Titel: | Ueber die Constitution des Ultramarins; von Rudolf Rickmann. |
Autor: | Rudolf Rickmann |
Fundstelle: | Band 232, Jahrgang 1879, S. 164 |
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Ueber die Constitution des Ultramarins; von
Rudolf Rickmann.
Rickmann, über die Constitution des Ultramarins.
Zur Erforschung der Constitution einer Verbindung gibt es zwei Wege: die Analyse und
die Synthese. In den älteren Arbeiten über Ultramarin hat man fast ausschlieſslich
versucht, die Constitution dieses Körpers durch die Analyse zu ergründen; erst in
neuerer Zeit, wo man die Unsicherheit dieser Methode erkannt, haben einige Forscher
den synthetischen Weg eingeschlagen. Die Resultate, welche auf der einen oder der
anderen Weise erhalten wurden, weichen sehr von einander ab; fast jeder Chemiker,
welcher sich mit Arbeiten über Ultramarin befaſst hat, ist zu einer besonderen
Anschauung über die Constitution dieses Körpers gelangt. Im Allgemeinen kann man die
so aufgestellten Hypothesen unterscheiden: 1) in solche, welche als
constitutionsbedingenden Körper eine Schwefelverbindung annehmen, und 2) in solche,
welche die Färbung auf andere Verbindungen oder physikalische Ursachen zurückführen.
Zu der letzteren Klasse gehören besonders die von Unger
(1872 206 371. 1874 212 224)
und W. Stein (1871 200 299.
308) aufgestellten Hypothesen. Nach der ersteren ist das Ultramarin eine
Stickstoff-haltige Verbindung von der Formel Al2SiS2O3N2; nach der letzteren ist die Farbe des
Ultramarins durch das optische Verhalten des dunklen Schwefelaluminiums und der
weiſsen Grundmasse begründet. Auch die von Nöllner (Liebig's Annalen der Chemie und Pharmacie, 1859 Bd. 108
S. 19) aufgestellte Hypothese, daſs die Blaufärbung einer besonderen Modification
des Schwefels zuzuschreiben ist, kann man unter dieser Abtheilung aufführen. Die
neueren Arbeiten haben ergeben, daſs diesen Hypothesen nur eine sehr geringe
Wahrscheinlichkeit zukommt.
Die groſse Mehrzahl der Chemiker betrachtet das Ultramarin als eine Verbindung eines
Natrium-Aluminiumsilicates mit einer Schwefelverbindung; und zwar nimmt man an, daſs
die Zusammensetzung dieser Schwefelverbindung die verschiedene Färbung des
Ultramarins (weiſs, grün, blau, roth und gelb) bedingt. Die beiden letzteren Farben
sind erst neuerdings in den Kreis der Untersuchung gezogen; in den älteren Arbeiten
ist nur das Verhalten von Ultramarin-Grün und Blau besprochen. Während einige
Chemiker in diesen Verbindungen die Schwefel-Sauerstoff-Verbindungen als zur
Constitution gehörig betrachten (vgl. Ritter, Chemisches
Centralblatt, 1860 S. 705. Brunner 1840 100 266. Lehmann 1879 231 364), schlieſsen die meisten Chemiker diese
Verbindungen als Verunreinigung aus und nehmen nur die Schwefelnatriumverbindungen
als constitutionsbedingende Körper an: nach diesen Hypothesen ist in dem Weiſs und
Grün eine niederere Schweflungsstufe enthalten als in dem Blau. Welche Schweflungsstufe der
einen oder der anderen Farbe entspricht, darüber gehen die Ansichten aus einander.
Während nach den älteren Hypothesen das Ultramarinblau eine Verbindung von
Natriumaluminiumsilicat mit Natriumpentasulfid sein soll (Breunlin 1856 140 214. Böttinger, Liebig's Annalen der Chemie, 1876 Bd. 182 S. 305), nimmt
neuerdings R Hoffmann (1879 231 363) das Natriumtetrasulfid als die das Ultramarinblau
charakterisirende Verbindung an. Auch über die Bildungsweise des Ultramarinblau aus
den Muttersubstanzen, Weiſs und Grün, gehen die Anschauungen sehr aus einander.
Schon Ritter führt dieselbe auf einen Austritt von
Natrium zurück; dieser Ansicht haben sich auch Knapp
und Ebell (1878 229 69) und
R. Hoffmann angeschlossen, während dagegen Philipp (Liebig's Annalen,
1878 Bd. 191 S. 1) den Uebergang durch Hinwegnahme von Natriummonosulfid erklärt und
Lehmann (1878 230 502)
denselben als einen Oxydationsproceſs auffaſst.
Wie man sieht, herrscht noch eine groſse Verwirrung in den Anschauungen über die
Bildungsweise und Constitution des Ultramarins, und es bedarf vielleicht noch
mancher ernsten Arbeit, bevor das eigentliche Wesen des Ultramarins ergründet ist.
