Titel: | Chemische Vorgänge beim Schmelzen des Glassatzes; von Dr. Otto Schott. |
Autor: | Otto Schott |
Fundstelle: | Band 215, Jahrgang 1875, S. 530 |
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Chemische Vorgänge beim Schmelzen des Glassatzes;
von Dr. Otto Schott.
Mit einer Abbildung.
Schott, über chemische Vorgänge beim Schmelzen des
Glassatzes.
Je nachdem man das Alkali in Form von kohlensaurem oder schwefelsaurem Salz in den
Glassatz einführt, ist der chemische Proceß beim schmelzen verschieden. Wendet man
einen Glassatz aus Soda, kohlensaurem Kalk und Kieselsäure an, so spricht sich die chemische
Reaction beim Schmelzen in folgender Gleichung aus:
Na₂CO₃ + CaCO₃ + 2SiO₂ =
Na₂Ca(SiO₃)₂ + 2CO₂
NaO,CO₂ + CaO,CO₂ + 2SiO₂ = (NaO,SiO₂ + CaO,SiO₂) + 2CO₂
Nach den Untersuchungen von Knapp findet bei steigender
Wärme zuerst das Verschmelzen der beiden kohlensauren Salze und später erst die
Einwirkung der Kieselsäure statt, deren Einfluß sich in einer heftigen
Gasentwickelung zu erkennen gibt. Bevor ich jedoch näher auf den chemischen Proceß
beim Schmelzen eines Sulfat-Glassatzes, d.h. eines solchen eingehe, in
welchem das Natrium in Form von schwefelsaurem Natrium eingeführt wird, will ich die
äußeren Umstände und Erscheinungen dieses Vorganges in der Praxis, soweit dieselben
auf den chemischen Proceß Bezug haben, beschreiben.
Die Behandlung des Glassatzes im Ofen bis zur eigentlichen Verarbeitung zerfällt in
zwei Perioden, in die wirkliche Schmelzung, d.h. den Uebergang aus dem festen in den
flüssigen Zustand (das Gemengschmelzen), und in die Läuterung (das Lauterschmelzen).
Die chemische Zersetzung und Einwirkung der Gemengtheile auf einander findet bereits
in der ersten Periode statt, während sich in der zweiten, bedingt durch
physikalische Vorgänge, die geschmolzene Masse nur noch läutert, indem durch
Anwendung der höchstmöglichen Hitzegrade die Schmelze in einen dünnflüssigen Zustand
versetzt und das Aufsteigen von Gasblasen und der Glasgalle ermöglicht wird.
Textabbildung Bd. 215, S. 530
Für eine solche Schmelzung wird der Hafen mit dem aus Sand, Sulfat, Kohle,
Kalkspath und eventuell Soda bereiteten Glassatz vollständig angefüllt. Der
erste Einfluß der Wärme äußert sich in einer oberflächlichen Schmelzung, welche
von den Wandungen her allmälig fortschreitet und in Folge der gleichzeitig
beginnenden Zersetzung von Blasenwerfen begleitet ist. Nebenstehender
Holzschnitt veranschaulicht einen solchen Glashafen nach einer Schmelzdauer von
3 bis 4 Stunden. Der innere, noch unverschmolzene Theil des Satzes schwimmt in
der geschmolzenen übrigen Masse.
Um mich nun von dem Zustande zu überzeugen, in welchem sich die Materialien nach
dieser Zeit befanden, ließ ich mittels eines großen eisernen Löffels Proben
herausschöpfen. Das aus dem Inneren Genommene war kaum glühend, noch trocken und
sandartig, wie vor dem Einlegen in den Hafen. Es erhellt hieraus, ein wie schlechter
Wärmeleiter der Glassatz sein muß, da selbst bei voller Weißglut und einer Schmelzdauer von
mehreren Stunden der innere Theil des Satzes nicht zum Glühen gebracht worden war.
