Titel: | Fabrikation der Schwefelsäure; von Robert Hasenclever, Fabrikdirector in Stolberg. |
Fundstelle: | Band 216, Jahrgang 1875, Nr. , S. 513 |
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Fabrikation der Schwefelsäure; von Robert Hasenclever, Fabrikdirector in Stolberg.
(Fortsetzung von S. 432 dieses Bandes.S. 429 Z. 6 v. u. lies: „ H2SO4“ statt „ H2OSO4“.)
Hasenclever, über Fabrikation der Schwefelsäure.
In der That lassen die Verluste an Salpeter bei der vollständigen Absorption der
salpetrigen Säure im Gay-Lussac'schen Thurme eine Reduction zu Stickstoffoxydul oder Stickstoff bei
der Schwefelsäurefabrikation unter gewissen Umständen vermuthen (vergl. 1871 202 448 u. 532). Zur Verwerthung der im Laboratorium
gesammelten Erfahrungen für die Praxis wird es noch nöthig sein zu ermitteln, bei
welcher Concentration der Gase nnd bei welcher Temperatur die beschriebene Reduction
stattfindet. Kuhlmann's Beobachtungen mögen in vielen
Fällen zutreffend sein; ganz allgemeine Geltung können sie indessen nicht haben, da
nach der Erfahrung des Verfassers Fabriken ein Minimum von Salpeter verbrauchen,
obwohl sie die Zersetzung desselben im Schwefelofen und in den vom Kiesbrenner zn
den Bleikammern führenden Canälen vornehmen.
P. W. Hofmann (1870 195 346)
theilte der deutschen chemischen Gesellschaft mit, daß, wenn man schweflige Säure in
mit Salpetersäure geschwängerte Schwefelsäure leitet, welche das Volumgewicht 1,7
besitzt, die Salpetersäure zu Verbindungen reducirt wird, die mit der vorhandenen
concentrirten Schwefelsäure die sogenannten Kammerkrystalle erzeugen, ohne daß dabei
merkbare Mengen von Stickstoffoxydul gebildet würden.
In den Chemical NewsJahrg. 1870 S. 106, 132, 141, 164, 189, 200, 212, 224. ist der
Vorschlag P. W. Hofmann's von Gibbins, Peter Spence u. A. eingehend erörtert,
das Verfahren auch in deutschen chemischen Fabriken bereits versuchsweise eingeführt
worden.
Winkler (in seinem Werke) veröffentlichte 1867
interessante Untersuchungen über die chemischen Vorgänge in den Gay-Lussac'schen Condensationsapparaten
der Schwefelsäurefabriken. Es resultiren aus seinen Versuchen folgende
Hauptsätze:
a) Stickoxydgas wird nicht von Schwefelsäurehydrat
absorbirt.
b) Die Vereinigung von Schwefelsäurehydrat mit
salpetriger Säure erfolgt lebhaft und unter Wärmeentwickelung; die Verbindung ist
eine innige, chemische, welche auch durch bedeutende Temperaturerhöhung nicht
gelöst, dagegen aber durch Zutritt von Wasser augenblicklich aufgehoben wird. Es
tritt diese Verbindung bei der Schwefelsäurefabrikation in festem Zustande in den
sogenannten Bleikammerkrystallen auf; in gelöster flüssiger Form findet sie sich in
der aus den Coaksthürmen des Gay-Lussac'schen Condensationsapparates abfließenden
Schwefelsäure. Stickoxydgas und Sauerstoff vereinigen sich bei gleichzeitiger
Gegenwart von Schwefelsäurehydrat nicht wie gewöhnlich zu Untersalpetersäure,
sondern sie bilden salpetrige Säure auch bei Sauerstoffüberschuß.
c) Untersalpetersäure ist im flüssigen wie gasförmigen
Zustande mit Schwefelsäurehydrat verbindbar, doch ist die Vereinigung, falls sie
überhaupt chemischer Natur sein sollte, eine sehr lose. Durch Erhitzung wird
dieselbe völlig aufgehoben, und es entweicht hierbei die Untersalpetersäure entweder
im unveränderten Zustande, oder sie zerlegt sich in salpetrige Säure, welche mit der
Schwefelsäure in chemische Verbindung tritt, und in Sauerstoffgas, welches
entweicht. Die Art der Zersetzung ist vom Concentrationsgrade der angewendeten
Schwefelfäure abhängig.
d) Schwefelsäure und Salpetersäure scheinen nur
mechanische Gemische zu bilden, welche bei der Erhitzung in entweichende
Salpetersäure, Sauerstoffgas und in nitrose Schwefelsäure zerfallen.
e) Salpetrige und schweflige Säure geben, falls
Feuchtigkeit zugegen ist, bei ihrem Zusammentreffen Schwefelsäurehydrat und
entweichendes Stickoxydgas.
f) Untersalpetersäure bildet in Berührung mit feuchter
schwefliger Säure nitrose Schwefelfäure in festem, krystallisirtem Zustande.
