Titel: | Ueber Festigkeit der Kesselconstruction und des Materials. |
Autor: | Sirk |
Fundstelle: | Band 221, Jahrgang 1876, S. 279 |
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Ueber Festigkeit der Kesselconstruction und des
Materials.
Mit einer Abbildung.
Ueber Festigkeit der Kesselconstruction und des
Materials.
Die Manchester-Steam-Users'-Association, deren Thätigkeit viel
zum Verständniß der Kesselconstructionen und der Oekonomie des Dampfbetriebes
beigetragen hat, veranstaltete im Beginne dieses Jahres unter der Leitung des
technischen Inspectors L. E. Fletcher Versuchsproben mit
einem für diesen Zweck erbauten Lancashire-Kessel, um einige der häufiger
angeführten Explosionsursachen eingehender zu studiren. Die erzielten Resultate und
ergebenden Schlußfolgerungen (Engineering, März 1876 S.
234) verdienen einem weitern Leserkreis bekannt und als Beitrag zu den Ursachen von
Kesselexplosionen verzeichnet zu werden. Der sorgfältigst ausgesuchte Versuchskessel
war für eine Betriebsspannung von 6at
eingerichtet.
Der erste Versuch zeigte die Schwächung, welche der cylindrische Kesselmantel durch
aufgesetzte Dampfdome erfährt; der Riß erfolgte bei 18at Druck zu beiden Seiten des
Eisenblechgehäuses nach einer Längsnath der Mantelfläche. Wir erinnern, daß der
gleiche Vorfall in jüngster Zeit häufig als Explosionsursache angeführt werden
mußte, wie beispielsweise auch bei den Kesseln der Dampfer
„Renown“ und „Marcasite“, sowie auch,
daß den Revisoren der Schiffskessel vom englischen Board of Trade gewisse
Beschränkungen in der Gutheißung von Kesseln mit Dampfdomen auferlegt wurden.
Textabbildung Bd. 221, S. 279
Der Uebelstand der Festigkeitsverminderung findet jedoch in der Erkenntniß der
Ursache auch schon ein Mittel zu dessen Behebung. Denkt man sich im
cylindrischen Mantel eine kreisrunde Oeffnung M N
ausgespart, über welche ein Dampfdom aufgesetzt werden soll. Der innere
Dampfdruck auf die beiden Flächen K M und K N, in entgegengesetztem Sinne wirkend, äußert sich
in jedem Gürtel als Bestreben, das aufgesetzte Gehäuse im Sinne von M N aufzureißen. Es resultirt daraus, nachdem der
Dampfdruck auf ein cylindrisches Gehäuse in allen Querschnitten die gleiche
Inanspruchnahme hervorruft, daß diese beiden Aeußerungen P, P₁ des Dampfdruckes die Befestigungsnath des Dampfdomes nach
der Längenrichtung des Cylindermantels aufzureißen sucht.
Um dieser Anspruchnahme zu begegnen, pflegt man die
Kesselplatte M N nur so weit auszuhauen, als für den
entwickelnden Dampf erforderlich ist, und meint dem Blechkragen des Dampfdomes dadurch eine
Verstärkung zu bieten. Bei der Berechnung der Wandstärke cylindrischer Rohre hat Weisbach (Bd. 2 S. 379) vorausgesetzt, daß der Druck nur
von innen nach außen wirksam sei, wie in der Mehrzahl der ins Auge gefaßten Fälle
auch wirklich der Fall ist. Die abgeleiteten Formeln haben für die Ringquerschnitte
durch den Dampfdom keine Giltigkeit, indem der Dampf auf die Platte M N auch von oben nach unten wirkt. Die belassene
Mantelfläche M N arbeitet daher nur als gebogene
Verankerung und bietet als solche fast gar keine Garantie für die Versteifung der
Kesselpartie. Wir rathen daher, in einem ähnlichen Falle das Mantelblech
M N ganz wegzulassen und je nach der Größe des
Dampfdomes eine oder zwei gerade Ankerschließen
M N einzuhängen, welche den leicht zu bestimmenden Druck
P mit Sicherheit empfangen und das Dampfgehäuse vor
einem Aufreißen sichern. Die Vernietung und Dichtung des Blechkragens M N wird hierbei erleichtert und eine bequemere
Reinigung des Dampfdomes ermöglicht. Wir glauben sonach ein Desideratum aus Wilson's empfehlenswerthem Buch über DampfkesselRobert Wilson: A Treatise
on Steam-Boilers. (London 1874. Lockwood und Comp.) S. 147 mit Berechtigung ausscheiden und S. 227 unter dem Titel:
„Ignorance of the principles of
construction“ einreihen zu können.
