Titel: | Die Umsetzung des Rohrzuckers in den Rohzuckern und im Zuckerrohr; von A. Müntz. |
Fundstelle: | Band 220, Jahrgang 1876, Nr. , S. 464 |
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Die Umsetzung des Rohrzuckers
in den Rohzuckern und im Zuckerrohr; von A.
Müntz.
Müntz, über Umsetzung des
Rohrzuckers.
Der Rohrzucker und die Runkelrübe enthalten nur unmerkliche
Mengen von reducirendem Zucker; im Verlaufe der Saftgewinnung
bildet sich jedoch regelmäßig auf Kosten des krystallisirbaren
Zuckers eine gewisse Quantität einer Zuckerart, welche fähig
ist, Kupferlösungen zu reduciren. Man bezeichnet dieselbe mit
dem Namen: Glucose oder unkrystallisirbarer Zucker. Man trifft
die Glucose nur selten und in geringer Menge im
Runkelrübenzucker, jedoch häufig und reichlich in den vom
Zuckerrohr herstammenden Zuckern. Es ist in der Wissenschaft
anerkannt, daß diese Glucose identisch ist mit dem Frucht- oder
Invertzucker einer Mischung aus gleichen Theilen von Glucose und
Levulose, welche sich unter dem Einflüsse gewisser Agentien auf
den krystallisirbaren Zucker sehr leicht bildet und eine
linksdrehende Kraft von etwa 26° hat.
Indem ich aus Rohzucker gewonnenen krystallisirbaren Zucker
untersuchte, fand ich, daß er in den meisten Fällen die
Eigenschaften und die Zusammensetzung nicht besitzt, welche man
ihm beimißt. Er hat nicht, wie der Invertzucker, gewöhnlich die
Rotation -26°, und seine Einwirkung auf das polarisirte
Licht ist entweder viel stärker oder geringer, oft sogar Null.
Es ist nicht leicht, aus den Rohrzuckern diese Glucose im
Zustande der Reinheit zu gewinnen; man erhält sie immer nur mit
größern Mengen Rohrzucker gemischt. Bestimmt man jedoch die
Menge des Rohrzuckers mittels titrirter Flüssigkeiten, so ist es
unschwer, ihren Antheil an der beobachteten Ablenkung zu
berechnen, und man bekommt durch Abziehen die Ablenkung, welche
dem reducirenden Zucker zuzuschreiben ist, dessen Menge man von
vornherein bestimmt hat. Indem man so die Menge des letztern
Zuckers, sowie dessen Ablenkung am Polarimeter erfährt, kann man
auch mit Hilfe der Formel Berthelot's
seine Rotationskraft bestimmen. Diese unkrystallisirbaren
Zuckersorten bedecken die Krystalle der Saccharose und trennen
sich davon nur durch längeres Lagern in einem Trichter; der
hierbei erhaltene Syrup enthält nur geringe Mengen Saccharose.
Wenn die syrupöse Partie gering ist, so läßt man sie sich
während mehrerer Monate auf dem Boden des Gefäßes concentriren,
welcher den Zucker enthält, und behandelt die reichern Partien
rasch mit schwachem Alkohol. — Nachstehend folgt die
Zusammensetzung einiger auf solche Art gewonnener Syrupe.
1) Rohzucker von Martinique, 1873. Der gewonnene Syrup enthielt
in Procenten:
Rohrzucker
30,7
Reducirenden Zucker
39,8
Rotation des letzern
—1,4°.
2) Rohzucker von Bourbon, 1873. Der Syrup enthielt:
Rohrzucker
34,2
Reducirenden Zucker
41,4
Rotation des letztern
—0,8°.
3) Rohzucker von Bourbon, 1872. Der Syrup enthielt:
Rohrzucker
32,1
Reducirenden Zucker
42,2
Rotation des letztern
0,6°.
4) Roher Rübenzucker, zweiter Saft, 1872. Der Syrup enthielt:
Rohrzucker
38,0
Reducirenden Zucker
12,7
Rotation des letztern
—28,3°.
5) Roher Rübenzucker, dritter Saft, 1873. Der Syrup enthielt:
Rohrzucker
33,7
Reducirenden Zucker
13,2
Dessen Rotation
—2,2°.
Nun folgen Resultate, die man mit Rohrzuckern erhielt, die seit
35 Jahren in mit Kork verstopselten Flaschen aufbewahrt
waren.
