Titel: | Ueber die chemische Constitution des Chlorkalkes: von C. Stahlschmidt. |
Autor: | C. Stahlschmidt |
Fundstelle: | Band 221, Jahrgang 1876, S. 335 |
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Ueber die chemische Constitution des Chlorkalkes:
von C. Stahlschmidt.
(Schluß von S. 250 dieses Bandes.)
Stahlschmidt, über die chemische Constitution des
Chlorkalkes.
In Betreff der Constitution des Chlorkalkes sind die Arbeiten von Göpner (1873 209 204) insofern
von Interesse, als nach denselben, entgegengesetzt der bis dahin allgemein
angenommenen ältern Ansicht von Gay-Lussac, der
Chlorkalk eine directe Verbindung von CaO und Cl₂ = CaOCl₂ sein soll.
In demselben soll kein Chlorcalcium als zur Verbindung gehörig oder bei der
Erzeugung der bleichenden Verbindung entstanden, enthalten sein. Göpner sucht seine Theorie durch die Annahme zu stützen,
der Chlorkalk entwickle, mit verdünnten Mineralsäuren zersetzt, bei der Destillation
nur reines Chlor und keine unterchlorige Säure, welche Ansicht jedoch, wie vorhin
erwähnt, von Schorlemmer und Kopfer experimentell und durch analytische Belege widerlegt ist. Auch Richters und Junker (1874 211 31), welche mit Göpner
derselben Ansicht hinsichtlich der Constitution des Chlorkalkes sind, constatiren,
daß unter bestimmten Bedingungen durch verdünnte Mineralsäure unterchlorige Säure,
aber kein Chlor in Freiheit gesetzt wird. Letztere nehmen ebenfalls in dem trockenen
Chlorkalke kein Chlorcalcium an und suchen dieses dadurch zu beweisen, daß nach dem
Kochen einer Lösung von 1g Chlorkalk in
20cc einer 20 procentige Phosphorsäure
und zwar so lange, bis aller Chlorgeruch verschwunden ist, kein Chlorcalcium mehr
enthalten war. Sie sind der Ansicht, daß das Chlorcalcium beim Kochen durch
Phosphorsäure nicht zerlegt werde, und daß demgemäß die Phosphorsäure aus der
Verbindung CaOCl₂ das Chlor einfach frei mache.
Versuche, welche ich in dieser Richtung angestellt habe, haben ergeben, daß eine
Chlorcalciumlösung durch Phosphorsäure wohl zersetzt wird und zwar unter Entwicklung
von Salzsäuregas. Versetzt man ein Gemenge von chlorsaurem Kali und Chlorcalcium mit
einer Phosphorsäurelösung, so findet beim Erwärmen eine sehr starke Chlorentwicklung
statt; das chlorsaure Kali für sich allein wird zwar auch zersetzt und es tritt auch
Chlor auf, allein die Menge desselben ist unter gleichen Verhältnissen höchst
gering. Hieraus geht ebenfalls hervor, daß die Phosphorsäure das Chlorcalcium
zersetzt, und es ist meines Erachtens nicht zu bezweifeln, daß die Phosphorsäure aus
einer Chlorkalklösung unterchlorige Säure und Salzsäure frei macht, die dann unter
Bildung von Chlor und Wasser sich gegenseitig zersetzen.
Fernere Gründe für die Annahme, die wirksame Verbindung im Chlorkalk sei
CaOCl₂, kann ich aus der Arbeit von Göpner und Richters sowohl, als auch aus weitern Arbeiten von Wolters (1874 214 140) nicht
herausfinden. Die Versuche von Göpner, bei welchen der
gebildete Chlorkalk abwechselnd zerrieben und wieder mit Chlorgas behandelt wurde
und allmälig von 36,88 Proc. wirksames Chlor auf 37, 44, 37, 71, 37, 96, 38, 37 und
38,54 Proc. herauf ging, beweist für mich schon die Unrichtigkeit der Annahme, daß
die bleichende Verbindung CaOCl₂ sei, welche 55,9 Proc. wirksames Chlor
verlangt. Wenn auch wirklich nach Göpner die Ansicht
richtig wäre, daß die Chlorkalkbildung durch das entstandene und die Verbindung
CaOCl₂ einhüllende Chlorcalcium aufgehoben würde, so ist es, abgesehen von
der feinpulverigen und weichen Beschaffenheit des frischen Chlorkalkes, völlig
unbegreiflich, warum beim Zerreiben des Chlorkalkes und der darauf folgenden weitern
Behandlung mit Chlor letzteres immer weniger und nur bis zu etwa 39 Proc. als
wirksames aufgenommen wird.
