Titel: | Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der Constructions-Materialien; von Professor R. H. Thurston. |
Fundstelle: | Band 217, Jahrgang 1875, S. 345 |
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Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der
Constructions-Materialien; von Professor R. H. Thurston.
Mit Diagrammen auf Taf.
C.
(Fortsetzung und Schluß von S. 167 dieses
Bandes.)
Thurston, Untersuchungen über Festigkeit und Elasticität der
Constructions-Materialien.
Die Elasticität der Metalle. Die Untersuchung der sogenannten elastischen Linie des Diagrammes bietet
einige Punkte von besonderem Interesse.
Zunächst fällt auf, daß die Curve des beim Entlasten des Probestückes zurückgehenden
Stiftes niemals vollkommen mit der bei Wiederaufnahme der Spannung aufsteigenden
Linie zusammenfällt. Der Verfasser glaubte zuerst die Ursache dieser Erscheinung
darin suchen zu müssen, daß der Rückgang der Fasern in Folge der Entlastung eine
größere Zeit in Anspruch nähme, als der Rückgang des Belastungsgewichtes selbst, und
daß somit beim Rückgange des Belastungshebels und der damit verbundenen
Schreibtrommel eine gegenseitige Verschiebung der Coordination und dadurch
unregelmäßige Form der niedersteigenden Curve hervorgebracht würde. Um diesen
Umstand genau zu bestimmen, ob sich überhaupt die in Folge der Entlastung
hervorgebrachte Rückdrehung des Probestückes noch eine meßbare Zeit nach geschehener
Entlastung fortsetze, wurde direct neben der Festigkeitsmaschine ein Apparat
aufgestellt (ein zu diesem Zwecke hergerichtetes autographisches Manometer von Edson in New-York), in welchem eine Papiertrommel
durch ein Uhrwerk continuirlich bewegt wurde. Das Probestück wurde mit einem
Schreibstifte versehen, und nachdem es in der Torsionsmaschine um einen gewissen
Betrag verdreht worden war, so rasch als möglich über der Schreibtrommel eingespannt
und zwar derart, daß der Schreibstift desselben eine Curve beschreiben mußte, deren
Ordinaten den Betrag der nachträglichen Rückdrehung, die Abscissen die dazu
erforderliche Zeit angaben.
Auf diese Weise wurden zahlreiche Versuche mit Verdrehungen von 10 bis 360°
gemacht; in allen Fällen aber zeichnete der Stift stets eine gerade, zur
Abscissenachse parallele Linie – zum Beweis, daß die Wiederherstellung der Form noch vor der
Transferirung in den Schreibapparat vollständig stattgefunden hatte.
In Folge dessen bleibt für die decidirte Verschiedenheit des absteigenden und wieder
aufsteigenden Theiles der elastischen Linien, nachdem sich dieselbe auch nicht durch
etwaige Reibungswiderstände der Maschine rechtfertigen läßt, kein anderer
Erklärungsgrund übrig, als die Annahme einer inneren Reibung zwischen den einzelnen
Molecülen des Materiales.
Diese stellt, selbst bei vollkommener Entlastung des Probestückes, der Herstellung
der ursprünglichen Form einen gewissen Widerstand entgegen und bewirkt dadurch die
unregelmäßige Gestalt der niedersteigenden Curve, während sie bei Wiederaufnahme der
Belastung selbstverständlich ebenso wie die Cohäsionskraft des Materiales von der
äußeren Kraft vollständig überwunden wird und keinen störenden Einfluß auf die Form
des Diagrammes ausüben kann.
Eine solche intermoleculare Reibung war dem Verfasser schon lange wahrscheinlich
geworden, und findet ihre Analogie auch in gewissen Erscheinungen des
Magnetismus.
Eine weitere Folgerung, welche sich aus der Untersuchung aller elastischen Linien der
verschiedenen Diagramme zur Evidenz ergibt, ist die schon von einigen der frühsten
Forscher auf diesem Gebiete beobachtete Thatsache, daß die Elasticität vollkommen
unverändert bleibt, vom Beginn der Beanspruchung bis zum Moment des Bruches.
