Titel: | Der Chlorkalk und dessen Anwendung zum Bleichen des Papierstoffes; von Dr. L. Müller in Berlin. |
Autor: | L. Müller |
Fundstelle: | Band 226, Jahrgang 1877, S. 545 |
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Der Chlorkalk und dessen
Anwendung zum Bleichen des Papierstoffes; von Dr. L. Müller in
Berlin.
(Schluß von S. 425 dieses
Bandes.)
L. Müller, über Chlorkalk zum Bleichen des
Papierstoffes.
Wir können aber nicht umhin, bei dieser Gelegenheit zwei
theoretisch falsche Anschauungen zu berichtigen, denen man noch
sehr häufig bei den besten Autoren begegnet. C. Hofmann bezeichnet die bleichende
Verbindung des aufgelösten Chlorkalkes, wie es bisher allgemein
üblich war, als unterchlorigsauren Kalk, läßt aber bei
Einwirkung der Kohlensäure auf denselben nicht einfach, wie der
sich entwickelnde Chlorgeruch beweist, die Kohlensäure an die
Stelle der unterchlorigen Säure treten, sondern zieht auf jedes
Aequivalent unterchlorigsauren Kalk CaO,
ClO noch 1 Aeq. Wasser HO in
den Kreis der chemischen Thätigkeit, welches sich mit der
freiwerdenden unterchlorigen Säure zu Chlorwasserstoffsäure und
Sauerstoff umsetzt: CaO, ClO + HO = CaO,
CO₂ + HCl + 20. Die
Chlorwasserstoffsäure zersetzt nun aber wieder den kohlensauren
Kalk unter Bildung von Chlorcalcium und Entwicklung von
Kohlensäure: CaO, CO₂ + HCl = CaCl +
HO + CO₂, welche ihrerseits einen anderen Theil
unterchlorigsauren Kalk zerlegt und den Proceß so lange
fortsetzt, bis die bleichende Verbindung vollständig in
Chlorcalcium und frei gewordenen Sauerstoff übergeführt ist.
Hiernach würde die Kohlensäure die Umsetzung des
unterchlorigsauren Kalkes befördern, ohne selbst gebunden zu
bleiben, und eine sehr kleine Menge derselben würde genügen, um
sämmtliche unterchlorige Säure nach und nach frei zu machen. Es
ist dies aber eine sehr gewagte Erklärung des Vorganges, welche
mit den dabei auftretenden Erscheinungen in keiner Weise
übereinstimmt. Im trocknen Chlorkalk ist nicht
unterchlorigsaurer Kalk, sondern wirklich eine Verbindung von
Chlor mit Kalk vorhanden und diese letztere geht auch zunächst
unzersetzt in die Auflösung über, in welcher erst nach und nach,
namentlich durch den Einfluß des Lichtes durch das sich
fortwährend entwickelnde Chlor unter Wasserzersetzung
unterchlorigsauren Kalk gebildet wird. Nach obiger Erklärung
könnte sich aus einer Chlorkalklösung nie Chlor, sondern nur
Sauerstoff entwickeln, was schon durch den beständigen
Chlorgeruch widerlegt wird. Ferner ist wohl Chlor namentlich
unter dem Einfluß des Lichtes im Stande, Wasser zu zersetzen und
Chlorwasserstoffsäure und unterchlorige Säure damit zu bilden,
nicht aber vermag die unterchlorige Säure dem Wasser seinen
Wasserstoff zu entziehen; sie ist vielmehr in Wasser ungemein
leicht löslich, indem 1 Vol. Wasser über 200 Vol. unterchlorige
Säure aufzunehmen im Stande ist. Endlich ist es nicht richtig,
daß der Bleichproceß nur in einer Oxydation des Farbstoffes
bestehe; denn wenn man beim Auswaschen des gebleichten
Halbzeuges es unterläßt, ein Antichlor zuzusetzen, so findet man
leicht noch in dem fertigen Papier Chlor nicht im freien
Zustande, sondern mit organischer Substanz verbunden. Wir haben
durchaus nicht nöthig, uns den Proceß so verwickelt
vorzustellen, wie es Hofmann gethan.