Außerdem wird ja auch, wie von Göpner in seiner Arbeit
selbst erwähnt, der Kalk des basischen Chlorcalciums nach Versuchen von Bolley ebenso gut in Chlorkalk verwandelt, als das freie
Kalkhydrat selbst. Hiernach müßte doch das Kalkhydrat des Chlorkalkes, welches in so bedeutenden Mengen
beim Lösen desselben in Wasser zurückbleibt, ebenfalls in Chlorkalk übergeführt
werden und zwar um so mehr, als die Menge des in dem Chlorkalke angenommenen
Chlorcalciums so sehr gering angenommen wird. Nach der am Schlusse seiner Abhandlung
angeführten Analyse eines Chlorkalkes findet nämlich Göpner denselben zusammengesetzt aus: 69,62 Proc. CaOCl₂, 0,438
Proc. Chlorcalcium; 18,813 Proc. Aetzkalk und 10,65 Proc. Wasser. Hier sollen also
0g,483 Chlorcalcium 18g,813 Aetzkalk oder etwa 25g Kalkhydrat an der Umwandlung in Chlorkalk
hindern, eine Annahme, die nach obigem Versuche von Bolley gänzlich unverständlich und unmöglich ist.
Nach Richters und Junker ist es
nicht die Chlorcalciumhülle, welche das Aufhören der Chlorkalkbildung bedingt,
sondern es beruht dieses Aufhören nach Denselben auf der wasserentziehenden Wirkung
theils des Chlorcalciums, theils der bleichenden Verbindung CaOCl₂ selbst,
welche letztere sehr hygroskopisch sein soll. Um dieselbe comperativ zu bestimmen,
brachten Dieselben 5g frisch bereiteten und
über Schwefelsäure getrockneten Chlorkalk, welcher 20 Proc. Kalkhydrat und 80 Proc.
der bleichenden Verbindung enthielt, und 2g,15 eines ebenfalls über Schwefelsäure getrockneten Gemenges aus 20 Proc.
Kalkhydrat und 80 Proc. Chlorcalcium unter eine Glasglocke, in welcher die Luft
durch eine Schale mit Wasser stets feucht gehalten wurde. Nach 48 Stunden hatte der
Chlorkalk 20 Proc. und das Chlorcalcium 90 Proc. Wasser aufgenommen, woraus sie den
Schluß ziehen, daß sich die Hygroskopicität der bleichenden Verbindung zu der des
Chlorcalciums wie 1 : 5 verhält.
Meines Erachtens wird mit diesem Versuche nur die schon gemachte und bekannte
Beobachtung bestätigt, daß der Chlorkalk Wasser aufnimmt, durchaus aber nicht
bewiesen, daß durch diese Eigenschaft die weitere Chlorkalkbildung verhindert wird,
vor allem aber die früher angeführten Thatsachen und besonders der von Kopfer ausgeführte Versuch, wonach ein Gemenge von
trockenem Kalkhydrat und Aetzkalk Chlorkalk bildet, nicht widerlegt und somit also
nicht bewiesen, daß die Entstehung der bleichendem Verbindung gleichzeitig die
weitere Bildung derselben aus noch vorhandenem Kalkhydrate hindert. Ich kann auch
durchaus nicht annehmen, daß einer chemischen Verbindung wie dem Kalkhydrate,
welches erst über 130° sein Wasser verliert, durch eine hygroskopische
Substanz das Wasser entzogen werden soll, es sei denn, daß der Beweis geliefert
wird, die hygroskopische Substanz verbinde sich chemisch mit dem Wasser und ihre
Verwandtschaft sei größer zu demselben als die des Aetzkalkes, so daß das Kalkhydrat
einfach von ihr zersetzt würde. Letzteres müßte aber noch erst für den
hypothetischen Körper CaOCl₂ bewiesen werden.