Fragt man nach der Ursache dieser Verwirrung, so ist wohl besonders die wechselnde
und ungleichmäſsige Zusammensetzung des künstlichen Ultramarins zu nennen. Je nach
der Darstellungsweise und Zusammensetzung der Rohmaterialien ist die Zusammensetzung
des Ultramarins eine wesentlich verschiedene. Es geht daraus hervor, daſs das im
Groſsen dargestellte Ultramarin noch nicht den Grad der völligen Reinheit erlangt
hat; ferner folgt hieraus, daſs man aus den durch die Analyse erhaltenen Werthen
keine Schlüsse auf die Constitution ziehen darf. Deshalb wurde in vorliegender
Arbeit eine andere Untersuchungsmethode eingeschlagen. Zunächst wurde die
Zusammensetzung der Muttersubstanz, des sogen. Ultramarinweiſs, ermittelt, und da
dieser Körper eine völlig feste Zusammensetzung hat, bietet hierbei die Analyse ein
gutes Hilfsmittel. Dann wurden die Uebergangsbedingungen des Weiſs in Blau einer
sorgfältigen Betrachtung unterworfen und aus den so erhaltenen Resultaten Schlüsse
auf die Constitution des Ultramarinblau gezogen. Es zeigte sich hierbei, daſs beim
Bläuungsproceſs so verwickelte Reactionen neben einander verlaufen, daſs man
unmöglich aus den durch die Analyse ermittelten Angaben die Zusammensetzung des
eigentlichen Ultramarins ableiten kann.
I) Ultramarin-Weiſs. Als Rohmaterialien zur Darstellung
des Ultramarins verwendet man Kaolin, Soda oder Glaubersalz, Kohle und Schwefel.
Hauptbedingungen zur Erlangung eines guten Productes sind feine Vertheilung, gute
Mischung und Trockenheit des Rohmaterials. Die Mischungsverhältnisse dieser
Rohmaterialien können nach den Versuchen von Knapp und Ebell sehr wechseln. Sehr häufig wird folgende von Gentele angegebene Mischung (Ultramarinsatz)
angewendet: 100 Th. Kaolin, 100 Th. Soda, 60 Th. Schwefel und 12 Th. Kohle. Ein nach
diesen Verhältnissen hergestellter Satz wurde in einem hessischen Tiegel 5 bis 6
Stunden bei Luftabschluſs einer hellen Rothglut ausgesetzt. Es gab ein etwas
zusammengesintertes poröses Product von durchgängig graurother Farbe. Dasselbe
hinterlieſs nach gehörigem Auswaschen mit Wasser ein gelblich weiſses Product; es
ist das zuerst von Ritter dargestellte
Ultramarinweiſs.
Ein etwas reineres Ultramarinweiſs wurde durch Glühen des folgenden Satzes erhalten:
100 Th. Kaolin, 90 Th. calcinirtes Glaubersalz und 17 Th. Kohle. Während das nach
dem ersten Verfahren dargestellte Ultramarinweiſs beim Erhitzen sehr schnell in Grün
und Blau überging, zeigte sich das mittels des zweiten Satzes dargestellte Product
beständiger gegen obige Einflüsse. Die Erklärung zu diesem verschiedenen Verhalten
ist leicht zu finden. Bekanntlich geht Ultramarinweiſs durch Erhitzen mit Schwefel
in Grün und hierauf in Blau über. Bei dem nach dem ersten Verfahren dargestellten
Ultramarinweiſs war jedenfalls noch unzersetzter Schwefel zugegen, welcher in
schweflige Säure übergeführt, seine bläuende Wirkung geltend machte.
Die AnalyseBei der Analyse des Ultramarins wurde in gewöhnlicher Weise verfahren; nur
bei den eingehenden Bestimmungen der verschiedenen Formen des Schwefels
wurde die von R. Hoffmann (1876 220 56) angegebene Methode befolgt. Ich will noch
bemerken, daſs alle im Folgenden angegebenen Analysen der besseren
Uebersicht halber nach Abzug von Wasser und Rückstand umgerechnet
sind. beider Sorten Ultramarinweiſs ergab folgende Werthe:
I
II
Al2O3
30,14
30,51
Na2O
27,76
28,20
SiO2
35,88
35,57
S (als H2S)
4,05
4,06
S (abgeschieden)
2,17
1,66.
Durch die folgenden Versuche sollte festgestellt werden, ob zur Entstehung des
Ultramarinweiſs sämmtliche oben angegebene Verbindungen nothwendig sind, und in
welcher Form ihre Anwendung zulässig ist. Zunächst wurde ein Gemenge von 100 Th.
Thonerde, 120 Th. Kieselsäure und 60 Th. Natron längere Zeit dem Glühen unterworfen.
Es entstand ein grauweiſses Product, dessen Zusammensetzung einem
Natriumaluminiumsilicat von der Formel Na2Al2 (SiO4)2 entsprach. Dasselbe ging beim Erhitzen mit
Schwefel bei Luftzutritt in ein sehr helles Blau über. Da bei diesem Versuche noch
die Möglichkeit vorlag, daſs nicht alles Natrium durch die Kieselsäure gebunden sei
und mit dem angewendeten Schwefel Natriumsulfid bildet, welches dann beim Rösten die
Bläuung verursacht, wurde statt des Schwefels gasförmige Chlorwasserstoffsäure zum Bläuen
verwendet. Hierbei zeigte sich die Richtigkeit der eben ausgesprochenen Vermuthung;
es wurde kein Blau erhalten. Erst nachdem das Doppelsilicat längere Zeit mit einer
entsprechenden Menge Natriumsulfid geglüht war, wurde auch mittels gasförmiger
Chlorwasserstoffsäure ein intensives Blau erhalten. Bei einem zweiten Versuch wurde
das Doppelsilicat direct mit Schwefel bei Luftabschluſs geglüht; es entstand nach
der Behandlung mit gasförmiger Chlorwasserstoffsäure nur wieder ein sehr helles
Blau, welches aber sehr intensiv wurde, wenn das Doppelsilicat vor dem Erhitzen mit
Schwefel und einer bestimmten Menge Aetznatron versetzt war. Ein gleiches Resultat
wurde erhalten, wenn man über das mit Aetznatron behandelte Doppelsilicat
Schwefelwasserstoff leitete. Zur Bestätigung, daſs es wirklich das Natriumsulfid ist, welches dem Ultramarinweiſs seine
charakteristischen Eigenschaften verleiht, und nicht etwa irgendeine andere Schwefel
Verbindung, wie Aluminiumsulfid und Siliciumsulfid, wurde einentheils über erhitzte
Thonerde und anderntheils über erhitzte Kieselsäure längere Zeit Schwefelwasserstoff
geleitet; es hatte jedoch gar keine Einwirkung stattgefunden. Jetzt war noch die
Frage zu erledigen, ob der Schwefel als Monosulfid- oder Polysulfid- oder
Schwefeloxyverbindung wirksam ist. Zu diesem Zwecke wurde in mehreren Versuchen
unter sonst gleichen Umständen der Schwefel in Form 1) von Natriummonosulfid (durch
Reduction des Natriumsulfates dargestellt), 2) von Schwefelleber, welche sehr
reichhaltig an Polysulfiden war, 3) von Natriumhyposulfit und 4) von Natriumsulfat
dem Doppelsilicat geboten. Hierbei wurden folgende Resultate erhalten: Die Mischung
1 ergab ein sehr intensives Blau, 2 ein helleres Blau, 3 und 4 lieſsen sich nicht in
Ultramarinblau überführen. Wir müssen also hieraus schlieſsen, daſs es das
Natriummonosulfid ist, welches dem Ultramarinweiſs seine charakteristischen
Eigenschaften verleiht.