Coulomb beschreibt eine Reihe von merkwürdigen und
belehrenden Versuchen, welche in derselben Richtung angestellt wurden, und
gleichfalls nachwiesen, daß selbst bei größerer Verdrehung und bleibender
Formveränderung des Probestückes dennoch die Elasticität nicht verringert wurde. Er
beobachtete dies sogar nicht allein bei Metalldrähten, sondern auch bei Fäden aus
feinem Thon, welche 2mm Durchmesser, 3m,350 Länge hatten, und wiederholt um 5 1/2
Gänge verdreht werden konnten, ohne eine bleibende Verdrehung oder Abnahme der
Elasticität zu zeigen. Aber auch bei größerer Verdrehung kehrte doch immer der Faden
nur 5 1/2 Umdrehungen zurück und zeigte bei jeder neuen bleibenden Verdrehung doch immer dieselbe
Elasticität wie zuvor.
Die Erklärung dieser Thatsache ist wahrscheinlich auch in dem Fluß der festen Partikeln zu suchen. Die
Wiederherstellung der Cohäsion bei thatsächlich getrennten Körpern zeigt die
Ausdehnung, bis zu welcher sich diese Thätigkeit erstrecken kann. Zwei frisch
geschnittene Oberflächen von Blei bleiben fest zusammenhängen, wenn sie nur mit
mäßigem Druck an einander gepreßt werden, und auf einander gelegte Glasplatten haften bisweilen so
fest zusammen, daß sie wie ein Stück geschnitten und
bearbeitet werden. Das Schweißen von Eisen ist eine andere Illustration derselben
Eigenschaft.
Die Cohäsion kann daher thatsächlich zerstört und wieder erneut werden, und die
Molecüle können sich gegen einander verschieben, mit vollkommener Veränderung ihrer
relativen Stellung, ohne daß das Material weder Stärke noch Elasticität einbüßen
müßte.
Das Resultat dieser Experimente mit Metallen ist wichtig, indem es eine irrthümliche
Anschauung aufklärt, die bis jetzt von vielen Physikern und Ingenieuren, darunter
vom Verfasser selbst, getheilt worden war, daß nämlich die Beanspruchung des
Metalles dasselbe schwächt, selbst wenn kein Bruch beginnt und keine Bedingung
innerer Spannung herbeigeführt wurde. Es wurde jetzt gezeigt, daß die Elasticität
ungeschmälert bleibt und der Widerstand continuirlich wächst bis zu dem Punkte des beginnenden Bruches. Keine
wohl bewiesene Ausnahme von diesem Gesetze konnte bis jetzt beobachtet werden.
Bei der Vergleichung der Steigung der Elasticitätslinie mit derjenigen der
Anfangslinie, zum Zwecke der Bestimmung des Betrages der inneren Spannung, wurde
bemerkt, daß stets mehr oder weniger innere Spannung vorhanden zu sein scheint, daß
aber der Betrag derselben, wie er durch die Verschiedenheit der Steigung der beiden Linien angedeutet wird, nicht immer
auch im selben Maße durch die größere oder geringere Krümmung der Anfangslinie ausgedrückt erscheint. Die
wahrscheinliche Ursache dürfte die sein, daß diese Spannung nicht immer gleichmäßig
vertheilt ist, indem, wenn die innere Spannung vollkommen gleichmäßig vertheilt
wäre, die Anfangslinie beträchtlich gegen die Basislinie convex sein und eine
parabolische Form annehmen müßte. Abwesenheit von innerer Spannung wird durch eine
gerade Linie, welche regelmäßig bis zur Elasticitätsgrenze aufsteigt, angedeutet,
welche selbst in vielen Fällen, wo die Elasticitätsgrenze sehr niedrig und das
Material unelastisch ist, concav parabolisch gegen die Basislinie werden kann. Die
Anfangslinie und die elastischen Linien haben daher große Wichtigkeit, indem sie
wichtige und auf andere Art unerkennbare Eigenthümlichkeiten des Materiales
enthüllen.
Es wurde bemerkt, daß die oben besprochene Differenz der Steigung die Wahrheit des
Satzes von Hodgkinson beweise, daß jede Belastung eine
bleibende Setzung hervorbringt. Es kann nun leicht gezeigt werden, warum dieses gewöhnlich der Fall ist, und auch daß,
trotzdem dieses richtig ist, dadurch nicht nothwendig eine Verletzung des Materiales
bedingt wird.
Nachdem nämlich in dem ursprünglichen Zustande eines Materiales höchst wahrscheinlich
viele Reihen von Partikeln in einer Lage maximaler innerer Spannung sind, so muß die
kleinste Anwendung einer äußeren Kraft das bestehende Gleichgewicht dieser innerhalb
der Masse streitenden Kräfte zerstören und entweder durch Bruch oder Fluß der am
meisten gespannten Partikeln eine Veränderung der Form hervorbringen und damit eine
neue Gleichgewichtsbedingung herstellen, welche das Stück auch nach der Entlastung
nur theilweise zu seiner früheren Form zurückkehren läßt. Je größer oder kleiner die
angewendete Kraft ist, desto mehr oder weniger Partikeln werden dislocirt; aber erst
dann, wenn die bleibende Setzung sich dem vollen Betrage der Verdrehung annähert,
wird der Charakter einer als ernstlich anzusehenden Gefährdung hervortreten.