Der mittlere Theil, welcher den Uebergang zum flüssigen äußeren Theil bildete, war
der interessanteste; es ließ sich hier die Zersetzung und Glasbildung deutlich in
ihrem Vorschreiten beobachten. Bei der herausgenommenen Probe war diese Schicht 1
bis 2 Cm. dick und erkaltet, der beigemengten Kohle wegen, von grauer Farbe. Die
Masse war blasig zusammengesintert, ein Zeichen der angehenden Schmelzung; neben
Sand, Sulfat und Kohle ließen sich noch angeschmolzene Kalkspathpartikelchen
erkennen, welche mit Säuren aufbrausten.
Behandelte man einen Theil der Masse mit Säuren, so entwickelte sich neben
Kohlensäure auch Schwefelwasserstoff, welcher sich ohne Zweifel durch Zersetzung von
Schwefelnatrium bildete. Auch zeigten sich an verschiedenen Stellen des Productes
braune Flecken, welche in der Mitte Kohle-(Coaks-)Stückchen
enthielten; doch war diese Färbung nicht, wie man vielleicht vermuthen könnte, von
einem Bitumengehalt der Kohle bedingt, sondern rührte von Schwefelnatrium her,
welches bekanntlich das Glas braun färbt und sich an dieser Stelle durch einen
kleinen Kohlenüberschuß gebildet hatte.
Der äußere flüssige Theil, welcher schon glasig zu nennen war, hatte in Folge
unverschmolzener Sandpartikelchen ein weißes Ansehen und enthielt noch viele
Gasblasen. Bei weiterer Einwirkung von Wärme schreitet nun die Zersetzung und
Schmelzung nach Innen unter Gasentwickelung und stetiger Abnahme des Volumens
allmälig fort, bis nach einer Dauer von 5 bis 7 Stunden – einer Zeit, welche
sich nach der Größe des Hafens richtet – Alles flüssig ist und die
geschmolzene Masse 3/4 des ursprünglichen Volumens einnimmt. Das vollständige
Verschmelzen des bis zuletzt kugelig bleibenden inneren Theiles muß abgewartet
werden, ehe man dazu schreiten kann, zur weiteren Füllung des Hafens eine zweite
Portion des Satzes einzufüllen. Gebrauchte man diese Vorsicht nicht, so würde sich
ein Fehler, das sogen. „Steinigwerden“ des Glases einstellen,
welches darin seinen Grund hat, daß ein unzersetzbares, zusammengesintertes Gemenge
von Glaubersalz und Sand in kleinen Stückchen im Glase suspendirt bleibt.
Nach dem Verschmelzen der zweiten Portion fügt man eine dritte und, wenn es
nothwendig sein sollte, zur vollständigen Füllung des Hafens mit geschmolzenem
Glase, eine vierte Charge unter Beobachtung des oben Gesagten hinzu. Die Dauer für
das Flüssigwerden dieser zwei resp. drei letzten Zusätze beträgt gewöhnlich 4
Stunden, wonach also das ganze Gemengschmelzen eine Zeit von 9 bis 11 Stunden beansprucht. Nimmt man
alsdann eine Probe des Glases heraus, so bemerkt man noch unverschmolzene
Sandpartikelchen neben Gasblasen in der Schmelze.
In der zweiten Periode, jener des Lauterschmelzens, muß zunächst der Ofen auf die
höchstmögliche Temperatur gebracht werden. Die Gasentwickelung steigert sich hierbei
sehr bedeutend und bringt ein eigenthümliches Geräusch hervor, das schon in einiger
Entfernung vom Ofen vernommen wird; es gleicht dem, welches man bei einer stürmisch
verlaufenden Entbindung von Gas in einer Flüssigkeit zu hören gewohnt ist. In der
That ist auch um diese Zeit das Glas in einem schaumigblasigen Zustande, wovon man
sich durch eine weitere Probe leicht überzeugen kann.
