Titel: | Der tragbare Vorpostentelegraph von Siemens und Halske. |
Fundstelle: | Band 226, Jahrgang 1877, S. 579 |
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Der tragbare
Vorpostentelegraph von Siemens und Halske.
Mit Abbildungen auf Taf. XII [c.d/1].
Siemens und Halske's tragbare
Vorpostentelegraph.
Eisenbahnen und Telegraphen sind jetzt der militärischen
Organisation eines Staates und der Vorbereitung auf den Krieg
unentbehrlich geworden, und man kann mit Recht sagen, daß ihre
Leistungsfähigkeit ebenso wie die Beschaffenheit der Heere,
Flotten und Festungen in gewissem Sinn über den Ausgang des
Kampfes entscheidet. Der heutzutage bis auf das Gefechtsfeld
geführte elektrische Draht bildet ganz besonders das Band,
welches die Einheit des Wollens und Könnens, das Zusammenwirken
von Gedanke und That vermittelt und den Reflex der Eindrücke des
Feldherrn in leicht beschwingtem Flug auf das Gebiet der
Wirklichkeit überträgt. Dadurch kann auch der
weitestausgreifenden Action eine Einheit geben werden, welche in
frühern Zeiten fehlte.
Die Engländer nahmen zuerst elektrische
Telegraphen mit in den Krieg, als sich die Armee von
Eingeborenen, welche sie in Ostindien hielten, gegen ihre
Herrschaft auflehnte, und sie die Revolte von mehreren Seiten
zugleich bis in das Innere des Landes hinein verfolgen mußten.
Die oft durch große Entfernungen von einander getrennten, die
weite Halbinsel nach allen Richtungen hin durchziehenden
Colonnen wurden mit dem Oberbefehlshaber in telegraphische
Verbindung gesetzt durch Drähte, welche nach Beginn der
Feindseligkeiten in aller Eile herbeigeschafft und auf Rollen
gewickelt mittels Karren nachgeführt wurden. Die Hitze des
Bodens isolirte die Drähte genügend, was die Herstellung der
Leitungen sehr vereinfachte. In dem Krimkrieg von 1854 und 1855
kam der Telegraph bei der Belagerung von Sebastopol, wenngleich
in geringerem Umfang, zur Anwendung. Auch die Franzosen
bedienten sich seiner 1857 in Algier und im italienischen Krieg
von 1859. Bis dahin beschränkte man sich auf Verbindung des
Hauptquartiers mit der Heimat; erst 1860 erstrebte man auch eine
Verbindung der Hauptquartiere mit einzelnen Theilen der Armee.
Die beiden im Krieg von 1860 und 1861 zu gleicher Zeit aus
Toscana und aus der Romagna, das eine durch Umbrien, das andere
durch die Mark Ancona, ausmarschirenden, durch die Apenninen von
einander getrennten, sich zur Belagerung von Ancona
vereinigenden Corps wurden während aller ihrer Bewegungen durch
zwei Telegraphenlinien, welche in ihrem Rücken zusammenliefen,
in Verbindung erhalten. In dem nordamerikanischen Bürgerkrieg
soll der elektrische Telegraph im Gefecht selbst angewendet
worden sein, nämlich in der Schlacht bei Frederiksburg, und zwar
unter dem Feuer der feindlichen Geschütze.
In dem dänischen Feldzug von 1864 war bei
Gelegenheit des Sturmes auf die Düppelschanzen (18. April)
wenige Schritte hinter der Kuppe des Spitzberges, auf welchem
Prinz Friedrich Karl während des Kampfes seine Stellung genommen
hatte, eine Feldstation im Wagen eingerichtet worden. Im Feldzug
von 1866 verdoppelten sich die 2 bisher bestandenen preußischen
Feldtelegraphenabtheilungen in 4 mit vollkommenerem Material und
unter einem besondern Chef der Militärtelegraphie, welcher ein
inniges Ineinandergreifen der Staats- und Feldtelegraphie zu
erstreben hatte. Die Erfahrungen dieses Krieges, in welchem der
Feldtelegraphie zum ersten Mal eine umfangreichere Thätigkeit
zufiel, führten zu einer zweiten Reorganisation des
Feldtelegraphenwesens. Am Schluß des Feldzugs im Februar 1871
war das französische Gebiet mit 11800km deutscher Drahtleitung
überzogen; 91 Stationen fungirten in vollem Betrieb. Eine große
Zahl dieser Linien war ganz neu angelegt, ein anderer Theil
(5300km) unter
Benutzung der vorhandenen, theilweise zerstörten französischen
Telegraphenanlagen wieder hergestellt worden. Das gesammte
deutsche Telegraphennetz in Frankreich erstreckte sich Mitte
Februar, außer den Hauptlinien auf Paris und Umgebung, in
mehrfachen Verzweigungen gegen Norden bis nach St. Quentin,
Amiens, Rouen, gegen Westen bis Alençon, Le Mans, Tours,
gegen Süden bis Blois, Orléans, Gien, Auxerre, Montbard,
Beaune, Dôle, Poligny, Montbéliard, Delle, von
welchen die am meisten vorgeschobenen Stationen mit mobilen
Detachements besetzt waren. Dazu kam noch die Weiterausdehnung
des Telegraphennetzes an der deutschen Nordsee- und Ostseeküste
für Kriegszwecke. Die im Küstenland ausgeführten
Telegraphenanlagen beliefen sich auf 3100km Drahtleitung mit 44
Stationen.