Nach der von mir aufgestellten Formel für den Chlorkalk ist das Chlorcalcium in
demselben derjenige Körper, welcher Wasser aufnimmt, und es steht die Menge des
letztern im geraden Verhältniß zu der Menge des vorhandenen Chlorcalciums. In den
5g frisch bereitetem Chlorkalk sind
nach meiner Formel 1g,524 Chlorcalcium und
0g,494 Wasser enthalten. Sie nehmen
nach Richters' Versuchen noch 20 Proc., also 1g,00 Wasser auf, in Summe sind also 1g,494 Wasser in den 5g Chlorkalk enthalten. In den 5g Gemenge von Kalkhydrat und Chlorcalcium
sind 4g Chlorcalcium vorhanden, welche 90
Proc. von dem Gesammtgewicht des Gemenges, also 4g,5 Wasser absorbirt haben. Auf gleiche Mengen von Chlorcalcium im
Chlorkalk bezogen, würde das Quantum Wasser 3g,92 betragen, also 1,524 : 4 = 1,494 : x,
woraus x = 3g,92.
Bei der 24 stündigen Einwirkung ist das Verhältniß des aufgenommenen Wassers, bezogen
auf gleiche Mengen von Chlorcalcium, 3,2 zu 3,1 und bei 10 stündiger Dauer wie 1,92
zu 2,2. Die erhaltenen Zahlen stimmen unter Berücksichtigung der vorhandenen
Verhältnisse hinreichend überein und sprechen für das Vorhandensein von Chlorcalcium
im Chlorkalk.
J. Kolb (1868 187 55) gibt an,
daß der von ihm dargestellte chlorreichste Chlorkalk 38,72 Proc. wirksames Chlor
enthalten habe, was genau der Formel 3 CaOH₂O + 4 Cl oder 2
(CaOH₂Cl₂) + CaOH₂O entspreche. Durch Wasser soll der trockene
Chlorkalk dann folgender Maßen zersetzt werden: 3 CaOH₂O + 4 Cl =
CaOH₂O als Niederschlag und 2 CaOCl₂ in Lösung. Demnach soll die wahre
Constitution des in Wasser gelösten Chlorkalkes die von Ballard angegebene sein: 2 CaOCl₂ = CaOCl₂O + CaCl₂.
– In einer spätern Abhandlung gibt Kolb (1872 206 381) dem Chlorkalk die Formel 2(CaOCl₂) + CaO
+ 3H₂O; die filtrirte Lösung besteht wie vorher aus CaOCl₂O und
CaCl₂. In den erstern Formeln nimmt Kolb an, daß
zur Constitution Wasser gehört, eine Ansicht, welche Derselbe den letztern Formeln
gemäß verlassen zu haben scheint. In beiden Fällen ist in dem Chlorkalk noch freies
Kalkhydrat angenommen worden, hingegen kein Chlorcalcium, welches sich erst beim
Zusammenbringen mit Wasser bilden soll. Sonst treten nach Kolb auch 3 Molecüle Kalkhydrat mit 4 Cl in Wechselwirkung und bilden
Chlorkalk, und insofern gehen unsere beiden Ansichten Hand in Hand, weichen aber in
Betreff des Vorhandenseins resp. der Bildung von Kalkhydrat und des Chlorcalciums
von einander ab.
Bei meinen Untersuchungen habe ich mich nur Chlorkalke bedient, welche 39 Proc. wirksames Chlor
enthielten, und welche bei der Bildung, wie früher angegeben, auf 100 Kalkhydrat
dasselbe Quantum Chlor absorbirt hatten; sie waren also genau nach der Formel 3
CaH₂O₂ + 4 Cl gebildet worden.
Uebergießt man in einem Becherglase solchen Chlorkalk mit Wasser, setzt eine Spur
Kobaltsulfat zu und kocht, so wird der gebildete unterchlorigsaure Kalk unter
Sauerstoffentwicklung in chlorsauren Kalk und Chlorcalcium verwandelt, ohne daß
dabei eine Spur von Chlor entweicht, wie ein über das Becherglas gehaltenes feuchtes
Jodkaliumstärkepapier zeigt. Man setzt das Kochen so lange fort, bis ein Tropfen der
Lösung, mit demselben Reagenzpapier zusammengebracht, keine Reaction mehr zeigt, und
leitet alsdann mehrere Stunden lang Kohlensäure in die Flüssigkeit, wodurch das zu
Anfang abgeschiedene Kalkhydrat in kohlensauren Kalk übergeführt wird. Nach
Beendigung dieser Operation wird das Ganze wieder längere Zeit gekocht, um
sämmtliche freie Kohlensäure zu vertreiben und den in der Kohlensäure gelösten
kohlensauren Kalk abzuscheiden. Der Niederschlag wird dann filtrirt, ausgewaschen
und auf bekannte Weise bestimmt.