Nachdem so alles Rohmaterial bis auf einen gewissen, in der ganzen Masse vertheilten
Rest von Kieselsäure zu einem klaren Glase verschmolzen war, erfolgte die oben
genannte Gasentwickelung – ein Umstand, welcher unzweifelhaft darauf
hindeutet, daß der kohlensaure Kalk als solcher wenigstens zum Theil ins Glas tritt
und erst durch eine sehr hohe Temperatur unter dem Einfluß der noch vorhandenen
überschüssigen Kieselsäure seine Kohlensäure vollständig verliert. Trotzdem nun alle
Kieselsäurereste verschmolzen sind und die Läuterung bereits einige Stunden gedauert
hat, darf man doch den Proceß noch nicht unterbrechen; es muß das Aufsteigen der
Gasblasen und der Glasgalle – Vorgänge, welche in der zähflüssigen Masse
immer längere Zeit in Anspruch nehmen, erst vollkommen beendigt sein.
Die Glasgalle schwimmt zum Schluß auf dem flüssigen Product und wird, wenn sie nicht
in zu großer Menge vorhanden ist, durch Aufwerfen von Kohle entfernt, wodurch eine
weitere Zersetzung und Verschmelzung des in ihr enthaltenen Glaubersalzes
stattfindet; anderenfalls schöpft man dieselbe mit einem eisernen Löffel ab. Sie
besteht zum größten Theil aus schwefelsaurem Natrium, welches aus Mangel an Kohle
beim Schmelzen unzersetzt blieb. Sind in den Materialien auch solche Substanzen
vorhanden, beispielsweise Kochsalz, welche nicht zu Glas verschmelzen können, so
gehen diese ebenfalls in die Galle.
Die den Glassatz zusammensetzenden Substanzen, von welchen der Schmelzproceß abhängt,
sind: Kieselsäure, schwefelsaures Natrium, Kohle und kohlensaures Calcium.
Von den bei hoher Temperatur möglichen Wechselwirkungen dieser Substanzen sind, mit
Weglassung des kohlensauren Kalkes, drei hier in Betracht zu ziehen. Läßt man einmal
2 Atome Kohlenstoff auf 1 Molecül Na₂SO₄ und SiO₂ einwirken, so würde
der Proceß nach folgender Gleichung verlaufen:
(1)
Na₂SO₄ + 2C + SiO₂ = Na₂S + 2CO₂ +
SiO₂
NaO,SO₃ + 2C + SiO₂ = NaS + 2CO₂
+ SiO₂ (vergl. 1874 212 153).
Eine derartige Einwirkung der Materialien auf einander findet nach den gegenwärtigen
AnsichtenFür gewöhnlich: Na₂SO₄ + 4C = Na₂S + 4CO (NaO,SO + 4C = NaS +
4CO).D. Red. als einleitende Phase bei dem Leblanc'schen
Sodaschmelzproceß statt, soll aber hier nicht vor sich gehen, weil ja der Schwefel
in gasförmiger Verbindung austreten muß. Ich werde aber doch Gelegenheit haben, auf
diese Umsetzungsgleichung zurückzukommen, da unter Umständen die Schmelzreaction
allerdings theilweise nach derselben erfolgen kann. Läßt man indessen 1 At. Kohle
auf 1 Mol. der anderen Substanzen wirken, so kann sich der Vorgang folgendermaßen
gestalten:
(2)
Na₂SO₄ + C + SiO₂ =
Na₂SiO₃ + CO + SO₂
NaO,SO₃ + C +
SiO₂ = NaO,SiO₃ + CO + SO₂
Betheiligen sich dagegen an dem Processe 2 Mol. Na₂SO₄ und 2SiO₂
auf 1 At. Kohlenstoff, so erhalten wir die Gleichung:
(3)
2Na₂SO₄ + C + 2SiO₂ =
2Na₂SiO₃ + CO₂ + 2SO₂
2NaO,SO₃ + C
+ 2SiO₂ = 2NaO,SiO₂ + CO₂ + 2SO₂
Welcher von diesen beiden letzten Vorgängen der Wirklichkeit am meisten entspricht,
soll im folgenden erörtert werden.
