Titel: | Der Kurbelwebstuhl der Sächsischen Webstuhlfabrik, vormals Louis Schönherr in Chemnitz. |
Autor: | Emil Lembcke |
Fundstelle: | Band 230, Jahrgang 1878, S. 23 |
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Der Kurbelwebstuhl der Sächsischen
Webstuhlfabrik, vormals Louis Schönherr in Chemnitz.
Mit einer Abbildung auf Tafel 5.
Lembcke, über Schönherr's Kurbelwebstuhl.
Dieser für Leinen, Jute, schwere Baumwollgewebe, namentlich Matratzen-Drell u.s.w.
bestimmte, in Fig. 9 Taf.
5 veranschaulichte Stuhl ist eine Combination des englischen Systems mit dem Schönherr'schen und ist empfehlenswerth, wenn bei
kleinerer Arbeitsbreite mit groſser Geschwindigkeit gewebt werden soll. Es ist
demzufolge die den englischen Stühlen eigentümliche Ladenbewegung durch die Kurbel
in Verbindung gebracht worden mit der rühmlichst bekannten, die Kettenfäden
schonenden Schönherr'schen Geschirr- und Walkbewegung;
es ist für die Herstellung gleichbleibender Kettenspannung der selbstthätig wirkende
Schönherr'sche Garnbaumregulator, für die
Aufwicklung der Waare aber ein englischer Streckenregulator benutzt worden, welcher
ebenso gut durch einen positiv wirkenden ersetzt werden kann. Der Schützenschlag ist
der bekannte Oberschlag.
Das Gestell ist dem der englischen Stühle nachgebildet;
es ist vorn und hinten durch Langriege], oben durch den Geschirrriegel und auſserdem
noch durch den Brustbaum und zwei Stück parallel zu den Wänden liegenden Querriegeln
versteift, welch letztere gleichzeitig für die Lagerung der Schlagexcenterwelle
dienen. Vortheilhaft zeichnet es sich aus durch sehr groſse Tiefe, Stärke und durch
solide Lagerungen der Kurbelwelle und der Schlagexcenterwelle, so daſs den
Bedingungen' welche unelastische Webketten aufstellen, überreich entsprochen
ist.
Die Aufspannung der Kette und die Aufwindung der Waare.
Der Garnbaum ist in ähnlicher Weise gelagert wie im Schönherr'schen Stuhl; er hat ebenfalls groſsen Durchmesser und eine hölzerne, am einen Ende
befindliche Bremsscheibe. Zu seiner Bremsung dient der Schönherr'sche Garnbaumregulator. Ein sich am Garnbaum anlegendes Fühlholz
bestimmt die Hebelarmlänge des Differentialhebels in solcher Weise, daſs letztere
stets gleich dem Garnbaum-Füllungshalbmesser ist. Das Stahlband wird somit durch das
Bremsgewicht während der Abwebung des Baumes immer schwächer gezogen, so daſs die
Kettenfadenspannung sich stets gleich bleibt, ohne daſs der Arbeiter nachhilft.Diesen Waarenbaumregulator richtet die Sachsische
Webstuhlfabrik auch so ein, daſs er positiv und negativ angewendet
werden kann. Zur Ausgleichung der Kettenfadenspannung bei
geschlossenem und geöffnetem Fache und zur Herstellung einer möglichst kräftigen
Walke ist ebenfalls die Schönherrsche Walkbewegung in
Anwendung gebracht worden. Die Kettenfäden laufen über eine hölzerne Walze hinweg,
welche während des Ladenanschlages so hinaus bewegt wird, daſs sämmtliche Fäden
kräftig gespannt werden. Dies führt zu sicherer Einlegung des Schusses und, wenn
Aufwindevorrichtungen angewendet werden, auch zu einer sehr gleichmäſsigen
Schuſsdichte. Für schwere Waaren und groſse Schuſsdichten ist dieser Apparat kaum zu
entbehren. Seine Schwingung erhält der Walkbaum von beiden Enden aus durch auf der
Kurbelwelle befestigte Excenter und an den Gestellwänden angehängte Winkelhebel,
welche durch kurze Zugstangen die aufgehängten Walkwellenlager hin und her
bewegen.