1g,093 Chlorkalk
gaben auf diese Weise 0g,170 Aetzkalk =
15,55 Proc.
1g,629 Chlorkalk
anderer Darstellung gaben 2g,492 Aetzkalk =
15,29 Proc.
1g,078 Chlorkalk
anderer Darstellung gaben 0g,169
Aetzkalk = 15,67 Proc.
0g,691 Chlorkalk
neuerer Darstellung gaben 0g,106
Aetzkalk = 15,34 Proc.
Nach der Gleichung 2 CaHClO₂ + CaCl₂ + 2
H₂O = CaCl₂O₂ + CaH₂O₂ + CaCl₂ + 2
H₂O werden 15,38 Proc. Aetzkalk verlangt.
Wird der Chlorkalk mit frisch bereiteter schwefliger Säure, welche absolut frei von
Schwefelsäure sein muß, so lange versetzt, bis die Jodkaliumstärkereaction eben
verschwindet, so sind durch das eine Molecül unterchlorige Säure, zwei Molecüle
schweflige Säure in Schwefelsäure übergeführt worden, welche sich mit ebenso viel
Molecülen Kalk zu schwefelsaurem Kalk vereinigen, während die entsprechende Menge
von Salzsäure in freiem Zustande vorhanden sein muß. Wird das Ganze alsdann auf dem
Wasserbade zum Trocknen gebracht, so entweicht die freie Salzsäure und zurück bleibt
der schwefelsaure Kalk und das ursprünglich in dem trockenen Chlorkalke gebildete
eine Molecül Chlorcalcium: CaCl₂O₂ + CaH₂O₂ +
CaCl₂ + 2 SO₂ = 2 CaSO₄ + 2 ClH + CaCl₂. Letzteres wird
dann unter Zusatz von Salpetersäure durch Silberlösung bestimmt und muß die Menge
derselben nach der Formel 30,49 Proc. betragen.
0g,54 Chlorkalk gaben auf
diese Weise 0g,429 Chlorsilber,
entsprechend 0g,1659 Chlorcalcium = 30,74
Proc.
0g,629 Chlorkalk gaben
0g,492 Chlorsilber, entsprechend 0g,1902 Chlorcalcium = 30,21 Proc.
0g,862 Chlorkalk gaben
0g,666 Chlorsilber = 0g,2576 Chlorcalcium, demnach 29,88
Proc.
Für jeden Versuch wurde ein frisch bereiteter Chlorkalk genommen. Aus der Formel geht
hervor, daß in einem Chlorkalk die Differenz zwischen dem wirksamen Chlor und dem
Gesammtchlor als ein Plus von Chlorcalcium in demselben enthalten ist.
Ehe ich mir erlaube, aus diesen Versuchen Schlüsse zu ziehen, muß ich zunächst das
Verhalten des Chlorkalkes bei höherer Temperatur erörtern. Bekanntlich wird der
Chlorkalk bei höherer Temperatur zersetzt unter Bildung von Chlorcalcium und
chlorsaurem Kalk und unter Entwicklung von Sauerstoffgas und bisweilen auch von
Chlorgas. Bei einer geringern Erhitzung gehen nach Morin
1/3 des unterchlorigsauren Kalkes in Chlorcalcium und chlorsauren Kalk über, während
2/3 unverändert bleiben und später bei stärkerer Hitze nicht mehr auf diese Weise
sondern in Sauerstoff und Chlorcalcium zerfallen.
