Titel: | Gegendampf-Apparat für Locomotiven; von Harmignies. |
Fundstelle: | Band 217, Jahrgang 1875, S. 86 |
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Gegendampf-Apparat für Locomotiven; von
Harmignies.
Mit Abbildungen auf Taf.
II [a/1].
Nach der Revue industrielle, Juni 1875, S. 194.
Harmignies' Gegendampf-Apparat für Locomotiven.
Es ist eine bekannte Thatsache, daß der Lechatelier-Apparat (vergl. 1866 181 73.
1870 195 8), welcher seit 10 Jahren mit so großem
Vortheile dazu benützt wird, um durch Umlegung der Steuerung auf den Rückwärtsgang
die im Gange befindliche Locomotive zu bremsen, eine gewisse Geschicklichkeit des
Locomotivführers in der richtigen Bemessung des einzuspritzenden Dampf- und
Wasserquantums erfordert, weil einerseits bei zu geringer Wasserzuführung die
Cylinder und Schieber überhitzt werden und selbst Gefahr laufen durch eintretende
Heizgase Schaden zu leiden, während andererseits bei übermäßiger Wasserzuführung
durch das Wasserwerfen des Rauchfanges mannigfache Unbequemlichkeiten entstehen.
Hierin ist vielleicht auch der Grund zu suchen, daß das Bremsen von Eisenbahnzügen
durch Reversirung der Locomotive noch lange nicht die allgemeine und regelmäßige
Anwendung gefunden hat, welche bei den vielen Vorzügen dieses Systemes wohl zu
erwarten wäre.
Ein äußerst einfaches Auskunftsmittel ist, so nahe dasselbe zu liegen scheint, bis
jetzt – außer unter speciellen Verhältnissen auf der Rigibahn (vergl. 1870
198 279) – noch nicht versucht worden; es
besteht dasselbe in dem vollständigen Verschluß des Ausströmungsrohres gegen den
Cylinder durch einen Schieber oder ein Ventil. Zunächst auf letzteres nahm Harmignies, Ingenieur der Compagnie d'Orleans, im J. 1870 ein Patent und
ließ nach demselben bei der Chemin de fer des Dombes mit
Unterstützung des Betriebschef Jouffret dieser Bahn einen
Versuch machen. In das Ausströmrohr wurde an der Stelle, wo sich die von den
Cylindern kommenden Rohre unterhalb der Rauchkammer vereinigen, ein Ventil
eingeschaltet, welches dem Ueberdruck des austretenden Dampfes freien Austritt
gestattet, hingegen das Ansaugen von Heizgasen bei der Reversirung unmöglich macht.
Diese Einrichtung ist in Fig. 1 dargestellt.
Dieselbe mußte aber bald wieder aufgegeben werden, indem sich kein Mittel fand, den
fortgesetzten Brüchen des Ventilkörpers abzuhelfen; jedenfalls machte sich auch
erhöhter Gegendruck im Cylinder und Verminderung der Blasrohrwirkung geltend. In
Folge dessen ersetzte man das Ventil durch einen Schieber von der in Figur 2 bis 4 ersichtlichen
Construction und erzielte damit nach den Angaben unserer Quelle einen vollständigen
Erfolg derart, daß der Apparat Jouffret-Harmignies' nunmehr bei allen Maschinen der Compagnie des
Dombes eingeführt wird, nach dem von Harmignies
neuerdings am 17. Januar 1874 genommenen Patente. Die Construction dieses Schiebers
geht aus den Zeichnungen klar hervor. Man ersieht daraus (Fig. 4), daß durch
dieselbe Bewegung, welche den Schieber schließt, ein Einspritzhahn geöffnet wird,
der das Ansaugen eines Wasserstrahles vom Tender aus gestattet; gleichzeitig ist
noch in dem Schieber ein Ventil angebracht, um für den Fall, als der Führer den
Schieber zurückzuziehen vergißt, dem Abdampfe den Austritt zu ermöglichen.