Es sollte nun durch weitere Versuche festgestellt werden, ob die Kieselsäure und die
Thonerde wesentliche Bestandtheile des Ultramarinweiſs sind. Zunächst wurde zur
Elimination der Kieselsäure ein reines Natriumaluminat dargestellt, welches sowohl
mit Schwefel, als auch mit Schwefelnatrium und im Schwefelwasserstoffstrom erhitzt
wurde. Es ergab sich, daſs keines der so erhaltenen Producte bläuungsfähig war. Erst
nach Zusatz von Kieselsäure wurde ein Blau erhalten. Ferner wurde ein Gemenge von
Kieselsäure und Natriumsulfid zwecks Elimination der Thonerde längere Zeit der
Rothglut ausgesetzt. Es entstand ein stark gesintertes, grün gefärbtes Product,
welches von einzelnen blauen Flocken durchzogen war. Bei genauerer Untersuchung
ergab sich jedoch, daſs das so erhaltene Product Spuren von Thonerde enthielt.
Ebenso wurde durch Erhitzen von Schwefelnatrium mit Natriumsilicat und nachherigem
Behandeln mit gasförmiger Chlorwasserstoffsäure ein hell gefärbtes
Ultramarinblau erhalten.Hierauf gestutzt, wurde in einer fruher von mir veroffentlichten Mittheilung
(vgl. 1879 230 365) das Aluminium als nicht zur
Constitution des Ultramarins gehorig aufgefaſst. Da nun aber auch
dieses sich Aluminium-haltig erwies, wurden die eben beschriebenen Versuche mit
absolut Aluminium-freien Stoffen wiederholt, wobei sich zeigte, daſs die oben
erhaltene Bläuung dem geringen Aluminiumgehalt zuzuschreiben sei. Zur Bestätigung
wurden zwei Versuche unter sonst gleichen Verhältnissen neben einander angestellt;
bei dem einen war das Aluminiumsilicat durch Natriumsilicat ersetzt, während bei dem
andern das Natriumaluminiumsilicat zur Anwendung kam; aus dem letzteren Gemenge
wurde ein sehr gutes Blau erhalten, während der erstere Versuch zu einem negativen
Resultat führte.
Fassen wir die so erhaltenen Resultate kurz zusammen, so finden wir, daſs das
Ultramarinweiſs eine Verbindung von Natriumaluminiumsilicat mit Natriumsulfid ist.
Ob die Zusammensetzung des ersteren eine constante ist, mag dahin gestellt bleiben.
So nimmt R. Hoffmann (1879 231 363) in seinem kieselreichen Ultramarinweiſs ein anderes Silicat als
im kieselarmen Ultramarinweiſs an. Ob diese Annahme eine Berechtigung hat, läſst
sich wohl erst entscheiden, wenn es gelingt, das dem sogen, kieselreichen
Ultramarinblau entsprechende Weiſs isolirt und rein darzustellen. Die von mir nach
dieser Richtung hin angestellten Versuche haben ergeben, daſs das von R. Hoffmann angenommene kieselreiche Ultramarinweiſs
wahrscheinlich nicht besteht; versetzt man 1 Mol. Thon mit 1 Mol. Kieselsäure und 1
Mol Soda, so entsteht ein Doppelsilicat von der Formel Na2Al2Si3O10. Glüht man dieses Doppelsilicat mit 2
Mol. Na2S, so müſste das von R. Hoffmann angegebene kieselreiche Ultramarinweiſs: Na2Al2Si3O10 + 2Na2S entstehen. Jedoch erhält man direct ein dunkles
Ultramarinblau, woraus sich schlieſsen läſst, daſs die am Aluminiumsilicat
überschüssig gebundene Kieselsäure direct auf das Natriummonosulfid einwirkt, und
daſs in dem sogenannten kieselreichen Ultramarin dasselbe Silicat vorhanden ist, wie
im kieselarmen.
