sie erfahrungsmäßig von heißen, trockenen
Salzsäuredämpfen fast gar nicht leiden und ganz ausgezeichnet kühlend wirken. In
Lancashire da, wo man mit Muffelöfen arbeitet, setzt man natürlich per Schale und
Ofen viel weniger durch, in 24 Stunden etwa 6 Tonnen Salz, höchstens 7, häufiger
aber weniger als 6 Tonnen.
Augenblicklich macht die neue Condensationsmethode von Newall und Bowman am Tyne
einiges Aufsehen. Nach dieser werden die Gase in Steintröge von der gewöhnlichen
Bauart der Salzsäuretröge eingeführt, welche etwa 1,8 Meter im Quadrat halten und
0,6 Meter hoch sind; hier begegnet das Gas einem äußerst fein vertheilten
Wasserstrahl, welcher den ganzen Raum des Troges in Form eines feinen Nebels
erfüllt, und welcher die Salzsäure aus demselben mit größter Schnelligkeit und
Vollständigkeit auswäscht, so daß 12 solcher Strahlen zur vollständigen Condensation
des Gases von vier Sulfatöfen ausreichen sollen. Dabei entwickelt sich freilich
große Hitze, indem die latente Wärme des ohnehin schon heißen Salzsäuredampfes frei
wird. Daher ist es nöthig, das Gas in einer Anzahl verhältnißmäßig kleiner Röhren
einzuführen, um möglichst große Kühlfläche zu erlangen, ferner diese Röhren zwischen
je zwei Trögen mehrfach aufwärts und abwärts zu biegen, und endlich hinter dem
letzten Troge nach einem kleinen Condensationsthurm mit Coaksfüllung anzubringen;
man braucht denselben aber vielleicht nur ein Viertel so groß als bei dem jetzigen
System zu machen, und bekommt die Säure in den Trögen gleich 33° Tw. stark.
Die Hauptsache bei dem Verfahren ist die Erzeugung eines genügend feinen
dunstförmigen Strahles, welcher dadurch erreicht wird, daß man Wasser mit einem
Drucke von nahezu 3 Atmosphären durch eine Platinspitze von 1 1/2 Millim. Oeffnung
ausströmen läßt, und zwar auf einen wenige Millimeter darunter angebrachten kleinen
scheibenförmigen Knopf von Platin, von welchem der Strahl zurückprallt und in
feinzerstäubtem Zustande den ganzen Raum des Troges erfüllt. Da sich eine solche
feine Spitze leicht
verlegt, so muß das Wasser, wenn es nicht klar ist, filtrirt werden. Selbstredend
kann man statt Wasser auch verdünnte Säure anwenden, und da diese Tröge den Zug
nicht so sehr wie die gewöhnlichen Coaksthürme hindern, so würde sich das Verfahren,
wenn es sich bewährte, auch in vielen anderen Fällen mit Vortheil anwenden lassen,
z.B. zum Waschen des Rauches von Kupfer- und Bleihütten, ebenso bei Leuchtgas
statt der Scrubber u.s.w. Ich habe das Verfahren in der Fabrik der Erfinder selbst
gesehen; es ist aber selbst dort lange nicht in der oben beschriebenen
Vollständigkeit ausgeführt, und sind daher noch weitere Erfahrungen erforderlich,
ehe es die Coaksthürme wirklich verdrängen kann. So viel scheint jedoch schon ohne
weiteres klar zu sein, daß der angedeutete Dunststrahlapparat wenigstens als
Hilfsapparat sehr nützliche Dienste leisten kann.
