Titel: | Bestimmung der Nummer von Garnen; nach A. Lohren, Director in Neuendorf bei Potsdam. |
Fundstelle: | Band 218, Jahrgang 1875, S. 291 |
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Bestimmung der Nummer von Garnen; nach A. Lohren, Director in Neuendorf bei Potsdam.Vergl. Amtliches Correspondenzblatt für die Einführung einer einheitlichen Garnnumerirung, Nr. 30. Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbfleißes, 1875 S. 66.
Lohren, über Bestimmung der Nummer von Garnen.
Nachdem auf dem Brüsseler Congreß (vergl. 1874 214 87) die
wichtigsten Principienfragen für die einheitliche Garnnumerirung erledigt worden
sind, und der Deutsche Handelstag diese Beschlüsse im October 1874 angenommen hat,
verbleibt noch die Aufgabe, die gefaßten Beschlüsse in die Praxis einführen zu
helfen. Dies kann nur dadurch geschehen, daß die Bedenken und Hindernisse weggeräumt
werden, welche von verschiedenen Seiten immer wieder auftauchen. Ein Haupthinderniß,
die Wahl des Haspelumfanges, ist in den Brüsseler Beschlüssen glücklich erledigt.
Ein anderes ist die Befürchtung, daß der kleine Consument während der Zeit des
Ueberganges schlimmen Nachtheilen ausgesetzt sei, weil ihm die genaue und sichere
Controle der Garne fehlen werde, und ist es für den Handel mit Garnen ganz besonders
wichtig hier Klarheit zu schaffen und Regeln aufzustellen, welche jeden
betrügerischen Versuch erschweren oder unmöglich machen.
Diese sehr wichtige Aufgabe ist dem ständigen Ausschuß in dem § 6 der Wiener
Beschlüsse von 1873 übertragen worden, welcher lautet:
„In Streitfällen wird die Nummer des Gespinnstes durch Wägung und Messung
von mindestens Einem Strähn erhoben.“
„Die nähere Bestimmung hierüber, sowie über die zulässige Fehlergrenze bei
jeder einzelnen Gespinnstgattung, wobei deren besondere natürliche
Beschaffenheit zu berücksichtigen ist, wurde dem ständigen Ausschuß
anheimgegeben.“
Für den Artikel Kammgarn würde dieser Paragraph in
folgender Weise zu ergänzen sein.
„In Streitfällen wird die Nummer des Gespinnstes durch Wägung und Messung
von mindestens 1000m Fadenlänge
erhoben.
a) Die Messung muß sich beziehen auf den geraden, leicht angespannten
Faden.
b) Die Wägung muß stattfinden bei einer Temperatur von 18° C. und
bei mittlerer Luftfeuchtigkeit.
Für Kammgarn bei 18 1/4 Proc. hygroskopischer Feuchtigkeit.
c) Die gesetzlich zulässige Fehlergrenze beträgt 2 1/2 Proc. Ueber-
oder Untermaß der Nummer.“
In Folgendem sind die wichtigsten Motive zu diesen Vorschlägen wiedergegeben.
Wie sehr nothwendig es ist, die Fadenspannung bei der Messung nach bestimmten
Vorschriften zu regeln, beweisen folgende Versuche.
Wenn man 100m Faden locker und lose
aufwindet, und dann wiederum abhaspelt, indem man den Faden zwischen den Fingern so
stark anspannt, als er erlaubt, ohne zu zerreißen, so ergibt sich eine wesentlich
größere Fadenlänge, und zwar:
m
bei
Zephirgarn
14/4fach
Nr. 3 1/2
104
„
Tapisseriegarn
24/2fach
„ 12
103
„
Shawlgarn
32/2fach
„ 16
103
„
Schußgarn
„ 40
102 1/2
„
Canettenschuß
„ 52
102
Dem mit der Untersuchung betrauten Beamten ist es bei einiger Routine leicht, solcher
Art Differenzen von 2 bis 4 Proc. hervorzuzaubern, eventuell verschwinden zu
lassen.
Es entsteht nun zunächst die Frage: welche Spannung hat man bei der Messung zu Grunde
zu legen?
Diese theoretisch fast unlösbare Aufgabe erledigt sich empirisch sehr leicht und
rationell, wenn man einen Blick auf die verschiedenen Methoden wirft, wie in der
Praxis die Fadenspannung an den Haspeln zur Zufriedenheit von Käufer und Verkäufer
regulirt wird.