Jetzt hat der Telegraph nicht nur das
Hauptquartier mit den fechtenden Abtheilungen und diese wiederum
unter einander zu verbinden, sondern auch die Communication der
Armeen nach rückwärts mit der Basis, d.h. mit dem Staatsnetz zu
erhalten. Diese Verschiedenheit der Aufgaben der
Kriegstelegraphie bedingt auch eine Verschiedenheit des
Materials und der Arbeit. In erster Linie sind es die Feldtelegraphenabtheilungen, zunächst zum
Dienst gegen den Feind bestimmt, und dahinter die Etappentelegraphenabtheilungen, welche
die operirende Armee nach rückwärts mit dem Staatsnetz
verbinden. Die ersteren haben ein leicht transportables und
versetzbares Material, das ausschließlich in dem durch die
Operationen gewonnenen Terrain zur Anwendung kommt und ebenso
schnell aufgestellt wie abgebrochen ist. Die andern, deren
Thätigkeit in der Aptirung, Ausbesserung, Vervollständigung der
nur flüchtig angelegten Leitungen und ihres Zubehörs besteht,
haben zur Aufgabe die Einrichtung mehrerer rückwärts gelegener
Linien auf verschiedenen Wegen als Gegenmittel gegen die
Gefahren schneller Zerstörung von feindlicher Hand oder
Beschädigung durch Wettereinfluß. Beide Organe gehen aus der
Staatstelegraphie hervor, die schon im Frieden das Personal und
Material dazu bereit hält. Eine während des Friedens bestehende
Telegraphentruppe gibt es nicht. Die Staatstelegraphie gibt
mithin stets die Grundlage, auf welcher die Entwicklung der
Feldtelegraphie in die Praxis tritt. Zu diesem Zweck liegt ihr
auch bei drohender Kriegsgefahr ob, in der Nähe der feindlichen
Grenzen neue Linien anzulegen, vorhandene Zwischenräume zu
schließen, an geeigneten Punkten die Anlegung von Stationen
vorzubereiten, die wichtigeren Grenzpunkte mit den für die
Kriegführung wesentlichen rückwärts gelegenen Verkehrsstationen
mit der eigenen Hauptstadt in Verbindung zu bringen und für
rechtzeitige Ausfüllung der Lücken zu sorgen, die in personeller
und materieller Beziehung durch die Ausdehnung des heimischen
Telegraphennetzes entstehen.
Während der Offensive haben die
Feldtelegraphenabtheilungen, die den Truppen zunächst folgen,
dem Gegner die Verbindung mit den schon besetzten rückwärtigen
Landestheilen abzuschneiden, möglichst ohne daß deshalb
vorhandene Linien unterbrochen werden. Die
Etappentelegraphenabtheilungen, welche in zweiter Linien folgen,
stellen dann bei ihren Vervollständigungs- und
Ausbesserungsarbeiten unter Verwerthung der noch vorhandenen
Anlagen eine für das Armeecommando nutzbare Verbindungen her,
beseitigen Fehler in den Leitungen und etwa zurückgelassenen
Apparaten und bedeutendere Zerstörungen. Nach Maßgabe des
Vorrückens der Armee schiebt die Centraltelegraphenverwaltung
ihre Organe nach und vervollständigt in jeder Beziehung die
Einrichtung der Etappentelegraphie. Bei dem Zurückgehen der
Armee trachten die Feldabtheilungen eine Isolirung von
elektrischen Drähten in den Raum, welcher zwischen der
rückwärtsgehenden und der vordringenden Armee liegt,
herbeizuführen und die Quartiere der zurückgehenden Heerestheile
durch flüchtige Leitungen zu verbinden. Die Etappentelegraphie
kommt dabei kaum zur Thätigkeit, da das Hauptquartier bei dem
Rückzug naturgemäß auf ein ausgebildetes, mit zahlreichen
Stationen versehenes Telegraphennetz stößt.