Erhitzt man frisch bereiteten Chlorkalk in einer Kugelröhre, welche sich im Luftbade
befindet, vorsichtig und allmälig, so entweicht zwischen 100 und 120° Wasser
und Chlor. Steigert man die Temperatur, wenn die Chlorentwicklung aufgehört hat, so
wird weiter kein Chlor mehr entbunden; bei 300° und darüber entwickelt sich
dann reines Sauerstoffgas. Wird die Temperatur noch weiter erhöht bis zur
anfangenden Glühhitze, so schmilzt das Ganze zu einer wasserklaren, durchsichtigen
und leicht beweglichen Masse, welche ganz so aussieht wie geschmolzener Salpeter und
wie dieser beim Erkalten strahlig krystallinisch erstarrt. Steigert man schließlich
die Temperatur bis zur Rothglut, so findet wieder eine Gasentwicklung statt, und die
Masse wird dann trübe, undurchsichtig und dickflüssig, unter Abscheidung einer
unlöslichen Verbindung. Die Menge des entwickelten Chlors ist, nach der gleich
anfangs angewendeten Temperatur, verschieden, wie folgende Versuche zeigen:
1g,385 Chlorkalk bis
120° erhitzt, gaben 0g,0637 Chlor =
4,6 Proc.
1g,565 Chlorkalk, über
der Lampe im Kugelrohr vorsichtig erhitzt, gaben 0g,1699 Chlor = 10,85 Proc.
2g,741 Chlorkalk gaben
auf gleiche Weise 0g,3195 Chlor = 11,6
Proc.
Nebenbei will ich hier bemerken, daß beim Erhitzen des Chlorkalkes alles Chlor als
solches und keine Spur desselben als Salzsäure fortgeht.
Zur Bestimmung des Wassers im Chlorkalke wurde derselbe in einer Kugelröhre erst
langsam, dann schließlich bis zum Glühen erhitzt unter Ueberleiten eines trocknen,
kohlensäurefreien Luftstromes und das entweichende Wasser in einem Chlorcalciumrohr
aufgefangen.
g
g
0,8605 Chlorkalk gaben
0,081 Wasser
= 9,41 Proc.
0,849 „ „
0,085 „
= 10,01 „
0,828 „ „
0,0825 „
= 9,96 „
Es folgt hieraus zunächst, daß in dem Chlorkalk 2 Molecüle freies resp. absorbirtes
Wasser enthalten sind, denn die Formel 2 CaClHO₂ + CaCl₂ + 2
H₂O verlangt für diese 2 Molecüle 9,89 Proc. Wasser, eine Zahl, die mit den
gefundenen Zahlen sehr genau übereinstimmt. Aus den Versuchen und Bestimmungen folgt
ferner, daß dieses bei der Bildung des Chlorkalkes abgeschiedene Wasser bei
niedriger Temperatur und zwar noch vor dem Schmelzen des Chlorkalkes entweicht, daß
aber selbst bei der Rothglut das dritte Molecül Wasser, welches ursprünglich in dem
Kalke enthalten war, nicht in Freiheit gesetzt wird und deshalb einen wesentlichen
Bestandtheil des Chlorkalkes ausmachen muß. Die Annahme, das dritte Molecül Wasser
wäre bei der Darstellung des Chlorkalkes entwichen, mußte von vornherein
ausgeschlossen bleiben, da ich besonders hervorgehoben habe, daß bei der Umwandlung
des Kalkhydrates in Chlorkalk kein Wasser entweicht. Die Annahme, das Wasser sei in
der Form von Kalkhydrat oder von dem Chlorcalcium zurückgehalten worden, ist,
abgesehen davon, daß es merkwürdiger Weise gerade immer ein Molecül betragen sollte,
geradezu aus dem Grunde unstatthaft, als beide Verbindungen ihr Wasser bei der
Temperatur, bei welcher das dritte Molecül Wasser in dem Chlorkalke noch fest
gebunden ist, vollständig und rasch verlieren.
Versetzt man den Chlorkalk mit wasserfreiem kohlensaurem Natron und erhitzt dann das
Gemenge in der Kugelröhre, wobei die Temperatur nicht bis zum Schmelzen desselben
gesteigert zu werden braucht, so gehen sämmtliche drei Molecüle Wasser fort unter
schließlicher Bildung von kohlensaurem Kalk, Chlornatrium und freiem Sauerstoff.
g
g
1,011 Chlorkalk gaben
0,151 Wasser
= 14,93 Proc.