Bei vollkommen homogenem Materiale aber, das frei von innerer Spannung ist, kann auch
keine solche Action bemerkt werden, und die erste bleibende Setzung kann erst nach
der Elasticitätsgrenze eintreten, welche Grenze eben als erreicht anzusehen ist,
sobald eine solche bleibende Setzung beobachtet wird.
Der sehr geringe Betrag der Verdrehung innerhalb der Elasticitätsgrenze wird durch
die Spannungsdiagramme sehr schön dargestellt. Dieser Punkt wird gewöhnlich
innerhalb der ersten 5° erreicht, und wenn keine innere Spannung vorhanden
ist, häufig innerhalb 2°, einer Ausdehnung von weniger als 0,0001
entsprechend.
Die bedeutende Vergrößerung, welche mit der Torsionsmaschine von diesen
Verlängerungen beim Beginne der Curve des Diagrammes erhalten wird, erlaubt eine
vollkommene Darstellung und Beobachtung des Verhaltens des Materiales innerhalb
dieses kleinen, aber wichtigsten Theiles seiner ganzen Formveränderung.
Der Einfluß der Temperatur-Veränderungen. Der
Effect von Temperaturveränderungen auf die mechanischen Eigenschaften der Metalle
war lange ein Gegenstand der Debatte und ist selbst jetzt noch nicht genügend durch
Versuche festgestellt. A priori möchte es scheinen, daß
bei einem vollkommen homogenen und von inneren Spannungen freien Material die
Temperaturveränderung eine Veränderung von Stärke und Dehnbarkeit hervorbringen
müßte, welche in entgegengesetzter Weise mit der Temperaturveränderung auftritt.
Die Kräfte, welche hierbei wirksam werden, sind wahrscheinlich auf der einen Seite
die Cohäsionskraft, welche der äußeren Kraft, die Bruch oder Verdrehung
hervorzubringen sucht, Widerstand leistet, während die durch die Energie der
Wärmebewegung geweckte Kraft sich mit der äußeren Kraft verbindet, so daß die
Molecüle in jedem Augenblicke im Gleichgewichte sind, nach der einen Seite von der
Cohäsionskraft und nach der anderen Seite von der Summe zweier anderen Kräfte, deren
Wechsel selbstverständlich Formveränderungen des Materiales hervorbringen muß. Eine
Veränderung der Temperatur, durch eine Vermehrung der
Wärmebewegung hervorgebracht, müßte Verminderung der
Cohäsion durch Trennung der Partikeln und die entgegengesetzte Veränderung eine
Erhöhung der Cohäsion durch Näherung derselben hervorbringen. Vermehrung der
Temperatur müßte ferner, indem sie die Actionsgrenze der Cohäsion durch Trennung der
Partikeln reducirt, auch die Dehnbarkeit reduciren, während die entgegengesetzte
Temperaturveränderung dieselbe erhöhen sollte. Der Effect auf die
Widerstandsfähigkeit gegen Stoß als das Product von Dehnbarkeit und Festigkeit müßte
selbstverständlich noch markanter sein als die Veränderung seiner Factoren.
Nun aber hat das bekannte Verhalten von Zink und die oft bemerkte Sprödigkeit des
Eisens bei niederen Temperaturen Veranlassung gegeben, die Wahrheit der obigen
Annahme zu bezweifeln, und bis die Erscheinungen, welche die Variationen der
Homogenität in Structur und innerer Spannung begleiten, vollkommen gründlich
durchforscht sind, kann man nicht erwarten, daß dieser Gegenstand vollkommen
aufgeklärt wird. Der Charakter der Polarität – dieser Kraft, deren Gegenwart die unterscheidende Differenz
zwischen Festem und Flüssigem ausmacht, bleibt noch zu bestimmen, und von
dieser Bestimmung erst kann man erwarten, daß dieser Gegenstand vollkommen
beleuchtet wird. Den Experimenten sowohl von Physikern als Ingenieuren ist es bis
jetzt noch nicht einmal gelungen, so viele und so genaue Informationen zu geben, als
sie zur genügenden Bestimmung von Regeln erforderlich wären, nach denen man die
Proportionen von Constructionen für irgend eine Temperatur unter der gewöhnlichen angeben könnte, ja selbst nur für diejenigen niederen Temperaturen, welche jeden Winter in
der Breite von New-York auftreten.
