Titel: | Die Beschlüsse des internationalen Congresses für einheitliche Garnnumerirung in Turin; von A. Lohren. |
Fundstelle: | Band 219, Jahrgang 1876, S. 36 |
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Die Beschlüsse des internationalen Congresses für
einheitliche Garnnumerirung in Turin; von A. Lohren.Verhandlungen des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes, den 6. December 1875.
Lohren, die Beschlüsse des internationalen Congresses für
einheitliche Garnnumerirung in Turin.
Am 12. bis 16. October fand in Turin der dritte und letzte Congreß für einheitliche
Garnnumerirung statt, welcher diejenigen allgemeinen Fragen erledigt hat, welche auf
den Congressen in Wien (vergl. 1873 209 93) und Brüssel
(vergl. 1874 214 87) unerledigt geblieben waren. Jene
beiden Congresse hatten in erster Linie die legislativen Grundfragen gelöst, und ihr
Ergebniß tritt am klarsten aus der Eingabe des deutschen Handelstages an den
Bundesrath hervor, in welcher um Erlaß folgender Gesetze petitionirt wird:
I. „Die Nummer eines Garnes (Seide ausgenommen) wird
bezeichnet durch die Anzahl von Metern Faden, welche in einem Gramm enthalten
sind.
II. Die Länge eines Strähnes beträgt 1000m mit decimalen Unterabtheilungen.
III. Der Verkauf der Garne ist sowohl nach metrischem Maße wie nach metrischem
Gewichte zulässig.“
Diese Beschlüsse bilden eine nothwendige Ergänzung der neuen Maß- und
Gewichtsordnung.
Wie jeder Staatsangehörige gezwungen ist, im Handel und Wandel, beim Einkauf von
Getreide, oder Kartoffeln, oder Oel, oder Tuch nach Meter, Liter und Kilogramm zu
rechnen, so soll auch im Garnhandel nur dieses Maß und Gewicht Giltigkeit haben.
Außer diesen Cardinalpunkten wurden in Brüssel noch folgende Beschlüsse gefaßt:
„Jede Art von Haspelung ist zulässig, insofern sie 1000m Garn auf den Strähn
ergibt“, und zwar wurden dabei folgende Haspelumfänge als
empfehlenswerth bezeichnet:
Für
Streichgarn
1m,50
mit
67
Umläufen
„„„„
KammgarnVigogneFlorettseideBaumwolle
1m,37
„
73
„
„
„ II
1m,4285
„
70
„
„
Flachs u. Hanf
2m,00
„
50
„
„
oder
1m,25
„
80
„
„
Florettseide II
1m,25
„
80
„
Ferner erledigte der Brüsseler Congreß die sehr schwierige Frage über die
Ausnahmsstellung der rohen und moulinirten Seide in der Titrage. In Turin wurde
diesen Beschlüssen, ohne den Sinn zu ändern, folgender vereinfachter Wortlaut
gegeben:
„Die Nummer der rohen und moulinirten Seide wird bezeichnet durch die
Anzahl von Grammen, welche ein Faden von 10000m Länge wiegt.“ Mit dem
Zusatz:
„Die Proben werden auf Grund der Längeneinheit von 500m und der Gewichtseinheit von 50mg vorgenommen.“
Unerledigt geblieben waren in Brüssel und Wien namentlich folgende drei Fragen:
a) Wie soll die Nummer von gezwirnten, von gebleichten
und von gefärbten Garnen bestimmt werden?
b) Welches Verfahren ist bei der Bestimmung der Nummer
anzuwenden, um die Schwierigkeiten zu überwinden, welche die hygroskopische
Feuchtigkeit und die Elasticität der Gespinnste dem exacten Wägen und Messen der
Garnproben entgegensetzen?
c) Welches sind die zulässigen Fehlergrenzen?
Auf diese Fragen hat der Congreß folgende Antworten ertheilt:
ad a) Die Nummer der gezwirnten,
gefärbten oder gebleichten Garne wird bestimmt (vorbehaltlich gegentheiliger
Abmachung) durch die Zahl der Meter in einem Gramm.
ad b) Die gesetzliche Basis für die
Feststellung der Nummer ist die Conditionirung. Sie darf stets gefordert werden, ist
aber facultativ.
Die Conditionirung geschieht bis zur absoluten Trocknung ohne
Denaturation des Fadens und mit Zuschlag eines passenden Gewichtes hygroskopischer
Feuchtigkeit zum Trockengewicht.
