Titel: | Papierfabrikation aus Holz auf chemischem Wege; von C. M. Rosenhain, Civil-Ingenieur in Berlin. |
Fundstelle: | Band 220, Jahrgang 1876, Nr. , S. 81 |
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Papierfabrikation aus Holz
auf chemischem Wege; von C. M. Rosenhain,
Civil-Ingenieur in Berlin.
Rosenhain, über Papierstofffabrikation aus Holz
auf chemischem Wege.
Aus Holz können bekanntlich zwei für die Papierfabrikation sehr
wichtige Producte hergestellt werden, und zwar der durch
Zerschleifen desselben bereitete sogen. mechanische Holzstoff,
welcher aber seiner Brüchigkeit und verschiedener andern
Eigenschaften wegen als Ersatz für Lumpen, besonders für
mittlere und feine Papiersorten, nicht betrachtet werden kann,
und der durch die Einwirkung von chemischen Agentien auf das
Holz erzeugte Zellstoff, die sogen. Holzcellulose. Die
Bloslegung der Holzzelle ist mit größern Schwierigkeiten
verknüpft, als die der Strohzelle, weil das Holz dichter und
dessen incrustirende Substanzen schwerer löslich als beim Stroh
sind. Da jedoch Holz einen größern Reichthum an Faserstoff
besitzt und im Allgemeinen billiger und transportfähiger als
Stroh ist, und da ferner die Holzzelle einen Papierstoff von
überraschender Festigkeit ergibt, aus welchem die schönsten
Papiere erzeugt werden können, so legt man bereits seit lange
der Herstellung von brauchbarer Cellulose eine außerordentliche
industrielle Tragweite bei.
Als Fundament der Cellulosefabrikation kann der seit langen
Jahren bereits bei der Papierfabrikation zur Bereitung von
Papierstoff aus faserreichen Pflanzentheilen angewendete sogen.
Vermoderungsproceß angesehen werden (vgl. 1828 30 299), welcher aber wegen der
vom
Holz sehr schwer zu trennenden Beimischungen in seiner
Ursprünglichkeit nicht zu verwenden war.
Auf Grund des von Ch. Watt und H. Burgeß (1869 194 256)
angegebenen Verfahrens legte die große Papierfabrik und
Holzstofffabrik-Actiengesellschaft von Jesop und Moore zu Manayunk bei
Philadelphia im J. 1865 eine Holzcellulosefabrik an, in welcher
zum ersten Male das Stadium des Versuches verlassen und der
Stoff fabrikmäßig in größerm Maßstabe hergestellt wurde.
Wenn auch der mangelhaften Maschinen und Apparate wegen weder die
Güte des Stoffes noch die Höhe der Herstellungskosten gerechten
Anforderungen ensprachen, so war mit Erbauung ebengenannter
Fabrik doch der Bann gebrochen, und schon im J. 1868 errichtete,
mit Zugrundelegung der amerikanischen Betriebserfahrungen und
unter Verbesserung verschiedener Apparate und Maschinen, die
Gloucestershire-Paper-Company in Cone-Mills bei Lydney (England)
eine große Cellulose- und Papierfabrik, und producirte ihre
Papiere ohne jeden Zusatz von Lumpen ausschließlich aus der
selbsterzeugten Cellulose, wodurch erwiesen war, daß sich
Cellulose fabrikationsmäßig herstellen läßt, daß die erzeugte
Cellulose ohne jeden Zusatz von Lumpen zu mittelfeinem Papier
verarbeitet werden kann, und schließlich, daß die Herstellung
von Papier aus Cellulose gegen Anwendung von Lumpen Vortheile
gewährt.
Nachdem die überraschenden Resultate der Fabrik in Cone-Mills in
hohem Maße die Aufmerksamkeit der industriellen Kreise erregt
hatten, legte im J. 1871 eine Compagnie englischer und
schwedischer Kapitalisten in Schweden fünf größere
Cellulosefabriken an. Außer verschiedenen amerikanischen und
englischen Fabriken arbeiten jetzt nach dem genannten Verfahren
fünf Cellulosefabriken in Schweden und sechs in Deutschland,
sämmtlich für den Verkauf des Rohproductes eingerichtet, erstere
seit dem J. 1871, letztere seit dem J. 1872 in vollem Betriebe
befindlich, während andere Methoden theils das Stadium des
Versuches noch nicht überschritten, theils verschwindend wenig
Anwendung gefunden haben.