In einer kürzlich veröffentlichten Abhandlung: über moleculare
Veränderungen, hervorgebracht durch Temperaturveränderungen, gab der
Verfasser die Resultate einer sorgfältigen Durchforschung der vorhandenen
Versuchsresultate, welche diese wichtige Frage betreffen.
Die hier erlangten Schlüsse waren folgende:
„1. Die Zahl und Natur jener inneren Kräfte, welche die
physische Bedingung der Materie bilden, ist noch nicht vollkommen
klargestellt, außer daß diese Kräfte sich in wenigstens drei bestimmten Arten der
Thätigkeit offenbaren und zwar als Repulsion, Cohäsion und Polarität.
2. Die Repulsionskraft ist wahrscheinlich Wärmebewegung, oder
eine nahe verwandte Phase dieser Thätigkeit. Die Cohäsionskraft hat einige
Aehnlichkeit mit der Gravitation, scheint aber nicht identisch mit derselben
zu sein, und die Kraft der molecularen Polarität endlich zeigt eine
entfernte Aehnlichkeit zur magnetischen Polaritätskraft.
3. Das Gesetz, welches die Intensitätsvariationen dieser
Kräfte je nach den Veränderungen der intermolecularen Distanzen bedingt, ist
unbestimmt und bis jetzt noch durch keine mathematischen Formeln
ausgedrückt, außer nur annähernd und für begrenzten Umfang.
4. Die Größe der intermolecularen Distanzen, und folglich auch
das Volum der Masse, ist mit den Aenderungen der relativen Größen von
Cohäsion und Repulsion veränderlich.
5. Der Widerstand, welcher sich den Formveränderungen
entgegensetzt, ist bestimmt durch die Intensitätsverhältnisse der
Polaritätskräfte zu denen der Repulsion und Cohäsion.
6. Beim absoluten Nullpunkt (– 273° C.) hat die
Cohäsion und folglich die Stärke des Materiales wahrscheinlich ihr Maximum
erreicht, nachdem die Wärmebewegung ganz verschwunden ist.
7. Bei sehr hohen Temperaturen übt die Wärme-Energie
eine trennende Kraft auf die Partikeln aus, welche vollkommen die anderen
Kräfte überwindet, so daß die Materie, den gasförmigen Zustand annehmend,
der Thätigkeit äußerer Kräfte bedarf, um ihr
Volum unverändert zu erhalten.
8. Bei zwischenliegenden Punkten erleidet die Materie sowohl
im festen als flüssigen Zustande einen bestimmten Grad von Trennung ihrer
Partikeln, welcher durch die Intensität der Repulsion, welche von der
Wärmebewegung bewirkt wird, bestimmt ist. Dabei stellt sich ein bestimmter
Gleichgewichtszustand heraus, welcher für dieselbe Substanz und Temperatur
unveränderlich ist.
Um dieses Gleichgewicht zu stören und eine Veränderung des Volums
hervorzurufen, ist die Anwendung einer äußeren Kraft erforderlich. Der
Betrag derselben wird bestimmt durch den Maximalwerth der Cohäsion der
Substanz beim absoluten Nullpunkte und die Quantität Wärme, welche
erforderlich war, um die Temperatur der Substanz über den absoluten
Nullpunkt zu
erheben. Die Summe der äußeren Kraft und der durch die Anwesenheit der
Wärmebewegung bedingten Dilatationskraft muß die Cohäsionskraft überwiegen,
um eine Ausdehnung hervorzubringen, während diese Cohäsionskraft, addirt zur
äußeren Kraft, die Repulsionskraft überwiegen muß, um eine Verminderung des
Volums herbeizuführen.
9. Der Unterschied zwischen dem festen und flüssigen Zustande
der Materie scheint durch die Kraft der Polarität bedingt zu sein, welche
bei festen Körpern von entsprechender Größe ist, um die Stabilität der Form zu
erhalten, während sie bei flüssigen Körpern äußerst schwach wird und
gänzlich verschwindet, wenn die Grenze zwischen tropfbar flüssigem und
gasartigem Zustand erreicht ist.