Rechnet man das Molecularverhältniß der zum Glassatz gewöhnlich zugesetzten Kohle in
Bezug auf das schwefelsaure Natrium aus, so beträgt dasselbe in Glassätzen, nach
denen schon Jahrzehnte geschmolzen wird, ungefähr 0,6. Es wäre jedoch nach diesem
Verhältnis der Zusatz an Kohle unzureichend, wenn der chemische Proceß nach der
Gleichung (1) erfolgte und nicht etwa durch irgend welche Umstände im Verlauf der
Schmelzung die fehlenden 0,4 Atome Kohlenstoff durch neu hinzutretende
Reductionsmittel ersetzt würden. Desungeachtet lassen sich wirklich Thatsachen
finden, welche für den chemischen Vorgang nach der Formel (1) sprechen und den
scheinbar umgenügenden Zusatz an Kohle rechtfertigen. Einmal fliegen aus dem
Feuerungsraum Kohlenpartikelchen in nicht unbeträchtlicher Menge in die Glasmasse
und betheiligen sich dort an der Zersetzung, wie daraus hervorgeht, daß Oefen mit
Gasheizung, bei welchen also Kohle von der Feuerung in die Glasmasse gelangen kann,
zur vollständigen Zersetzung 10 bis 20 Proc. Kohlezusatz mehr erhalten müssen;
sodann verflüchtigen sich während des Schmelzens 10 bis 15 Proc. Alkali, welche noch
nicht ins Glas übergegangen waren und zur Zersetzung also noch keine Kohle nöthig
hatten.
Ob außerdem die bei der hohen Temperatur des Glasofens wohl nicht ausbleibende,
directe Austreibung von Schwefelsäure durch Kieselsäure aus dem Glaubersalz eine
merkliche ist und den Minderverbrauch an Kohle auch theilweise erklären würde, mag
dahin gestellt sein.
Verliefe der Schmelzproceß nach der Gleichung (3), so würde der Glassatz 0,1 Atom
Kohlenstoff zu viel enthalten. Bedenken gegen die Wahrscheinlichkeit dieser Formel
sind leicht beseitigt, wenn man in Betracht zieht, daß einerseits die Kohle, welche
gewöhnlich in Form von Coaks angewendet wird, zumeist an 10 Proc. Asche enthält, und
andererseits auch die in Folge der pulverförmigen Beschaffenheit des Materiales in
den Hafen eingeschlossene Luft oxydirend auf einen Theil der Kohle wirkt.
Wie aus dem bisher Gesagten hervorgeht, läßt sich aus der Quantität der dem Glassatz
zugesetzten Kohle kein definitiver Schluß auf die Einwirkung der Rohmaterialien auf
einander ziehen. Ich habe indessen auch das übrige Verhalten des Glassatzes bei
seiner Verschmelzung zu Glas erwogen und hierbei ein weiteres, für die Aufstellung
einer Zersetzungsgleichung wichtiges Moment gefunden. Ginge nämlich der chemische
Proceß nach der Gleichung (2) vor sich, so müßte das sich hierbei entwickelnde
Kohlenoxyd, an die Oberfläche des Glases tretend, mit blauer Flamme verbrennen
– eine Beobachtung, welche ich trotz vielfacher Bemühungen nie habe machen
können. Aus diesem Grunde neige ich mich der Ansicht zu, welche in der Gleichung (3)
ihren Ausdruck findet.
Um weitere Gründe für die oben aufgestellten Gleichungen beizubringen, habe ich
außerdem einige Versuche im Laboratorium angestellt. Es stand mir zu diesem Zwecke
ein mit einer sehr gut ziehenden Esse in Verbindung stehender eiserner, sogenannter
Kanonenofen zur Verfügung. Ich füllte einen Porzellankolben von 8 Cm. Durchmesser
und 25 Cm. Höhe mit einem Glassatz von
Sulfat
70,4 Grm.