Die organischen Farbstoffe sind im Allgemeinen leicht oxydirbare
Körper und verhalten sich ähnlich der arsenigen Säure,
schwefligen Säure, dem Eisenoxydul u. dgl., welche ebenfalls
nicht der Mithilfe der Kohlensäure bedürfen, um durch Chlor
höher oxydirt zu werden. Die lose Verbindung des Chlores mit
Kalk gestattet es, das Chlor als im freien Zustande vorhanden
anzunehmen, und die bleichende Wirkung besteht einfach darin,
daß das Chlor sowohl dem Wasser als auch der organischen
Substanz Wasserstoff unter Chlorwasserstoffsäurebildung entzieht
und sauerstoffreichere, theils farblose, theils auflösliche
Verbindungen erzeugt werden. Man sieht aber auch, und darin
besteht der Hauptunterschied der Chlorkalkbleiche und der
Gasbleiche, daß jedes Aequivalent Chlor bei seinem Uebergange in
Chlorwasserstoffsäure stets ein Aequivalent freien Kalk
vorfindet, um damit Chlorcalcium und Wasser zu erzeugen, so daß
am Schluß des Processes, und wenn man denselben nicht durch
Zusatz von Säure unterstützt, nur Chlorcalcium in der
Flüssigkeit vorhanden und die Gegenwart einer freien Säure
völlig ausgeschlossen ist, wohingegen beim Bleichen mit Gas in
dem Maße, als der Proceß fortschreitet, auch die Menge freier
Salzsäure zunehmen muß. Bourdillat in
seinem sehr beachtenswerthen Aufsatz: „Sur la blanchiment du
chiffon“ charakterisirt die Bleichsalze
folgendermaßen: „Ce sont des
agents oxydants très-energiques, qui détruisent
les couleurs végétales seulement en
présence d'un acide“; ihm hat Hofmann Glauben geschenkt und daher die
falsche Formel für den Proceß. Wir wiederholen aber, daß die
Chlorkalklösung auch ohne jede Mitwirkung irgend einer Säure
bleichend wirkt.
Hofmann spricht sich in seinem
Handbuch S. 111 mit großer Entschiedenheit gegen die Aufstellung
besonderer Bleichbottiche und Bleichholländer aus, indem die
Ersparniß an Chlorkalk, welche dieselben zulassen, reichlich
aufgewogen werde durch die räumliche Erweiterung der Fabrik und
die Vermehrung der Anlage- und Betriebskosten. Er bezeichnet die
Annahme, daß Schienen und Grundwerke der Holländer durch den
zerstörenden Einfluß der Bleichflüssigkeit rascher abgenutzt
würden, als eine mehr theoretische denn praktische; glaubt, daß
selbst die mögliche Einführung von etwas mehr Eisensalzen in den
Stoff höchstens bei Anfertigung von superfeinen Papieren sich
störend bemerkbar machen könne, da sowohl schwefelsaures
Eisenoxyd als Eisenchlorid, weil lösliche Salze, beim
nachherigen Auswaschen des Zeuges vollständig entfernt würden,
und räth schließlich, mit dem ganzen complicirten jetzigen
Verfahren gründlich zu brechen und bei neuen Anlagen
sofort große Holländer aufzustellen, welche gleichzeitig zum
Waschen, Mahlen und Bleichen benutzt werden könnten.
In deutschen Fabriken findet man das Bleichen im Holländer sehr
selten und nur da, wo es entweder an Räumlichkeiten gebricht,
oder die Betriebskraft nicht gestattet, große Mengen Halbzeug
vorräthig zu mahlen. Das Verfahren ist sehr einfach und
erheischt nicht eine Menschenkraft mehr als die Darstellung
ungebleichten Stoffes. Nachdem die Lumpen klar und rein
gemahlen, wird der Zu- und Abfluß des Wassers gesperrt,
Chlorkalk und die entsprechende Säuremenge unter den oben
angegebenen Vorsichtsmaßregeln zugesetzt und bei gehobener Walze
der Stoff mit der Auflösung des Chlorkalkes so lange
durchgeschlagen, bis der gewünschte Grad der Bleiche erreicht
ist. Hierauf werden Zu- und Abfluß des Wassers wieder geöffnet,
und es beginnt von neuem das Waschen, nach dessen Beendigung der
zu Halbzeug gemahlene Stoff entweder in die Ganzzeugholländer
oder in die Vorrathsbottiche für Halbzeug abgelassen wird.