Der Umstand, daß eine gewisse Elasticität gleichzeitig mit dem
Beharrungsvermögen des Volums, wie beispielsweise bei tropfbar flüssigen
Körpern, bestehen kann, könnte wohl auch durch das Gleichgewicht der
attractiven und repulsiven Kräfte allein erklärt werden. Der gleichzeitige
Bestand jedoch von Elasticität mit Stabilität der Form, wie dies bei festen
Körpern beobachtet wird, erfordert unbedingt die Coexistenz von Cohäsion und
Polarität zu seiner Erklärung.
10. Im Allgemeinen hat eine Erhöhung oder Verminderung der
Temperatur den Effect, die Widerstandsfähigkeit der Materie gegen Bruch oder
Formveränderung unter ruhender Belastung zu verringern oder zu
vermehren.
11. Gleichzeitig damit wird aber die Dehnbarkeit gewöhnlich im
umgekehrten Verhältnisse und zwar in höherem Grade verändert, so daß die
Widerstandsarbeit und Fähigkeit, Stöße und bewegte Lasten auszuhalten, im Allgemeinen mit der Temperatur im
gleichen Verhältnisse zu- oder
abnimmt.
12. Es werden zwar markante Ausnahmen von diesem allgemeinen
Gesetze beobachtet, aber unveränderliche Thatsache scheint es zu sein, daß,
wo immer eine Ausnahme die Stärke beeinflußt, auch die Widerstandsarbeit
entsprechend modificirt wird, so daß stets Ursachen, welche die Stärke
vergrößern, gleichzeitig die Dehnbarkeit verringern und umgekehrt.
13. Experimente mit Kupfer bestätigen die allgemeinen Gesetze
bei diesem Metall vollständig.
14. Eisen zeigt eine merkwürdige Abweichung von diesem Gesetze
innerhalb der gewöhnlichen Temperaturen bis zu ca. 250 oder 300° C., indem
die Festigkeit bei gutem Materiale innerhalb dieser Grenzen um etwa 15 Proc.
zunimmt. Die Abweichungen werden auffallender und unregelmäßiger, je
unreiner das Metall ist.
15. Ueber 300° C. und unter 20° wird aber das
allgemeine Gesetz auch bei Eisen bestätigt, indem seine Stärke zunimmt mit
Verminderung der Temperatur unter den letzteren Punkt, und zwar im Betrage
von ca. 0,01 bis 0,02 Proc. für jeden Grad Celsius, während die
Widerstandsarbeit in einem höheren, aber nicht wohl bestimmbaren Grade bei
gutem Eisen abnimmt, und bis zu einer Reduction auf 1/3 des gewöhnlichen
Werthes bei – 12° C. herabsinken kann, wenn das Eisen
kaltbrüchig ist.
16. In derselben Weise ist die Structur des Eisens von der Temperatur abhängig, so daß Brüche bei
niederer Temperatur stets das körnige Aussehen eines spröden Materiales
aufweisen, und nur geringe Verdrehung gestatten, während mit wachsender
Temperatur die Dehnbarkeit immer zunimmt, bis endlich bei der Schweißhitze
die für diesen Fall so charakteristischen Eigenschaften hervortreten.
17. Die genaue Bestimmung des Einflusses der Elemente, deren
Verunreinigung das Eisen unterworfen ist, und die Ausdehnung, bis zu welcher
sie sein Verhalten unter verschiedenen Temperaturen modificiren, muß noch
vollständiger untersucht werden; constatirt ist aber, daß die Gegenwart von
Phosphor und anderer Substanzen, welche Kaltbrüchigkeit verursachen, in
großem Maße den Einfluß der niederen Temperatur auf den Verlust von
Zähigkeit und Widerstandskraft gegen Stöße verstärkt.
18. Die Modificationen der allgemeinen Gesetze bei anderen
Materialien als Eisen, Kupfer und den Legirungen sind noch nicht studirt
worden und bis jetzt vollkommen unbekannt.
Das praktische Resultat der ganzen Untersuchung ist, daß Eisen und Kupfer und
wahrscheinlich auch andere Materialien ihre Kraft zur Aufnahme von ruhigen
Lasten bei niederer Temperatur nicht verlieren,
aber daß sie bis zu einem sehr bedeutenden Grade ihre Fähigkeit, Stöße
aufzunehmen oder scharfen Schlägen zu widerstehen, einbüßen; daß in Folge
dessen die Sicherheitsfactoren bei Constructionen im ersteren Falle für große Kältegrade nicht erhöht zu werden
brauchen, daß aber Maschinen, Schienen und andere Constructionen, welche
Stöße auszuhalten haben, größere Sicherheitscoefficienten erhalten müssen
und so viel als irgend möglich vor großer Kälte bewahrt werden
sollen.“
Die oben abgeleiteten Schlüsse sind aus den physikalischen Untersuchungen von Boscovitch, Coulomb, Henri,
Powell, Cagniard de la Tour, Andrews, Faraday, Wartman, Robison,
Gaudin, Thompson, Rankine und Anderen abgeleitet
und aus den mehr technischen Untersuchungen von Johnson,
und Norton, Fairbairn, Kirkaldy,
Brockbank, Joule, Spence, Styffe und Sandberg.