Die Frage der besseren Condensation von Salzsäuregasen und anderen schädlichen
Dämpfen hat auch das englische Parlament wiederum beschäftigt. Ein Amendement der
Alkali-Acte vom J. 1864 ist zum Gesetze erhoben worden, und soll im April
1875 in Rechtskraft treten, wonach die Sodafabriken und alle anderen Etablissements,
welche mit Zersetzung von Kochsalz unter Entwickelung von Salzsäure operiren (womit
wesentlich die Kupferhütten nach hydrometallurgischer Methode gemeint sind),
gehalten sein sollen, sowohl das Entweichen aller übrigen schädlichen Gase zu
verhüten, als auch die Salzsäure nicht nur wie bisher mindestens bis 95 Procent zu
condensiren, sondern auch dafür zu sorgen, daß die aus der Fabrik durch den
Schornstein oder sonst wie entweichenden Luft nie mehr als 1/5 Grain (13 Milligrm.)
Salzsäuregas im englischen Kubikfuß (28,315 Liter) enthält. Dieses gestattete
Maximum entspricht also nicht ganz einem Zwei-Millionstel Theil der Luft, und
Dr. R. Angus Smith, der
intellectuelle Urheber der Amendment-Acte, glaubt, daß Salzsäuregas in
solcher Verdünnung unschädlich sei. Ob die neue Bestimmung, deren Erfüllung
keinesweges mit übermäßiger Schwierigkeit verbunden ist, wirklich hilft und den
immer lauter werdenden Klagen über die Verheerung aller Vegetation um die Centren
der Sodafabrikation herum ein Ende macht, bleibt abzuwarten. Man nimmt bei uns
gewöhnlich an, daß die bis jetzt von dem Gesetze noch ausgenommenen Kupferhütten
darin viel größere Sünder als die Sodafabriken sind; denn nicht nur fehlte alle
amtliche Controle über die Condensation der großen Mengen Salzsäure, welche bei der
chlorirenden Röstung der Pyritabbrände entweicht, sondern es wurde bisher für eine
Condensation der beim Calciniren des Kupfersteins entweichenden schwefligen Säure
und Schwefelsäure gar nichts gethan, und es steht fest, daß namentlich die letztere viel
verheerender als die Salzsäure auf die Vegetation der Umgegend wirkt. Das neue
Gesetz umfaßt nun alle solche Kupferhütten, welche chlorirende Röstung ausüben, läßt
aber die übrigen frei ausgehen.
In der eigentlichen Soda-Branche herrscht in ganz
England unbedingt noch das Leblanc'sche Verfahren, und es
sieht auch gar nicht danach aus, als ob dasselbe in nächster Zeit durch ein anderes
verdrängt werden sollte. Das sogenannte Ammoniakverfahren, welches ja von Dyar und Hemming, zwei Engländern, zuerst vorgeschlagen wurde, hat
in diesem Lande große Beachtung gefunden, und namentlich der berühmte
Paraffinfabrikant James Young hat anhaltend an der
Vervollkommnung desselben gearbeitet, ohne daß es ihm jedoch, wie es scheint,
gelungen wäre, sein Ideal zu erreichen. Wenigstens läßt sich so viel feststellen,
daß Young selbst keine Fabrik
nach dem letzteren Systeme betreibt, daß in England nur eine einzige Fabrik –
und zwar nur von mäßigem Umfange – das Verfahren schon im Großen ausführt
und, so viel ich ermitteln kann, nur noch eine einzige weitere Fabrik dieser Art
projectirt oder schon im Baue ist. Die englischen Fabrikanten scheinen allgemein
überzeugt zu sein, daß an eine Concurenz des Ammoniakverfahrens mit dem Leblanc'schen gar nicht zu denken sei – wenigstens
nicht in dem jetzigen Zustande – und daß das erstere überhaupt nur anwendbar
ist, um eine ganz besonders reine, namentlich möglichst schwefelsäurefreie Soda für
Glasfabriken herzustellen, welche mit einem außergewöhnlich hohen Preise bezahlt
wird. Besonders sind die meisten englischen Sodafabrikanten durch die ganz
ungewöhnliche Geheimthuerei, welche mit dem Verfahren getrieben wird, gegen dasselbe
eingenommen, und sie meinen, daß, wenn dasselbe wirklich so werthvoll sei, es die
Oeffentlichkeit nicht zu scheuen brauche. Mangel an Unternehmungsgeist oder Kapital
ist es wahrlich nicht, welcher die praktischen Engländer davon abhält, das
Ammoniakverfahren einzuführen, welches ja nach den bestimmten Versprechungen der für
seine Einführung Interessirten im Verhältniß unbedeutende Anlagekosten erfordert und
nach welchem man viel billiger arbeiten soll als bei dem
Leblanc'schen Verfahren; aber obwohl einzelne
Engländer die bedeutende Summe gezahlt haben, welche schon für den Eintritt in die
Musterfabrik gefordert wird, so haben sie sich doch nicht entschlossen, die theuer
bezahlte Kenntniß zu verwerthen.
