Titel: | Schwefelnatrium in der Gerberei; von Wilhelm Eitner, Leiter der chemisch-technischen Versuchstation für Lederindustrie in Wien. |
Fundstelle: | Band 218, Jahrgang 1875, S. 355 |
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Schwefelnatrium in der Gerberei; von Wilhelm EitnerDer Gerber, 1.
Jahrg. S. 73 ff., Leiter der chemisch-technischen Versuchstation für Lederindustrie in
Wien.
Eitner, über Schwefelnatrium in der Gerberei.
Schon lange erkannten intelligente Gerber, daß der Kalk bei weitem nicht allen
Anforderungen entspricht, welche an jenes Mittel gestellt werden muß, das die Haut
für eine gediegene Gerbung vorbereiten soll. Man sann auf Verbesserungen, und es
gelang wirklich nach und nach das Aescherverfahren zu vervollkommnen.
Nachdem man zunächst auf die günstige Wirkung der Soda als Zusatz in dem Kalkäscher
aufmerksam geworden war, kamen hierauf drei Enthaarungsmittel in Anwendung, nämlich
das längstbekannte, aus dem Orient stammende Rusma (1841 79 226), der Böttger'sche (1839 72 455) und der
Gas-Grünkalk, bei denen allen eine und dieselbe Substanz, nämlich das
Calciumsulfhydrat als wirkend zu Grunde liegt. Diese Mittel wurden als Brei auf der
Haarseite aufgetragen und lösten je nach der Menge des in denselben enthaltenen
Schwefelcalciums in wenigen Stunden die Haare zu einer breiartigen Masse auf.
Freilich wurden dabei
die Haare vollständig werthlos. Durch das Anschwöden der Häute oder Felle auf der
Aasseite umging man die Zerstörung der Haare, ohne daß dadurch der Haut werthvolle
Bestandtheile entzogen wurden.
Lindner (1855 137 221) machte
später einen wässerigen Auszug aus obigen Mitteln, wodurch ein großer Theil der
ohnehin unwirksamen und den Aescher verunreinigenden Bestandtheile entfernt wurde.
In diese ganz klare Lösung, deren Stärke mittels einer Baumé-Waage
regulirt werden kann, wurden nun die Häute gebracht und darin reiner und schneller
geäschert als mit dem früher angewendeten Brei.
Dem mit dieser Methode erzeugten Leder wurde eine größere Güte im Vergleich zu den
gekalkten von bewährten Fachmännern nachgerühmt. Namentlich war der um die
Lederindustrie vielfach verdiente Wilhelm Kampfmeier in
Berlin einer der Ersten oder sogar der Erste, welcher diese chemische Verbindung
anwendete und auf deren Vortheile aufmerksam machte (vergl. 1844 94 154. 1845 98 435).
Doch war auch der Schwefelkalk noch nicht für eine allgemeine Anwendung befähigt, da
jede der drei Formen desselben ihre Nachtheile und Hindernisse aufwies. Als
Auripigment oder Rusma war es für den allgemeinen Gebrauch zu theuer und wegen
seines Giftgehaltes nicht empfehlend; der Böttger'sche Grünkalk ist ebenfalls noch
zu theuer und sein Schwefelwasserstoffgeruch in den Werkstätten unangenehm, Gaskalk
aber gegenwärtig immer seltener zu haben. Es that also Noth, für den schwer
zugänglichen Schwefelkalk ein Ersatzmittel zu finden, und da einmal die kaustische
Wirkung der Schwefelalkalien für die Gerberei schon durch den Gebrauch von
Schwefelkalk bekannt geworden war, suchte man eben noch eine leichter zugänglichere
Schwefelalkaliverbindung (vgl. 1851 120 400.)
Ein belgischer Gerber, Namens Louis Matern aus Antwerpen,
kam Ende 1872 nach Wien und brachte einen neuen Enthaarungs-Liquor mit,
nebstdem eine von ihm erfundene Maschine (vergl. 1875 215
472), welche sogleich auch die Enthaarung der mit obiger Flüssigkeit angeschwödeten
Schaf- und Ziegenfelle besorgt.