Nachdem wir uns so auf synthetischem Wege ein Bild von der Zusammensetzung des
Ultramarinweiſs gemacht haben, wollen wir die durch die Analyse erhaltenen Werthe
mit zur Hilfe nehmen, um eine Formel für obige Verbindung festzustellen. Nehmen wir
für das Doppelsilicat die oben erhaltene Formel Na2Al2(SiO4)2 an, so ergibt sich den analytischen
Funden gemäſs, daſs das Doppelsilicat zur Bildung von Ultramarinweiſs mit
Natriummonosulfid im Verhältniſs wie 2:1 zusammengetreten ist. Wir gelangen somit zu
der Formel (Na2Al2[SiO4]2)2.Na2S;
dieser würden folgende Werthe entsprechen:
Al2O3
31,02
Na2O
28,00
SiO2
36,15
S
4,82.
In dem sogenannten kieselreichen Ultramarin ist der Schwefelgehalt zu groſs, um die
oben aufgestellte Formel als einen Ausdruck dafür gelten lassen zu können. Vielmehr
muſs man annehmen, daſs in diesem das Verhältniſs des Doppelsilicates zum
Natriumsulfid wie 1:1 ist, so daſs also das dem kieselreichen Ultramarinblau
entsprechende Weiſs, falls es überhaupt existirt, die Formel Na2Al2(SiO4)2.Na2S besitzen würde. Letztere Formel stellt R. Hoffmann für das kieselarme Ultramarinweiſs auf.
Legt man die analytischen Werthe zu Grunde, so entspricht die von mir angenommene
Formel denselben besser als die von R. Hoffmann
aufgestellte. In absolut gar keiner Uebereinstimmung mit der Bildungsweise und den
durch die Analyse erhaltenen Werthen des Ultramarinweiſs steht die kürzlich von Lehmann (1879 231 364)
aufgestellte Formel. Im Folgenden sei eine kurze Zusammenstellung der analytischen
Zahlen, sowie der von den einzelnen aufgestellten Formeln verlangten Werthe
gegeben:
Berechnet:
Gefunden:
Hoffmann
Lehmann
Rickmann
Hoffmann
Ritter
Rickmann
Si
15,4
16,1
17,3
17,0
18,2
16,6
Al
15,0
15,8
16,9
16,6
16,6
16,2
Na
25,4
17,6
21,3
21,5
19,0
20,9
S als H2S
8,9
18,4
4,9
4,2
4,6
4,1
O
35,3
32,1
39,6
38,4
39,7
40,6
S (ausgesch.)
–
–
–
2,2
1,5
1,6
Hoffmann: Na2Al2Si2O8 + Na2S Rickmann: (Na2Al2Si2O8)2.Na2S
Lehmann: 2\left\{Na_2S\atop
Na_2S\right\}S+3\,Al_2Si_2O_7.
Wie man aus obiger Zusammenstellung ersieht, stimmen die von den verschiedenen
Analytikern erhaltenen Zahlen sehr gut mit einander, so daſs man wohl zu der Annahme
berechtigt ist, die durch die Analyse erhaltenen Werthe als maſsgebend für die
Zusammensetzung des Ultramarinweiſs anzunehmen. Diesen Werthen entspricht am besten
die von mir aufgestellte Formel: (Na2Al2[SiO4]2)2.Na2S.
II) Ultramarin-Blau. Die Ueberführung der
Ultramarinmuttersubstanz in Ultramarinblau geschieht durch Rösten auf Zusatz von
Schwefel (Blaubrennen); hierbei geht das Ultramarinweiſs sehr schnell zuerst in Grün
und dann in Blau über. Schon Gentele hat festgestellt,
daſs Ultramaringrün durch Erhitzen mit Schwefel bei Luftabschluſs nicht blau wird,
daſs also nicht der Schwefel als solcher die Eigenschaft hat, das Blauwerden zu
bewirken. Vielmehr ist es die entstehende schweflige Säure, welche, wie überhaupt
alle Säureanhydride (Knapp und Ebell), eine bläuende Wirkung besitzt. Was die Art der Einwirkung der
schwefligen Säure (und somit aller Bläuungsmittel) anbelangt, so macht schon Ritter darauf aufmerksam, daſs bei dem Blaubrennen stets eine gewisse
Menge des entsprechenden Natriumsalzes gebildet werde. Dieser Thatsache ist von den
anderen Chemikern wenig Beachtung geschenkt worden, erst neuerdings ist wieder von
Knapp und Ebell, sowie
von R. Hoffmann darauf hingewiesen. Wie weiter gezeigt
werden wird, ist gerade die Menge des gebildeten Natriumsalzes ein Mittel, um den
Bläuungsproceſs verfolgen und erklären zu können.
Zu diesem Zwecke wurde ein Ultramarinweiſs, dessen Zusammensetzung durch die Analyse
ermittelt war, mittels gasförmiger Chlorwasserstoffsäure in Ultramarinblau
übergeführt. Hierauf wurde mit Wasser ausgewaschen, der Rückstand zerrieben, wieder
mit Salzsäure behandelt und dieses Verfahren so lange wiederholt, bis im Filtrat
kein Natrium mehr nachzuweisen war. Im Filtrat wurde der Natrium- und
Aluminiumgehalt bestimmt, sowie auch das resultirende Ultramarinblau analysirt:
Ultramarinweiſs
Ultramarinblau
Al2O3
30,74
27,14
Na2O
28,33
19,48
SiO2
35,42
35,25
S (als H2S)
4,11
3,88
S (ausgeschieden)
1,40
2,12
Na2OAl2O3
8,89 3,34
im Filtrat.