0,927 „ „
0,138 „
= 14,88 „
1,638 „ „
0,243 „
= 14,84 „
Die Formel 2 CaHClO₂ + CaCl₂ + 2 H₂O
verlangt 14,83 Proc.
0g,753 Chlorkalk wurden
erhitzt, doch nur soweit, daß noch keine Schmelzung eintrat; der Verlust an Wasser
betrug 0g,075. Als der Rückstand im Rohr
mit kohlensaurem Natron dann abermals gelinde erhitzt wurde, entwickelten sich noch
0g,038 Wasser, also gerade die Hälfte
von 0g,075.
Beim ersten Erhitzen entwichen demnach 9,96 Proc. und beim zweiten noch 5,04 Proc.,
in Summa also auch hier wieder 15 Proc.
Ich komme nochmals mit einigen Worten auf den Gesammtverlust zurück, welchen der
Chlorkalk beim Erhitzen erleidet, und bemerke zunächst, daß wenn derselbe zuerst nur
soweit erhitzt wird, daß 2H₂O entweichen, er alsdann beim Schmelzen keinen
weitern Gewichtsverlust erleidet.
0g,954 wurden im
Platintiegel vorsichtig erhitzt, nach demselben wog der Rückstand 0g,723. Als hierauf die Temperatur so weit
gesteigert wurde, bis die Masse klar geschmolzen war, zeigte der Rückstand dasselbe
Gewicht von 0g,723, der Verlust betrug also
0g
,222 = 23,49 Proc. Beim weitern stärkern Erhitzen bis zur früher angedeuteten
Ausscheidung, wobei abermals eine Entwicklung von Gas stattfindet, nahm der Tiegel
noch um 0g,02 ab, entsprechend 2,12 Proc.
Im Ganzen waren also verloren gegangen 0g,242 = 25,61 Proc.
0g,599 desselben
Chlorkalkes, bis zum Schmelzen erhitzt, verloren 0g,138 = 23,04 Proc. bei dem darauf
folgenden Glühen, bis die Gasentwicklung vorbei war, noch 0g,012 = 2,00 Proc., im Ganzen also 25,04
Proc.
0g,849 Chlorkalk verloren
bei sehr vorsichtigem Erhitzen im Kugelrohre 0g,17 = 20,02 Proc., beim weitern stärkern Glühen noch 0g,012 = 1,41 Proc., in Summe also 21,43
Proc.
0g,802 Chlorkalk verloren
beim Erhitzen bis zur anfangenden Schmelzung 0g,153 = 19,09 Proc.
Wir haben vorhin gesehen, daß beim Erhitzen des Chlorkalkes bis 120° 4,6 Proc.
Chlor und beim Erhitzen desselben über der Lampe 10,85 und 11,60 Proc. Chlor
entwickelt wurden; ich habe ferner gezeigt, daß gleichzeitig 9,89 Proc. Wasser und
außerdem noch Sauerstoffgas unter denselben Bedingungen frei werden.
Es scheint demnach, daß im Verhältnisse aus einem Molecül Chlorkalk in dem einen
Falle außer den 2H₂O sich noch 1 Cl + 1 O entwickeln und später beim stärkern
Erhitzen noch 1/2 O nachfolgt. Es würde dieser Verlust betragen für 2H₂O =
9,89 Proc.; 1 Cl = 9,75 Proc.; 1 O = 4,39 Proc, zusammen 24,03 Proc.; für das
spätere 1/2 O noch 2,19 Proc., würde der Verlust im Ganzen 26,22 Proc. betragen.
In dem zweiten Falle würden außer den 9,89 Proc. Wasser noch 1/2 Cl = 4,87 Proc. und
1 O = 4,39 Proc., resp. noch 1/2 O = 2,19 Proc. entweichen; im Ganzen also 19,15
Proc. resp. 21,34 Proc. Für diesen letztern Fall, bei dem also resolute Glühhitze in
Anwendung kam, würde sich beim Auflösen des Rückstandes in Wasser im Verhältniß auf
1 1/4 Mol. Kalkhydrat 1 3/4 Mol. Chlorcalcium bilden müssen und die
Mengenverhältnisse beider würden sich verhalten müssen wie 1 : 277.
0g,945 Chlorkalk gaben
nach dem Glühen 18,83 Proc. Aetzkalk und 1g,246 Chlorsilber = 0g,482
Chlorcalcium = 51,00 Proc.; das Verhältniß ist hier 1 : 271.