Das Messen der Garnproben muß nach einer exacten Methode ausgeführt
werden.
ad c) In Betreff der letzten Frage,
über die zulässige Fehlergrenze, hält der Congreß sich nicht für competent, feste
Zahlen zu proclamiren, und überläßt die genaue Beantwortung der Initiative der
einzelnen Industriebranchen.
Betrachten wir zunächst den ersten Beschluß, so ist darauf aufmerksam zu machen, daß
derselbe nicht genau dasjenige wiedergibt, was der Congreß festgestellt hat, sondern
derselbe ist durch nachträgliche redactionelle Aenderung aus zwei getrennten
Beschlüssen hervorgegangen, von welchen der erste lautete: „Die Nummer der
gezwirnten Fäden wird genau wie diejenige der einfachen Garne durch die Zahl der
Meter in einem Gramm bestimmt.“
Nur für gebleichte und gefärbte Garne wurden dieser Definition die Worte:
„sauf stipulation
contraire“ zugefügt.
Durch das Zusammenziehen beider Beschlüsse wurde diese Ausnahmsbestimmung auch auf
gezwirnte Garne ausgedehnt, und dies ist sehr zu beklagen; denn auf dem Continent
und namentlich in deutschen Spinnereien wird das Gesetz für Zwirne streng befolgt;
und es sind vornehmlich die Engländer, bei welchen große Willkür in der Numerirung
gezwirnter Garne herrscht. Während deutsche Spinnereien als „36r
2fach“ ein Garn liefern, welches die richtige Nummer 18 ergibt, also
aus einfachen Garnen gesponnen werden muß, welche feiner sind als Nr. 36, liefern
die englischen Spinnereien als „36r 2fach“ meistens einen
Zwirn, welcher mehrere Procent unter Nr. 18 normirt. Hier wäre eine strenge Controle
ganz am Platze.
Volle Berechtigung hat dagegen die Ausnahmsbestimmung für gebleichte und gefärbte
Garne. Obschon zugegeben werden muß, daß alle Garnsorten, welche in großen
Quantitäten fabrikmäßig gebleicht, gefärbt und dann verpackt in den Handel kommen,
also namentlich Webegarne, gefärbte Baumwollketten und farbige Streichgarne, genau
ebenso numerirt werden
können wie die rohen Garne, so ist dies doch bei den Garnen für die Wirkerei, für
Musterweberei und für den Detailverkauf, wo manchmal 100 Pfd. Garn in zehn
verschiedenen Nüancen gefärbt werden, eine absolute Unmöglichkeit. Denn durch das
Bleichen, Schwefeln und Färben wird die Natur der Faser, ihre hygroskopische
Capacität und ihr specifisches Gewicht verändert, und zwar bedingt jede Farbe eine
andere Veränderung dieser Eigenschaften, so daß an Stelle der einen Nummer vor dem
Bleichen und Färben, zehn verschiedene Nummern nach dieser Operation hervorgehen.
Aus diesen Gründen befürwortete ich die Einschaltung der Worte:
„(vorbehaltlich gegentheiliger Abmachung)“, wodurch diese
Schwierigkeiten eine genügende Berücksichtigung finden und der Handel nicht
erschwert wird.
Das Hauptwerk des Turiner Congresses liegt in den
Beschlüssen über die genaue Feststellung der Nummer bei
den verschiedenen Gespinnsten. Alle Gespinnste sind hygroskopischer Natur und mehr
oder minder elastisch. Schickt ein Spinner bei feuchtem Wetter 100k Garn per Eisenbahn weg, und trifft es
sich, daß das Garn in brennender Sonnenhitze beim Käufer ankommt, so fehlen oft 1
bis 2 Proc., und es entstehen Streitigkeiten. Gibt ein Fabrikant dem Handweber 5k Garn mit nach Haus, welche im Keller
gelagert hatten, und der Weber bringt nach acht Tagen die Waare nebst Abfall aus der
heißen Arbeitsstube trocken zurück, so fehlen einige Gramm, der Dieb wird gewittert
und mit Abzügen und Gefängniß bedroht, wo in Wahrheit nicht der Schatten einer
Schuld vorliegt. Denn wenn der Fabrikant Stück und Abfall einige Tage lang in
denselben Keller legt, wo das Garn gelagert hat, so wird das fehlende Gewicht sofort
durch die hygroskopische Feuchtigkeit wieder ergänzt.