Eine anscheinende Discordanz der Resultate, von denen einige Schwächung anzudeuten
schienen, und andere Verstärkung als Folge der reducirten Temperatur, ließ sich
durch den Umstand erklären, daß die Thatsachen, welche die erste Schlußfolgerung zu
beweisen schienen, Fälle waren, wo das Material durch Schläge probirt wurde, während
die widersprechenden Proben mit stetiger Belastung gemacht wurden.
Es war klar, daß, um den natürlichen Effect der Temperaturveränderungen genügend
erklären zu können, eine Reihe von experimentellen Bestimmungen über den
gleichmäßigen Einfluß solcher Veränderungen auf die Stärke und Widerstandskraft
erhalten werden müßten. Solche Versuche konnten nach der hier befolgten Methode
leicht angestellt werden, und eine beträchtliche Anzahl solcher Beobachtungen ist
durch Spannungsdiagramme auf Tafel C dargestellt.
Bei diesen Experimenten wurde die Maschine sammt den Probestücken in die offene Luft
gestellt, wo, nachdem die Temperatur nur mit der Atmosphäre wechselte, kein Irrthum
durch Wärmeübertragung während der Experimente entstehen konnte. Maschine und
Probestücke waren stets von derselben Temperatur.
Die Milde des vergangenen Winters (1873) gestattete nicht, weit unter den
Gefrierpunkt, und zwar nur bis zu – 12° C. herabzugehen.
Dies ist um so mehr zu bedauern, nachdem, wie man sehen wird, möglicher Weise eine
Aenderung des Gesetzes nahe dem Fahrenheitschen Nullpunkte (–17,8° C.)
stattfindet, und es äußerst wichtig wäre, zu constatiren, ob diese Anzeigen von
Anomalie von einer Unregelmäßigkeit in der Qualität der Probestücke, oder in einer
wirklichen Veränderung unter dem Einflusse der Temperatur begründet ist.
Nachdem keine früher angestellten Versuche derart, wie es hier geschehen, die
verschiedenen Effecte der Wärme auf die mechanischen Eigenthümlichkeiten der Metalle
combiniren, so können diese vorläufigen Resultate nur als ein erster Schritt in der
richtigen Direction, sowie die daraus abgeleiteten Resultate nur als wahrscheinliche
angesehen werden, während gehofft werden kann, daß andere Beobachter in Gegenden, wo
Temperaturen weit
unter Null stattfinden, vollständigere und noch belehrendere Untersuchungen in den
folgenden Wintern anstellen werden.
Es ist augenscheinlich ganz unmöglich, Irrthümer zu vermeiden, wenn der Versuch mit
künstlich gekühlten Probestücken gemacht wird, und der Verfasser führt daher auch
nur solche Versuche vor, welche wirklich in der freien Atmosphäre angestellt
sind.
In der oberen Hälfte der Tafel C sind die Spannungsdiagramme der Metalle unter verschiedenen
Temperaturen dargestellt und zwar, ausgehend von dem rechts liegenden
Nullpunkte:
Nr. 133 und 134 Gegossenes Kupfer (cast copper) bei 10° und bei 70° F. (bezieh. –
12° und + 21° C.).
Nr. 137 und 138 Bronze bei denselben
Temperatursgrenzen.
Nr. 99 und 100 Schwedisches Eisen (swedish iron) bei 25° und 70° F. (– 4° und +
21° C.).
Nr. 130 und 132 Schmiedeisen geringer Sorte (low grade iron) bei 10° und 70° F.
(– 12° und + 21° C.).
Nr. 46, 47, 49 und 50 Guter Gußstahl (good cast steels) bei 70°, 18° und
10° F. (+ 21°, – 7,7° und – 12° C.).
Ferner von 20° Verdrehungswinkel ausgehend:
Nr. 58, 59, 60 Englischer Tiegelgußstahl (english german steels) bei 70°, 20° und
18° F. (+ 21°, – 6,6° und – 7,7° C.).