Die Menge des dem Ultramarinweiſs entzogenen Natriums von 8,89
Proc. Na2O = 6,60 Proc. Natrium entspricht, auf die
Formel:
(Na2Al2[SiO4]2)2.Na2S
bezogen, fast 2Na, welche 7,09 Proc. Natrium verlangen. Die
Differenz von 0,49 Proc. ist wohl dadurch zu erklären, daſs es sehr schwierig ist,
das Ultramarinweiſs seiner ganzen Masse nach in Blau überzuführen. Hiernach gelangen
wir zu folgender empirischen Formel des Ultramarinblau: (Na2Al2[SiO4]2)2.Na2S = Na6Al4Si2O8S – Na2 = Na4Al4Si2O8S.
Jetzt liegen folgende Fragen vor: 1) Wird das Natrium dem Sulfid oder dem Silicat
entzogen? 2) Beruht der Bläuungsproceſs nur auf einer Entziehung von Natrium, oder
laufen noch andere Reactionen nebenher?
Suchen wir zunächst die erstere Frage zu beantworten und vergegenwärtigen uns den
ersten Fall, in welchem also das bläuende Mittel auf das Sulfid einwirkt. Nehmen wir
als solches z.B. die gasförmige Chlorwasserstoffsäure an, welche von allen bekannten
Bläuungsmitteln am energischsten wirkt, so wird folgende Reaction verlaufen:
(Na2Al2[SiO4]2)2.Na2S +
2HCl = 2Na2Al2(SiO4)2 +
2NaCl + H2S.
Es wäre also sowohl jede Bildung eines Sulfides, sowie die einer
Schwefel-Sauerstoff-Verbindung ausgeschlossen; es wird vielmehr aller Schwefel in
Form von Schwefelwasserstoff entweichen, da, wie durch Versuche erwiesen, eine weitere
Einwirkung desselben auf Natriumaluminiumsilicat nicht stattfindet. Somit muſs man
also annehmen, daſs das bläuende Mittel nicht dem im Ultramarinweiſs enthaltenen
Natriumsulfid, sondern wahrscheinlich dem Natriumsilicat das Natrium entzieht. Im
letzteren Fall wird sich die Reaction durch folgendes Schema veranschaulichen
lassen:
(Na2SiO3, Al2SiO3)2Na2S +
2HCl = Na2Al2(SiO4)2 + 2NaCl + H2O + (Al2SiO3 + SiO2 + Na2S).
Al2SiO5 + SiO2 + Na2S = Na2SSiO2, Al2SiO5.
Dieser Reaction gemäſs ist im Ultramarinblau als wesentliche Schwefelverbindung ein
Natriumsulfosilicat enthalten, also ein Natriumsilicat, in welchem der in directer
Bindung mit dem Natrium stehende Sauerstoff durch Schwefel ersetzt ist. Dafür, daſs
die Reaction in der eben angegebenen Weise verläuft, sprechen noch besonders
folgende Erscheinungen. Das bläuende Mittel entzieht dem Ultramarinweiſs nicht nur
Natrium, sondern auch eine gewisse Menge Aluminium (es wurden oben im Filtrat 3,34
Proc. Al2O3
gefunden). Daraus folgt, daſs beim Bläuungsproceſs besonders das Doppelsilicat
zersetzt wird. Ferner entwickelt sich verhältniſsmäſsig nur sehr wenig
Schwefelwasserstoff bei der Bläuung, um eine vollständige Zersetzung des
Natriumsulfides annehmen zu können. Noch andere wichtige Thatsachen, welche für die
Bildung des Sulfosilicates sprechen, werden uns bei der Betrachtung der zweiten
Frage entgegentreten. Es handelt sich hierbei darum, zu entscheiden, ob der
Bläuungsproceſs nur auf einem Austritt von Natrium, bei Ausschluſs aller anderen
Reactionen, wie R. Hoffmann annimmt, beruht, oder ob
auch noch andere Zersetzungen statthaben. Nach R.
Hoffmann findet bei der Bläuung folgende Reaction statt:
4
(Na2Al2Si2O8 + Na2S)
– Na6 = 4
(Na2Al2Si2O8 + Na2S) +
Na2S4
Na16Al8Si8O32S4
Na10Al8Si8O32S4.
R. Hoffmann geht hierbei von der
Einwirkung des Chlors als Bläuungsmittel aus, und in diesem Fall wäre es denkbar,
daſs dem Ultramarinweiſs bei der Ueberführung in Blau einfach Natrium in Form von
Chlornatrium entzogen wird, ohne daſs weitere Reactionen veranlaſst werden. Ich habe
nun aber die Beobachtung gemacht, daſs Chlor, welches völlig frei von Wasser und
Salzsäure ist, nur sehr schwach bläuend wirkt, daſs also dasselbe wahrscheinlich
seine bläuende Kraft hauptsächlich einem Gehalt an Chlorwasserstoffsäure verdankt
und, hiervon befreit, nur dadurch bläuend wirkt, daſs es aus den im Ultramarinweiſs
enthaltenen Sulfit- und Hyposulfitverbindungen schweflige Säure frei macht, welche
eine Bläuung verursacht. Wendet man als bläuendes Mittel z.B. Chlorwasserstoffsäure,
schweflige Säure oder Schwefelsäureanhydrid an, so wird neben der Entziehung von
Natrium noch eine andere Reaction stattfinden; es wird noch Sauerstoff entzogen
werden, welcher mit dem aus der Chlorwasserstoffsäure frei werdenden Wasserstoff Wasser bildet, oder bei
der Entstehung von Natriumsalzen (Sulfit oder Sulfat) in Anspruch genommen wird:
Na2SiO3, Al2SiO5, Na2S + 2HCl = 2NaCl + H2O + Na2SSiO2, Al2SiO5,
Na2SiO3, Al2SiO5, Na2S + SO3
= Na2SO4 + Na2SSiO2, Al2SiO5,
Na2SiO3, Al2SiO5, Na2S + SO2
= Na2SO3 + Na2SSiO2, Al2SiO5.