Aus eigener Erfahrung kann Verfasser von fünf verschiedenen Spannungsarten berichten,
welche für das Haspeln der Kammgarne nothwendig sind. Dieselben sind nicht scharf
begrenzt, sondern lassen, jede für sich, eine Verminderung oder Steigerung zu, so
daß jedwede Spannung von 1/2 bis zu 20g
möglich ist. Da kein zweites Gespinnst so außerordentlich weite Elasticitätsdifferenzen aufweist
als die verschiedenen Sorten der Kammgarne, so können die hier folgenden
Betrachtungen wohl als Basis dienen, um dieselbe Frage auch für die übrigen
Gespinnste zu lösen.
Fig. 1., Bd. 218, S. 293
1. Spannungsmethode. Für feine, leicht zerreißbare,
wenig gedrehte Kammgarne in den Nummern 40 bis 70 leitet man den Faden nach
beistehendem Holzschnitt I direct von der Canette
A durch das Drahtauge B, über den polirten Spannstab C und
endlich durch eine zweite Drahtöse D zum Haspel E. Hierbei genügt ein Gewicht von 1/2 bis 1g, um den Faden abzuziehen und in
gerader gestreckter Lage aufzuwinden.
2. Methode. Für festere, stärker gedrehte Garne, z.B.
Kettengarne Nr. 24 bis 40, benützt man denselben Haspel, führt jedoch den Faden
nicht über einen polirten, sondern über einen mit Tuch oder Leder bekleideten
Spannstab. Die dadurch entstehende Spannung ist wesentlich größer als die oben
erwähnte und läßt sich durch Vergrößerung oder Verkleinerung des Winkels BCD vermehren oder verringern. Hier sind 2 bis
3g nothwendig, um den Faden über den
Haspel zu ziehen.
Fig. 2., Bd. 218, S. 293
3. Methode. Für feine doublirte und stark gezwirnte
Kammgarne in den Nummern 30/15 bis 60/30 wendet man beim Haspeln mit der Hand
dieselbe Construction an, steckt aber die Spule A,
welche das gezwirnte Garn in diesem Falle enthält, auf eine horizontal liegende,
frei in Lagern drehbare Spindel S, wie dies im
Diagramm II dargestellt ist. Der Spannstab C wird
bei feineren und zarteren Zwirnen glatt, bei kräftigeren rauh angewendet.
Ist der Spannstab C glatt, so
beträgt die Fadenspannung 3g, bei rauhem
Spannstabe 3 bis 8g, je nach der Größe des
umspannten Bogens. Bei diesen Versuchen hatte die zur Anwendung kommende volle Spule A eine Höhe von 65mm, einen Durchmesser von 35mm
und ein Gewicht von 55g.
Fig. 3., Bd. 218, S. 294
4. Methode. Bei kräftigen, drillirten Garnen wählt man
mechanische von der aus Figur III ersichtlichen
Construction. Hier ist die von der Zwirnmaschine entnommene Spule A auf eine Spindel S
aufgesteckt, welche eine verticale Stellung hat, und in ihren Lagern frei
rotiren kann. Die Spule A steht auf einer
Frictionsscheibe U, die ihrerseits lose auf der
Halslagerbank aufliegt (also die in Trostle-Spinnmaschinen allgemein
übliche Einrichtung). Bei den Versuchen wurde eine Spule angewendet, welche
65mm Höhe, 50mm Durchmesser und 110g Gewicht hatte, und es betrug die zum
Heranziehen des Fadens nothwendige Belastung 10 bis 15g. Je nach Construction der beiden
reibenden Flächen A und U kann dieselbe leicht größer oder kleiner genommen werden.
Fig. 4., Bd. 218, S. 294
5. Spannungs-Methode. Für drei-,
vier- und mehrdrähtige Zwirne, z.B. 18/3fach, 14/4fach, 12/6fach, und
grobe Teppichgarne nimmt man denselben Haspel wie vorher, stellt jedoch die
Spindel S ganz fest, so daß dieselbe an der Rotation
der Spule A beim. Abdrehen nicht theilnehmen kann
(Fig. IV). Dann beträgt die Fadenspannung bei
einer Spule von 110mm Höhe, 60mm Durchmesser und 250g Gewicht 15 bis 20g, je nachdem die Fußplatte der Spule
A mehr oder weniger convex oder concav geformt
ist.
Aus diesen Beispielen geht hervor, wie schwierig es ist, 1000m, Garn richtig zu messen, und wie leicht
der Ungeübte zu den gröbsten Fehlern Veranlassung geben kann. Der Zusatzantrag, daß
die Messung sich beziehen muß auf den geraden, leicht angespannten Faden, wird nach
diesen Beispielen seinem wahren Werthe gemäß beurtheilt werden können.
