Titel: Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien; von Professor R. H. Thurston.
Autor: R. H. Thurston
Fundstelle: Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 465
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Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien; von Professor R. H. Thurston. (Fortsetzung von S. 111 dieses Bandes.) Thurston, Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien. Faßt man die Resultate der bisherigen Untersuchungen nochmals zusammen, so bietet sich eine Reihe von Methoden dar, mittels deren der Experimentator die verschiedenen Eigenschaften vorliegender Probestücke ermitteln kann. 1) Zur Bestimmung der Homogenität des Materiales in Bezug auf innere Spannungen dient die Beobachtung des vom Nullpunkte aufsteigenden Theiles der Diagrammlinie bis zur Erreichung der Elasticitätsgrenze. Ist dieselbe vollkommen oder nahezu gerade bis zu dem die Elasticitätsgrenze bezeichnenden Bogen, so ist dies ein deutlicher Beweis, daß das Material frei von inneren Spannungen ist, wie sie bei Metallen gewöhnlich durch zu rasche oder ungleichmäßige Abkühlung hervorgebracht werden, oder auch dadurch, daß das Material bei der Bearbeitung nicht warm genug war. Jede Abweichung von der Geraden zeigt die Anwesenheit solcher Spannungen und mißt durch ihre Größe den Betrag derselben. Gibt auf diese Weise die Diagrammlinie vor der Elasticitätsgrenze ein Mittel, um die Größe der falschen Spannungen zu messen, so dient andererseits die nächste Fortsetzung der Diagrammlinie hinter der Elasticitätsgrenze dazu, etwaige Ungleichheiten in der Structur des Materiales zu constatiren. Besitzt nämlich das Probestück eine faserige Structur, wie sie bei Metallen durch ausgestreckte Schlackentheile oder Luftcanäle entsteht, so steigt die Diagrammlinie hinter der Elasticitätsgrenze nicht, wie es bei vollkommen homogenem Materiale sein sollte, in einer parabolisch gekrümmten Curve nach aufwärts, sondern bleibt zunächst horizontal oder wird sogar momentan convex gegen die Abscissenachse, ehe sie schließlich die aufsteigende Bewegung wieder annimmt. Ein dritter Weg endlich zur Bestimmung der Homogenität des Materiales, sowohl in Bezug auf Structur als auf innere Spannungen, ergibt sich durch Vergleichung der Diagramme, welche von verschiedenen Probestücken desselben Materiales erhalten werden. Vollkommene Homogenität, d. h. die Abwesenheit von all den Zufälligkeiten, welche die specifischen Eigenschaften des Materiales modificiren, müßte sich durch absolute Congruenz der einzelnen auf diese Weise erhaltenen Diagramme ausdrücken — eine Anforderung, welche selbstverständlich nie vollkommen erfüllt wird, der aber doch stets bis zu einem gewissen Grade entsprochen werden sollte, sobald das Material zu einer verantwortlichen Construction benützt wird. 2) Die Festigkeit des Materiales an der Elasticitätsgrenze ergibt sich sofort durch Messung der betreffenden Ordinate an jenem Punkt, wo die vom Nullpunkt aufsteigende Linie des Diagrammes in den scharf gekrümmten Bogen übergeht. Zu diesem Zwecke hat man der Probirmaschine sowohl einen Maßstab der Torsionsmomente als auch für bestimmte Normal-Dimensionen der Probestücke Maßstäbe der entsprechenden absoluten Spannungen beigegeben. 3) Die Ausdehnung des Probestückes, welche einer bestimmten Kraftäußerung entspricht, wird durch Abmessen der zur betreffenden Ordinate zugehörigen Abscisse gemessen. Umgekehrt gibt die einer bestimmten Abscisse entsprechende Ordinate die Kraft an, welche erforderlich ist, den angenommenen Betrag von Verdrehung oder Ausdehnung des Probestückes hervorzubringen. 