Ich selbst kenne das Verfahren nur aus den allen Technikern offen stehenden
literarischen Hilfsquellen und will mir über dasselbe durchaus kein Urtheil, weder
absprechend noch zustimmend anmaßen, zumal gegenüber den hohen Erwartungen, welche
von wissenschaftlichen Capacitäten ersten Ranges daran
geknüpft wurden. Ich habe mich nur bemüht, die mir bekannt gewordenen Ansichten
englischer Praktiker objectiv zu resumiren, und muß es
dem deutschen Leser überlassen, welchen Werth er auf dieselben legen will. Nur eines
möchte ich bemerken, daß bei dem riesigen Umfange der englischen Sodafabrikation die
allgemeine Einführung des Ammoniakverfahrens schon
darum eine reine Unmöglichkeit ist, weil der von den Interessenten selbst
zugestandene Ammoniakverlust von 3 bis 5 Procent der Soda ein verhältnißmäßig
enormer ist, ja mit den jetzigen Hilfsmitteln eine ganz unerschwingliche Menge von
Ammoniaksalzen repräsentirt. Abgesehen also von dem sehr unwahrscheinlichen Falle,
daß plötzlich eine neue reichhaltige Ammoniakquelle entdeckt würde, müßte selbst die
theilweise Substituirung des Ammoniakverfahrens für das Leblanc'sche sofort dahin führen, daß die ohnehin schon sehr hohen Preise
der Ammoniaksalze noch weit höher getrieben und obige 3 bis 5 Proc. Verlust das
Verfahren unrentabel machen würden, selbst wenn man im Gegensatz zu der Meinung der
Engländer annehmen wollte, daß es wirklich bei den jetzigen Ammoniakpreisen billiger
als das Leblanc'sche sei. Sei dem wie ihm wolle, so viel
steht fest, daß ein Bericht über den jetzigen Zustand und die nächsten Aussichten
der Sodafabrikation in England mit dem Ammoniakverfahren nicht zu rechnen braucht,
obwohl schon unwahrscheinlichere Vorschläge sich schließlich doch bewährt haben.
Daß übrigens die mit dem Ammoniakverfahren erzeugte Soda sich allerdings durch ihre
große Reinheit auszeichnet und somit in beschränktem Maßstabe zu einem erhöhten
Preise verwerthbar ist, muß ich nach folgender Analyse eines von mir selbst einer
größeren Partie entnommenen Musters anerkennen:
Kohlensaures Natron
95,65 Proc.
Chlornatrium
3,22 „
Schwefelsaures Natron
0,31 „
Eisenoxyd, Thonerde und unlöslicher Rückstand
0,07 „
Wasser
0,55 „
–––––––––
99,80 Proc.
