Titel: | Zur Geschichte der Leichenverbrennung. |
Fundstelle: | Band 223, Jahrgang 1877, S. 640 |
Download: | XML |
Zur Geschichte der
Leichenverbrennung.
Zur Geschichte der Leichenverbrennung.
Obgleich die erste Begeisterung für die Verbrennung der Leichen seit der Besprechung
dieser Frage in diesem Journal (1875 214 382) fast ganz
verschwunden ist, erheben sich doch immer noch einzelne Stimmen, welche die Einführung derselben und
die Beseitigung der Friedhöfe befürworten.
Prof. Aug. Vogel (Bayerisches Industrie- und Gewerbeblatt, 1876 S. 169) meint,
die Frage der Leichenverbrennung, „welche die Welt bewegt“,
habe die allgemeine Theilnahme in so hohem Grade gewonnen, daß man mit Sicherheit
annehmen dürfe, sie werde nicht mehr aus der Reihe der Tagesfragen verschwinden,
bevor sie nicht ihre vollständige Lösung erhalten habe. Die Angelegenheit der
Leichenverbrennung, in Europa von jeher gänzlich (?) unbeachtet geblieben, habe sich
heutzutage mit seltener Energie dem Interesse aller Gebildeten aufgedrängt, nachdem
sie bis vor Kurzem kaum hier und da von Einzelnen als ein frommer Wunsch gedacht,
von einer in Vorurtheilen und Aberglauben befangenen Mehrheit ignorirt und
verdächtigt worden wäre. Hierin liege grade ein augenscheinlicher Beweis, daß die
Leichenverbrennung nicht nur entschiedene Zweckmäßigkeit besitze, sondern auch einem
wirklichen allgemein gefühlten Bedürfnisse entspreche. – Verf. bringt dann
die längst als mindestens stark übertrieben nachgewiesene Beschuldigung wieder vor,
die Friedhöfe vergifteten Boden, Trinkwasser und Luft, ohne aber zu erwähnen, daß
der Mensch bei Lebzeiten 200mal so viel fäulnißfähige Stoffe liefert als in seiner
Leiche (1874 214 478). Nach den zahlreichen und
gründlichen Erörterungen, die der Gegenstand von allen Seiten gefunden habe,
erscheint es ihm überflüssig, die Gründe pro und contra nochmals zu wiederholen; bei
weitem die Mehrzahl des Publicums habe nach seinen Erfahrungen hierüber so endgiltig
abgeurtheilt, daß der Satz „die Leichenverbrennung verdiene unbedingt den
Vorzug vor der Inhumation“ als festgestellt betrachtet werden könne,
– eine sonderbare Beweisführung.
Eine ganz rationelle Verbrennungsmethode müßte seiner Ansicht nach die Leiche zuvor
bei geringer Temperatur austrocknen, was etwa in 12 Stunden geschehen könne, und
erst dann zu höheren Temperaturen übergehen.
G. Kinkel empfiehlt die Leichenverbrennung vom
ästhetischen Standpunkte aus, ohne jedoch etwas wesentlich Neues vorzubringen
(Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 1876 S. 2922). – Daß die Verbrennung einer
Leiche in einem Ofen ästhetischer sein soll, als die
Beerdigung auf einem blumengeschmückten Friedhofe, ist schwer verständlich.
Nach einem Bericht der 1. Section der Baudeputation in HamburgHamburg in naturhistorischer und medicinischer Beziehung. Den Mitgliedern der
49. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte gewidmet. soll auch hier die bisherige Bestattungsweise durch Beerdigung beibehalten
werden. Alle andern Projecte sind durchaus nicht berücksichtigungswerth,
insbesondere erscheint die Verbrennungsfrage vom technischen wie vom finanziellen
Standpunkte aus noch nicht gelöst. Tas Interesse des Publicums wendet sich diesen
Neuerungen auch nicht so lebhaft zu, um es gerechtfertigt erscheinen zu lassen, von
der Sitte der Beerdigung abzuweichen, welche in sanitärer Beziehung gänzlich
unbedenklich ist. Sanitäre Bedingungen für die Beerdigung sind, daß dieselbe
außerhalb der städtischen Bebauung geschieht, in trocknem, durchlässigen Boden, mit
ausreichenden (15) Ruhejahren für jedes Grab. Der höchste zulässige Stand des
Grundwassers wurde auf 3m, die Eingrabung
eines Sarges mit der Unterfläche auf 2m
unter Terrain festgestellt. Gemauerte Gewölbe und Grüfte wurden bei dem neuen,
100ha großen Friedhofe mit Recht als
unzulässig ausgeschlossen (vgl. 1874 214 479).
–
Es liegt jetzt auch der Bericht der Gesundheitscommission des Departement der Seine an den
Polizeipräfecten über die Leichenverbrennung vor. (Annales de
chimie et de physique, Août 1876 p.
571.)
Die Commission (Baube, Bouchardat, Boussingault und Troost) hat folgende Punkte geprüft:
1. Die Möglichkeit, die Leichenverbrennung ohne Erzeugung von Geruch, Rauch und
schädlichen Gasen vorzunehmen.
2. Die Vortheile, welche die Leichenverbrennung in Rücksicht auf die öffentliche
Gesundheit bieten könnte.
3. Die Schwierigkeiten, welche sie gerichtlichen Nachsuchungen von Vergiftungen
entgegenstellen würde.
Es unterliegt hiernach keinem Zweifel, daß mit Hilfe von Gasöfen eine rasche
Verbrennung der Leichen stattfinden kann. Es ist auch möglich, die Asche des Todten
ohne irgend welche Beimengung zu erhalten; unangenehme Gerüche oder Rauch werden
sich nicht entwickeln, da die Oefen für Rauchverbrennung eingerichet sind.