Von 40° ausgehend:
Nr. 78 und 79 Tiegelgußstahl mittlerer Sorte (medium crucible steels) bei 18° und 70° F.
(– 6,6° und + 21° C.).
Von 150° Verdrehungswinkel als Nullpunkt ausgehend:
Nr. 53, 54, 55 und 56 Doppelt raffinirter Stahl (double shear steels) bei 70°, 25°,
18° und 10° F. (+ 21°, – 4°, – 7,7°
und – 12° C.).
Schließlich, von 246° als Nullpunkt ausgehend:
Nr. 25, 25 A, 25 C, 25 D und Nr. 26 Hellgraues
Gußeisen (light grey cast iron) bei 70°,
25° und 18° F. (+ 21°, – 4° und –
7,7° C.).
Aus diesen Diagrammen ersieht man, daß, mit einziger Ausnahme der Gußeisensorten Nr.
25 und 26, mit der Erniedrigung der Temperatur von 21° auf – 8°
C. ausnahmslos und selbst gewöhnlich bis zu – 12°, der Abnahme der
Temperatur sowohl erhöhte Festigkeit als auch vermehrte Dehnbarkeit entspricht. Nur
beim Gußeisen, welches vielleicht stark verunreinigt war, zeigte sich bei vermehrter
Festigkeit verringerte Dehnbarkeit und eine geringe Abnahme der Widerstandsfähigkeit
gegen Stöße bei niederer Temperatur.
Endlich ist noch auf Tafel C eine Reihe von Curven zusammengestellt (in der oberen Hälfte der
Tafel, zwischen 118° und 142° Verdrehungswinkel), welche aus den
autographischen Spannungsdiagrammen bei verschiedenen Temperaturen abgeleitet sind,
und als Abscissen die verschiedenen Temperaturen von 70° bis 25°,
18° und 10° F. (+ 21° bis – 4°, –
7,7° und – 12° C.), als Ordinaten die entsprechenden
Maximalfestigkeiten der verschiedenen Materialien haben. Den einzelnen (punktirt
gezeichneten) Curven der abgeleiteten Diagramme sind dieselben Ziffern wie den
Originaldiagrammen beigefügt, so daß eine nähere Erklärung derselben überflüssig
erscheint; bemerkenswerth aber ist die gemeinsame Richtung aller dieser
Diagrammlinien, welche auf einen Punkt der Abscissenachse (bei 250°)
hinzielen, welchem, wenn er nach dem Maßstabe der die Temperatur bezeichnenden
Abscissen gemessen wird, eine Temperatur von ca. 1000° F. über dem absoluten
Nullpunkt (entsprechend 300° C.) entspricht. Hier also müßte, in der Sprache
des Diagrammes ausgedrückt, alle Cohäsion im Materiale aufhören, wenn das Gesetz der
Festigkeitsabnahme durch eine gerade Linie ausgedrückt würde. Nachdem aber
bekanntlich der Schmelzpunkt der Metalle um viele Hundert Grade höher liegt, so
folgt die Unzulässigkeit dieser Annahme von selbst. Es ist schon durch anderweitige
Untersuchungen nahegelegt worden, daß das Gesetz der Festigkeitsabnahme
wahrscheinlich einer parabolischen Gleichung folgt.
Nach dem Studium dieser Experimente und Vergleichung mit denjenigen anderer
Experimentatoren, obwohl beträchtliche Unregelmäßigkeiten, welche von
Verschiedenheiten des Materiales herrühren, dieselben theilweise verdunkeln, können
wir doch mit einigem Vertrauen die folgenden Schlußfolgerungen zur Modification,
resp. Ausdehnung der auf Seite 349 ff. constatirten Bemerkungen ziehen.
„19. Bei reinem wohlverarbeitetem Metalle bewährt sich
die auf Seite 348 aus logischen Beweggründen aufgestellte Theorie vollkommen
derart, daß mit der Abnahme der Temperatur sowohl Erhöhung der Festigkeit,
als Zunahme der Dehnbarkeit und Widerstandsarbeit verbunden ist.