Zum gleichen Resultate von Längsrissen führten zwei folgende Versuche mit einem
gußeisernen Mannlochgehäuse und einem gewöhnlichen Mannlochdeckel, welcher letztere
schon bei 14at Druck eine Zerstörung der
Kesselwand zur Folge hatte. Es empfiehlt sich demnach bei den wachsenden
Intensitäten der verwendeten Betriebsspannungen einen sichereren Verschluß der
Reinigungsöffnungen anzubringen, und wir haben hierbei besonders die bei
Schiffskessel gebräuchlichen Verschlüsse im Auge, welche einer Spannung von 1 bis
2at vollkommen entsprechen, bei der
Vermehrung des Druckes auf 3 bis 4at
Spannungen jedoch eine Modification erheischen, welche größere Garantien für die
Sicherheit des Betriebes bietet.
Weiter ausgeführte Versuche erzielten Risse an einfachen Nietnathen bei 17at, an doppelten Nietreihen bei 20at Belastung, und es zeigte sich im
Allgemeinen die Maschinennietung widerstandsfähiger als Handnietung. Uebrigens muß
noch der Bemerkung Raum gegeben werden, daß die durch Versuche festgestellten
Bruchcoefficienten hinter den durch Zerreißversuche ähnlichen Materials erhaltenen
im Allgemeinen zurückstehen, welche Thatsache Anlaß zu den folgenden Betrachtungen
geboten hat.
Bei Bestimmung der absoluten Festigkeit werden gewöhnlich Lamellen des betreffenden
Metalles auf der Zerreißmaschine eingespannt, und es wird durch zugelegte Gewichte
oder mit hydraulischem Drucke jene Maximalbelastung bestimmt, bei welcher ein Bruch
oder ein Zerreißen der Theilchen erfolgt. Wenn nun auf diese Weise auch im
Allgemeinen ein absoluter Werth für die Intensität des Zusammenhanges der Fasern
eines Materials geschaffen wird, so soll doch auf eine hohe absolute Festigkeit kein
übergroßer einseitiger Werth gelegt werden, sondern nur im Einklange mit andern
wünschenswerthen Eigenschaften von einem guten Kesselmateriale gefordert werden. Die
Dehnung der Lamelle bei der Bruchbelastung, sowie die Größe des Zerreißquerschnittes
geben einen directen Maßstab für die Zähigkeit und Dehnbarkeit eines Materials und
verdienen insofern einer ausgedehntern Beachtung, indem durch diese Eigenschaften
nicht nur die Leichtigkeit der Bearbeitung und Schonung der Bleche beim Biegen, Borden, Lochen,
Nieten, Stemmen etc., sondern auch die Art und Weise bedingt ist, wie das Material
sich nachfolgend gegen die Ausdehnungen, Formveränderungen, Erschütterungen etc. des
Betriebes verhält, sowie die Aufrechterhaltung des molecularen Zusammenhanges und
die Aenderung des Gefüges hiervon abhängt.
Bei Untersuchung von Kesselmaterial muß außer der Dehnbarkeit und der Größe des
Zerreißquerschnittes auch der Natur der Bruchfläche größere Wichtigkeit als
Kriterium einer verläßlichen Qualität beigemessen werden. Ein blättrigsehniger Bruch
mit reinem Metallglanze, welcher in der Abwesenheit glänzender, grobkörniger Partien
oder gar erdiger Adern eine gesunde Schweißung guter Eisensorten erkennen läßt, wenn
das blätterige Gefüge selbst an manchen Stellen tiefer einreißt, läßt ein gutes
Kesselmaterial erwarten, wenn nur die eingerissenen Bruchstellen rein metallisch und
hackig sind. Zähigkeit und Geschmeidigkeit, zwei unerläßliche Eigenschaften guten
Kesselmaterials, sind mit der absoluten Festigkeit nicht identisch und von dieser
unabhängig, weshalb die Größe des Zerreißquerschnittes und die Längenausdehnung im
Momente der Trennung bei Festigkeitsproben beachtet werden sollen.