Was den Leblanc-Proceß selbst betrifft, so muß man
es als wichtigstes Ergebniß der Erfahrungen der letzten Jahre verzeichnen, daß die
Frage: ob durch Handarbeit betriebene Schmelzöfen alten Stiles oder rotirende (Cylinder-) Oefen, jetzt
definitiv zu Gunsten der letzteren entschieden ist. Als ich vor einigen Jahren über
diesen Gegenstand berichtete (vergl. 1869 194 229), mußte
ich die Frage als noch
nicht spruchreif bezeichnen. Man hat seitdem die Construction der Cylinderöfen
vielfach verbessert und die Arbeitsweise in denselben und mit den Schmelzkuchen so
weit vervollkommnet, daß man mit denselben jetzt entschieden sowohl billiger als
besser wie mit den Handöfen arbeitet; namentlich aber wird man dadurch von den immer
höher steigenden Ansprüchen der Sodaschmelzer und ihrer Geschicklichkeit so weit
emancipirt, daß schon aus diesem Grunde die Fabrikanten die rotirenden Oefen den
Handöfen vorziehen, und ihrer allgemeinen Einführung eigentlich nur der Kostenpunkt
im Wege steht. Derselbe ist freilich sehr erheblich; ein Cylinderofen kostet mit
Zubehör mindestens £ 2000 oder 40000 Mark an Ort
und Stelle hier, und erfordert einen besonders stark ziehenden Schornstein, ein bis
zum Dachgebälk 9 Meter hohes Gebäude u.a.m. Dafür baut man sie jetzt so groß, daß
sie die Arbeit von vier Handöfen leisten. Die gewöhnliche Arbeit der letzteren ist
hier per Tag 24 bis 27 Chargen zu 3 Centner Sulfat, im Ganzen also 72 bis 81
Centner, während hier am Tyne schon eine ganze Anzahl von Cylinderöfen im
Durchschnitt zu 15 Tonnen = 300 Centner Sulfat pro Tag verarbeiten (einzelne machen
bis 18 Tonnen fertig).
Jeder Ofen wird jetzt gewöhnlich mit zwei Verdampfungspfannen für Sodalauge
verbunden, welche durch eine geräumige Flugstaubkammer von dem Cylinder selbst
getrennt sind; aus der Kammer münden zwei Canäle in die neben einander aufgestellten
Pfannen von je 2,4 bis 2,7 Meter Breite, 7,5 Meter Länge und 0,6 Meter Tiefe, so daß
das Feuer über die Lauge wegstreicht. Meist stehen auf dem Pfannengewölbe noch
Vorwärmer. Vor den Pfannen sind wie gewöhnlich die Kästen mit falschem Siebboden
(drainers) für die zur Breiconsistenz eingedampfte
Lauge angebracht, und eine eigene Dampfpumpe schafft die sich unter dem Siebboden
ansammelnde Mutterlauge in die Pfanne zurück. Man construirt die Pfannen auch mit
einer Scheidewand und pumpt die Mutterlaugen immer nur nach einer der so gebildeten
Abtheilungen zurück, so daß man aus der anderen dann eine sehr reine und starke Soda
(bis 95 Proc.) erhält, während diejenige aus der Mutterlauge nur etwa 80 bis 85
Proc. kohlensaures Natron zeigt. Jeder einzelne Cylinderofen erfordert eine
Dampfmaschine, selbst wo mehrere derselben vorhanden sind, weil man die
Umdrehungsgeschwindigkeit und Manipulation des Cylinders beim Füllen und Entleeren
nur auf diese Weise völlig beherrscht. Dagegen kann eine größere Maschine die
Quetschwalzen für das Sulfat, welche immer vorhanden sind, und den Elevator für
sämmtliche Cylinderöfen betreiben. Eine Eisenbahn läuft über alle Oefen in solcher
Höhe hin, daß ein Einfüllungstrichter, in welchen man den Inhalt der Wagen stürzt, noch immer hoch
genug über den Cylindern bleibt, um ihre Rotation nicht zu hindern. Eine andere
kleinere Eisenbahn ist quer unter den Oefen gelegt, auf welcher die die Schmelze
aufnehmenden Wagen laufen. Man füllt immer erst die Kreide (in Lancashire den
Kalkstein) mit zwei Drittel der Kohle in großen Stücken ein; die große Hitze,
