Titel: | Elektrisches Photometer von Dr. Werner Siemens. |
Fundstelle: | Band 217, Jahrgang 1875, S. 61 |
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Elektrisches Photometer von Dr. Werner Siemens.
Siemens' elektrisches Photometer.
Wer sich mit Photometrie eingehend beschäftigt hat, wird zu der Ueberzeugung gekommen
sein, daß sie noch auf einer sehr niedrigen Stufe der Entwickelung steht. Es ist
noch nicht einmal festgestellt, was wir eigentlich zu messen haben. Bekanntlich
sendet jeder zu hohen Temperaturen erhitzte feste Körper Licht- und
Wärmestrahlen nach allen Richtungen aus. Nach der neuen Theorie sind es Aetherwellen
von allen möglichen Wellenlängen, die von dem heißen Körper ausgehen. Ein Theil
dieser Wellen erregt in unserer Netzhaut, wenn sie von demselben getroffen wird, die
Empfindung des Lichtes. Stehen kurze und lange Aetherwellen in dem Verhältnisse zu
einander, wie sie die Sonne oder andere sehr hoch
erhitzte Körper aussenden, so nennen wir die Lichtempfindung, welche wir durch sie
erhalten, weißes Licht. Wenn wir aber nur Lichtwellen von einer gewissen Wellenlänge
Zugang zu unserem Auge gestatten, so ändert sich unsere Lichtempfindung, und wir
nennen das Licht roth, gelb, blau, violett, je nach der Wellenlänge der Strahlen,
die in unser Auge dringen. Bekanntlich ist das Prisma ein Mittel, um die Strahlen
eines weißen Lichtbündels nach der Wellenlänge zu sondern. Da der Eindruck des
rothen, gelben, blauen Lichtes für uns ein durchaus verschiedener ist, so ist es
eigentlich ganz unmöglich, die Stärke so ganz verschiedener Empfindungen mit
einander zu vergleichen. Die bisherigen Photometer beruhen jedoch sämmtlich darauf,
die Einwirkung beider zu vergleichenden Lichtquellen auf ein beleuchtetes Object so
zu reguliren, daß dasselbe unserem Auge als gleich stark beleuchtet durch die eine
oder andere Lichtquelle erscheint. Am vollkommensten ist diese Methode wohl beim Bunsen'schen Photometer durchgeführt, welches auf der
Thatsache beruht, daß ein Oelfleck auf einem Stück weißen Papieres nicht mehr
sichtbar ist, wenn es von beiden Seiten durch weißes Licht gleich stark beleuchtet
wird. Dies geht auch ziemlich genau so lange, als beide Lichtquellen weißes Licht
aussenden oder doch wenigstens gleichfarbiges Licht. Sind die Farben verschieden, so
verschwindet der Fleck nicht mehr, und es fehlt uns jeder Anhalt für die Vergleichung. Es gibt allerdings
noch einen anderen Maßstab der Lichtstärke, und das wäre eigentlich der allein
richtige. Wir bedürfen des Lichtes zur Erkennung der Gegenstände, und diejenige
Beleuchtung ist für uns die beste oder hellste, welche uns am meisten befähigt, die
Gegenstände deutlich zu erkennen. Man könnte hierauf ein von der Farbe ganz
unabhängiges Photometer begründen, indem man auf irgend eine Weise, z.B. durch
Verkleinerung der das Licht auffangenden Oberfläche einer Linse, durch welche das zu
erkennende Object beleuchtet wird, die Stärke der beiden Lichtquellen so regulirte,
daß man mit beiden dasselbe Object gleich deutlich erkennen könnte. Es scheint aber,
als wenn die Augen verschiedener Menschen ungleich empfänglich für verschieden
farbiges Licht sind, und schnell dabei ermüden, so daß auch diese, sonst jedenfalls
rationellste Methode der Lichtmessung keine constanten Resultate geben kann.
Verfasser hat nun versucht, die Elektricität, die so oft helfend eintreten muß, wenn
andere Kräfte versagen, zur Lichtmessung zu benützen.
Bekanntlich hat das Selen, ein Körper, welcher auf der Grenze der Metalle und
Metalloide steht und manche merkwürdige physikalische Eigenschaften besitzt, zwei
Eigenschaften, welche ihn als geeignetes Hilfsmittel hierfür erscheinen lassen. Wenn
man schnell abgekühltes, sogen. amorphes Selen zur Temperatur von 80 bis 100°
erhitzt, so wird die Masse unter Wärmeentwickelung krystallinisch, und wird nun ein
Leiter der Elektricität, während es im amorphen Zustande ein Isolator für dieselbe
ist. Dieses krystallinische Selen hat nun die von dem engl. Lieutenant Sale entdeckte und beschriebene merkwürdige Eigenschaft,
die Elektricität besser zu leiten, wenn es beleuchtet ist, wie in der Dunkelheit.