Nach den in den letzten großen Kriegen
gesammelten Erfahrungen wird in der Neuzeit eine weitere
Ausbildung und Nutzbarmachung der Feldtelegraphie in dem Sinne
angestrebt, daß dieselbe in die Reihen der Truppen selbst
eingebürgert und mit ihren äußersten Fühlhörnern bis an die
vordersten Linien der Kämpfenden herangeführt werde. Es soll
dies hauptsächlich erreicht werden durch Einführung beweglicher
Stationen, welche den Befehlshaber der Avantgarde auf seinem
Vormarsch begleiten, durch die Heranbildung von
Militärtelegraphisten in der Fronte der Truppen und durch
Herstellung und Anwendung tragbarer, ganz leichter Telegraphen
für den Dienst bei den Vorposten, bei Recognoscirungen und im
Gefecht selbst. Vorschläge dazu traten schon im J. 1872 hervor,
und zwar zuerst in Rußland. Von einem Telegraphentechniker wurde
damals dem russischen Kriegsministerium ein transportabler
Telegraphenapparat empfohlen, bei dem es selbst einem Unkundigen
durch Anwendung einer Morse-Schreibtafel möglich war, bestimmte
Meldungen abzugeben. Dieser Telegraph sollte die
Cavallerievedetten telegraphisch mit ihren Feldwachen verbinden
und so ein schnelles Benachrichtigen im Vorpostendienst
ermöglichen. Der im Allgemeinen ganz sinnreich combinirte
Telegraph mußte indeß zurückgewiesen werden, weil die geringe
Zahl der auf der Tafel angebrachten Meldungen (es waren nur 5)
doch für den Vorpostendienst zu beschränkt war und deshalb
leicht zu gefährlichen Mißverständnissen Anlaß geben konnte. In
Frankreich trat bald darauf Trouvé mit einem ähnlichen, nur bedeutend
vervollkommneten Vorpostentelegraphen (*1876 221 430) auf, welcher namentlich in London großes Interesse
erregte.
Angeregt durch diese Vorschläge und durch die bei einem Manöver
im Eifelgebirge angestellten Beobachtungen, welches bei seiner
Unwegsamkeit und seinen steilen Bodenerhebungen so recht
deutlich den Nutzen erkennen ließ, den schnelle Meldungen in
wenig übersichtlichem Terrain für den Gang und die Entwickelung
einer militärischen Action darbieten, unternahm nach der
Austritten Zeitung, September 1877 S. 213 der k. preußische
Hauptmann des Eisenbahnregiments Buchholz Vgl. auch F. H. Buchholtz: Die
Kriegstelegraphie (Berlin 1877. Mittler und Sohn. Preis 3 M.)
S. 78., mit Unterstützung der Firma Siemens und Halske zu Berlin, die Construction eines neuen
Vorpostentelegraphen. Derselbe besteht aus kleinen
Morse-Farbschreibern mit einer Batterie Siemens und Halske'scher
Pappelemente und wendet als Leitung ein etwa 3mm starkes Kabel an. Da es
für einen beweglichen Telegraphen erforderlich erschien, die
Anwendung der feuchten Erde als Rückleitung aufzugeben, wurde
eine metallische Rückleitung als Hauptbedingung anerkannt und
trotz der entgegenstehenden Schwierigkeit die beiden Drähte der
Leitung und Rückleitung isolirt gegen einander in einem dünnen
Kabel vereinigt. Es gelang auch, die Verbindung der Doppelkabel
so herzustellen, daß sie von einem Laien ohne besondere Uebung
in kürzester Zeit ausgeführt werden konnte. Es werden zu diesem
Zweck alle Apparate, Batterien und Kabelenden mit ganz gleichen
Verbindungsstücken versehen, welche rein mechanisch
zusammengefügt werden und keine besondere Kenntniß der Schaltung
der Apparate bedürfen.