Zur Cellulosefabrikation werden am vortheilhaftesten Nadelhölzer,
d. h. Fichten, Tannen und Kiefern verwendet, und zwar können
dieselben in Gestalt von ganzen Stämmen, Kloben oder Abfällen
benützt werden. Laubhölzer geben einen kurzfaserigen, wenig
haltbaren Stoff; Eichenholz ist absolut unanwendbar. Aus groben
Sägespänen von Nadelhölzern kann auch Cellulose hergestellt
werden, dieselbe findet indessen nur zur Fabrikation
gewöhnlicher Papiersorten Anwendung. Der Gang der Fabrikation
ist folgender.
Das von Borke befreite Holz (ein Ausbohren der Aeste findet nicht
statt) wird auf einer Schneidmaschine in Stückchen von ca. 20mm
Länge, 10mm Breite und 5 bis 8mm Dicke zerkleinert. Die Maschine
besteht aus einer direct von einer liegenden Dampfmaschine
betriebenen horizontalen Welle, an deren einem Ende eine mit
einem Schneidmesser versehene Schwungscheibe sitzt. Gegen diese
Schwungscheibe wird der Holzstamm mit der Hirnfläche angedrückt,
und bei jeder Umdrehung derselben eine Scheibe von der Größe des
Durchmessers des Holzstammes und von etwa 20mm
Stärke abgesplittert. Die abgesplitterten Holzscheiben fallen
zwischen cannelirte Walzen, werden durch dieselben aus einander
gerissen und in Stücke von den oben angegebenen Dimensionen
zerkleinert. (Vgl. Müller's Holzschneidmaschine * 1875 215 399.)
Da die Gleichmäßigkeit der Holzstücke für die Herstellung eines
gut durchkochten Stoffes Hauptbedürfniß ist, so wird das aus der
Schneidmaschine kommende Fabrikat noch ein Mal durch einen
Raffineur (eine Maschine, welche Aehnlichkeit mit einer
Kaffemühle in größerm Maßstabe hat) zerkleinert und auf
möglichst gleiche Dimensionen gebracht.
Das zerschnittene Holz wird in durchlochte Blechgefäße geschafft
und in letztern in einen horizontalen Kessel gefahren; nachdem
der Kochkessel vollständig mit Holz gefüllt ist, wird er
verschraubt, mit kaustischer Soda vollgepumpt, und der
Kochproceß beginnt unter Anwendung von directem Feuer. (Vgl.
Clark's Kessel * 1864 171 196. Keegan's Verfahren 1873
208 316.)
Wenn die Flüssigkeit im Kochkessel nach einem 3 bis 4stündigen
Feuern eine Temperatur erreicht hat, welcher ungefähr 10at
Ueberdruck entsprechen, ist der Kochproceß beendet, und der
Kessel wird von Flüssigkeit und Stoff entleert. Der so gewonnene
Stoff ist ungewaschene und ungebleichte Cellulose; dieselbe wird
darauf in Waschapparaten gewaschen, in Bleichapparaten gebleicht
(vgl. Orioli 1869 191 343), auf einer Stofftrockenmaschine vollständig
getrocknet und schließlich durch eine Schneidmaschine in das zum
Versand geeignete Format geschnitten. Wird der Stoff abgetropft,
d. h. mit 60 bis 70 Proc. Wassergehalt verkauft, dann fallen die
Trocken- und Schneidapparate fort. Im ersten Falle kommt der
Stoff in Form von Pappe, im letztern in Form von Klumpen in
Fässern in den Handel. Die aus dem Kessel nach Beendigung des
Kochprocesses abgelassene Lauge wird in bekannter Weise
eingedampft und wieder auf Natron verarbeitet. (Vgl. Faudel 1876 219 428.)
Zu einer Cellulosefabrik von etwa 20t Productionsfähigkeit per
Woche gehören folgende Maschinen und Apparate: 1
Holzschneidmaschine, 1 Raffineur, 2 Kochapparate nebst Zubehör,
3 Waschapparate, 2 Bleichapparate, 4 Auslaugeapparate, 1
Stofftrockenmaschine mit Zubehör, sämmtliche Reservoire
sowie das Eisenzeug für die Wiedergewinnung der Kochkessellauge,
sämmtliche Reservoire sowie das Eisenzeug für die Kausticirung
der wiedergewonnenen Soda, 1 Mischgefäß und schließlich ca.
88e Betriebskraft, vertheilt auf 3 Motoren. Unter einer
Wochenproduction von 10t Stoff kann, der schlechten
Ausnützung der Wärme wegen, eine Cellulosefabrik mit Vortheil
nicht betrieben werden; eine solche Anlage arbeitet mit einem
Kochapparat, während die beschriebene, wie bereits mitgetheilt,
zwei derselben besitzt.