4) Die gesammte Widerstandsarbeit des Materiales innerhalb der Elasticitätsgrenze, d. h. der Betrag von Meter-Kilogramm, welche das Material bei Stößen in sich aufnehmen kann, ohne eine bleibende Setzung zu erleiden, wird durch die Größe der Fläche gemessen, welche zwischen der Abscissenachse, der Diagrammlinie und der Ordinate der Elasticitätsgrenze enthalten ist. Daß bei Stößen und Schlägen jedoch nicht allein das totale Arbeitsproduct in Meter-Kilogramm, sondern auch in erster Linie der eine Factor desselben —; die Geschwindigkeit — maßgebend ist, wird noch später näher erörtert werden. Die Größe der Stoßarbeit, welche eine bestimmte Setzung des Materiales hervorbringen soll, wird ebenso durch die Fläche gemessen, welche der betreffenden Abscisse entspricht, sowie die totale Widerstandsarbeit des Materiales, oder die Größe des Schlages, welcher den sofortigen Bruch herbeiführt, durch die Gesammtfläche des Diagrammes bis zur Bruchgrenze bestimmt ist. Soll endlich der Einfluß eines Schlages auf ein schon statisch belastetes Material ermittelt werden, so ist zunächst die Ordinate aufzusuchen, welche der Größe der statischen Belastung entspricht. Von dieser aus weiter fortschreitend, ist nun ein der Größe des Schlages in Meter Kilogramm entsprechender Theil des Diagrammes abzuschneiden, worauf sodann die Größe der Ordinate, welche dieses Flächenstück abgrenzt, die Maximal-Beanspruchung, sowie die dazu gehörige Abscisse die entsprechende Setzung angeben. Die Anwendbarkeit des Thurston'schen Festigkeitsapparates zur Lösung der gewöhnlichen Fragen, welche im praktischen Leben vorkommen, dürfte aus dem Vorausgegangenen zur Genüge erhellen, so daß wir uns ersparen können, die numerischen Beispiele, welche der Verfasser mit Benützung der in Tafel A und B gegebenen Diagramme durchführt, und deren Lösung sich nach dem früheren von selbst ergibt, hier anzuführen. Dagegen bieten einige specielle Untersuchungen über gewisse Festigkeitseigenschaften der Materialien manches allgemeinere Interessante, das zum Schluß hier noch angeführt werden möge. Der Verfasser gibt zunächst einen Weg an, um mit Hilfe des Diagrammes den Effect einer Folge von Beanspruchungen — statischen oder dynamischen — zu bestimmen, von denen jede das Material über die Elasticitätsgrenze beansprucht. Dieser Fall tritt beispielsweise bei wiederholtem Biegen oder Verdrehen eines Stückes ein, wobei das Material stets über die Elasticitätsgrenze beansprucht wird, — ebenso bei der successiven Verlängerung einer Stange durch wiederholte Schläge, von denen jeder die elastische Widerstandsarbeit des Materiales übersteigt. Es handelt sich hier zunächst darum, für jeden Punkt des Diagrammes die vorhandene elastische Widerstandsarbeit zu finden. Zu diesem Behufe muß die elastische Ausdehnung des Materiales an dieser Stelle ermittelt werden, und nachdem dieselbe ziemlich constant bleibt, so genügt es, an einer beliebigen Stelle des Diagrammes hinter der Elasticitätsgrenze das Probestück vollkommen zu entlasten und die Projection der rückgehenden Linie auf der Abscissenachse zu messen. Trägt man die so bestimmte Länge von der betreffenden Stelle des Diagrammes nach links auf, und mißt die zwischen den beiden Ordinaten an den Endpunkten dieses Stückes eingeschlossene Diagrammfläche, so ist die elastische Widerstandsarbeit des Materiales an dieser Stelle gefunden, d. h. ein Schlag, der die äquivalente Energie hätte, würde das Stück unverletzt und ohne Setzung lassen. Wenn man nun diesen Betrag von der Energie des nächsten Schlages abzieht, so wird der Rest der Arbeit dieses Schlages dazu verwendet, um eine bleibende Setzung oder Ausdehnung hervorzubringen, welche dann, wie oben beschrieben, bestimmt werden kann. Der Effect einer einfachen Kraft (Druck, nicht Schlag) kann dadurch bestimmt werden, daß von der ganzen Verdrehung, welche durch diefe (Kraft) hervorgebracht wird, das elastische Spiel des Materiales abgezogen wird. Auf diese Weise kann man in jedem einzelnen Falle leicht bestimmen, wie viel jede Anwendung der Kraft zur bleibeuden Setzung hinzugibt, und wie viel Wiederholungen erforderlich sind, um den Bruch hervorzubringen. Dabei ist hier angenommen, daß Verdrehung innerhalb der Elasticitätsgrenze das Stück unverletzt läßt, so oft sie auch wiederholt wird. Diese Annahme scheint a priori correct und wird wohl bestätigt durch die werthvollen Untersuchungen von WöhlerFestigkeitsversuche mit Eisen und Stahl; Zeitschrift für Bauwesen 1860. und Anderen.Fairbairn, Civil Engineer and Architects' Journal, vol. XXIII, XXIV Der Effect von wiederholtem Biegen, oder anderer Art der Beanspruchung, kann auf diese Weise ohne weitere Versuche aus dem Spannungsdiagramm des Materiales entnommen werden, so daß man von einem einzigen Experiment eine Bestimmung erhält, welche bis jetzt nur durch einen mühsamen Proceß oft wiederholter Inanspruchnahmen erlangt werden konnte. Eine weitere wichtige Frage für den Constructeur ist der Effect der Zeit auf unter Spannung belassene Materialien. Der Effect einer Spannung wird jedenfalls durch die Dauer der Einwirkung wesentlich modificirt. Man hat bis jetzt allgemein angenommen, daß dieser Effect die Widerstandskraft schwächt, sobald das Material einer Spannung über der Elasticitätsgrenze ausgesetzt gelassen wurde. Diese Ansicht scheint bestätigt durch die Versuche von Vicat, die in Paris vor circa 40 Jahren angestellt wurden (vergl. 1834 51 434 bis 438). Er belastete vier Drähte beziehungsweise mit ¼, ⅓, ½ und ¾ ihrer Bruchfestigkeit (Z) und beobachtete die Verlängerungen in Zwischenräumen je eines Jahres. Die drei über die Elasticitätsgrenze beanspruchten Drähte zeigten eine successiv anwachsende Verlängerung und der am meisten belastete brach endlich, nachdem er 2 Jahre und 9 Monate ¾ seiner ursprünglichen Bruchbelastung getragen hatte, — wobei jedoch der Bruch nur durch Corrosion veranlaßt wurde, die man nicht vollständig hatte vermeiden können. Die Ausdehnungen waren folgende: Draht 1 belastet mit ¼ Z durch 33 Monate dehnte sich 0,000 Proc. Draht 2 belastet mit ⅓ Z durch 33 Monate dehnte sich 0,275 Proc. Draht 3 belastet mit ½ Z durch 33 Monate dehnte sich 0,409 Proc. Draht 4 belastet mit ¾ Z durch 33 Monate dehnte sich 0,613 Proc. Das Verhältniß der Ausdehnung war nahezu proportional der Zeit und der Betrag proportional den Kräften. Vicat schließt daraus, daß jedes über die Elasticitätsgrenze beanspruchte Material schließlich bricht, und seine Schrift hat viele Sorge unter den Ingenieuren hervorgerufen, da sie die Möglichkeit nahelegte, daß Constructionen von ursprünglich großer Sicherheit schließlich doch verunglücken könnten. Die eleganten und werthvollen Untersuchungen von Tresca, über den „Fluß der festen Körper“ und die Erläuterungen dieser Thätigkeit, welche der Ingenieur fast täglich vor Augen hat, scheinen die Annahmen von Vicat zu bestätigen. Auf der anderen Seite machten es die Versuche des Verfassers, welche, wie in der ersten Abtheilung dieser Abhandlung beschrieben, in den Spannungsdiagrammen zeigten, daß dieser „Fluß“ von wechselndem Widerstand begleitet war, sowie die bestätigende Evidenz aller sorgfältig angestellten Versuche über absolute Festigkeit, wie die von King, Rodman, Kirkaldyund Styffe — in hohem Grade zweifelhaft, ob wirklich das Material durch die Continuität irgend einer Spannung geschwächt wurde, wenn dieselbe nicht von vornherein den Bruch bewirken konnte. (Fortsetzung folgt.)

Tafeln

Tafel B
B