Kohle
3,4 „
Calciumcarbonat
57,2 „
Sand
120,0 „
Anmerkung: Um den Satz nicht zu schwer schmelzbar zu
machen, ist der Zusatz an Sand ein geringerer als in der Praxis.
In dem Hals des Kolbens war mittels eines Kittes aus Wasserglas und Kreide ein
Glasrohr von 1,5 Cm. Durchmesser, 60 Cm. Länge befestigt. Das obere, rechtwinkelig
gebogene und ausgezogene Ende des Rohres stand durch einen Gummischlauch mit 3 Woulf'schen Flaschen in Verbindung, von denen die erste
eine Lösung von Kupferchlorür in Salzsäure, die zweite eine Lösung von übermangansaurem
Kali, die dritte eine ammoniakalische Chlorbariumlösung enthielt. In der ersten
Flasche sollte das eventuell sich bildende Kohlenoxydgas, in der zweiten die
schweflige Säure und in der dritten die Kohlensäure absorbirt werden. So
vorbereitet, setzte ich den Kolben dem Feuer aus.
Die Zersetzung der Materialien begann schon bei verhältnißmäßig niedriger Temperatur
(mittlere Rothglut) und äußerte sich in einer ziemlich heftigen Gasentwickelung.
Unterbrach ich die Verbindung des Kolbens mit der Flasche und ließ die
Zersetzungsgase in die Atmosphäre treten, so entstand ein intensiver Geruch nach
schwefliger Säure. – Der Kolben blieb 2 1/2 Stunden dem Feuer ausgesetzt,
während welcher Zeit mehr oder minder Weißglut herrschte. Gegen Schluß destillirte
eine geringe Menge elementaren Schwefels aus dem Kolben über, dessen Entstehen ich
mir so erkläre, daß etwas gebildetes Kohlenoxyd mit schwefliger Säure sich umgesetzt
hatte (2CO + SO₂ = 2CO₂ + S). Nach dem Erkalten wurde der
Porzellankolben zerschlagen. Ich fand fast die ganze Masse zu einem klaren Glase
verschmolzen. Der obere Theil hatte wegen der nach oben stattfindenden
Wärmestrahlung nicht die nöthige hohe Temperatur erhalten und war deshalb nur
zusammengesintert.
Bei Untersuchung der Absorptionsflüssigkeiten zeigte sich in der letzten Flasche eine
bedeutende Menge kohlensaurer Barit. Die Lösung von übermangansaurem Kali ergab bei
der Prüfung auf Schwefelsäure einen sehr starken Niederschlag von schwefelsaurem
Barit. In der ersten Flasche war kein Kohlenoxyd oder höchstens eine sehr geringe
Spur gelöst.
Hiernach sind also die gasförmigen Zersetzungsproducte eines Sulfatglassatzes:
Kohlensäure und schwefelige Säure.
Zur Beibringung weiterer Beweise für die Entstehung von Kohlensäure als
Zersetzungsproduct, habe ich nach einander noch folgende Versuche angestellt.
Um mich zu überzeugen, ob schon bei der Temperatur des Verbrennungsofens das
Kohlenoxydgas, ohne in statu nascendi zu sein eine
Reduction des schwefelsauren Natriums herbeizuführen vermöge, brachte ich in einer
Verbrennungsröhre Glaubersalz zum Glühen und leitete Kohlenoxydgas über dasselbe. Es
bestätigte sich meine Vermuthung vollkommen, indem Schwefelnatrium in bedeutender
Menge entstand. Da dieser Fall dem der Praxis nicht ganz entspricht, so wiederholte
ich denselben Versuch und setzte dem Glaubersalz fein vertheilte, auf flüssigem Wege
dargestellte Kieselsäure zu. Es entwickelte sich dann neben überschüssigem
Kohlenoxyd, schweflige Säure und Kohlensäure. Das Gemenge im Rohr bestand aus
kieselsaurem Natrium, schwefelsaurem Natrium und Schwefelnatrium. Mäßigte ich den Zutritt von
Kohlenoxyd, so verließ nur sehr wenig von diesem Gas die Röhre; die bei weitem
größte Menge wurde zur Reduction verwendet.