20. Bei unreinem oder unregelmäßig zusammengesetztem Material
(wie das untersuchte Gußeisen oder die doppelt raffinirten Stahlsorten)
können Ausnahmen von dieser Regel eintreten, daß zwar die Festigkeit für
ruhige Belastung mit der Temperaturerniedrigung zunimmt, gleichzeitig aber
durch Verminderung der Dehnbarkeit die Widerstandskraft gegen Stöße
geschwächt wird. Dies sind jedoch nur Ausnahmsfälle, und wir können daher
als sicher annehmen, daß bei den unseren Versuchen zu Grunde liegenden
niederen Temperaturen (bis – 12° C.) wirklich gutes Metall
durchaus nicht in seiner Festigkeit und Widerstandsfähigkeit geschwächt
wird.“
Nachdem die obige Untersuchung beendigt war, wurde der Verfasser mit dem Berichte der
Massachusetts Rail Road Commissioners 1874 bekannt,
welcher (pag. 144 ff.) die
Resultate einer Untersuchung über die Ursachen der Schienenbrüche auf einer
bedeutenden Zahl von Eisenbahnen der Vereinigten Staaten und Canadas enthält.
Die Schlußfolgerungen desselben sind: „daß durch Kälte Eisen und Stahl nicht spröde oder unverläßlich für mechanische Zwecke
wird“, und „daß es durchaus nicht Regel war, daß die
meisten Brüche an den kältesten Tagen vorkamen“. Die Einführung von
Stahl- statt der Eisenschienen, hat die Schienenbrüche fast vollkommen
verschwinden lassen.
Wir bedürfen demnach, um verläßliche Information für exceptionelle Fälle zu erhalten,
eine Reihe von Experimenten, um den Einfluß von ausnehmend niedriger Temperatur zu
bestimmen und zu constatiren, ob der anscheinende Wechsel des Gesetzes nahe bei
Fahrenheit-Null ein natürliches oder zufälliges Phänomen ist. Wir müssen den
Einfluß von Schwefel, Phosphor und Silicium bei niederer Temperatur genau kennen
lernen und auch noch speciell durch Versuche darüber klar werden, ob die während
unserer Winter eintretenden ausnehmend niederen Temperaturen, einen schädlichen
Einfluß auf Eisen und Stahl dadurch ausüben, daß in Folge der Volumsabnahme und der
Vergrößerung der Dichte innere Spannungen eingeführt werden.
Die noch bestehende Unsicherheit, bis zu welcher Ausdehnung vermehrte Dichte bei
niederen Temperaturen, und die Raschheit der Beanspruchung bei allen Temperaturen
die Festigkeit beeinflussen, bedarf, wie jeder Physiker und Techniker anerkennen
wird, äußerst dringend ihrer Lösung.
Am Ende unserer Untersuchungen angelangt, scheint es in Zusammenfassung aller
erhaltenen Resultate wohl gestattet zu sein, die folgenden allgemeinen
Schlußfolgerungen zu ziehen:
I. Daß genaue Spannungsdiagramme ein Mittel darbieten, um durch
Beobachtung des Verhaltens bei fortschreitender Verdrehung und besonders bei der
Elasticitätsgrenze, werthvolle Information über die Stärke, Elasticität,
Homogenität, Dehnbarkeit und Widerstandsarbeit der Materialien zu erhalten, und
die Modificationen zu bestimmen, welche durch Veränderung der Behandlung und
Zusammensetzung bedingt werden.
II. Daß die inneren Spannungen eine äußerst wichtige Rolle in
der Beurtheilung von Materialien gegenüber statischer sowohl als dynamischer
Inanspruchnahme spielen.
III. Daß die Zeit, während welcher die Spannung zur Wirkung
gelangt, ein wichtiger Factor in der Beurtheilung des Effectes derselben ist,
nicht allein als ein Element, welches den Effect der lebendigen Kraft und die
Trägheit der Widerstand leistenden Massentheilchen modificirt, sondern auch
dadurch, daß sie wesentlich die Bedingungen zur Hervorrufung und Ausgleichung
innerer Spannungen bei der Beanspruchung beeinflußt.
IV. Daß bei gutem Material die Kälte keinen Schaden bringt,
sondern thatsächlich die Festigkeit und Widerstandskraft gegen Stöße
erhöht.
V. Daß der Einfluß von Unreinigkeiten, von verschiedenen
Fabrikationsmethoden, von Dichtigkeitsänderungen mit der Temperatur und von den
Ursachen, welche eine Concentration der Einwirkung rasch hervorgebrachter
Verdrehung und rascher Schläge veranlassen, Gegenstände sind, die noch
sorgfältige Untersuchung erfordern.
VI. Daß die Theorie, welche bezüglich des Verhaltens homogener
Materialien a priori auf Seite 349 ausgesprochen
wurde, durch die Erfahrung bestätigt wird, und daß daher die Annahme
gerechtfertigt ist, die Kraft molecularer Repulsion sei eine
Wärmebewegung.