welcher die Blöcke plötzlich ausgesetzt werden, bringt in wenigen Minuten die immer
in ihnen enthaltene Feuchtigkeit zum explosionsähnlichen Verdampfen und zertheilt
die Kreide in viel billigerer Weise, als es durch Mahlen geschehen würde. Die Kreide
mit der Kohle läßt man so lange rotiren, bis sich ein Theil derselben in Aetzkalk
verwandelt hat, und die genaue Beobachtung des richtigen Zeitpunktes, wann man mit
dieser Operation (welche „liming“
– Verkalkung – genannt wird) aufhören soll, ist die Hauptsache für den
beaufsichtigenden Arbeiter, welcher vor einem Schauloche in der hinteren Stirnwand
der Cylinder sitzt und den Hebel der Dampfmaschine vor sich hat; in der Regel dauert
es etwa eine Stunde. Erst dann wird das Sulfat (je 30 Centner) mit dem Rest der
Kohle zugesetzt und die eigentliche Schmelzung vollendet; die ganze Operation dauert
ungefähr 2 1/2 Stunden. Der Zweck des „liming“ ist, durch die Bildung von Aetzkalk, welcher sich beim
Auslaugen der Schmelzkuchen löscht, die letzteren aufzulockern und die Auslaugung zu
befördern. Darin bestand eben früher der große Uebelstand der Cylinderöfen, daß man
statt der porösen Brode der gewöhnlichen Oefen harte steinartige Kuchen erhielt,
welche sich selbst durch sehr heißes Wasser und Dampf nur schwer und unvollkommen
auslaugen ließen. Diese Schwierigkeit ist aber jetzt ganz überwunden, und man
versteht die „Revolverballs“ eben
so gut zu behandeln wie die gewöhnlichen Brode; ja man läßt vor dem Ausleeren den
Cylinder noch recht rasch herumgehen, um das Zusammenballen der Schmelze zu
befördern. Das Verhältniß der Kohle zum Sulfat wird 65 : 100 genommen, während sonst
am Tyne für Handöfen 50 oder selbst nur 45 : 100 angewendet wird. Der Ueberschuß von
Kohle in den rotirenden Oefen dient theils zur vollständigeren Zersetzung des
Sulfates (in der Schmelze kommt solches so gut wie gar nicht mehr vor) und theils
zur größeren Porosität derselben. Im Durchschnitt geht ein Ofen 4 Monate, bis sein
Futter erneuert und eine Reparatur vorgenommen werden muß, wozu eine Woche
ausreichen soll. Wer sich die Mühe nimmt, die obigen Angaben mit den viel
ausführlicheren, von mir nach Allhusen und Lamy im J. 1869 (a. a. O.) gemachten zu vergleichen, wird
in einzelnen Punkten Abweichungen und namentlich das Endurtheil sehr verschieden
ausfallend finden, was sich eben durch die im Laufe der Zwischenzeit gemachten
Erfahrungen hinreichend erklärt. In der That führen die Fabrikanten noch immer neue Verbesserungen ein; so
wendet man z.B. jetzt statt der schmiedeisernen Bandage, welche um den Cylinder
herumgeht und dessen ganzes Gewicht auf eine gußstählerne Frictionsscheibe
überträgt, Bandagen aus Gußstahl an, welche dem enormen Gewicht viel länger
Widerstand leisten; dieselben sind auf gußeiserne, mit dem Cylindermantel vernietete
Ringe heiß aufgezogen. Man hat auch Gasfeuerung für die rotirenden Oefen eingeführt,
aber nur in wenigen Fällen. Bemerkenswerth ist es, daß diese Oefen einen sehr
starken Zug zum Betriebe verlangen, aber trotzdem bedeutend (bei den großen Oefen 25
Proc.) weniger Feuerung als die entsprechende Anzahl Handöfen verlangen. Das Product
aus denselben ist entschieden besser (hochgrädiger) als aus den Handöfen, aber die
Ausbeute ist, wegen des schwierigen Auslaugens, nur bei sehr sorgfältiger
Ueberwachung der des älteren Verfahrens gleich, übrigens auch sonst nur um