Hat das Kettengarn die Kreuzschienen, das Geschirr und das Blatt durchlaufen, so
kommt es, durch den hier eingetragenen Schuſs zu Waare geworden, auf den Brustbaum,
welcher aus Guſseisen gefertigt ist. Etwas rückwärts schräg nach unten zu gelangt
die Waare auf den Aufwindebaum, läuft unten um denselben herum und wickelt sich vor
ihm auf den Waarenbaum auf. Der Aufwindebaum ist eine Holzwalze, welche mit Nadeln
besetzt ist, um die Waare sicher fortzubewegen. Der Waarenbaum liegt mit seinen
Zapfen auf schrägen Flächen, die ihn stets zum Aufwindebaum hin laufen lassen, so
daſs letzterer den erstem dreht und sich auf diesen die Waare wickelt.
Die Drehung des Aufwindebaumes erfolgt bei Drellstühlen durch einen Streckenregulator
auf folgende Weise. Der Aufwindebaum trägt an seinem rechten Ende ein Stirnrad, in
welches ein kleineres Getriebe greift, auf dessen Welle auſserhalb der rechten
Gestellwand ein Steigrad sitzt. In dieses greift ein Zughaken, welcher an einen
Hebel gebolzt ist, der lose auf der Sperrradwelle steckt und durch eine Zugstange
und Scheibengewichte belastet ist. Schlägt die Lade an und ist zuvor Schuſsfaden
eingetragen worden, so wird die Waarenspannung zwischen Rietblatt und Waarenbaum
kleiner als die Kettenspannung, es senken sich die Gewichte und wird die Klinke das
Steigrad so lange drehen,
bis die frühere Waarenspannung wieder eintritt; es wickelt sich somit das gewebte
Stück Waare auf. Gegenklinken verhindern alsdann die Zurückwicklung. Damit der
Gewichtszug für die Waarenaufwindung immer derselbe bleibe, also die Gewichte und
die Klinken nicht nach und nach sich tiefer stellen, ist mit der Ladenstelzenwelle
ein horizontaler Arm verbunden, welcher die Gewichtsstange während des
Ladenrückganges um so viel hebt und den Zughaken um so viel wieder im Sperrrad
zurückstellt, als sie während der Waarenaufwicklung herunter gekommen waren.
Dadurch, daſs sich die Waare nicht direct auf den vom Streckenregulator betriebenen
Aufwindebaum wickelt, sondern auf eine vor diesem liegende Walze, wird auch bei
fortgesetzter Webung die Aufwicklung immer gleichmäſsig straff bleiben; es ist dies
eine wesentliche Verbesserung der englischen „Fustian
looms.“
Die Geschirrbewegung ist die bekannte Schönherrsche mit seitlich gelagerten, senkrecht
stehenden Tritten, welche durch Excenter unten nach auſsen bewegt und durch Federn
wieder hereingezogen werden. Jeder Schaft bewegt sich unabhängig von allen anderen
und der Excenterform zufolge auſserordentlich ruhig; das Fach wird nach und nach
geöffnet, geschlossen und dazwischen ziemlich lange offen gehalten. Oben und unten
stehen die Schäfte durch um Rollen gelegte Ketten und sich anschlieſsende Zugdrähte
mit ihren Tritten in Verbindung. Jeder Tritt wird durch ein Excenter ausgetreten und
hierdurch sein Schaft in das Unterfach gebracht, worauf eine unten an den Tritt
gehängte, sehr lange Spiralfeder den Tritt und den Schaft entsprechend der Form der
Excenterablaufcurve in das Oberfach stellt. Die Excenterwelle liegt, wie bei allen
Schönherrschen Webstühlen, horizontal und parallel
zur Gestellwand; sie wird hier durch gleich groſse Kegelräder und durch ein Paar
Stirnräder von der Kurbelwelle aus betrieben. Für Herstellung anderer Bindungen mit
anderer Schäftezahl ist nur die Excenterwelle mit dem darauf sitzenden Stirnrad
auszuwechseln.
Die Lade und ihre Bewegung. Die Form der Lade und der
Mechanismus zu ihrer Schwingung sind dem englichen System entlehnt. Zwei Kröpfungen
der Kurbelwelle treiben durch Kurbelstangen die unten drehbaren Ladenschwingen.