Die Cellulose wird in Deutschland bereits seit mehreren Jahren in
der Papierfabrikation angewendet, und zwar ihrer Zähigkeit wegen
ausschließlich zur Herstellung besserer Papiersorten; im
ungebleichten Zustande wird sie an Stelle von Conceptlumpen, im
gebleichten Zustande als Ersatz für weißleinene Lumpen benützt.
Wegen der geringen Anzahl der bisher im Betriebe befindlichen
Fabriken konnte eine ausgedehntere Anwendung der Cellulose zur
Fabrikation von Radreifen, FässernNach einer Notiz in diesem Journal,
1870 195 472, hat Rich. Smith in Shelbrooke (Canada) ein
englisches Patent zur Herstellung von Schachteln etc. direct aus
Papiermasse erhoben.Aus weicher Papiermasse werden auch
neuerer Zeit in Amerika Fässer hergestellt. Nach einem Patent
wird die Masse in Tafeln gepreßt, und diese Tafeln werden in
mehrfachen Lagen cylinderförmig gebogen und die beiden Ränder
mit Nägeln und unterlegten Holzleisten verbunden. Deckel und
Boden werden aus Holz hergestellt.Ein anderes Patent
bezieht sich auf die Methode, Fässer direct aus Papierstoff
herzustellen, indem derselbe um einen expansiblen Kerncylinder
bis zur erforderlichen Dicke aufgetragen wird, worauf nach dem
Ausziehen des Cylinders das Faß zum Pressen zwischen Walzen
kommt.Es sind noch andere analoge Verfahren patentirt
worden, doch fehlen bis jetzt die nöthigen Erfahrungen, um diese
ganze Fabrikation vom praktischen Standpunkt aus würdigen zu
können.R, Ersatz für Filzsohlen, Dichtungsringen
etc., wie in Amerika beispielsweise, auf dem Continent noch
nicht Platz greifen.
Der bisherige Minimalmarktpreis für luftrockene Cellulose betrug
im ungebleichten Zustande 22,5 M. und im gebleichten Zustande
31,5 M. pro 50k loco Fabrikationsort.
Bei den eben genannten Preisen ergibt nach der Veröffentlichung
eines unserer tüchtigsten deutschen Papierfabrikanten die
Verarbeitung der Cellulose zu Papier auf 50k
fertiges Papier, gegen Anwendung von Lumpen, einen Minimalnutzen
von beiläufig 6 M.
Im abgetropften Zustande, d. h. mit 60 bis 70 Proc. Wassergehalt,
kann der Frachtverhältnisse wegen die Cellulose nur fabricirt
werden, wenn sich bestimmte Abnehmer in nicht zu großer
Entfernung vom Fabrikationsorte befinden; im lufttrockenen
Zustande dagegen ist sie auf alle Distanzen transportabel und an
kein bestimmtes Absatzgebiet gebunden.
Zur Cellulosefabrikation eignen sich besonders Orte, welche in
der Nähe von Wasser liegen und eine bequeme Anfuhr für Kohlen,
Soda, Kalk und Holz bieten; die Nähe von Papierfabriken ist
durchaus kein Bedürfniß, wenn der Stoff lufttrocken fabricirt
wird. Der Bedarf an Wasser, welches wohl klar aber nicht
chemisch rein zu sein braucht, beträgt für mittlere Anlagen pro
Minute etwa 2cbm. Eine Cellulosefabrik kann sowohl durch Dampf wie
durch Wasserkraft betrieben werden.
Mit Zugrundelegung mehrjähriger Betriebsresultate und unter
Annahme einer Wochenproduction von 20t
Stoff gestaltet sich das Fabrikations- und
Lucrativitätsverhältniß von Cellulosefabriken ungefähr
folgendermaßen.
Zur Herstellung von 100k trockener Cellulose werden
gebraucht etwa 400k Holz, 28k
kaustische Soda und ca. 350k Steinkohle; es kann
selbstverständlich auch Torf, Holz oder Braunkohle als
Feuermaterial benützt werden. Die oben genannte Wochenproduction
verlangt ein Arbeitspersonal von 55 bis 65 Mann, sowie
wöchentlich etwa 5t Kalk.
Rechnet man 100k lufttrockenes Holz mit 2 M., den
Arbeiter pro Schicht von 10 Arbeitsstunden mit 2 M. und die
übrigen Materialien zu den höchsten Tagespreisen, so ergibt die
Fabrikation von 100k trockener Cellulose, unter
Berücksichtigung der üblichen Amortisationsverhältnisse sowie
aller andern Nebenkosten, einen Netto-Ertrag von etwa 12 M., was
ungefähr einem Gewinne von 25 Proc. des Anlagekapitals
entspricht.
