Titel: | Ueber Riementriebe; von J. Schlink. |
Autor: | J. Schlink |
Fundstelle: | Band 230, Jahrgang 1878, S. 464 |
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Ueber Riementriebe; von J. Schlink.
Schlink und Radinger, über Riementriebe.
Ueber diesen Gegenstand bringt D. p. J. 1878 228 385
einen Auszug aus dem sehr beachtenswerthen Berichte von Prof. J. F. Radinger; derselbe rügt hierbei die in Europa
allgemein herrschende Abneigung gegen das Uebertragen starker Kräfte mittels Riemen
und schildert mit lebhaften Farben das entgegengesetzte Verfahren in Nordamerika. In
weiterem Verfolg seiner Untersuchungen bezeichnet Prof. Radinger als Hauptgrund des abweichenden Verfahrens in beiden Welttheilen
die von Amerikanern seit längerer Zeit gemachte Entdeckung des für Riemenübertragung
wichtigen, uns europäischen Technikern bisher unbekannten Umstandes, „daſs
die auftretenden Spannungen des Riemens nicht von der Gegenpressung allein
herkommen, sondern daſs auch der Atmosphärendruck den Riemen an seine
Scheibe preſst.“ Die von Radinger in
seinem Originalberichte mitgetheilten Beispiele beweisen allerdings die
unwidersprechliche Thatsache, daſs man in Amerika allgemein in der Riemenübertragung
viel weiter geht als in Europa; denn 1000e mittels
5 Riemen von 660 bis 1070mm Breite zu übertragen,
wie dies die Connant Thread Company in Pawtucket, R.
I., thut, hat bis jetzt wohl kaum ein europäischer Ingenieur gewagt. In solchen
Fällen geht man, wenn Zahnräder vermieden werden sollen, zum Seilbetrieb über. In
den letzten Jahrgängen des Engineering sind mehrere
derartige Ausführungen beschrieben. (Vgl. 1876 220 189. *221 411. 1877 225 207.)
Zur Ehrenrettung der europäischen Technik müssen wir aber doch behaupten, daſs die
Sachlage nicht gar so schlimm ist, wie man nach Radinger's Schilderung vermuthen soll. Auch hier zu Lande hat man an
vielen Stellen längst über die früher gebräuchlichen Regeln sich hinweggesetzt und
deren Unzulänglichkeit an bewährten Ausführungen nachgewiesen. Beispielsweise werden
in Rheinland-Westfalen seit vielen Jahren bei Draht- und Bandeisenwalzwerken groſse
Kräfte mittels Riemen erfolgreich übertragen, ohne daſs man sich an die in Lehr- und
Taschenbüchern vorgeschriebenen Beschränkungen viel gekehrt hat.
Die in Note 3 S. 390 Bd. 228 mitgetheilte Regel des bekannten deutschamerikanischen
Ingenieurs Röbling, wonach 70 englische Quadratfuſs
(6qm,5) laufende Riemenoberfläche in der
Minute für eine Pferdekraft genügen, ist unseres Wissens eine uralte, wahrscheinlich
aus England stammende Formel, welche in verschiedenen, aber unwesentlichen
Variationen und mit kleinen Abänderungen des constanten Coefficienten überall in
Europa gebräuchlich war und theilweise noch ist. In Deutschland rechnete man
vielfach nur 60 rheinl. Quadratfuſs oder 5qm,91.
Die Formel lautet also:
Riemenbreite in Zoll =
70 × 12 ×
Perdekraft–––––––––––––––––––––––––––––––––––Minutliche
Riemengeschwindigkeit in Fuſs
Die ebenfalls von Radinger mitgetheilte neue
amerikanische Regel aus dem Roper'schen Handbuch
lautet:
Riemenbreite in Zoll =
36000 ×
Pferdekraft––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––Minutliche
Riemengeschwindigkeit in Fuſs × Hälfte derAuflagelange in Zoll
wobei unter Auflagelänge die der kleineren Scheibe verstanden
ist. Beide Formeln geben gleiche Riemenbreite, wenn die Hälfte der Auflagelänge auf
der kleinen Scheibe 300 : 7 = 426/7 Zoll engl. ist, was bei halber Umspannung einem
Durchmesser der kleinen Scheibe von etwa 53¼ Zoll entspricht, d.h. für diesen
Durchmesser sind die Riemenbreiten nach beiden Regeln gleich, für gröſsere
Durchmesser fallen die
Roper'schen Breiten kleiner, für kleinere
Durchmesser aber gröſser aus als nach der alten Regel, und zwar genau im Verhältniſs
der Durchmesser der kleinen Scheiben.
Nachstehend führen wir einige hiesige Beispiele von Uebertragung gröſserer Kräfte
durch Riemen an.