Wir geben nun gern zu, daß die zerstörende Einwirkung von Chlor
und Säure auf die Schienen in Walze und Grundwerk nicht so
bedeutend ist, wie man gewöhnlich annimmt, und daß die frühere
Vorsicht, Schienen und Grundwerke selbst aus Bronze
anzufertigen, um nur jede Möglichkeit auszuschließen, daß
Eisentheilchen in den Papierstoff gelangten, eine übertriebene
war. Allein die Betragung der Holländer mit Chlorkalklösung und
Schwefelsäure hat den von Hofmann
ganz unbeachtet gelassenen Uebelstand, daß die Luft des
Holländerraumes stets mit Chlor geschwängert ist und nicht nur
die Arbeiter sehr belästigt, sondern auch alle eisernen, in
diesem Raum nothwendig vorhandenen Geräthschaften und Werkzeuge,
wie Ventil- und Grundwerk-Haken, Brechstangen, Schaufeln, Hämmer
u.s.w., sehr bald mit einer dicken Rostschicht überzieht. Die
Bleichbottiche können sehr wohl in einem von den Fabrikräumen
vollständig getrennten und gut ventilirten Gebäude aufgestellt
und alles leicht Oxydirbare und Zerstörbare davon fern gehalten
werden, während dies bei den Holländerräumen, welche in den
ganzen Rahmen der Fabrikation passend eingefügt sein müssen,
viel weniger der Fall ist. Was uns aber besonders gegen dieses
Verfahren einnimmt, ist die Schwierigkeit, damit ein gutes,
stets sich gleichbleibendes Fabrikat herzustellen; denn
abgesehen davon, daß namentlich ohne Anwendung von Säure eine
sehr große Menge Chlorkalk nöthig ist, um eine kräftige Wirkung
zu erhalten und die Zeit des Mahlens nicht allzu bedeutend zu
verlängern, und die noch nicht völlig erschöpfte Flüssigkeit
beim nachherigen Auswaschen verloren geht, so ist auch auf
dieses Auswaschen eine ganz besondere Sorgfalt zu verwenden,
wenn nicht für die Haltbarkeit des Leimes nachtheilige Folgen
erwachsen sollen, und endlich wird eine Verschiedenheit des
gebleichten Stoffes bei diesem Verfahren ganz unvermeidlich
sein, da bei jeder Holländerleere der Bleichproceß sich
wiederholt und eine gleiche Achtsamkeit auf die Beschaffenheit
des Zeuges bei jeder Leere von Seiten des Mühlenbereiters wohl
kaum vorausgesetzt werden kann.
Wie bereits erwähnt, hat man zur Beschleunigung des
Bleichprocesses von verschiedenen Seiten die Anwendung von
schwefelsaurer Thonerde, schwefelsaurer Magnesia und des
Chlorzinks an Stelle der freien Säure empfohlen; welches dieser
Salze man aber auch wähle, der Bleichproceß selbst wird durch
keines derselben ein anderer, als er mit oder ohne Zusatz von
Säure war. Immer wird der Proceß ebenso wie in der Gasbleiche
ausschließlich durch frei werdendes Chlor eingeleitet. Der
Proceß läßt sich für schwefelsaure Thonerde folgendermaßen
darstellen: Al₂O₃, + 3 CaO, Cl = 3 (CaO, SO₃)
+ Al₂O₃ + 3 Cl.
Orioli und die ihm nachfolgen,
stellen sich den Proceß jedoch anders vor; nach ihnen treten
Thonerde und Chlor nicht im freien Zustande aus der ersten
Wechselwirkung zwischen schwefelsaurer Thonerde und Chlorkalk
hervor, sondern es bildet sich durch einfachen Austausch der
Bestandtheile neben schwefelsauren Kalk eine dem Chlorkalk
entsprechende Thonerdeverbindung mit Chlor: Al₂O₃, 3 SO₃ + 3
CaO, Cl = Al₂O₃, Cl₃ + 3 (CaO, SO₃), und von der falschen Voraussetzung
ausgehend, der Chlorkalk sei unterchlorigsaurer Kalk, sprechen
sie ebenso von einer unterchlorigsauren Thonerde. Allein es ist
noch nicht geglückt, weder eine wirkliche unterchlorigsaure
Thonerde Al₂O₃, 3 ClO, noch eine dem Chlorkalk entsprechende Chlorthonerde
Al₂O₃, C₃
darzustellen, und daß unter den hier in Rede stehenden Umständen
weder unterchlorigsaure Thonerde noch Chlorthonerde gebildet
wird, davon kann man sich leicht durch folgenden Versuch
überzeugen: Setzt man zu einer Auflösung von schwefelsaurer
Thonerde eine filtrirte Lösung von Chlorkalk, so entsteht ein
voluminöser, weißer, sich schwer absetzender Niederschlag, in
welchem man nach dem Filtriren und Auswaschen mit Leichtigkeit
die Gegenwart von Thonerde und schwefelsauren Kalk nachweisen
kann. Fährt man aber mit dem Zusatz von Chlorkalklösung zur
Lösung von schwefelsaurer Thonerde so lange fort, als noch ein
Niederschlag entsteht, filtrirt, versetzt die filtrirte
Flüssigkeit mit Salzsäure bis zur sauren Reaction, erhitzt bis
zum Kochen, und bis jeder Chlorgeruch verschwunden, und
übersättigt nun mit Ammoniak, so bleibt die Flüssigkeit
vollständig klar zum Beweise, daß nicht eine Spur von Thonerde
in der filtrirten Flüssigkeit vorhanden war. Hieraus folgt, daß
unsere Formel des Zersetzungsprocesses: Al₂O₃, 3 SO + 3 CaO,
Cl = 3 (CaO, SO₃) + Al₂O₃ + 3 Cl vollständig
richtig und von der Bildung eines Thonerdesalzes unter diesen
Umständen nicht die Rede ist. Die mit schwefelsaurer Thonerde
versetzte Chlorkalklösung ist also wesentlich nichts anderes als
eine Auflösung von Chlor in Wasser, mit soviel Chlorkalk
vermischt, als durch die zugesetzte schwefelsaure Thonerde nicht
zersetzt wurde.