Die Neuberger-Marienzeller Gewerkschaft erzeugt beispielsweise Stahlbleche in
verschiedenen Härtegraden, über welche eingehende Versuche und Festigkeitsproben
vorgenommen wurden, deren Resultaten wir mit Interesse entgegensehen. Nach den mir
gegenwärtig verfügbaren Daten weist Nr. V eine Zerreißfestigkeit von 56,49 bis 72k,03, Nr. VI 48,42 bis 56k,49, Nr. VII 40,35 bis 48k,42 pro 1qmm auf, während die Dehnbarkeit in
Procenten der ursprünglichen Länge 10 bis 20, 20 bis 25, 25 bis 30 beträgt. Der
Zerreißquerschnitt eines Versuches mit Nr. VI, welches als Kesselmaterial
vortheilhaft Verwendung findet, zeigte 68 Proc. des ursprünglichen Querschnittes.
Außerdem wollen wir hervorheben, daß das eingebaute Kesselblech keinen so
einseitigen Zug erfährt, als dies in der Zerreißmaschine bei Bestimmung des
absoluten Festigkeitscoefficienten der Fall war. Im Kesselmantel eingebaut wird das
Material einer Beanspruchung sowohl nach der Richtung der Längsfasern als auch nach
den Kreisfasern ausgesetzt. Die Inanspruchnahme ist daher eine verschiedene. Auf der
Zerreißmaschine konnte sich das Eisen vor dem Bruche dehnen, und die Fasern konnten
sich im Bruchquerschnitte in der widerstandsfähigsten Lage anordnen, welche erst
durch eine Mehrbelastung überwunden wird. Ein Theil der aufgebotenen Kraft wird für
innere Verschiebungsarbeit der Molecüle aufgezehrt, weshalb die Längenausdehnung,
welche die vernichtete Arbeitsleistung anzeigt, stets Berücksichtigung
erfordert.
Am Kessel eingebaut ist kein Verschieben der Eisenfasern zur größten
Widerstandsfähigkeit gestattet, das Material ist allerorts – nach allen
Richtungen, wenngleich auch nicht mit der gleichen Intensität in Anspruch genommen,
nachdem die Spannungen nach den Kanten oder den Ringfasern eines Cylindermantels
verschieden und von dem Durchmesser abhängig sind.
Wollte man erwarten, daß die Widerstandsfähigkeit des eingebauten Materials sich
jener auf der Zerreißmaschine bestimmten anschließe, so müssen die Festigkeitsproben
unter gleichen Vorbedingungen mit der wirklichen Beanspruchung vorgenommen werden.
Die auf solche Weise erlangten Coefficienten lassen alsdann eine größere
Uebereinstimmung vorgenommener Versuche mit theoretischen Betrachtungen erwarten.
Die ein eingelegtes Kesselblech beanspruchenden Kräfte lassen sich für die meisten
Fälle durch zwei im Winkel wirkende Belastungen ersetzen, und eine mit geringen
Auslagen anzubringende Ausdehnung einer Zerreißmaschine wird ermöglichen, diese
combinirte Inanspruchnahme in praktischen Versuchen am Materiale zu bethätigen. Die Probelamellen würden
sodann eine Kreuzform annehmen müssen. In der Querlamelle wäre die Spannung der
Längsfaser oder Ringfaser zu erzielen, während für die andere Lamelle die
Zerreißfestigkeit durch directe Belastungen oder hydraulischen Druck bestimmt wird.
Von diesem Gesichtspunkte aus eingeleitete Versuche lassen für Theorie und für
Praxis maßgebende Resultate erwarten.
Sirk.