6) Syrup aus einem Rohzucker vom J. 1842:
Rohrzucker
24,7
Reducirender Zucker
40,2
Rotation des letzern
—0,26°.
7) Syrup eines andern Rohzuckers von 1842:
Rohrzucker
28,1
Reducirender Zucker
45,5
Rotation des letzern
—34,2°.
8) Syrup aus Rohzucker desselben Jahres:
Rohrzucker
27,1
Reducirender Zucker
39,5
Rotation des letztern
—37,1°.
9) Syrup aus Rohzucker desselben Jahres:
Rohrzucker
31,7
Reducirender Zucker
30,4
Rotation des letztern
—5,3°.
Diese Beispiele zeigen, daß der reducirende Zucker gewöhnlich
nicht die Rotationskraft des Invertzuckers besitzt, und daß
seine Rotation am häufigsten sehr gering oder fast Null ist. Ist
seine Rotation höher als die des Invertzuckers, so ist
anzunehmen, daß man es mit einem Gemenge von Glucose und
Levulose zu thun hat, in welchem der letztere Zucker
vorherrscht, welcher gegen die Gährung ziemlich resistent ist.
Im Falle aber diese Rotation, wie das so häufig vorkommt, sehr
gering oder fast Null ist, so ergeben sich zwei Hypothesen. Es
ist nämlich der reducirende Zucker entweder gebildet aus einer
Mischung von Glucose und Levulose in solchen Verhältnissen, daß
die rechtsdrehende Kraft des einen die links rehende des andern
merklich annullirt; oder aber er besteht aus einer inactiven
Glucose, die gelegentlich mit kleinen Mengen Invertzucker
gemischt ist. Die beobachteten Thatsachen stimmen mit dieser
zweiten Hypothese überein, und ich würde meine
Meinung über diesen Gegenstand nicht ausgesprochen haben, wenn
es mir nicht gelungen wäre, die inactive Glucose zu isoliren und
als besondere Species zu charakterisiren. Aus den Rohzuckern
kann man sie nicht ausziehen, da sie in denselben immer mit
bedeutender Menge Saccharose oder normaler Glucose und Levulose
gemischt vorkommt. Als ich aber aufbewahrtes Zuckerrohr
untersuchte, fand sich, daß die Saccharose hierin dieselbe
Umwandlung erleide und nach mehr oder weniger Zeit in eine
Glucose von sehr geringer oder auch gar keiner Rotation
übergehe.
Aus einigen Proben ältern Ursprunges gelang es mir, diese
inactive Glucose ohne Beimengung von Saccharose oder
Invertzucker auszuziehen, und ich konnte ihre Unwirksamkeit auf
polarisirtes Licht constatiren. In Berührung mit Bierhefe
vergohr sie langsam, ohne irgend wie Einwirkung auf das
polarisirte Licht zu zeigen; wäre sie durch eine zufällig
inactive Mischung von Glucose und Levulose gebildet gewesen, so
hätte man während der Gährung eine Ablenkung nach links
beobachten müssen, da hierbei die rechtsdrehende Glucose immer
zuerst verschwindet.
Die Glucose, welche nicht krystallisirt, scheint sich derjenigen
zu nähern, welche Mitscherlich
erhielt, als er Rohrzucker mit Wasser auf 160° erhitzte.
Man kann sie aus sehr altem Zuckerrohre mittels siedenden
Alkohols ausziehen. In diesem Falle ist sie jedoch stets
begleitet von ansehnlichen Quantitäten Mannit, der schnell aus
dem erhaltenen Syrup auskrystallisirt. Es ist nicht ohne
Interesse, die Anwesenheit von Mannit in conservirtem Zuckerrohr
zu constatiren. Im frischen Zuckerrohre existirt er nicht; er
entsteht daher zur selben Zeit wie die Glucose auf Kosten des
Rohrzuckers und wahrscheinlich unter dem Einflusse niederer
pflanzlicher Organismen.
Von Standpunkte der Zuckeranalyse mögen diese Resultate von
Interesse sein, zumal wenn die Glucose in merklicher Menge
vorhanden ist. Sie zeigen, daß entgegen der herrschenden Meinung
diese Glucose gewöhnlich ohne Einfluß auf den polarisirten
Lichtstrahl ist. Man begeht daher einen Fehler, wenn man sie in
Rechnung zieht. (Comptes rendus, 1876 t. 82 p.
210.)
V. G.