Aendert man den Lagerort für Garne oder ändert sich das Wetter, so ändern sich
Gewicht und Nummer. Läßt man ferner den Garnfaden beim Probehaspeln einmal wenig
gespannt durch die Finger gehen, ein andermal stark gespannt, so erhält man wiederum
zwei ganz verschiedene Nummern.
Alle diese wohlbekannten Mittelchen und Kniffe werden in schlechten Geschäftszeiten
hervorgesucht, um die größten Streitigkeiten daraus abzuleiten, und es ist kein
Richter da, welcher ein gerechtes Urtheil zu sprechen vermöchte. Man sagt sich mit
Recht: Was nützen alle Beschlüsse über Numerirung, wenn man nicht im Stande ist,
einen Strähn absolut genau zu messen und absolut genau zu wiegen.
Soweit diese außerordentlich schwierige Frage nach dem heutigen Stande der Technik
und Wissenschaft lösbar erscheint, hat der Turiner Congreß dieselbe, meiner Ansicht
nach, in mustergiltiger Weise gelöst; zunächst durch die Proclamation der einzig und
allein zuverlässigen Methode für die Feinheitsbestimmung, lautend:
„Die gesetzliche Basis für die Feststellung der
Nummer ist die Conditionirung.“
Dieser Satz, welcher den Italienern und Franzosen so selbstverständlich erschien, daß
sie nicht begreifen konnten, wie ein internationaler Verein von Fachcapacitäten es
wagen dürfe, denselben gleichsam wie eine neuentdeckte Wahrheit hinzustellen, wurde
von den Vertretern der belgischen, italienischen und österreichischen
RegierungenDas deutsche Reich war leider nicht vertreten. mit lebhafter Zustimmung begrüßt, und die einstimmige Annahme ist ein
beredtes Zeugniß von der großen Bedeutung desselben. Der Zusatz, daß diese
Conditionirung stets verlangt werden kann, jedoch facultativ bleibt, wird diejenigen
beruhigen, welche wieder ein Gesetz, eine neue Fessel, eine obligatorische Maßregel
fürchten. Dies ist nicht der Fall. Dem redlichen Manne sollen nur die legalen Mittel
geboten werden, sich vor dem Unredlichen zu schützen. Darin liegt die Bedeutung
dieses Satzes.
Die reichste Fülle von Erfahrungsresultaten bot die Debatte über den ersten
Ergänzungssatz, lautend:
„Die Conditionirung geschieht bis zur absoluten Trocknung ohne
Denaturation des Fadens und mit Zuschlag eines passenden Gewichtes
hygroskopischer Feuchtigkeit (reprise) zum
Trockengewicht.“
Für die praktische Ausführung dieses Beschlusses wurden vom Congreß folgende
Temperaturen und Reprisen als Zuschlag zum Trockengewicht empfohlen:
Für
Seide
120° C.
und
11
Proc.
Zuschlag
an
Feuchtigkeit.
„
gekämmte Wolle (Zug)
105–110° C
„
18 1/4
„
„
„
„
„
Kammgarn
„
„
17
„
„
„
„
„
Baumwollgarn
„
„
8 1/2
„
„
„
„
„
Flachsgarn
„
„
12
„
„
„
„
„
Hanfgarn
„
„
12
„
„
„
„
„
Jutegarn
„
„
13 3/4
„
„
„
„
„
Werggarn
„
„
12 1/2
„
„
„
„
Kein Ort in Europa hätte günstiger gewählt werden können, um die praktische Bedeutung
dieser Beschlüsse durch Erfahrungen zu belegen, als Turin. Die Lombardei ist das
Land des Seidenhandels par excellence. In den
Schwesterstädten Turin und Mailand werden alljährlich an 3 1/2 Millionen Kilogramm
Seide conditionirt in den Handel gebracht. Die Vertreter dieser Städte, sowie die
der Handelskammern von Bergamo, Brescia, Como, Lecco eröffneten die Debatten über
die Vorzüge und Mängel
der Conditionirung mit jener vollwiegenden Sachkenntniß, welche nur langjährige
Erfahrung und Ueberzeugung verleihen können. Es entfaltete sich der lebendigste
Parteikampf, nicht um den Werth der Institution selbst, sondern über die Art der
Verwaltung und über die Manipulation bei der Conditionirung. Es wurde durch
Thatsachen festgestellt, daß die Seide häufig bei der Conditionirung ihrer Natur
nach verändert werde. Dies zeige sich ganz klar daran, daß die gummiartige Haut der
Rohseide stellenweise aufgelöst sei. Der Grund liege in der Anwendung einer zu hohen
Temperatur. Die Conditionirungsanstalten der Lombardei conditioniren bei 125 bis
135°. Selbst bei 125° werde die Seide denaturirt. Die Reprise von 11
Proc. sei bei solchem Verfahren zu gering. Wenn also die Conditionirungsanstalten
eine niedrigere Temperatur für zu zeitraubend ansähen, so müßte die Reprise auf 12
1/2 Proc. für Seide erhöht werden.