Daſs diese Reactionen wirklich vor sich gehen, ist durch folgende Versuche bewiesen:
Ueber ein in einem Glasrohr bis zur angehenden Rothglut erhitztes Ultramarinweiſs
wurde so lange dampfförmiges Schwefelsäureanhydrid geleitet, bis ersteres in ein
intensives Blau verwandelt war. Das entstandene Blau wurde gehörig mit Wasser
ausgewaschen und das Waschwasser auf schweflige Säure und Schwefelsäure geprüft. Die
erstere war nur in ganz geringen Spuren vorhanden, während eine sehr starke
Schwefelsäure-Reaction auftrat. Wäre bei der Bläuung nur Natrium entzogen worden, so
hätte sich Natriumsulfit bilden müssen und kein Natriumsulfat. Wendet man statt
Schwefelsäureanhydrid gasförmige Chlorwasserstoffsäure als Bläuungsmittel an, so
wird, wenn nur Natrium entzogen wird, Wasserstoff frei werden, andernfalls wird sich
Wasser bilden. Zur Entscheidung dieser Frage wurden die beim Bläuungsproceſs sich
bildenden Gase und Dämpfe durch ein mit Kalilauge gefülltes Gefäſs geleitet. Es
zeigte sich, daſs Alles absorbirt wird, so daſs also keine Bildung von Wasserstoff
stattfindet.
Nach diesen Versuchen läſst sich der Bläuungsproceſs nur durch die Annahme eines
Natriumsulfosilicates erklären; diese ist durch folgende Thatsachen begründet: 1)
bei der Bläuung werden nur geringe Mengen von Schwefelwasserstoff ausgetrieben; 2)
bei Anwendung der gasförmigen Chlorwasserstoffsäure als Bläuungsmittel entsteht
neben Chlornatrium noch Wasser und kein Wasserstoff; 3) bei Anwendung von
Säureanhydriden bilden sich die denselben entsprechenden Natriumsalze.
Wenn nach anderen Hypothesen der Uebergang in Blau durch eine Bildung von
Natriumpolysulfiden (Natriumtetrasulfid, Natriumpendasulfid) bedingt ist, so muſs
diese Umwandlung auch durch andere eine Entstehung von Polysulfiden verursachende
Mittel bewirkt werden. Bekanntlich entsteht ein Polysulfid aus einem Monosulfid
nicht allein durch Natriumentziehung: 5Na2S – 8Na =
Na2S5, sondern
auch durch Zugabe von Schwefel: Na2S + 4S = Na2S5. Hiernach müſste
Ultramarinweiſs mit Schwefel behandelt in Blau übergehen. Dies ist jedoch nicht der
Fall; glüht man Ultramarinweiſs bei vollständigem Luftabschluſs mit Schwefel, so
findet keine Bläuung statt.
Hier mag auch noch die kürzlich von Lehmann (1879 231 364) gegebene Erklärung des Bläuungsprocesses einer
kurzen Betrachtung unterworfen werden. Lehmann stellt
für die verschiedenen Ultramarine folgende Formeln auf:
Weiſs: 2\left\{Na_2S\atop Na_2S\right\}S+3\,Al_2Si_2O_7
Grün: \,2\,\left{{{\mbox{Na}_2\mbox{S}}\atop{\mbox{Na}_2\mbox{O}}}\right\}\mbox{S}+3\,\mbox{Al}_2\mbox{Si}_2\mbox{O}_7,
Blau: \,2\,\left{{{\mbox{Na}_2\mbox{O}}\atop{\mbox{Na}_2\mbox{O}}}\right\}\mbox{S}+3\,\mbox{Al}_2\mbox{Si}_2\mbox{O}_7.
Die Ueberführung von Weißs und Grün in Blau erklärt er für einen Oxydationsproceßs:
[2Na4OS2 + 3Al2Si2O7] + 4Na2O + 2O + 3Al2Si2O4 =2[2Na4O2S + 3Al2Si2O7].
Ich will gegen diese Annahme nur zwei Einwände erheben: Nach Lehmann's Erklärung würde die schweflige Säure nur bei gleichzeitiger Anwesenheit von Sauerstoff bläuend wirken. Diese Behauptung
wird durch folgenden Versuch widerlegt. Leitet man aus Kupfer und Schwefelsäure dargestellte schweflige Säure durch ein Rohr,
in welches man, nachdem alle Luft durch schweflige Säure ausgetrieben war, Ultramarinweißs gebracht, so findet beim Erhitzen
die Bläuung in gleicher Weise wie bei Luftzutritt statt. Wie läßst sich ferner nach Lehmann's Hypothese die bläuende Wirkung der gasförmigen Chlorwasserstoffsäure erklären? Bei derselben ist sowohl die Gegenwart von
Sauerstoff wie von Natriumoxyd, welches auch eine Rolle beim Bläuungsproceßs mitspielen soll, ausgeschlossen. Es dürfte also
gar keine Bläuung eintreten, und doch wirkt dieselbe sehr energisch bläuend. Ich glaube, durch diese Thatsachen ist die Unhaltbarkeit
jener Hypothese zur Genüge bewiesen.
Die Annahme eines Sulfosilicates von der Formel Na2SSiO2 als charakteristische Verbindung im Ultramarinblau steht mit den Eigenschaften dieses Körpers in vollem Einklang. Nur eine
Erscheinung bedarf noch einer Erklärung, da dieselbe gegen jene Annahme spricht; jedoch ist dieser Widerspruch nur ein scheinbarer.