0g,668 Chlorkalk gaben
auf gleiche Weise 0g,121 CaO = 18,11 Proc.
und 0g,349 Chlorcalcium = 52,24 Proc.; das
Verhältniß ist 1 : 287.
100 Chlorkalk würden nach der Formel 19,23 Proc. CaO und 53,36 Proc. Chlorcalcium
geben müssen.
Ich unterlasse es in irgend einer Weise, die Zersetzung des Chlorkalkes durch höhere
Temperatur zu deuten und anzugeben, welche Verbindungen und in welcher Menge diese
durch Umlagerung der Bestandtheile entstehen. Es ist dies eine Frage, die noch
eingehender untersucht werden soll. Soviel jedoch steht fest, daß bei höherer
Temperatur aus dem Chlorkalk eine Verbindung entsteht, die noch Wasserstoff enthält,
welche als constituirender Bestandtheil in dem Chlorkalk enthalten war. Der Verlust,
der beim Erhitzen des Chlorkalkes eintritt, beweist ebenfalls deutlich, daß das
dritte Molecül Wasser nicht fortgegangen sein kann; denn wenn letzteres der Fall
wäre, so müßte bei dem einen Versuch im Kugelrohr statt der 21,43 Proc. Verlust ein
solcher von 19,15 + 4,94 = 24,09 Proc. resp. von 21,34 + 4,94 = 26,28 Proc.
eingetreten sein.
Nach Kolb's und meinen Versuchen steht es fest, daß bei
der Chlorkalkbildung 3 Mol. Kalkhydrat mit 2 Mol. Chlor = 4Cl in Wechselwirkung
treten, und daß bei richtig geführtem Processe die oxydirende Wirkung des
Chlorkalkes dem ganzen Chlorgehalte entspricht. Wäre nun die wirksame Verbindung im
Chlorkalke nach Göpner CaOCl₂, so müßte sich
dieselbe nothgedrungen noch folgende Formel gebildet haben: 3 CaH₂O₂ +
4 Cl = 2 CaOCl₂ + CaH₂O₂ + 2 H₂O. Die Formel würde die
oxydirende Wirkung des Chlorkalkes dem ganzen Chlorgehalt nach erklären, sie würde
ebenso bei den von mir befolgten Untersuchungsmethoden auf 1 Mol. Chlorkalk 1 Mol.
Kalkhydrat und 1 Mol. Chlorcalcium liefern. Die Formel erklärt aber nicht, warum
gerade 1/3 des Kalkes an der Chlorkalkbildung verhindert werden soll, sie gibt keine
Rechenschaft über das Zurückhalten des dritten Moleculs Wasser, da, wie oben schon
erwähnt, das Kalkhydrat beim Erhitzen sein Wasser abgibt, bei welchem der Chlorkalk
noch nicht einmal schmilzt, und endlich erklärt sie dieses Schmelzen des Chlorkalkes
zu einem leichtflüssigen klaren Glase bei verhältnißmäßig niedriger Temperatur
nicht. Ein Gemenge von Kalkhydrat Chlorcalcium und chlorsaurem Kalk, welch letzterer
sich, wie bekannt, im erhitzten Chlorkalk findet, zeigt diese Eigenschaft nicht. Es
geht also daraus hervor, daß in dem Chlorkalk sich kein freies Kalkhydrat befindet,
daß sich vielmehr dasselbe beim Auflösen des Chlorkalkes durch Zersetzung erst
bildet. Da nun in dem Chlorkalk 1 Mol. Wasser als Constitutionswasser vorhanden ist,
so würde nach der Göpner'schen Anschauungsweise die
Zusammensetzung des Chlorkalkes folgende sein müssen:
2 CaOCl₂ + CaH₂O₂ + 2 H₂O =
Ca₃O₄Cl₄H₂ + 2 H₂O
oder Ca₂O₃Cl₄H₂ +
CaH₂O₂ + H₂O.
Beide Formeln jedoch haben nach dem Mitgetheilten keine
Berechtigung zur Annahme.