Ende der 60er Jahre wurde in Troisdorf ein Drahtwalzwerk errichtet, dessen
Dampfmaschine von 850mm Cylinderdurchmesser und
1400mm Hub mit 2at,5 Ueberdruck und Condensation, bei 60 Umdrehungen in der Minute ihre
ganze Kraft mittels einer Riemenscheibe von etwa 8000mm Durchmesser und eines 500mm breiten
Riemens auf eine Vorgelegeachse überträgt, welche durch zwei weitere
Riemenübertragungen ein Vorwalzwerk und das eigentliche Drahtwalzwerk betreibt.
Dem Mitbesitzer eines Bandeisenwalzwerkes in Duisburg verdanken wir nachstehende
Angaben: Die liegende Dampfmaschine von 637mm
Cylinderdurchmesser und 940mm Hub treibt direct
ein sogen. Vorwalzwerk und mittels Riemen das eigentliche Bandeisenwalzwerk. Der
Durchmesser der groſsen Riemenscheibe beträgt 4740mm, der kleinen 1546mm, die
Umdrehungszahl der Maschine 100 in der Minute, die Breite des Riemens 325mm, die Dampfspannung schwankt zwischen 2 und 3at Ueberdruck und wird mit halber Cylinderfüllung
gearbeitet. Die ganze Kraft der Maschine ist zeitweise durch den Riemen zu
übertragen. Unter Annahme von 2k,5 auf 1qc Dampfüberdruck, 60 Proc. Nutzeffect der
Maschine und 1k,275 auf 1qc Gegendruck auf den Kolben – bei rasch laufenden
Walzwerksmaschinen bekanntlich sehr hoch – ergeben sich etwa 135e. Die Geschwindigkeit des Riemens in der Secunde
beträgt 24m,8, die laufende Riemenfläche 484qm in der Minute. Nach den älteren Regeln – 6,5
bezieh. 5qm,91 für Pferd und Minute – verlangen
135e eine Riemenfläche von 877,5 bezieh.
797qm,85 in der Minute, während diese in
Wirklichkeit nur 484qm beträgt: es könnte ferner
ein 325mm breiter Riemen nur 74,5 bezieh. 82e übertragen, und bedingten die 135e eigentlich einen Riemen von 589 bezieh. 536mm Breite. Nach der neuen amerikanischen Regel
erhalten wir eine Riemenbreite von 528mm, oder
203mm mehr als ausgeführt. Die Riemenbreite
von 325mm erscheint allerdings für die ganze
Uebertragung der vollen 135e etwas schmal.
Dieselbe Maschinenfabrik, welche die beschriebene Anlage ausführte, lieferte in den
J. 1872, 1875 und 1876 einem anderen Bandeisenwalzwerk drei gleiche Dampfmaschinen
von 628mm (24 Zoll rheinl.) Cylinderdurchmesser,
780mm (30 Zoll) Hub, 3,5 bis 4at Ueberdruck, 100 bis 110 Umdrehungen in der
Minute, ohne Condensation mit halber Cylinderfüllung arbeitend, welche sämmtlich mit
Riemenübersetzung versehen sind. Die erste dieser Maschinen überträgt ihre ganze
Kraft mittels eines Schwungrades von 4700mm
Durchmesser, eines 470mm breiten Riemens und einer
Riemenscheibe von 1880mm auf die zugehörige Walzenstraſse. Bei nur
3at,5 Dampfüberdruck und nur 100 Umdrehungen
in der Minute, sonst unter denselben Annahmen wie oben, erhalten wir 164e, ferner eine Riemenbreite nach der neuen
amerikanischen Regel von 534mm, nach der älteren
722mm und nach der älteren deutschen 656mm. Auf der zuletzt beschriebenen Walzenstraſse
wird stets sehr flott gewalzt, beinahe unausgesetzt zu gleicher Zeit in die Vor-,
Fertig- und Polirwalzen eingesteckt, daher die Kraftleistung wahrscheinlich
bedeutender ist, als wir angenommen haben. Werden ferner die bei Walzwerken
vorkommenden Stöſse und Unregelmäſsigkeiten berücksichtigt, so läſst sich nicht
verkennen, daſs die deutschen Praktiker in der Riemenbeanspruchung weiter gegangen
sind wie die Amerikaner; denn die beschriebenen Ausführungen weisen überall
geringere Riemenbreiten nach, als die Rechnung nach der neuen amerikanischen Formel
ergibt.
Es fällt nicht schwer, noch eine ganze Reihe von Beweisen zu erbringen, nicht nur aus
der Walzwerkstechnik, sondern auch anderen Betrieben, daſs die Anwendung der Riemen
hier zu Lande doch gröſser ist, als Prof. Radinger
annahm, und daſs sich in der Praxis Regeln ausgebildet, welche die früheren
Beschränkungen vollständig über den Haufen werfen, wenn zwar die neuen Anschauungen
auch noch keinen Ausdruck in einer allgemein giltigen Formel gefunden haben.