Aus den beiden letzten Versuchen folgt, daß Kohlenoxyd, selbst wenn es nicht in statu nascendi ist, auch bei einer im Vergleich zu der
des Glasofens niedrigen Temperatur mit schwefelsaurem Natrium und einem Gemenge
desselben mit Kieselsäure sich umsetzt (a) zu
Schwefelnatrium und Kohlensäure, resp. (b) kieselsaurem
Natrium, schwefliger Säure und Kohlensäure:
(a)
4CO + Na₂SO₄ = Na₂S + 4CO₂
4CO + NaO,SO₃ =
NaS + 4CO₂
(b)
CO + Na₂SO₄ + SiO₂ = Na₂SiO₃ +
SO₂ + CO₂
CO + NaO,SO₃ +
SiO₂ = NaO,SiO₂ + SO₂ +
CO₂.
Findet nun schon in solchen ungünstigen Fällen diese Zersetzung statt, um wie viel
mehr wird die Reaction bei der hohen Temperatur des Glasofens erfolgen, da bei ihr
neben Kohlenoxyd kein schwefelsaures Natrium bestehen kann.
Die Zersetzung verläuft jedoch nicht so glatt, wie es die Formel angibt. Das
Auftreten von Schwefelsäure z.B., welche bei der sehr hohen Temperatur von der
Kieselsäure aus dem Sulfat in geringem Maße direct ausgetrieben wird, zeigt schon
eine Ausnahme von der aufgestellten Gleichung (3) an. Auch geht eine theilweise
Zersetzung nach Gleichung (1) vor sich unter Bildung von Schwefelnatrium, wie dies
bereits bei den Schmelzerscheinungen beschrieben wurde. Die dort genannten
rothbraunen Partien treten nur während einer gewissen Zeit des Schmelzens auf;
später verschwinden dieselben wieder in Folge einer Zersetzung des Schwefelnatriums,
des schwefelsauren Natriums und der Kieselsäure, wie sie folgende Gleichung
ausdrückt:
(4)
Na₂S + 3Na₂SO₄ + 4SiO₂ =
4Na₂SiO₃ + 4SO₂
NaS + 3NaO,SO₃ + 4SiO₂ = 4NaO,SiO₂ + 4SO₂
Der Nachweis dieser Art der Zersetzung läßt sich durch einen Versuch im Kleinen
leicht führen. Ich schmolz in einem hessischen Tiegel 1 Mol. Na₂S, 3 Mol.
Na₂SO₄ und 4 Mol. SiO₂; dieselben ergaben ein vollständig
klares Wasserglas.
Dem Schmelzproceß kann man auch obige Gleichung vollständig zu Grunde legen und dann
die Umsetzung zwischen Glaubersalz, Kohle und Kieselsäure so erklären, daß zuerst
eine Bildung von Schwefelnatrium nach Gleichung (1) vor sich geht, welches sich in
statu nascendi mit dem Glaubersalz nach obigem
Vorgange umsetzt. Vielleicht hat diese Auffassung des Schmelzvorganges manches für
sich. Da wahrscheinlich auch andere Schwefelmetalle in demselben Sinne reducirend auf
das Glaubersalz wirken, so wäre daran zu denken, Schwefelcalcium anstatt der Kohle
und zugleich als Kalk einführende Substanz zu verwenden und so wenigstens theilweise
die Sodafabrikanten von den lästigen Aeschern zu befreien; außerdem aber würde die
Kohle erspart. Es wäre interessant hierüber Versuche anzustellen.