Es unterliegt keinem Zweifel, daß diese Einrichtung eine sehr einfache und sichere
Manipulation beim Bremsen mit Contredampf gestattet; fraglich bleibt nur, ob die
hiermit erzielbaren Vortheile wirklich die erhöhte Complication der Maschine, welche
dadurch bedingt wird, thatsächlich rechtfertigen.
Nun werden zwar vergleichende Versuche angeführt, bei welchen sich der Apparat von
Harmignies bedeutend wirksamer erwiesen haben soll
als der von Lechatelier; ebenso wird die leichtere
Handhabung und regelmäßige Wirksamkeit, endlich die größere Sicherheit gegen
übermäßige Erhitzung, sowie Brennmaterialersparniß in Folge der Verwendung von
Tenderwasser zu Gunsten des neuen Apparates angeführt. Von diesen Vorzügen, welche
theilweise wohl begründet sind, fällt jedoch nur der erstere, eine größere
Bremswirkung, wesentlich ins Gewicht; diese Behauptung aber, welche auch principiell
durch nichts gerechtfertigt ist, kann nach dem Anblick der Diagramme, die in Fig. 5 bis 7 wiedergegeben
sind, durchaus nicht aufrecht erhalten werden.
Von denselben stellt Fig. 5 die Indicatordiagramme für den Vorwärtsgang der Maschine bei zwei
Einstellungen des Reversirhebels, auf den 8. und 2. Zahn vorwärts dar. Die
Buchstaben bedeuten dabei die verschiedenen Phasen der Dampfvertheilung: B Beginn der Admission, C
Beginn der Expansion, D Voraustritt, E Beginn des Rückwärtsganges und F Beginn der Compression.
In Fig. 6 und
7 sind die
Reversirungsdiagramme bei vollkommen zurückgelegtem Hebel (resp. Rückstellung auf
den 2. Zahn) dargestellt, und zwar sowohl mit Anwendung des Lachatelier-Apparates, als auch mit Anwendung des Apparates von Harmignies, welche beide an derselben Maschine angebracht
waren. Hier ist abermals beim Vorwärtsgange bis zum Punkte B (entsprechend dem Voreintritte)
Dampfeintritt, von B bis zum Punkte F (entsprechend der Compression) Expansion, bei F endlich Beginn des Dampfaustrittes, der sich nun
während des ganzen Hinganges hinter dem Kolben fortsetzt, bis bei E der Rückwärtsgang beginnt. Hier dauert die Ausströmung
auf derselben Seite des Kolbens – nun vor
demselben – noch eine Zeitlang fort, bis beim Punkte D (entsprechend dem Beginn der Vorausströmung
beim normalen Gang der Maschine) Compression beginnt, und endlich bei C (entsprechend dem Beginn der Expansion) der volle
Gegendruck des Kesseldampfes wirksam wird.
Die zwischen dem Diagrammcurven eingeschlossenen Flächen geben, ganz analog dem
Vorwärtsgange, die Gegendruckarbeit der Maschine an, und je größer dieselbe ist,
desto günstiger wirkt der Apparat als Bremse. Nun erscheint allerdings in Fig. 7, wo die
Gegendampfwirkung bei der Reversirung auf den 2. Zahn nach rückwärts dargestellt
ist, der Apparat von Harmignies in bedeutendem Vortheile
gegen den Lechatelier'schen Apparat; in dem eigentlich
maßgebenden Versuche aber, bei vollkommen zurückgeschlagenem Hebel, welcher in Fig. 6
dargestellt ist, zeigt sich nur eine sehr mäßige Differenz von ca. 5 Proc. zu
Gunsten des ersteren – verursacht durch das mittels desselben erzielte
Vacuum, das selbstverständlich mit dem Lechatelier-Apparate nicht zu erreichen ist. Diese Differenz ist jedoch
so gering, daß sie allein die Adoptirung dieses immerhin kostspieligen Apparates
nicht rechtfertigen würde, so daß man wohl auch auf die übrigen Vorzüge desselben
verzichten wird, umsomehr als dem Locomotivführer, welchem so große Verantwortung
übertragen ist, schließlich auch die vernünftige Anwendung des einfachen Lechatelier-Apparates anvertraut werden kann.
M-M.