Wenn eigene Waldungen vorhanden sind, und die Nähe von
Chemicalien und Kohlen eine Reduction der höchsten
Einkaufspreise gestattet, und wenn die neuesten Verbesserungen
für Ersparnisse an Kohlen und Soda angewendet werden, erhöht
sich dadurch der Netto-Ertrag um ein Bedeutendes.
Bei dem oben angegebenen Minimalmarktpreis von 45 M. pro 100k
trockener Cellulose wird 1cbm Nadelholz, welches sowohl als
Zopfholz wie in Form von Abfällen zur Verwendung gelangen kann,
mit 32 M. bezahlt.
Als Hauptabsatzgebiet für Cellulose, insofern solche
ausschließlich zur Papierfabrikation benützt wird, ist
Deutschland, sowie Oesterreich-Ungarn zu bezeichnen; in England
werden die bessern Papiersorten noch so gut bezahlt, daß die
Fabrikanten dort die hohen Einkaufspreise auf Lumpen anwenden
können; für Rußland liegen noch keine genauern
Erfahrungsresultate vor.
Wenn wir nun schließlich die Vortheile der Cellulosefabrikation
für die Industrie im Allgemeinen und speciell für den
Holzhandel, sowie die bei Einführung dieses neuen
Industriezweiges gemachten Erfahrungen ins Auge
fassen, so lassen sich dieselben kurz dahin zusammenfassen. Die
Cellulose gestattet den Papierfabrikanten, bestimmte
Papiersorten billiger wie aus Lumpen herzustellen, und hat in
Folge dessen für diesen Industriezweig allein schon eine sehr
bedeutende Zukunft; sie wird aber auch nach aller menschlichen
Vorausberechnung in nicht zu langer Zeit einentheils ganz neue
Industriezweige anbahnen, und anderntheils bereits bestehende in
andere Bahnen lenken.
Die Fabrikation von Einlagsohlen aus Cellulose z. B. statt aus
Filz, sowie die Erzeugung von Dichtungsringen aus demselben
Stoff statt aus Gummi werden bereits in Deutschland trotz des
kurzen Bestehens der Cellulosefabrikation erfolgreich betrieben,
und beweist dies am besten die Richtigkeit der obigen
Behauptung.
Der Nutzen für den Holzhandel wird weniger in einer vermehrten
Anfrage nach Holz, als mehr darin bestehen, daß Waldbesitzer und
Schneidmühlen gewisse Holzsorten und Holzabfälle, welche bisher
vollständig werthlos waren und auch keinen Transport aushielten,
an Ort und Stelle durch Umwandlung in Cellulose zu einem
verhältnißmäßig sehr hohen Preise transportfähig verwerthen
können, ein Verdienst, der sich noch bedeutend höher gestaltet,
wenn Stockhölzer oder angefaultes Holz, das selbst zur Cellulose
nicht mehr zu verwenden ist, als Feuermaterial benützt werden,
welches letztere, aus Steinkohle bestehend, bei der obigen
Berechnung pro 100k mit 2 M. angenommen ist und sehr
bedeutende Quantitäten repräsentirt.
Für Papierfabrikanten selbst ist aus verschiedenen principiellen
Gründen die Anlage von Cellulosefabriken nicht zu empfehlen;
theils gehören dazu gewisse locale Vorbedingungen, theils können
Cellulosefabriken im Kleinen nicht vortheilhaft betrieben
werden, theils eignen sich dieselben schlecht zu einem
combinirten Betriebe mit Papierfabriken, und endlich haben die
Papierfabrikanten in den meisten Fällen schon so erhebliche
Kapitalien in ihren Fabriken, daß zur Herstellung neuer großer
Bauten selten weitere Mittel zur Verfügung stehen. Aus diesem
Grunde wird sich voraussichtlich die Cellulosefabrikation,
gerade wie die mechanische Holzschleiferei, als vollständig
selbstständiger Industriezweig entwickeln und zu dessen
Entstehen und Emporblühen hauptsächlich ein Publicum beitragen,
welches aus größern Kapitalisten, speciell aber aus
Waldbesitzern besteht.
Bedenkt man, daß in Deutschland jährlich etwa 250 000t und
in Oesterreich jährlich etwa 100 000t Papier fabricirt werden, und
rechnet dabei, daß nur zum fünften Theile dieses Quantums Papier
Cellulose verwendet wird, so würde das als muthmaßlichen Absatz
für die deutsche und österreichische Papierfabrikation
allein eine jährliche Productionsmasse von etwa 70 000t
Cellulose oder 280 000t Holz ergeben. Hieraus geht wohl
unzweifelhaft hervor, daß die Massenproduction von Cellulose für
Deutschland und Oesterreich eine sehr bedeutende Zukunft hat.
(Im Auszuge aus dem Handelsblatt für
Walderzeugnisse, 1875 Nr. 56 u. 57.)