Göpner theilt am Schlüsse seiner Arbeit eine von Wilms ausgeführte Analyse eines Chlorkalkes mit, bei
welcher der letztere mit einem Ueberschuß von Essigsäure im zugeschmolzenen Rohre
auf 110° erhitzt wurde, wobei durch Substitution die Hälfte des wirksamen
Chlors an die Essigsäure gehen, die andere Hälfte aber mit dem Wasserstoff Salzsäure
bilden soll. Ob die Zersetzung der Essigsäure durch Chlorkalk in der angedeuteten
glatten Weise vor sich geht, will ich nicht erörtern. Da Säuren jedoch nach den
neuesten Versuchen aus dem Chlorkalk unterchlorige Säure frei machen, so kann ebenso
gut die letztere mit der Essigsäure unter Bildung von Wasser und Chloressigsäure in
Wechselwirkung treten, in welchem Falle dann natürlich die Hälfte des ursprünglichen
Chlors, welches als Chlorcalcium vorhanden ist, durch Silberlösung nur bestimmt
wird. Das Gesammtchlor dieses Chlorkalkes betrug 39,20 Proc., das wirksame Chlor
nach der Essigsäure-Methode 38,92 und nach der Otto'schen Methode 39,24 Proc.
Da nun auch durch Erhitzen 10,65 Proc. Wasser erhalten wurde, so geht daraus wohl
hervor, daß sich der Chlorkalk nach dem Verhältniß 3 CaH₂O₂ + 4 Cl
gebildet hat, und nach der Göpner'schen Ansicht die
Zusammensetzung 2 CaOCl₂ + CaH₂O₂ + 2 H₂O haben mußte.
Diese Formel verlangt:
Bleichende Verbindung
69,78
Aetzkalk (CaO)
15,38
Wasser durch Erhitzen
14,84 (es müßte nach der Formel alles fort gehen)
––––––
100,00.
Wilms hat gefunden:
Bleichende Verbindung
69,620
Aetztalk (CaO)
18,813
Wasser durch Erhitzen
10,650
Chlorcalcium
0,438
––––––
99,521.
Da, wie ich gezeigt habe, ein 39procentiger Chlorkalk 9,89 Proc. Wasser beim Erhitzen
verliert und 1 Mol. Wasser also 4,94 Proc. gebunden hält, so ist es für mich
unbegreiflich, daß der von Wilms untersuchte Chlorkalk in
Uebereinstimmung mit dem wirksamen Chlor statt der 14,84 Proc. Wasser nur 10,65
Proc. enthalten haben soll. Da ferner das Kalkhydrat bei der Umwandlung im Chlorkalk
kein Wasser verliert, so hätte bei dem von Wilms
untersuchten Chlorkalk der Menge des Aetzkalkes gemäß auch Wasser vorhanden sein
müssen.
69,62 Proc. der bleichenden Verbindungen entsprechen
31,17 Proc. Aetzkalk
0,438 „ Chlorcalcium
„
0,22
„
„
18,813 „ Kalk sind
vorhanden
18,81
„
„
–––––
Summe
50,20 Proc. Aetzkalk.
Diese 50,20 Proc. Aetzkalk verlangen aber 16,13 Proc. Wasser,
welche im Verhältniß auf 100 demgemäß zu 15,36 Proc. hätten gefunden werden
müssen.
Ich hoffe, in Vorstehendem den Beweis geführt zu haben, daß dem Chlorkalk die
Zusammensetzung 2 CaHClO₂ + CaCl₂ + 2 H₂O zukommt, und brauche
wohl nicht besonders noch hervorzuheben, daß ich mich der Ansicht von Fresenius anschließe, wonach das Chlorcalcium als
außerhalb der Constitution des Chlorkalkes stehend zu betrachten ist. Ob die Formel
CaHClO₂ oder
Ca
OHOCl
die wahre Lagerung der Atome in der Verbindung angibt, und ob
vielleicht die Formel dann noch zu verdoppeln ist, darüber will ich nicht
entscheiden; ich begnüge mich, bewiesen zu haben, daß die bleichende Verbindung
durch Substitution eines Atoms Wasserstoff im Kalkhydrat durch 1 Atom Chlor
entsteht, und daß dieselbe Wasserstoff in chemischer Verbindung enthält und somit
als ein Calciumhydrooxychlorid anzusehen und aufzufassen ist.
Aachen, 20. Mai 1876.