Ich untersuchte dieses neue Enthaarungsmittel und fand darin unter anderen als
eigentlich wirksame Substanz das Schwefelnatrium. Für den
Belgier war es eben nur ein Gemisch von Kalklösche, Soda und Schwefel in einem
ungefähren Verhältnisse; denn es fand sich in dem Gemische überschüssiger Schwefel,
Zweifach- und Dreifach-Schwefelcalcium etc., so daß es klar wurde, daß
die Wirkung von der Gesammtmischung und nicht von einem
bestimmten, darin enthaltenen Stoffe erwartet und demgemäß bei der Composition auch nicht auf
diesen Stoff hingewirkt worden war. Dieses Mittel war nun von den Belgiern
ursprünglich blos zur Entfernung der Wolle und Haare bei Schaf- und
Ziegenfellen bestimmt. Als sehr dünner Brei enthielt es also gelöstes
Schwefelnatrium und nebst den oben angegebenen Stoffen vorzüglich überschüssigen
Kalk als Verdickungsmittel. Schaffelle, damit angeschwödet, ließen in 1 1/2 Stunden
vollständig, in gleicher Zeit wurden auch Gaisfelle zum Abhaaren reif. Anfangs 1873
versuchte ich diesen Liquor auch auf andere Leder anzuwenden, und zwar auf
Kalbfelle, Rind- und Roßhäute, und hatte dabei das Vergnügen, günstige
Resultate erwarten zu können. Gleich beim Beginn meiner Versuche aber mit dem
angeführten Enthaarungsmittel hatte ich Gelegenheit, zu bemerken, daß es um so
wirksamer war, je reicher es Schwefelnatrium enthielt, und ich beschloß daher,
fortan nur mit diesem Stoffe allein weiter zu arbeiten. Ich wendete mich damals, um
reines Schwefelnatrium zu erhalten, an die Firma De
Haën und erhielt ein sehr gutes Product, wie es mir nachher selten
wieder zu Gesichte kam. Die Resultate der Enthaarung waren überraschend. Rindshäute
ließen in 15 Stunden, Kalbfelle schon in 4 Stunden.
De Haën begriff sofort die Bedeutung dieses neuen
Enthaarungsmittels für die Gerberei, begann Schwefelnatrium im Großen zu erzeugen,
sorgte für die ausgedehnteste Verbreitung dieser neuen Verwendung von
Schwefelnatrium in Europa und Amerika und bewirkte, als der erste Verbreiter und
Darsteller dieses Stoffes erscheinend, daß krystallisirtes Schwefelnatrium sich
gleichsam an seinen Namen heftete, obwohl natürlich jede chemische Fabrik in der
Lage ist, dieses Präparat zu erzeugen. Ein wirklicher Unterschied des einen oder
anderen Präparates kann nur in der größeren oder kleineren Beimischung von anderen
unwirksamen Körpern statthaben, worüber ich seinerzeit einiges bemerken werde.
Ich beginne mit der Anwendung des Schwefelnatriums als reines (specielles)
Enthaarungsmittel in der Fabrikation von Unterledern, und
zwar erstens mit Rücksicht auf Sohlleder in engerer Bedeutung, wozu auch das sogen.
Pfundleder zu zählen ist, dann zweitens auf Brandsohl-, Terzen-,
Deutschleder und wie diese Sorte in verschiedenen Gegenden mit verschiedenen Namen
belegt wird.
Beim eigentlichen Sohl- und Pfundleder wird die Haarlockerung und nur diese allein bezweckt und
entweder durch die verschiedenen Arten von Schwitzverfahren, oder durch Einlegen der
Häute in gährenden Gerstenschrot oder in der Salzlacke erreicht.
Bei allen diesen Enthaarungsverfahren soll die Haut nur in ihren äußeren Partien
etwas verändert werden und zwar nur insoweit, als es dadurch möglich wird, die Haare
aus derselben zu entfernen; sonst soll aber die Haut in ihren anderen Theilen,
besonders aber in jenen der eigentlichen Lederhaut soviel wie möglich in ihrem
natürlichen Zustande erhalten bleiben. Dieser letztere Zweck wird aber ganz
vorzüglich bei Anwendung von Schwefelnatrium erreicht, weit besser und sicherer, als
mit allen anderen bisher bekannten und angeführten Mitteln, weshalb sich auch gerade
in dieser Branche das Schwefelnatrium unbestritten der besten Erfolge zu rühmen hat.
Zu letzterer Thatsache mag noch viel der Umstand beitragen, daß hier die
nachfolgende Gerbung ganz conform mit jener bei geschwitzten Häuten ist, während bei
anderen Ledersorten die Gerbung modicifirt werden muß.
Die Operation der Enthaarung ist einfach folgende.