Sale hat ferner gefunden, daß die Zunahme der
Leitungsfähigkeit mit der Stärke der Beleuchtung zunimmt, sowie, daß es in höchst
auffallender Uebereinstimmung mit der Netzhaut des Auges am stärksten von denjenigen
Theilen des Spectrums beeinflußt wird, welche auch das Auge am meisten
afficiren.
Diese merkwürdigen Eigenschaften des Selens versuchte Verf. zu einem Photometer zu
verwerthen. Es gelang ihm, die anfänglichen Schwierigkeiten, welche theils in der
geringen Leitungsfähigkeit des krystallinischen Selens, der Inconstanz derselben und
der sehr schwachen und veränderlichen Einwirkung des Lichtes, zum Theil in dem
störenden Einfluß der Wärmestrahlen bestand, dadurch zu beseitigen, daß er durch
lange Erhitzung des amorphen Selens bis nahe zu seinem Schmelzpunkte, oder durch Auskrystallisiren
desselben aus der langsam abgekühlten geschmolzenen Masse eine Modification des
krystallisirten Selens darstellte, welche weit besser leitet, weit mehr vom Lichte
beeinflußt wird, von Wärmestrahlen nicht wesentlich afficirt wird und seine
Eigenschaften ziemlich constant beibehält. Besonders auffallend unterscheidet sich
dieselbe von der bekannten Modification dadurch, daß bei ihr die Leitungsfähigkeit
mit der Erwärmung des Selens, wie bei den Metallen, abnimmt, während sie bei der
letzteren zunimmt, wie bei den leitenden Metalloiden und Elektrolyten. Durch
Ausfüllung der Zwischenräume zweier kleinen flachen Drahtspiralen mit solchem
grobkrystallinischen Selen zwischen zwei Glimmerblättern ist es dem Verf. gelungen,
einen photometrischen Apparat darzustellen, der unter Anwendung einer Daniell'schen Zelle oder eines kleinen
thermo-elektrischen Elektromotors hinlänglich starke Ströme gibt, um auch
noch sehr schwache Lichtstärken durch Messung derselben mit hinlänglicher Schärfe
vergleichen zu können. Der (beim Vortrage vorgezeigte) Apparat ist ein solches
elektrisches Photometer. Am Boden eines kurzen drehbaren Rohres befindet sich das
beschriebene Selen-Präparat. Die Enden der beiden Spiraldrähte stehen mit
einander durch eine Daniell'sche Zelle und den
Umwindungsdraht eines Galvanometers in leitender Verbindung. Die Nadel wird also
abgelenkt. Entfernt man den Deckel des Rohres und läßt das Licht einer Gasflamme,
deren Stärke gemessen werden soll, auf die Selenscheibe treffen, so nimmt die
Leitungsfähigkeit des Selens, entsprechend der Stärke des sie treffenden Lichtes,
zu, die Ablenkung der Nadel des Galvanometers wird also größer. Dreht man nun das
Rohr so, daß es, anstatt auf die zu messende Flamme, auf eine Normalkerze gerichtet
ist und regulirt die Entfernung dieser Normalkerze so, daß die Ablenkung der Nadel
dieselbe wird, und dieselbe bleibt, wenn das Selen abwechselnd durch die zu messende
Flamme und die Normalkerze beleuchtet wird, so ist die Lichtwirkung beider gleich,
und die Lichtstärken stehen mithin im umgekehrten Verhältnisse der Quadrate ihrer
Abstände von der Selenplatte.
Es läßt sich diesem Instrumente jeder gewünschte Empfindlichkeitsgrad geben, und
Verf. hofft, daß sich ein praktisch brauchbarer und nützlicher Apparat aus ihm
entwickeln wird. Wahrscheinlich wird es auf diesem Wege auch möglich werden, die
Lichtstärke fortlaufend graphisch zu verzeichnen; doch bedarf es noch vieler
Versuche, um hierfür eine feste Grundlage zu gewinnen. (Nach den Verhandlungen des Vereins für
Gewerbfleiß. Sitzungsbericht vom 7. Juni 1875.)