Die öffentliche Gesundheit wird also durchaus nicht gefährdet werden. In ökonomischer
Hinsicht wird die Leichenverbrennung grade nicht vortheilhaft sein, wenn nicht
continuirlich brennende Oefen angewendet werden.
Die Leichenverbrennung wird der gewöhnlichen Beerdigung nur da vorzuziehen sein, wo
den Leichen die genügende Menge Erde nicht geboten werden kann, die Beerdigung daher
auf unpassenden, überfüllten Kirchhöfen stattfinden muß.
Hier wird, in Folge des ungenügenden Luftzutrittes, keine vollständige Verwesung
stattfinden; die Luft über den Gräbern kann sich dann mit schlechten Ausdünstungen
erfüllen, und die Grundwässer werden durch den mit faulenden organischen Stoffen
getränkten Boden verdorben werden. Die Unannehmlichkeiten der Kirchhofe verschwinden aber, wenn sie auf leicht durchdringbaren Boden angelegt und nicht mit Leichen überladen werden. Nach einer bestimmten Reihe von Jahren
kann ein solcher Boden wieder benutzt werden.
Daß die Verbrennung der Leiche das Auffinden der meisten Gifte in der Asche unmöglich
macht und daher zu Vergiftungen anregt, ist leicht einzusehen. Alle organischen
Gifte, Arsenik, Phosphor und Sublimat, also die am meisten gebräuchlichen, werden
durch die Verbrennung zerstört; Kupfer- und Bleisalze können in der Asche
wieder aufgefunden werden, aber die Angehörigen des Todten oder die, welche bei der
Vergiftung betheiligt gewesen sind, können leicht durch Vertauschung der Asche mit
einer andern jede Spur eines Verbrechens verwischen. Die Folge davon ist, daß
bedeutend mehr Vergiftungen vorkommen würden, weil die Verbrecher in der Verbrennung
der Leichen eine Sicherheit finden, welche ihnen die gewöhnliche Bestattung der
Todten nicht bietet. Verhindert könnte dies dadurch werden, daß jede Leiche vor dem
Verbrennen auf sämmtliche Gifte geprüft würde. Daß aber daran nicht zu denken ist,
liegt auf der Hand. –
Wittmeyer führt im Heft 71 der Deutschen Zeit- und
Streit-Fragen (Berlin 1876), unter Benutzung des erwähnten Vortrages (1874
214 483) aus, daß die Leichenverbrennung in der That
überflüssig sei. Bemerkenswerth ist noch der Nachweis, daß ein Mensch im
verschlossenen Sarge höchstens 15 bis 20 Minuten mit Bewußtsein leben könnte, das
Schreckgespenst des Lebendigbegrabenwerdens also auch zusammenfällt. Uebrigens
sollte überhaupt die Beerdigung erst dann stattfinden, wenn der Tod sicher
festgestellt ist. –
Der ständige Ausschuß für öffentliche Gesundheitspflege zu Dresden hatte die
facultative Verbrennung unter Einhaltung entsprechender Vorschriften für zulässig
erklärt. Von Seiten
des Ministeriums ist dagegen die Leichenverbrennung als unstatthaft zurückgewiesen
worden (Vierteljahresschrift für öffentliche Gesundheitspflege, 1877 S. 175).
Schließlich möge noch ein Verzeichniß der neuesten Bücher über Leichenverbrennung
folgen:
W. Eassie, Cremation of the Dead (London, Smith, Eldel & Co.)
Preis 1,5 Fr.
Pietra Santa, La crémation des morts en France
et à l'étranger (Paris). Preis
1,5 Fr.
Castle, Wheather is Interment or Cremation
preferable? (Newport)
Haweis, Asches to Asches (London). pr. 5 sh. Deutsch von Busch (Leipzig).
Preis 4 M.
SchneiderDr., Begraben nicht verbrennen! (Dresden.) Pr. 50
Pf.
Cadet, Des cimetiéres de Paris et de la
crémation (Paris)
Gille, Cimetiéres du
Méry-sur-Oise (Paris)
Gorini, Erhaltung und Zerstörung menschlicher Leichen
(Nordhausen). Pr. 30 Pf.
Küchenmeister, Die Feuerbestattung (Stuttgart). Pr. 3,6
M.
De Lijkverbranding (Maassluis). Pr. 1 Fl.
F. Fischer, Verwerthung der Abfallstoffe. Mit besonderer
Rücksicht auf Leichenverbrennung und Friedhöfe (Leipzig). Pr. 4 M.
Minetti, Alcune Osservezioni sulle precoci inumazioni
quali comunemente (Domodossola)
Scholl, Begraben oder Verbrennen? (Leipzig.) Pr. 20
Pf.
Wells, The Cremation (Newyork). Pr. 1 sh. 6 d.
Beyer, Lijkenverbranding (Groningen). Pr. 10 c.
Haden, Earth to Earth (London). Pr. 1 sh.
van Velzen, Thoden begraven of vorbranden (Leewarden.) Pr. 1 Fl. 40 c.
Matteucci, la cremazione
dei cadaveri combattuta nei suoi rapporti storici, chimici... (Bologna) Pagés,
La déportation et l'abandon des morts (Paris). Pr. 50 c.
Die Zeitschrift von Jacob, Correspondenzblatt zur
Förderung der Feuerbestattung (Berlin, Denicke), ist nach
Mittheilung der Verlagsbuchhandlung wieder eingegangen.
F.