Durch Behandlung von Ultramarinblau mit Mineralsäuren, z.B. Chlorwasserstoffsäure, scheidet sich eine beträchtliche Menge
von Schwefel ab, während nach obiger Formel aller Schwefel als Schwefelwasserstoff entweichen müßste: Na2SSiO2 + 2HCl = 2NaCl + SiO2 + H2S.Der besseren Uebersicht und der Kürze halber sind im Folgenden nur die Natriumverbindungen aufgeführt.
Der Ursprung des abgeschiedenen Schwefels ist in folgenden Umständen zu suchen. Es ist in der Muttersubstanz stets eine gewisse
Menge Polysulfid enthalten, welches beim Bläuungsproceßs in folgender Weise zersetzt wird:
Na2SiO3.Na2S5 + SO2 = Na2SO3 + Na2SSiO2 + 4S;
wird ferner schweflige Säure als bläuendes Mittel angewendet, wie dies ja immer im Großsen der Fall ist, so wirkt dieselbe
nicht nur auf das Silicat, sondern auch mehr oder minder auf das Sulfid ein, so daßs neben der eigentlichen Reaction auch
noch die folgenden Umsetzungen stattfinden:
2Na2S + 3SO2 = 2Na2S2O3 + S und 2Na2S2O3 + 3SO2 = 2Na2S3O6 + S.
Wendet man jetzt eine Mineralsäure zur Zersetzung des Ultramarinblau
an, so wird dieselbe auf obige Verbindungen nach folgenden
Gleichungen einwirken:
Na2S2O3 + 2HCl = 2NaCl + SO2 + H2O + S und
3Na2S3O6 + 4HCl = Na2SO4 + 4NaCl + 6SO2 + 2H2O + 2S.
oder, da auch im Ultramarinblau noch unzersetztes Sulfid
enthalten ist, kann noch folgende Reaction vor sich gehen:
2Na2S + Na2S2O3 + 6HCl = 6NaCl + 3H2O + 4S.
Wendet man als Bläuungsmittel gasförmige Chlorwasserstoffsäure
an, so wird dieselbe aus den immer in geringer Menge in der Muttersubstanz
enthaltenen Sulfit- und Hyposulfitverbindungen schweflige Säure entbinden, welche
dann eine Bildung obiger Verbindungen hervorruft. Es geht auch beim Blaubrennen, wie
dasselbe im Groſsen geschieht, ein Theil des vorhandenen Natriumsulfides in
Natriumsulfit- und Hyposulfit über. Durch Einwirkung von Mineralsäuren auf das so
entstandene Ultramarinblau wird einentheils aus diesen Verbindungen schweflige Säure
entwickelt und anderntheils aus dem Sulfosilicat Schwefelwasserstoff; beide
zersetzen sich unter Abscheidung von Schwefel nach der Gleichung: 2H2S + SO2 = 2H2O + 3S. Schlieſslich ist es nicht unmöglich, daſs
ein Theil des Schwefels, welcher sich auf Zusatz von Säuren aus dem Ultramarinblau
abscheidet, schon als solcher darin enthalten ist und entweder aus dem ersten
Glühproceſs oder auch aus dem Röstproceſs stammt, indem er bei diesen Operationen
nicht zur vollständigen Umsetzung gelangt.
Wir sehen hieraus, daſs uns die Analyse in diesem Punkt vollständig im Stich läſst.
Sie gibt uns durchaus kein klares Bild von den wirklichen Verbindungsverhältnissen
des Schwefels. Wir können mittels derselben durchaus nicht feststellen, ob die Menge
des ausgeschiedenen oder des als Schwefelwasserstoff auftretenden Schwefels
ursprünglich in den erhaltenen Verhältnissen im Ultramarin enthalten war, eben weil
diese Producte nicht direct und mittelbar aus den entsprechenden Verbindungen
hervorgehen, sondern zum Theil secundären Processen ihre Bildung verdanken. Deshalb
darf man wohl mit Recht den durch die eben behandelte Erscheinung hervorgerufenen
Widerspruch gegen die Annahme eines Sulfosilicates einen scheinbaren nennen.
Wie wir gesehen haben, wirkt das bläuende Mittel nicht allein auf das Natrium,
sondern auch mehr oder weniger auf das Aluminium ein. Der Bläuungsproceſs wird sich
also nicht glatt nach der Reaction:
(Na2SiO3, Al2SiO5)2.Na2S +
2 HCl = 2 NaCl + H2O + (Na2SiO3, Al2SiO5 + Na2SSiO2, Al2SiO5). I
vollziehen, sondern es wird nebenher auch in einem gewissen
Grade folgende Zersetzung stattfinden:
(Na2SiO3, Al2SiO5)2Na2S +
6HCl = Al2Cl6 +
3H2O + (Na2SiO3, Al2SiO5 + Na2SiO3 + Na2SSiO2). II
Bleibt noch ein gewisser Theil des Ultramarinweiſs
linzersetzt, so daſs ein
Zwischenproduct entsteht, wie wir es wahrscheinlich im sogen. Ultramaringrün finden,
welches wir als ein Gemenge von unzersetztem Ultramarinweiſs mit gebildetem Blau
ansehen können, so tritt zu den als I und II angeführten Verbindungen noch der
Körper (Na2Al2[SiO4]2)2Na2S.
Die Analyse eines Ultramarin grün ergab folgende Werthe:
Gefunden
Berechnet
Al2O3
29,22
29,45
Na2O
24,98
25,29
SiO2
39,31
39,67
S
6,49
5,29.