In den Commissionssitzungen, wo diese stürmischen Debatten weiter geführt wurden,
einigte man sich zunächst dahin, daß die Temperatur bei der Conditionirung niemals so hoch genommen werden dürfe, daß das Garn dabei
in seiner Natur eine Aenderung erleide, und so blieb nur die Frage, welcher
Temperaturgrad dies für Seide sei? Das Resultat der Compromisse war 120°
unter Beibehaltung der Reprise von 11 Proc.
Nächst der Seide ist Wolle der hygroskopischste Körper, und es bedürfen die hierfür
empfohlenen Werthe einer Erläuterung. Es muß in hohem Grade überraschen, daß der
Kammgarnspinner beim Einkauf des Rohproductes (Zug) 18 1/4 Proc. Wasser bezahlt,
beim Verkauf des Garnes aber nur 17 Proc. in Rechnung stellen darf.
Woher diese Anomalie? Ist der hygroskopische Feuchtigkeitsgehalt zwischen gesponnener
Wolle und gekämmter Wolle wirklich so verschieden?
Nach meinen eigenen Erfahrungen muß ich dies verneinen. Wenn auch die lockern
Wollfasern im Zugbande etwas mehr Feuchtigkeit aufnehmen als im Garn, so zeigt sich
in der Verarbeitung doch deutlich, daß dieses „Mehr“
größtentheils mechanisch anhängende, durch unvollkommenes Trocknen der
Lisseusenbänder absichtlich erzeugte, nicht aber hygroskopische Feuchtigkeit ist.
Dieselbe verschwindet nach der ersten Passagen-Streckung vollständig. Die
Zahl von 17 Proc. kommt dem Feuchtigkeitsgehalte bei mittlerer Lufttemperatur und
mittlerer atmosphärischer Feuchtigkeit für beide Fabrikate am nächsten. Da nun die
Garnconsumenten gewiß niemals mehr als 17 Proc. Reprise dulden werden, so wäre es
wünschenswerth, daß die großen deutschen Consumenten von französischem Zug sich
dahin einigten, die officiöse Zahl von 18 1/4 Proc. zu verwerfen und die officielle
von 17 Proc. vorzuschreiben.
Wird ein solcher gemeinsamer Schritt der deutschen Spinner zu erwarten sein? Ich
zweifle daran. Bei den schlimmen Erfahrungen, welche die Kammgarnspinnerei seit 20
Jahren mit Petitionen gemacht hat, sie mochten noch so unwiderlegbar begründet sein,
ist der Sinn für gemeinsames und gemeinnütziges Wirken wie abgestorben. Bei dem
niederdrückenden Gefühle, daß ein Theil der Beamtenwelt und die großen Grundbesitzer
jedes Lebenszeichen der Industrie und namentlich der Spinnfabriken wie eine Gefahr
ansehen, erscheint Resignation geboten, und muß die scheinbare Gleichgiltigkeit der
Spinner betreffs der brennendsten wirthschaftlichen Tagesfragen mildernd beurtheilt
werden. Soweit sich die Situation der deutschen Spinnerei beurtheilen läßt, muß man
sagen, daß der Kampf ums Dasein nirgends mehr Vorsicht und Fleiß erheischt. Die Existenzberechtigung ist in Frage gestellt, und jeder
tüchtige Mann kennt nur das eine Gebet, daß das Schicksal mit seinen in
systematischer Nothwendigkeit wiederkehrenden Industrie-Katastrophen nicht
auch ihn hinwegschwemme – und nicht Schimpf und Schande der Lohn seines
mühevollen und thatenreichen Lebens werde.
Ganz das entgegengesetzte Bild bot das Zusammenwirken der Spinner Belgiens, welche in
großer Zahl in Turin erschienen waren, um die Conditionirungsfrage für Streichgarn
ihren Interessen gemäß zu gestalten.