Die Häute werden flach ausgebreitet, die Haare nach oben übereinander gelegt und dann
oben auf der Haarseite Stück für Stück mittels eines Schwödwedels mit dem unten
angegebenen Schwefelnatriumbrei bestrichen. Noch besser ist es, wenn ein Arbeiter
den Brei mittels eines Holzgefäßes auf die Haut bringt, und zwar immer auf die Mitte
der Haut in der Linie vom Kopfe zum Schweife, während ein zweiter Arbeiter mittels
einer Reisbürste, welche an einem genügend langen Stiel befestigt ist, den
aufgeschütteten Brei weiter nach den Seiten streicht und dabei namentlich gegen den
Strich der Haare arbeitet, damit eben der Brei gut zur Haut gelangt, wobei Rücken
und Kopf, wo die längsten und dichtesten Haare auch am tiefsten in der Haut sitzen,
besonders reichlich und gut mit Brei bestrichen werden müssen. Die bestrichenen
Häute faltet man in Kissen zusammen und zwar in der Weise, daß man Klauen, Schwanz
und Kopf zuerst einlegt und dann erst die Haut weiter zusammenfaltet, legt sie dann
aufgeschichtet an einem warmen Ort und bedeckt sie mit einer feuchten Matte (oder
auch mit grüner Haut), damit sie nicht abtrocknen. Binnen 15 bis 20 Stunden lassen
die Häute vollständig und sind zum Haaren reif.
Der Anschwödebrei wird auf folgende Weise bereitet. Die gewogene Menge von
Schwefelnatrium, welches im Handel in mehr oder weniger hellen oder dunkeln
Krystallen vorkommt, und welches, wie ich später auseinandersetzen werde, von sehr
verschiedener Qualität sein kann, wird im heißen Wasser aufgelöst. Die Auflösung
erfolgt sehr rasch und leicht, wenn für 1k
Schwefelnatrium 2l Wasser verwendet wird.
Diese Lösung, welche sehr dünnflüssig ist und abfließen würde, wenn die Häute damit bestrichen
werden, muß, damit man diesen Uebelstand vermeidet, mit einem Verdickungsmittel
vermischt werden.
Ein solches Verdickungsmittel ist am besten der Kalkbrei, obwohl auch Pfeifenthon
oder Schlemmkreide verwendet werden kann, die aber gar keinen Vortheil gegenüber dem
Kalk bieten.
Der Kalk, von welchem 3 Theile (bei magerem Kalk etwas mehr) auf 1 Th.
Schwefelnatrium zu nehmen sind, wird gelöscht und, wenn dies geschehen, mit der oben
angegebenen Lösung von Schwefelnatrium verdünnt und gut abgemischt. Dieser Brei,
welchen man am besten in einem Holzbottich anmacht, soll zwar nicht zu dick, hier in
diesem Falle aber auch nicht zu dünnflüssig sein; er muß sich gut auftragen lassen,
darf aber nicht abfließen, sondern muß auf der Haut stehen bleiben.
Die zum Enthaaren einer grünen Rindshaut erforderliche Quantität Schwefelnatriums
variirt nach der Größe der Haut, nach dem langen oder kurzen und auch dichten oder
spärlicheren Haare von 100 bis 210g per
Stück, bei getrockneten Häuten wird um 17 bis 35g mehr beansprucht.
Es ist natürlich darauf zu sehen, daß beim Anschwöden alle Theile der Haut, besonders
aber Kopf und Rücken, recht sorgsam bestrichen werden, da sich diese Mühe beim
Haaren durch leichtere Arbeit lohnt. Auch trage man Sorge, daß etwa bei Verwendung
von steinigem Kalk keine Steinchen oder grober Sand mit aufgetragen werden, da auf
allen jenen Stellen, wo ein solcher harter Körper aufliegt, die Haare nicht lassen.
Selbstverständlich ist es, daß die Häute vor dem Anschwöden die erforderliche Weiche
haben, und daß Häute, welche auf der Haarseite stark mit Mist bedeckt sind, davon
zuerst ganz gereinigt werden müssen.
In der oben angegebenen Zeit werden die Häute bei genauer Einhaltung der obigen
Vorschrift bei einer Temperatur, die nicht unter 19° sinkt, und bei
genügender Güte des angewendeten Schwefelnatriums mäßig gut lassen. Kopf und Füße
gehen schwieriger, namentlich wenn beim Anschwöden nicht gehörig auf diese Stellen
Bedacht genommen wurde.
Vor dem Haaren ist es gut, die Häute im Wasser auszuwaschen, um sie von dem stark
ätzenden Enthaarungsmittel zu befreien, wodurch die Hände der mit dem Haarabmachen
beschäftigten Arbeiter sehr geschont werden. Es kann dieses Auswaschen aber auch
unterbleiben, wenn man die Arbeiter mit Gummihandschuhen versieht, wie dies bei dem
Haaren aus dem Kalk ebenfalls geschehen sollte.