Bei den meisten Schwefelsäurefabriken fehlte noch vor zehn Jahren der Gay-Lussac'sche Thurm
zur Absorption der salpetrigen Säure, welche am Ende der Bleikammer entweicht. In
manchen Fabriken war ein solcher Bleithurm vorhanden, wurde aber meist gar nicht
benützt. Gay-Lussac in
Verbindung mit Lacroix führte schon 1842 sein Verfahren
ein (in Chauny, Departement Aisne, Frankreich), um die aus den Bleikammern
entweichenden Stickstoffverbindungen durch concentrirte Schwefelsäure zu absorbiren
und so von Neuem für die Darstellung von Schwefelsäure nutzbar zu machen, —
zu einer Zeit also, wo die Schwefelsäure noch fast ausschließlich aus Schwefel dargestellt wurde.
In Fabriken, welche mit Schwefel arbeiten, ist meist eine regelmäßige
Gasentwickelung und wurden daher auch damals hinsichtlich des Salpeterverbrauches
zufriedenstellende Ergebnisse erzielt. Mit der Einführung des Schwefelkieses, zumal
als man noch die ersten unvollkommenen Röstöfen betrieb, gestaltete sich die
Gaszuführung minder regelmäßig und wurde dadurch der Proceß in den Bleikammern
vielfachen Störungen unterworfen. Der Gay-Lussac'sche Apparat fing daher an, schlechte
Betriebsresultate zu geben. Heute, nachdem Gerstenhöfer
und Schwarzenberg Berechnungen über die theoretisch
vortheilhafteste Zusammensetzung der Röstgase angestellt haben, nachdem man gelernt
hat, durch einfache Bestimmung der schwefligen Säure die Zusammensetzung der Gase
nach Reich zu controliren, nachdem überhaupt durch die
Untersuchungen von Weber und Winkler über den Proceß der Schwefelsäurebildung mehr Licht verbreitet
worden ist, wird auch mit den Kiesöfen eine regelmäßige Gasentwickelung erzielt. Mit
gutem Erfolge wurde daher der Gay-Lussac'sche Apparat 1865 in Freiberg eingeführt und so
betrieben, daß die Resultate hinsichtlich des Salpeterverbrauches alle früheren
übertreffen. Gerstenhöfer hat das Verdienst, zu diesen
Errungenschaften beigetragen und die Erfahrungen von Freiberg weiter verbreitet zu
haben, so daß bereits in Aussig, Liesing, Hautmont, Berlin, Brüssel, Griesheim,
Hannover, Stolberg und in anderen Fabriken Gay-Lussac'sche Thürme nach Freiberger Muster eingeführt
sind. Seitdem man angefangen hat, regelmäßige Bestimmungen der schwefligen Säure in
den Röstgasen nach Reich auszuführen und regelmäßig die
Thurmsäure aus dem Gay-Lussac'schen Apparate nach Winkler auf
salpetrige Säure zu untersuchen, hat eine neue Aera für die Schwefelsäurefabrikation
begonnen.
Die Details der Apparate, wie sie zuerst in Freiberg angewendet wurden, sind von Schwarzenberg (S. 385) mitgetheilt worden. Derselbe gibt
auch die Beschreibung des zur regelmäßigen Benetzung der Coaks in Thürmen zuerst in
Aussig angewendeten Segner'schen Rades.
Die Zersetzung der nitrosen Säure fand früher allgemein in einer sogenannten
Kochtrommel mit Dampf statt. Da dieser Apparat häufigen Reparaturen unterworfen ist,
so läßt man in einigen Fabriken die nitrose Schwefelsäure auf Cascaden von
Thongefäßen, die im Inneren der Bleikammer aufgestellt sind, mit Wasser
zusammenfließen, wobei die Zersetzung erfolgt. Neuerdings wird der Glover'sche Thurm, von welchem im nächsten Abschnitt noch
die Rede sein wird, mit bestem Erfolge zu diesem Zwecke benützt. Ein Gemenge von Kammersäure und
nitroser Schwefelsäure aus dem Gay-Lussac'schen Apparat fließt von oben in den Glover'schen Thurm. Von unten treten die heißen Röstgase
ein und concentriren die Schwefelsäure auf 1,7 Volumgewicht. Die dabei sich
entwickelnden Wasserdämpfe zersetzen die nitrose Schwefelsäure so vollständig unter
Mithilfe der schwefligen Säure, daß die concentrirte Säure aus dem Glover'schen Thurm ganz frei von Stickstoffverbindungen
ist, während die Zersetzung in der Kochtrommel und auf der Cascade schwer so zu
leiten ist, daß nicht doch dann und wann unvollständig zersetzte Säure abfließt.