In keiner Gattung von Gespinnsten herrscht bekanntlich ein größere Verwilderung und
Unreellität als bei Streichgarn. Das Gewicht der Stoffe, welche nicht Wolle sind,
bildet einen Haupttheil des Fadens. Die Conditionirung würde hier wunderbare
Resultate zu Tage fördern.
Die unreelle Kunst, die Wolle nur partiell rein zu waschen, mit Kunstwolle zu mengen,
durch außerordentlich großen Zusatz von ölenden Substanzen spinnfähiger zu machen
und so ein Garn zu erzeugen, welches billiger verkauft werden kann als die Wolle,
aus welcher es nach alter guter Art gesponnen wurde, diese Kunst findet in der
Conditionirung einen unerbittlichen Feind. Da es nun aber anderseits nicht Sache des
Congresses sein konnte, Beschlüsse zu fassen, welche eine großartig entwickelte
Industrie gefährden, so drangen die Wünsche der Belgier insoweit durch, als die
Reprise für Streichgarn unentschieden blieb. Das allgemeine Gesetz der
Conditionirung gilt aber nichts destoweniger auch für Streichgarn, und es ist Jedem
unbenommen, sich durch eine Conditionirung zu vergewissern, welcher factische
Wollgehalt in der Handelswaare sich vorfindet.
Die Abtheilungsberathungen für Baumwoll-, Jute-, Hanf-,
Flachsund Werggarn ergaben die mitgetheilten Zahlen. Hier hat die Conditionirung
keine so intensive Bedeutung wie bei Wolle und Seide.
Der zweite Ergänzungssatz der Titrage:
„Das Messen der Garnproben muß nach einer exacten Methode ausgeführt
werden“
erhielt noch eine erläuternde Recommandation:
„Der Congreß ladet die Directoren der Conditionirungsanstalten ein, die
Methoden und mechanischen Vorrichtungen zu ermitteln, durch welche die
Garnnummer am genauesten bestimmt werden kann.“
Ueber diese Punkte kann ich mich um so kürzer fassen, als aus meiner letzten
Abhandlung (vergl. 1875 218 291) erinnerlich sein wird,
welchen sehr großen Fehler man begeht, wenn man Garne nach der alten hundertjährigen
Methode mit dem Haspel abweist, ohne Rücksicht auf die Spannung des Fadens und ohne
Rücksicht darauf, daß die Fadenwindungen immer mehr an Umfang zunehmen, je dicker
man sie auf einander haspelt. Die Fehler, welche man hier bei nur einiger Routine,
nach Belieben zu Gunsten des Käufers oder Verkäufers hervorzaubern kann, betragen 2
bis 6 Proc. In den Conditionirungsanstalten darf dies nicht vorkommen, und ich habe
deshalb die Wege angedeutet, welche hier zu fehlerfreien Resultaten führen.
Durch die Beschlüsse des Congresses ist auch dieser schwierige Punkt erledigt.
Der letzte Punkt der Tagesordnung betraf die gesetzliche Durchführung der
Congreßbestimmungen, und die hierüber kundgegebenen Anschauungen lassen sich nicht
besser wiedergeben, als durch den zum Beschluß erhobenen Antrag des Vertreters der
belgischen Regierung:
„Der Congreß betrachtet es nicht als seine Aufgabe, alle detaillirten
Vorschriften festzustellen, welche zu Gunsten der einheitlichen Garnnumerirung
angestrebt werden müssen; aber er fühlt sich verpflichtet, feierlichst den
Wunsch auszusprechen, daß alle Regierungen im Interesse des internationalen
Handels die Maßregeln ergreifen, welche nöthig sind, um die durch den Congreß
festgestellten allgemeinen Principien in die Praxis einzuführen.“
Hiermit hat der Congreß für einheitliche Garnnumerirung seine Mission für beendet
erklärt, und bei der hohen Wichtigkeit, welche die Frage für die Zukunft besitzt,
wird nachstehende übersichtliche Zusammenstellung sämmtlicher Beschlüsse und
Vorschläge von Interesse sein.
Uebersicht der Congreßbeschlüsse zu
Wien, Brüssel und Turin.
A. Allgemeine Beschlüsse des
Congresses.
1) Die internationale Garnnumerirung gründet sich auf dem
metrischen System.
2) Die Nummer eines Garnes (Seide ausgenommen) wird
bezeichnet durch die Anzahl von Metern Faden, welche in einem Gramm
enthalten sind.
3) Die Länge eines Strähnes beträgt 1000m mit decimalen
Unterabtheilungen.