Bleibt, wie dies bei der Ausführung des Processes im Großen nicht
anders der Fall sein kann, die ausgeschiedene Thonerde mit der
bleichenden Flüssigkeit in Berührung, so wird in dem Maße, als
durch den Bleichproceß selbst sich Salzsäure bildet, ein Theil
derselben als Chloraluminium wieder aufgelöst werden nach der
Formel: 3 HCl + Al₂O₃ = Al₂Cl₃ + 3 HO.
Da aber nicht alles Chlor in Chlorwasserstoffsäure übergeht,
sondern zum Theil auch, an Stelle des ausgeschiedenen
Wasserstoffes tretend, sich mit der organischen Substanz
verbindet, so wird stets ein dieser Chlormenge entsprechender
Antheil Thonerde ungelöst bleiben und von einem Auftreten
freier, die organische Faser angreifender Säure kann auch hier
nicht die Rede sein. Dieser in die organische Verbindung
eintretende Antheil Chlor ist es nun, welcher durch einfachen
Zusatz von kohlensauren Alkalien beim späteren Waschen des
gebleichten Stoffes nicht entfernt werden kann, welcher aber in
der Masse verbleibend dem daraus gefertigten Papier seine
Haltbarkeit raubt und nur wieder durch eine leicht oxydirbare
Substanz, wie die schweflige und unterschweflige Säure das
Antichlors, der Papiermasse entzogen werden kann.
Ganz dasselbe findet bei Anwendung von Chlorzink oder
schwefelsaurer Magnesia statt. Von Zinkoxyd ist allerdings das
unterchlorigsaure Salz bekannt, während Magnesia, unter
ähnlichen Umständen der Einwirkung des Chlores ausgesetzt, eine
dem Chlorkalk vollständig analog zusammengesetzte Verbindung
bildet. Es ist also in diesen beiden Fällen das Auftreten von
Zwischenverbindungen nicht ausgeschlossen, ja bei Anwendung von
schwefelsaurer Magnesia wird, schon wegen der Schwerlöslichkeit
des
schwefelsauren Kalkes unbedingt in der Auflösung zunächst
Chlormagnesia erzeugt werden; die schließliche Wirkung aber
beider Salze wird ganz dieselbe sein, als hätte man eine ihrem
Säuregehalt entsprechende Menge Salzsäure oder Schwefelder
Chlorkalkauflösung zugefügt.
Wendet man direct unterchlorigsaures Natron zum Bleichen des
Halbstoffes an, oder bildet man dasselbe durch Zusatz von
kohlensaurer Natronlösung zur Chlorkalklösung, so ist die
Einwirkung von Chlor auf die vegetabilische Faser gänzlich
ausgeschlossen und der Proceß wird zum einfachen
Oxydationsproceß, indem auf je ein Mischungsgewicht Chlor des
Chlorkalkes sich zwei Mischungsgewichte Sauerstoff entwickeln
und im Moment ihres Freiwerdens mit dem Farbstoff eine farblose
oder lösliche Verbindung eingehen. Wo es also, wie beim Bleichen
von Geweben, darauf ankommt, sich gegen jeden schädlichen
Einfluß des Chlores möglichst sicher zu stellen, da verdienen
die unterchlorigsauren Salze unbedingt den Vorzug vor den
Chlorkalk; allein der Papierfabrikant besitzt im Antichlor ein
hinreichend sicheres Mittel, das etwa in die Masse übergetretene
Chlor wieder daraus zu entfernen und mag daher in Rücksicht der
größeren Billigkeit sich nach wie vor des Chlorkalkes und der
Schwefelsäure zum Bleichen des Halbstoffes bedienen. Die hin und
wieder gemachten Versuche, denen man einen Werth für spätere
Zeiten immerhin nicht absprechen kann, zum Bleichen des
Halbstoffes Ozon oder übermangansaures Kali anzuwenden, haben
noch so wenig Aussicht auf technischen Erfolg, daß es genügt,
ihrer hier gedacht zu haben.