Diesen Zahlen entspricht also fast genau ein Gemisch von 2
Theilen der Verbindung I, 1 Theil der Verbindung II und 1 Theil Ultramarinweiſs.
Findet eine vollständige Umwandlung in Ultramarinblau statt, so kommen nur die beiden
Verbindungen I und II in Betracht, von denen II nur durch Nebenreaction entsteht.
Ein sogen, kieselarmes Ultramarinblau war, wie folgt, zusammengesetzt:
Gefunden
Berechnet
Al2O3
31,89
31,95
Na2O
21,67
22,33
SiO2
39,95
40,28
S
6,17
5,51.
Eine ähnliche Zusammensetzung gibt, wie die daneben stehenden Zahlen zeigen, ein
Gemenge von 6 Theilen der Verbindung I und 1 Theil der Verbindung II.
Bei dem kieselreichen (besser gesagt: schwefelreichen) Ultramarin genügt nicht, wie
schon angeführt, die Annahme von I Mol. Na2S auf 2
Mol. Doppelsilicat, sondern man muſs annehmen, daſs in diesem Fall gleiche Molecüle
Na2S mit gleichen Molecülen Doppelsilicat
verbunden sind. Bei der Ueberführung in Blau können sich alsdann folgende Reactionen
vollziehen:
Na2SiO3, Al2SiO5.Na2S + 2HCl = 2NaCl + H2O + (Na2SSiO2, Al2SiO5). III
Na2SiO3, Al2SiO5, Na2S + 6HCl = Al2Cl6 + 3H2O + (Na2SiO3
+ Na2SSiO2). IV
Die Analyse eines kiesel-reichen
Ultramarinblauergab:
2 Th. der Verb. III undund 1 Th. der Verb.
Iverlangen:
Al2O3
26,97
27,45
Na2O
23,04
23,49
SiO2
39,20
38,72
S
10,89
10,32
Da die Formel für das kieselreiche Ultramarinweiſs nur hypothetisch ist, so kann man
nicht behaupten, daſs die unter III und IV angeführten Reactionen wirklich
verlaufen. Es wäre auch möglich, daſs das kieselreiche Blau durch directe
Uebertragung der Kieselsäure auf Natriumsulfid entsteht: Al2Si2O7 + Na2S = Na2SSiO2, Al2SiO5. Es würde in
diesem Fall überhaupt keine Bildung einer Muttersubstanz stattfinden, sondern direct
Ultramarinblau gebildet werden. Letztere Behauptung findet eine wichtige Stütze darin, daſs beim
Glühen eines Gemenges von Thon und Natriummonosulfid direct Ultramarinblau entsteht.
So lange es nicht gelungen ist, wirklich das dem kieselreichen Ultramarinblau
entsprechende Weiſs darzustellen, möchte ich die letztere Erklärung für die
Entstehung des kieselreichen Ultramarinblau als die richtigere nehmen.
Wie wir aus dem Vorhergehenden ersehen, ist das künstliche Ultramarinblau nicht als
chemisches Individuum, sondern als ein Gemenge verschiedener Verbindungen anzusehen,
von welchen zwar eine als wesentliche, die Constitution bedingende, aufgefaſst
werden muſs, während die übrigen als verunreinigende Nebenproducte zu betrachten
sind. Als wesentliche Verbindung tritt das Natriumsulfosilicat in Verbindung mit
Aluminiumsilicat auf. Ob letztere Verbindung als zur Constitution des Ultramarins
nothwendig anzusehen ist, oder ob dieselbe nur Kieselsäure übertragend wirkt, mag
einstweilen noch dahin gestellt bleiben, so lange es nicht gelingt, ein absolut
Aluminium-freies Ultramarinblau darzustellen. Nach den bisherigen Erfahrungen können
wir das Ultramarinblau in seiner reinsten Form als ein Natriumaluminiumsilicat
betrachten, in welchem das Natriumoxyd durch Natriumsulfid ersetzt ist:
Natriumaluminiumsilicat:
Na2OSiO2,
Al2O3SiO2 = Na2Al2(SiO4)2,
Ultramarinblau:
Na2SSiO2,
Al2O3SiO2 = Na2SiO2S,
Al2SiO5.
Die Bildung dieses Körpers können wir uns in folgender Weise
erklären. Angenommen, wir haben als Rohstoffe ein Gemisch von Kaolin, Kohle, Soda
und Schwefel, so wird beim Glühen die Soda auf zweierlei Art wirken: sie wird
aufschlieſsend auf den Kaolin wirken und so die Bildung eines
Natriumaluminiumsilicats verursachen; gleichzeitig wird sie sich mit dem Schwefel zu
Natriumsulfid umsetzen. Bei anhaltendem Glühen werden sich diese beiden Verbindungen
zu Ultramarinweiſs vereinigen. Durch das Blaubrennen wird das Ultramarinweiſs nach
den oben angeführten Reactionen in die Verbindung: Na2SSiO2, Al2SiO5 (Ultramarinblau) übergeführt.
Letztere Verbindung bildet sich auch schon direct bei einem Zusatz von Kieselsäure
zum Ultramarinsatz, oder wenn Thon mit Natriumsulfid geglüht wird. In diesem Fall
wird wahrscheinlich die Kieselsäure direct an das Natriumsulfid zur Bildung des
Natriumsulfosilicates übertragen werden. Erstere Methode liefert das sogen,
kieselarme, letztere das kieselreiche Ultramarinblau.
Kalk bei Köln, Januar 1879.