Bruchtheile eines Procentes dagegen zurückstehend. Die rotirenden Oefen eignen sich
freilich nur für große Fabrikanlagen; wo man nicht mindestens täglich 30 Tonnen
Sulfat in Soda verwandelt, kann man nur einen einzigen solchen Ofen anlegen, und muß
bei Reparaturen desselben die ganze Fabrik stilllegen; auch ist die specielle
Aufsicht für mehrere Oefen nicht kostspieliger als für einen einzigen. Fabriken
obigen Umfanges (entsprechend einer Jahresproduction von über 120000 Centner
calcinirter Soda) dürften freilich in Deutschland nur höchst wenige oder gar keine
existiren; selbst ein einziger rotirender Ofen würde schon für die große Mehrzahl zu
viel sein; solche Verhältnisse ändern sich jedoch manchmal schnell. Die größte
Anwendung der rotirenden Oefen findet sich in der Fabrik der ursprünglichen Erfinder
(Stevenson und Williamson)
zu South-Shields; dort ist soeben der zehnte
dieser Oefen in Betrieb gesetzt worden, nachdem freilich zwei Oefen älterer
Construction ausrangirt wurden und ein dritter bald eingestellt werden soll, so daß
eigentlich nur 7 Oefen zu rechnen sind, was immerhin einer Jahresproduction von
470000 Centner calcinirter Soda (auf 48 englische Grad berechnet) entspricht;
dieselbe Firma besitzt noch eine zweite Fabrik zu Friars-Goose, 1 1/2 Meilen
von hier, in welcher wiederum 5 Cylinderöfen zu 337000 Centner calcinirter Soda pro
Jahr stehen. (Nach dem amtlichen Katalog der deutschen Ausstellung in Wien
producirte ganz Deutschland im J. 1872 an calcinirter Soda 724539 Centner und 128776
Centner Krystallsoda.) Sämmtliche größere Fabriken Englands werden schon theilweise mit rotirenden Oefen betrieben, und ist eben,
wie gesagt, deren allgemeine Einführung nur eine Frage der Zeit. Neue Fabrikprojecte
gehen immer gleich von solchen Oefen aus, und es ist bemerkenswerth, daß jene Fabrik, deren früherer
Besitzer, J. L. Bell, im J. 1869 das in meiner damaligen
Mittheilung erwähnte ziemlich absprechende Urtheil über die Leistungen seines
eigenen rotirenden Ofens fällte, jetzt im Begriffe ist, einen zweiten größeren Ofen
aufzustellen. Der jetzige Besitzer der Fabrik versichert mich, daß er für seinen
Ofen, welcher täglich 10 Chargen zu 26 Centner Sulfat verarbeitet, nur 64 Centner
Kohlen verbrauche, also nur etwa ein Viertel des Gewichtes des verschmolzenen
Sulfates, was sehr bedeutend unter dem Bedarf der
Handöfen steht.
Ganz vor kurzem haben Black und Hill eine Abänderung des Verfahrens im Cylinderofen patentirt. Statt des
„liming“ tragen sie alle
Materialien zugleich ein und, weil die dadurch erzielte Schmelze viel zu dicht zur
Auslaugung nach dem Shanks'schen Verfahren ist und auch
nicht zerfällt, so schreiben sie vor, dieselbe zu Pulver zu mahlen, in mit Rührwerk
versehene Gefäße zu bringen und darin durch Umrühren mit heißem Wasser, Absitzen und
Decantiren auszulaugen, mit systematischer Benützung der Waschwässer. Als Vortheile
ihres Verfahrens geben sie an: größere Leistungsfähigkeit des Ofens; geringeren
Verbrauch an Kreide und Kohlen; fast völlige Freiheit der Laugen von kaustischem
Natron und Schwefelnatrium, letzteres in Folge der ganz unter Controle stehenden
Auslaugungstemperatur. Den in die Augen springenden Nachtheil, nämlich die viel
kostspieligere und complicirtere Laugerei, führen sie freilich nicht mit an, und so
steht bis jetzt die ganze Methode nur auf dem Papiere und scheint auch ihre
Einführung zunächst nirgends in Aussicht genommen zu sein.
(Fortsetzung folgt.)