Enthält der Glassatz einen Ueberschuß von Kohle, so ruft dieselbe eine so heftige
Gasentwickelung hervor, daß sich das Glas manchmal über die Hafenrandungen in den
Ofen ergießt. Es wird dabei nach dem Vorgange der Gleichung (1) Schwefelnatrium
gebildet. Die an die Oberfläche tretenden Blasen entzünden sich, sind also
Kohlenoxydgas, dessen Entstehen aber nicht auf die Gleichung (2) zurückzuführen ist,
sondern denselben Grund hat wie beim Sodaschmelzproceß; es wird nämlich die aus dem
Calciumcarbonat frei werdende Kohlensäure von der überschüssigen glühenden Kohle zu
Kohlenoxyd reducirt: C + CO₂ = 2CO. Ein unter solchen Umständen entstehendes
Glas ist immer durch Schwefelnatrium stark braun gefärbt.
Bei den bisherigen Betrachtungen hatten wir den kohlensauren Kalk unberücksichtigt
gelassen. Es setzt sich derselbe im Verlauf des Schmelzens mit dem vorhandenen
kieselsauren Natrium und der Kieselsäure nach folgender Gleichung um:
Na₂SiO₃ + CaCO₃ + SiO₂ =
Na₂Ca(SiO₃)₂ + CO₂
NaO,SiO₃ + CaO,CO₂ +
SiO₂ = (NaO,SiO₂ + CaO,SiO₂) + CO₂
ein Vorgang, welcher sich durch vermehrte
Kohlensäure-Entwickelung äußert. Die Richtigkeit dieser Auffassung wird
einleuchten, wenn man sich die Schmelzerscheinungen nochmals vergegenwärtigt und
bedenkt, daß in dem Uebergangs- und Schmelzstadium der Kalkspath seine
Kohlensäure nur zum Theil verliert, der Rest aber ohne weiteres in Lösung geht. Auch
hat schon Bischof nachgewiesen, daß kohlensaurer Kalk von
geschmolzenem sowohl, als von in Lösung befindlichem kieselsaurem Natrium ohne
Gasentwickelung gelöst wird. Hiernach wäre der ganze Schmelz- und
Zersetzungsproceß durch folgende zwei Phasen ausgedrückt:
(α)
2Na₂,SO₄ + C + 2SiO₂ = 2Na₂SiO₃ +
2SO₂ + CO₂
2NaO,SO₃ + C
+ 2SiO₂ = 2NaO,SiO₂ +2SO₂ + CO₂.
(β)
Na₂SiO₃ + CaCO₃ + SiO₂ =
Na₂Ca(SiO₃)₂ + CO₂
NaO,SiO₂ + CaO,CO₂ + SiO₂ = (NaO,SiO₂ + CaO,SiO₂) + CO₂.
Fassen wir alles bisher Gesagte kurz zusammen, so ergibt sich, daß bei der Schmelzung
eines Glassatzes von Kieselsäure, Glaubersalz, Kohle und kohlensaurem Calcium zuerst
eine Umsetzung des Glaubersalzes mit Kohle und Kieselsäure zu kieselsaurem Natrium,
Kohlensäure und schwefliger Säure mit einer theilweisen Zersetzung und Auflösung des
kohlensauren Calciums stattfindet. Das hierbei entstehende Product hat zwar bereits
einen glasartigen Charakter, jedoch geht die vollständige Zersetzung des aufgelösten
Calciumcarbonates erst bei erhöhter Temperatur durch die in der Schmelze noch
suspendirten Kieselsäurepartikelchen vor sich. Der Schluß der Zersetzung äußert sich
zugleich in einer bedeutenden Gasentwickelung.
Es dürfte nach diesen Versuchen und Auseinandersetzungen wohl keinem Zweifel mehr
unterliegen, daß nicht Kohlenoxyd, wohl aber Kohlensäure beim Schmelzproceß entsteht
und die Zersetzung der Materialien im Glashafen nach Gleichung (α) und (β) erfolgt.
Leipzig, den 21. Februar 1875.