Arbeitet man blos Sohlleder, so kann das Auswaschen der Häute, wenn man überhaupt vor
dem Haaren waschen will, in fließendem Wasser vor sich gehen; arbeitet man aber auch
Oberledersorten, so wasche man die Häute immer, und zwar in einem Geschirre, und
bewahre das Waschwasser, in welchem noch viel werthvolles Schwefelnatrium enthalten
ist, zu Zwecken auf, die später näher erörtert werden sollen.
Die abgehaarten Häute werden nun in frisches Wasser gebracht, um selbe einerseits zu
spülen, andererseits sie etwas zu heben, was dort umsomehr geschehen wird, wo man
hartes und möglichst kaltes Wasser für diesen Zweck verwenden kann.
Die Häute werden bei obiger Enthaarungsmethode wenig geschwellt, sie sind fast so wie
grüne oder geschwitzte Häute. In diesem Zustande ist aber das Scheeren derselben
sehr schwierig, wenn nicht unmöglich, weshalb man den Häuten eine Art Vorschwellung
dadurch geben soll, daß man sie im frischen, womöglich harten Wasser wässern läßt.
Sobald die Häute genügend aufgegangen sind, scheert man sie in der gewöhnlichen
Weise. Das Leimleder, welches hier gewonnen wird, ist gleichwerthig mit jenem von
geschwitzten Häuten und bedarf, ehe man es zu Leim versieden kann, einer Aescherung
mit Kalk.
Nach dem Scheeren werden die Häute in gewöhnlicher Weise geputzt und dann
eingetrieben. Die Gerbung erfolgt ebenfalls ganz genau in derselben Art, wie
geschwitzte Häute zu Sohl- oder Pfundleder gearbeitet werden.
Wie bereits früher bemerkt, sind bis jetzt bei den eben abgehandelten
Unterledersorten fast überall, wo das Schwefelnatrium in richtiger Weise angewendet
wurde, günstige Resultate erreicht, d.h. ebenso gute und gewichtige Leder erzielt
worden wie mit der Schwitzmethode, wobei aber das Schwefelnatrium den großen
Vortheil zeigte, daß man damit schnell und gefahrlos arbeiten kann, was bei anderen
Methoden nicht der Fall ist.
Etwas ungünstiger ist die Zahl der gelungenen Resultate mit Schwefelnatrium bei der
Fabrikation der zweiten Classe der Unterleder, also der Brandsohlleder, Terzen, Deutschleder, Eingesetzten Leder etc., wobei
besonders in Oesterreich, abgesehen von notorischen Albernheiten, welche an diesen
Versuchen verübt wurden, unter sonst richtiger Manipulation bei der Enthaarung sich
theils manche Uebelstände ergaben, theils nicht die Vortheile, welche diese Methode
bietet, ins rechte Licht gebracht werden konnten oder auch oft gebracht werden
wollten, da diese denn doch nicht an das Wunderbare streifen können, wie dies von
manchen Gerbern,
besonders in den südlichen Ländern Oesterreichs, von Neuerungen verlangt zu werden
scheint.
Die Classe der Unterleder, welche ich jetzt bespreche, ist das nächste Glied in der
Reihe, welche beim eigentlichen Sohlleder beginnt und stufenweise übergeht in die
feinsten und geschmeidigsten Sorten von Oberleder. Bei der Gruppe der
Brandsohlledersorten wird nicht mehr so ganz das Hauptmoment der Gerbung in die
Grube, der eigentlichen Bildungsstätte der Säuren gelegt, welche nächst dem
Gerbstoff das wichtigste Agens der Herstellung eines guten Unterleders sind, sondern
es erfolgt schon eine Vorgerbung in den Farben, welche letztere hingegen wieder das
Princip der Oberledergerbung repräsentiren, weshalb diese Ledersorten schon um einen
Schritt vom Sohlleder weg zum Oberleder hinneigen. Ist auch diesem Leder die
Hauptcharakteristik der Sohlleder immerhin noch eigen, so findet doch der Kenner,
besonders im Schnitte, in der Art und Weise der Verfilzung der Faser, Merkmale
genug, um diese vom obigen zu unterscheiden.
Bei Sohlleder wird die Haut in den Farben nur äußerlich angefärbt und die anfänglich
ganz matte und verfallene Faser durch Säuren in den Schwefelfarben gehoben, um dann
in diesem Zustande in der Grube durch gleichzeitige Einwirkung von Säure und
Gerbstoff auf die noch natürliche Faser (auf „das rohe Fleisch“
möchte ich sagen) sucessive von Außen nach Innen in Leder verwandelt zu werden.
(Fortsetzung folgt.)