4) Jede Art von Haspelung ist zulässig, insofern sie
1000m Garn auf den Strähn
ergibt.
5) Die Nummer der gezwirnten, gefärbten und gebleichten
Garne wird bestimmt (vorbehaltlich gegentheiliger Abmachung) durch die
Anzahl Meter, welche in einem Gramm enthalten sind.
6) Die Nummer der rohen und moulinirten Seide wird
bezeichnet durch die Anzahl von Grammen, welche ein Faden von 10000m Länge wiegt.
6a) Die Proben werden auf Grund
der Längeneinheit von 500m und der
Gewichtseinheit von 50mg
vorgenommen.
7) Die gesetzliche Basis für die Feststellung der Nummer
ist die Conditionirung. Dieselbe darf stets gefordert werden, ist aber
facultativ.
7a) Die Conditionirung
geschieht bis zur absoluten Trocknung ohne Denaturation des Fadens und mit
Zuschlag eines passenden Gewichtes hygroskopischer Feuchtigkeit zum
Trockengewicht.
7b) Das Messen der Garnproben
muß nach einer exacten Methode ausgeführt werden.
B. Vorschläge des
Congresses.
1) Der Congreß empfiehlt die Anwendung des englischen Haspelumfanges von 1m,37 und bezeichnet in Folgendem die
Haspel, welche gegenwärtig in Gebrauch sind, und wie dieselben sich dem
metrischen Systeme einfügen:
Für
Streichgarn
1m,50
mit
67
Umläufen
„„„„
KammgarnVigogneFlorettseideBaumwolle I
1m,37
„
73
„
„
„
II
1m,4285
„
70
„
„
Flachs und Hanf
2m,00
„
50
„
„„
„
„ „ IIFlorettseide
II
1m,25
„
80
„
2) Der Congreß empfiehlt für die Conditionirung der verschiedenen Gespinnste die
beifolgenden Procentsätze hygroskopischer Feuchtigkeit als Zuschlag zum absoluten
Trockengewicht, sowie die Anwendung der nachstehenden Temperaturgrade bei
Ermittlung dieses Trockengewichtes:
Für
Seide
11
Proc.
Feuchtigkeitszuschlag
und
120°
C.
„
gekämmte Wolle (Zug)
18 1/4
„
„
„
105–110
„
„
Kammgarn
17
„
„
„
„
„
„
Baumwollgarn
8 1/2
„
„
„
„
„
„
Flachsgarn
12
„
„
„
„
„
„
Werggarn
12 1/2
„
„
„
„
„
„
Hanfgarn
12
„
„
„
„
„
„
Jutegarn
13 3/4
„
„
„
„
„
3) Der Congreß ladet die Directoren der Conditionirungsanstalten ein, die
Methoden und mechanischen Vorrichtungen zu ermitteln, durch welche die
Garnnummer am genauesten festgestellt werden kann.
4) Was die zulässige Fehlergrenze anlangt, so erklärt der Congreß, eine bestimmte
Zahl nicht festsetzen zu können, und überläßt die endgiltige Beantwortung dieser
Frage der Initiative der einzelnen Industriebranchen.
C. Schlußbestimmungen.
1) Der Congreß betrachtet es nicht als seine Aufgabe, alle detaillirten
Vorschriften festzustellen, welche zu Gunsten der einheitlichen Garnnumerirung
angestrebt werden müssen; aber er fühlt sich verpflichtet, dringend den Wunsch
auszusprechen, daß alle Regierungen im Interesse des internationalen Handels die
Maßregeln ergreifen, welche nöhig sind, um die durch den Congreß festgestellten
allgemeinen Principien in die Praxis einzuführen.
2) In Erwägung, daß der Congreß in den Sessionen zu Wien, Brüssel und Turin die
Principien festgestellt hat, nach welchen die einheitliche Garnnumerirung zu
regeln ist;
in Erwägung, daß hierdurch das Ziel erreicht ist, welches derselbe sich gestellt
hatte, sowie
in Erwägung, daß die Einführung dieser allgemeinen Beschlüsse in die Praxis der
Zeit, der Privatinitiative und den gesetzlichen Verordnungen überlassen werden
muß:
erklärt der Congreß seine Mission als beendet.
Er beauftragt den ständigen Ausschuß zu Wien, die Archive des Congresses nach
vollständiger Beendigung der Verhandlungen in der Bibliothek der Handelskammer
zu Wien niederzulegen.