Was die Construction der Bleikammern betrifft, so herrschen über die zweckmäßigste
Form noch verschiedene Ansichten. A. W. HofmannReports by the Juries, 1862 S. 99.
sprach im Berichte der Londoner Ausstellung die Ansicht aus, daß die Bildung von
Schwefelsäure unabhängig sei von der Oberflächenwirkung, und wird diese Erfahrung
von vielen alten Fabrikanten bestätigt. StasEbendaselbst S. 14. hat in der chemischen Fabrik von A. de Hemptinne in Brüssel auch durch Versuche bewiesen, daß
die Schwefelsäureproduction unter sonst gleichen Umständen dem Kammervolum
proportional sei. Smith spricht in der mehrfach citirten
Broschüre (S. 22) die Ansicht aus, daß das Innere einer Bleikammer noch ein
unbekanntes Land sei und macht als Beitrag zur Erforschung desselben interessante
Angaben über den Gehalt der Kammergase an schwefliger Säure, Salpetersäure und
Schwefelsäure. Unter Anderem hat er gefunden, daß in der Nähe der fertigen
Schwefelsäure die Neubildung am größten sei und glaubt sich aus seinen
Untersuchungen zu dem Schlüsse berechtigt, daß diejenige Kammer die beste sei,
welche eine Höhe von 3m, eine Breite von 9m und eine Länge von 60m habe. Verfasser hat
die Ansicht von Smith nicht bestätigt gefunden. Er hing
in verschiedener Höhe der Bleikammern gleich große Bleischalen auf, welche von einem
Deckel im Abstände von 30cm überdacht waren, und bestimmte das Quantum Schwefelsäure, welches
sich in derselben Zeit in den verschiedenen Gefäßen gebildet hatte. Smith hat wahrscheinlich Gase aus der Kammer aspirirt und
darin die Schwefelsäure bestimmt. Es versteht sich von selbst, daß auch dann, wenn
die Schwefelsäure sich überall gleichmäßig bildet, die von unten gezogenen Proben
dennoch eine größere Quantität Schwefelsäure zeigen müssen, da die oben gebildete
Schwefelsäure abwärts fällt. Smith scheint daher in
diesem Falle aus seinen Untersuchungen nicht den richtigen Schluß gezogen zu haben.
Aus der für den gleichen Cubikinhalt ziemlich gleichmäßigen Schwefelsäureproduction in
verschiedener Höhe der Bleikammer schloß Hasenclever, daß
innerhalb gewisser Grenzen diejenige Kammer die beste sei, welche für einen
Cubikmeter Inhalt am wenigsten Quadratmeter Blei gebrauche.
Die Bleikammer, welche Hasenclever zuletzt in der
chemischen Fabrik Rhenania bei Stolberg aufführte, hat 10m Höhe, 10m Breite und 40m Länge, erfordert also pro 1cbm Inhalt 0,qm45 Blei. Bei fast
allen früheren Kammerbauten wurde mehr Blei verbraucht.Im Anschluß an die Mittheilungen des Hrn. Verfassers über den Proceß in der
Bleikammer, erwähnt A. W. Hofmann noch des
neuerdings von H. Sprengel gemachten Vorschlags
(Englisches Patent, 1873 Nr. 3189), die Kammer statt mit Wasserdampf mit Wasserstaub zu speisen. Das Wasser wird im Inneren der Kammer
durch Einblasen von Luft oder von Wasserdampf durch einen Wasserstrahl in
einen Staubregen verwandelt. Der Apparat, mit welchem dieses Zerstäuben des
Wassers bewerkstelligt wird, basirt auf dem Princip, welches dem auch in der
Medicin angewendeten „Pulverisateur“ oder dem
„Rafraichisseur“ der Parfumeure (in England unter
dem Namen „Atomiser“
bekannt) zu Grunde liegt. Der Vortheil, welchen die Einführung
„pulverisirten“
Wassers bietet, ist zunächst eine Ersparniß von Brennmaterial. Laut
Berichten, welche A. W. Hofmann zu Ohren gekommen
sind, wäre die Einführung von Wasserstaub bereits in mehreren Fabriken mit
Vortheil angewendet worden. — Für diejenigen Fabriken, welche sich
des Glover'schen Thurmes bedienen, ist diese
Neuerung von geringerer Bedeutung.
(Fortsetzung folgt.)