Die Schützenkästen und der Schützenwächter unterscheiden
sich in nichts Wesentlichem von der bekannten englischen Vorrichtung mit festem
Blatt und Protector. Kommt die Schütze nicht richtig in den Kasten, so drückt sie
die Zunge der Hinterwand nicht genügend hinaus, dreht demzufolge die unten am
Ladenklotz liegende Welle mit den Stechern nicht vollständig, so daſs bei halbem
Ladenvorgang die Stecher in die Frösche der Gestellwände einfallen und den weiteren
Ladenvorgang
unterbrechen. Gleichzeitig führt dies zur Ausrückung des Webstuhles, weil sich ein
Frosch um weniges nach vorn hin bewegt, durch einen Stift den Federhebel drückt, ihn
ausklinkt und dadurch die Riemengabel vor die Losscheibe stellt.
Die Schütze und ihre Schlagvorrichtung. Die Schütze ist
die gewöhnliche englische; sie kann für Spulen oder für Kötzer eingerichtet sein.
Der Schlag ist der englische Oberschlag; der durch Spindeln horizontal geführte
Treiber wird durch darüber befindliche horizontal schwingende Schlagarme getrieben.
Letztere sind an stehenden Schlagwellen angebracht, die unten conische Rollen
tragen, gegen welche die Schlagexcenter wirken. Da der Schlag abwechselnd, Schuſs um
Schuſs, erfolgen soll, sind letztere um 180° gegenseitig verstellt und auf einer
Welle befestigt, welche parallel zur Kurbelwelle unter demselben liegt und durch
Stirnräder halb so schnell als diese von ihr aus getrieben wird. Spiralfedern und
Riemen bringen die Schlagarmwellen nach erfolgtem Schlage stets wieder in ihre
Ruhestellung zurück.
Der Antrieb ist dem englischen Stuhle ebenfalls
nachgebildet. Die Verschiebung des Riemens von der Losscheibe auf die Festscheibe
oder umgekehrt bewirkt eine Riemengabel, welche in der Mitte drehbar befestigt ist
und mit dem vorderen Ende den Ausrückhebel (Federhebel) durchsticht. Stellt der
Arbeiter den letzteren von sich ab, so rückt der Stuhl ein; zieht er ihn an sich an,
so rückt der Stuhl aus. Damit der Arbeiter auch aus- oder einrücken kann, wenn er an
der Seite des Stuhles steht, woselbst keine Riemengabel ist, hat die Sächsische Webstuhlfabrik noch vorn am Brustbaum hin
eine Stange gelegt, die durch Handgriffe gedreht, bezieh. geschoben werden kann und
auf den Federhebel einwirkt. Als ganz vorzüglich ist noch anzuführen, daſs die
Losscheibe sehr stark und sehr breit gemacht worden ist, daſs man auch bei
eingerücktem Riemen denselben noch etwas mit auf der Losscheibe laufen und daſs
zufolge der Schwungkraft der letzteren der Stuhl sehr ruhig läuft und sich leicht
abstellen läſst.
Geschwindigkeits- und Leistungsverhältnisse. In der
Schnelligkeit des Ganges gibt dieser Stuhl den englischen Webstühlen nichts nach, in
der Schonung der Fäden aber und in der Gleichmäſsigkeit und Dichte der Stoffe
übertrifft er dieselben. Die minutliche Umdrehungszahl der Antriebwelle, d. i. die
in derselben Zeit einzuschieſsende Schuſsfadenzahl, ohne Berücksichtigung der
Unterbrechungen, stellt sich je nach den Blattbreiten von 85 und 212cm auf 140 bezieh. 100, wobei eine Schütze
angenommen wurde, welche eine Spule von 39mm
Durchmesser und 160mm Länge aufnimmt.
Die Unterbrechungsverluste ergeben sich im Mittel zu 30 Proc. sind aber stets
kleinere als an englischen Stühlen, weil die Bauart eine auſserordentlich solide
ist, die Schütze sehr sicher läuft, Schnürungen vollständig vermieden sind, der Stuhl selbst bei etwas
unregelmäſsigem Gange der Betriebsmaschine noch sicher arbeitet und das Webmaterial
möglichst geschont. wird.
Emil Lembcke.