Das Kabel selbst ist in Stücken von 500m Länge auf Trommeln R (Fig. 18)
gewickelt, welche in einen Tornister so eingelegt sind, daß sie
sich bei dem Vorgehen des Trägers von selbst abwickeln und so
die Leitung mit der Geschwindigkeit eines marschirenden
Infanteristen ausgelegt werden kann.
Der Apparat ist in einen kleinen Kasten verpackt. Derselbe
enthält außer dem Farbschreiber aa (Fig. 19)
mit Selbstauslösung und Weckervorrichtung ein kleines
Galvanoskop, eine Weckerglocke und außerhalb den Taster. Das
3k schwere Kästchen
wird am Riemen über der Brust getragen und kann bei jedem Wetter
benutzt werden. Der Deckel ist mit Glasscheiben versehen, um dem
Träger die Beobachtung des Uhrwerkes zu gestatten. A ist das Fenster für den
Schreibapparat, g das Fenster für
das Galvanoskop. Die Apparate arbeiten mit Ruhestrom, so daß
jede Unterbrechung durch die Weckerglocke angezeigt wird. Die
eingehenden Depeschen lösen das Uhrwerk selbstthätig aus und
setzen ebenfalls den Wecker in Bewegung, um bei Unaufmerksamkeit
des Telegraphisten das wiederholte Anrufen zu vermeiden.
Außerdem befindet sich am Kasten ein Schlüssel S zum Aufziehen des Uhrwerkes und ein
Griff N (Fig. 20)
zum Abstellen des Weckers.
Die Batterie ist fest verpackt in einen Kasten (Fig. 21);
sie enthält 10 Elemente, bleibt lange Zeit hindurch in
Thätigkeit, ohne in ihrer Wirkung nachzulassen, und wiegt 11k. Bei dem Auslegen des
Telegraphen bleiben die Batterie und ein Apparat auf dem
Ausgangspunkt stehen und zwischen beiden befindet sich das sie
verbindende Kabelstück b. Ein Mann
geht mit dem Tornister vor, der andere mitgehende Soldat trägt
den Apparat und eine Reserverolle, ebenfalls mit 500m langem Kabel, zusammen
etwa gegen 9k,5 im
Gewicht. Die beiden Träger sind somit für die Länge von 1km mit allem nothwendigen
Material ausgerüstet und können die Linie in 10 bis 12 Minuten
einrichten. Das Kabel c₁ c₂ verbindet
die Rolle R, welche ihrerseits durch
das Kabelstück d₁ d₂ mit dem zweiten offen
gezeichneten Apparate (Fig. 19)
in Verbindung steht, mit dem zweiten, geschlossenen und von
rückwärts gesehen abgebildeten Apparate (Fig. 20).
Aus dem Gefäße F wird nach Bedarf
frische Farbe auf die Farbwalze f
aufgetragen. Der Papierstreifen P
ist in dem Kasten p untergebracht
und geht durch die Führung r. Der
Taster T läßt sich durch eine
einfache Drehung in einer für ihn ausgesparten Höhlung des
Kastens unterbringen und wird nur zum Gebrauch aus dieser in die
in Fig. 19
angegebene Lage herausgedreht. Die Kurbel K (Fig. 18)
dient zum Wiederaufrollen des ausgelegten Kabels und ist mit
einer Haltefeder k versehen.
Das ganze Material würde im Fall des Krieges auf einem
Feldequipagewagen der Infanteriebataillone mitgeführt werden und
im Fall des Gebrauches von den für den Telegraphen bestimmten
Leuten gegen Abgabe ihres Marschgepäckes in Empfang genommen.
Die Fälle des Gebrauches selbst werden sich kaum vorher bestimmt
angeben lassen, da die praktische Verwendbarkeit des
Vorpostentelegraphen nicht allein von dem Terrain und der
Gefechtslage, sondern auch von dem Grad der durch längern
praktischen Gebrauch bei den Truppen im Frieden gewonnenen
Vertrautheit mit seiner Handhabung abhängt. Das Maß der
Verwendbarkeit in der Wirklichkeit ist deshalb nicht vorher zu
berechnen. Frankreich, Italien und England haben seit dem J.
1874 angefangen, die Feldtelegraphie auch bei den
Friedensmanövern mit Nutzen anzuwenden, und es war bei einer
solchen Gelegenheit in England bereits eine Drahtleitung von
92km in Thätigkeit,
gewiß eine nicht unbedeutende Friedensleistung, die in der
militärischen Welt mit allgemeinstem Interesse aufgenommen
wurde.