Nachdem im Obigen die Fehler angedeutet sind, welche die unrichtige Spannung des
Fadens beim Messen erzeugt, ist noch ein zweiter Uebelstand hervorzuheben, welcher
bei der gewöhnlichen Methode der Nummerprobe zu größeren Fehlern Veranlassung sein kann. Derselbe
besteht darin, daß die Fadenwindungen beim Uebereinanderhaspeln stetig an Länge zunehmen, die äußersten Fadenlagen
also eine größere Länge besitzen als der Haspelumfang, welcher der Rechnung zu
Grunde gelegt werden muß.
Um auch die Größe dieses Fehlers durch Zahlen beweisen zu können, hat Verfasser mit
verschiedenen Garnnummern Versuche angestellt und folgende Resultate gefunden.
Bei einem Gebinde von 80 Faden waren die obersten Fadenwindungen:
bei
14/4fach Zephyr
32mm
länger
als
der
Umfang
von
1333mm
„
24/2fach Zephyr
18
„
„
„
„
„
„
„
40r Schuß
7
„
„
„
„
„
„
„
52r Schuß
5
„
„
„
„
„
„
Daraus geht hervor, daß man das Uebereinanderlegen vieler Windungen sorgfältig
vermeiden muß, wenn man den richtigen 1000m-Strähn auf einem Haspel herstellen will; es tritt immer schärfer die
Nothwendigkeit hervor, ein bestimmtes Instrument, z.B. eine mit Walzen versehene
Garnuhr, zum Messen der Probelängen gesetzlich in Vorschlag zu bringen.
In Betreff des zweiten beantragten Zusatzes – lautend: „Die Wägung
muß stattfinden bei 18° C. und bei mittlerer Luftfeuchtigkeit, für
Kammgarn bei 18 1/4 Proc. hygroskopischer Feuchtigkeit“ – ist
eine ausführliche Motivirung entbehrlich, weil diese Frage seit Jahren eingehend
erörtert ist.
Nehmen wir die Temperatur von 18° als feststehend an, so würde genau zu
ermitteln sein, welchen Feuchtigkeitsgehalt reine Wollgarne, Baumwollgarne,
Flachsgarne und Seidengarne nach mehrtägigem Hängen und Lagern in einem Raum von
18° haben, wenn die Luft in diesem Raum 1, 10, 20, 30, 40, 50, 60, 70, 80,
90, 100 Proc. derjenigen Wassermenge aufgelöst enthält, welche zu ihrer
vollständigen Sättigung bei 18° erforderlich ist.
Die Zahl 18 1/4 Proc. ist für die Conditionirung des Wollzugs gegenwärtig so
allgemein adoptirt, daß ihre Einführung für Wollgarne kaum noch Widerstand verträgt.
Sie ist gerechtfertigt durch die Erfahrung, nach welcher Wolle im großen
Durchschnitt während des Sommers 16 bis 18 Proc., während des Winters 18 bis 20
Proc. Feuchtigkeit besitzt. Sie ist mehr noch sanctionirt durch die Handelsusance,
welche diese Zahl zur officiösen erhoben hat, trotz aller der Vorschriften und
Gesetze, welche
officiell in Frankreich zuerst 15, dann 17 Proc. als zulässigen Feuchtigkeitsgehalt
proclamirt haben.
Ohne eine genaue und gesetzmäßige Regelung der Frage der Conditionirung ist eine
zuverlässige Wägung von 1000m Fadenlänge
ebenso wenig möglich, wie die richtige Messung ohne sorgfältige Regelung der
Fadenspannung. So lange beide Factoren unbestimmt sind, und der Controlbeamte es in
der Hand hält, so viele und so große Differenzen in der Spannung, in der Art des
Aufwickelns, in dem Feuchtigkeitsgrade, hervorzurufen zu Gunsten der Käufers oder zu
Gunsten des Verkäufers, je nach Gutdünken, Laune, Unkenntniß oder Malice, so lange
kann von einer sicheren Basis für Gerechtigkeit und Recht in Streitfällen nicht die
Rede sein.
Sind diese Punkte geordnet, so hat die dritte Frage, über die zulässige Fehlergrenze,
erst Sinn; denn erst dann ist es möglich, Controlfehler von 5 bis 6 Proc. zu
vermeiden, wo in Wahrheit solche von 2 1/2 Proc. nicht vorliegen; dann kann man sich
getrost für Annahme des dritten Zusatzes erklären, welcher von der Bradforder
Handelskammer ausgegangen ist und überall Zustimmung gefunden hat.