Wir geben gerne die groſse Ueberlegenheit Amerikas in der Anwendung von Riemen zu,
erkennen ebenso bereitwillig wie dankbar das hohe Verdienst Prof. Radinger's an, auf diesen gewaltigen Unterschied
aufmerksam gemacht und denselben kritisch beleuchtet zu haben, können überhaupt
jedem Fachmann warm das Studium des erwähnten Originalberichtes empfehlen. Jedermann
wird daraus Belehrung schöpfen und zu nützlichen Vergleichen mit hiesigen
Verhältnissen angeregt.
In der Fortsetzung des Auszuges Bd. 229 S. 114 ff. wird „über Zahnräder“
berichtet. Nach Prof. Radinger sind 3 Beispiele
amerikanischer Zahnräderübersetzungen vorgeführt von 400 bis 1400e, deren secundliche Umfangsgeschwindigkeit 15 bis
etwa 22m beträgt, und ist dann wörtlich
gesagt:
"Vergleicht man diese Werthe mit jenen europäischer Räder, so
fällt vor Allem die hohe Eingriffgeschwindigkeit auf. Bei uns ist diese nämlich
meist 10 bis 13m in der Secunde, erhebt sich nur
in seltenen Fällen bis 15m, und in ganz Europa
dürfte es kaum ein Rad mit mehr als 17m
EingriffsgeschwindigkeitEingiffsgeschwindigkeit geben."
Das letztere ist ein Irrthum; die vielen Drahtwalzwerke der hiesigen Gegend, welche
durch Zahnräder betrieben werden, arbeiten mit Geschwindigkeiten von nicht unter
20m in der Secunde, die meisten sogar
erheblich darüber.
Bei uns hat die Fabrikation gröſserer Zahnräder auch entschiedene Fortschritte
gemacht, wohl hauptsächlich in Folge der Einführung von Formmaschinen. Auffallend
muſs es erscheinen, daſs allein Guſseisen und Holz das Material für die Zähne bilden. Auf den Werken
zu Creuzot hat man zwar vor mehreren Jahren einmal sämmtliche Kammwalzen aus Bronze
gegossen; es werden ferner viele Kammwalzen und ähnliche Getriebe aus Stahlguſs
angefertigt, und bei Kokesausdrückmaschinen wendet man für die Zahnstangen jetzt
ausschlieſslich Stahl an. Es unterliegt nun gar keiner Schwierigkeit, kurze
Segmentstücke der stärksten Zahnräderconstructionen in Stahlguſs anzufertigen, sogar
unter dem Dampfhammer auszuschmieden und diese in solider Weise mit einem glatt
abgedrehten Schwungrade, einer sonstigen Radscheibe oder in einer anderen Art zu
einem soliden Ganzen zu verbinden. Man könnte dadurch sehr genaue und haltbare Zähne
erzielen.
Mülheim a. d. Ruhr, August 1878.
Bemerkungen zu Obigem; von J. F. Radinger.
Nachdem ich von obigen Mittheilungen vor Drucklegung Kenntnis
genommen habe, füge ich denselben den Ausdruck meiner Befriedigung darüber bei, daſs
die neuen Anschauungen von so hervorragender Seite Beachtung und Würdigung finden.
Was die angeführten Beispiele betrifft, so scheinen sie mmr allerdings nicht völlig
zutreffend; denn beim ersten derselben ist weder der Effect, noch der Durchmesser
der getriebenen Scheibe angegeben und ein Vergleich daher nicht möglich; von der
nicht mit den Regeln stimmenden Breite des zweiten Riemen-Beispieles wird selbst
zugegeben, daſs sie zu schmal sei; der ausgeführte Riemen des dritten und letzten
Beispieles, dessen Effect übrigens nur annäherungsweise feststeht, stimmt aber mit
nur 12 Proc. Differenz mit der amerikanischen Regel, während er gegen die älteren
europäischen Regeln allerdings bedeutend (bis 34 Proc.) abweicht.
Seiltriebe, welche – nebenher bemerkt – fast sämmtlich nur bei
15m Geschwindigkeit ausgeführt sind, können
wohl nicht in allen Fällen den Riemen ersetzen; denn steil oder mit weniger als 5m geneigter Distanz sind sie nicht verwendbar,
während der Riemen weder durch Lage noch Geschwindigkeit so leicht unpassend
wird.
Zahnräder mit mehr als 17m
Eingriffgeschwindigkeit habe ich in Europa in normalen Transmissionen nirgend
gefunden. Nachdem aber Director Schlink
„erheblich mehr als 20m“ insbesondere bei
Drahtwalzwerken als nicht ungewöhnlich bezeichnet, so trägt wohl er für die
Anführung solcher Thatsache die Verantwortlichkeit.
Damit sind unsere Meinungsverschiedenheiten erschöpft.
Wien, November 1878.