Titel: Der Handwebstuhl von de Grave in Gent.
Fundstelle: Band 232, Jahrgang 1879, S. 224
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Der Handwebstuhl von de Grave in Gent. Mit Abbildungen auf Tafel 22. De Grave's Handwebstuhl. Dieser im J. 1865 bekannt gegebene Webstuhl zeichnet sich aus ebenso wohl durch die Zusammenstellung des Gestelles, als der darin arbeitenden Theile, wodurch dem Weber ermöglicht ist, ihn für die verschiedensten Gewebe verwenden zu können. Durch die Auswechslung der entsprechenden Apparate kann glatte, sowie in Kette und Schuſs gemusterte Waare hergestellt werden, und ist der Weber ohne weitere Hilfsmitttel im Stande, auf die Anfertigung anderer Waare überzugehen. De Grave hat seinen Webstuhl der belgischen Regierung zur freien Benutzung überlassen und ist er in Belgien bereits sehr eingebürgert, was noch dadurch unterstützt wurde, daſs das Arbeiten auf diesem Stuhle ein sehr bequemes ist und in der Fachschule die richtige Benutzung desselben der Weberbevölkerung bekannt gegeben wird. Alle die Verbesserungen, welche die Erfahrung gegeben, sind benutzt worden; hinter der Lade kann die Aufspannung der Kette je nach der Natur des Webmaterials und der Bindungsweise der Fäden verlängert oder kürzer gemacht werden. Auf Taf. 22 stellt Fig. 9 einen senkrechten Schnitt durch den Webstuhl dar, wie derselbe für die Anfertigung leinwandbindiger und im Schusse einfarbiger Waare benutzt wird. Fig. 11 zeigt denselben Webstuhl im Verticaldurchschnitt, wenn er für achtschäftige, mit Schützenwechsel zu arbeitende Gewebe dienen soll; Fig. 10 endlich veranschaulicht letzteren Stuhl in der Vorderansicht. Für die Herstellung façonnirter Waare macht es sich demnach nur nöthig, die Lager a des Kettenbaumes hinten bei b anzubringen, und können hierfür bei c und d noch ein zweiter und dritter Garnbaum eingelegt werden, e ist eine Schaukelbremse mit verstellbarer Hebelbelastung und mit dem Tritt f versehen, durch welchen die Kette im Bedarfsfalle zurückgenommen werden kann. Ebenso gut kann aber der Garnbaum auch durch einen Stock g und in das Gestell bei h einzusteckenden Stift festgestellt und von Zeit zu Zeit, Kette abwindend, gedreht werden. Die Aufwickelung der Waare auf den Baum i kann durch das Klinkrad k und den Hebel l erfolgen (Fig. 10), oder durch einen Regulator bewirkt werden (Fig. 11). Für leinwandbindige Gewebe benutzt man zur Gegenbewegung der Schäfte oben die Rolle m und unten zwei Tritte mit ebenso vielen Zwischenhebeln. Für achtschäftige Gewebe hingegen nimmt man, um die Schäfte herunter zu ziehen, ebenfalls 8 Tritte und 8 Zwischenhebel, jedoch für die Hochbewegung derselben noch besondere Tritte und Gegenmarschhebel n, o. Ohne groſse Umstände kann man die einfache Lade p in eine Wechsellade q verwandeln. Es sei gestattet, aus dem officiellen Ausstellungsberichte über die Webereimaschinen auf der Wiener Weltaustellung 1873 folgende Darstellung über de Grave's Webstuhl hier anzuschlieſsen. Bei der immer weiteren Ausbreitung der Maschinenindustrie würde es wohl Niemanden überraschen, wenn wir berichteten, keiner Novität auf dem Gebiete der Hand-Webstühle begegnet zu sein. Eigentlich ist dies auch der Fall, indem das einzig bemerkte Object – der Hand-Webstuhl von de Grave in Gent – bereits auf mehreren Ausstellungen figurirte, ohne jedoch bisher bei Berichterstattungen berücksichtigt worden zu sein. Wahrscheinlich wurde das kleine, ohne nähere Erklärung auch unverständliche Modell übersehen, und fast wäre es so auch in Wien wieder geschehen, wo man das ganz kleine Webstuhl-Modell in der Seitenhalle unter den kolossalen Ausstellungsobjecten der belgischen Eisenwerke, welche die Aufmersamkeit des Besuchers so sehr ablenkten, aufgestellt hatte, ohne irgend eine Erklärung oder Erläuterung. Zufällig war Referent früher schon auf de Grave's Webstuhl aufmerksam geworden und verdankt ferner dem bereitwilligen Entgegenkommen des Erfinders nähere Ausschlusse. In den verschiedenen Handwebereien Flanderns war man entweder nur für Leinenweberei oder nur für die Herstellung gekoperter Waare eingerichtet. Theils hatten die betreffenden Weber nur die eine oder nur die andere Zurichtung des Stuhles erlernt; theils verhindern die engen Wohnräume und die groſsen Kosten die Aufstellung zweier doch nur abwechselnd zu betreibender Stühle, den einen für leinwandartige und den anderen für gekoperte Waare. Bei wechselnden Conjuncturen war bald der eine Theil der Weber bitterer Noth ausgesetzt, während der andere Ueberfluſs an Arbeit fand, und umgekehrt. Zur Ausgleichung dieses Uebelstandes suchte nun de Grave – damals Fabrikschul-Inspector in Gent – dem Webstuhl eine solche Einrichtung zu geben, daſs derselbe bei den strengsten Ansprüchen an Solidität und Zweckmaſsigkeit in einfachster Weise aus einem Leinenstuhl in einen Webstuhl für gemusterte Zeuge und umgekehrt umgewandelt werden konne. De Grave hat die sich gestellte Aufgabe glänzend gelöst, und seine Stühle wurden sofort von der Regierung in den verschiedenen Fabrikschulen aufgestellt, um den jungen Webern Gelegenheit zu bieten, nach beiden Richtungen sich auszubilden und den eintretenden Nothfallen besser gewachsen zu sein. Der Stuhl für Leinenweberei vorgerichtet zeigt im Ganzen die bekannte Einrichtung. Das Gestelle ist aus Holz mittlerer Stärke, durch Zapfen und Schrauben zusammengefügt, so daſs es ein festes Ganze bildet und selbst bei längerer Benutzung solid verbleibt. Die einzelnen Theile zur Aufnahme der Kette und des Geschirres, die Lade und der Trittmechanismus sind so beschaffen, daſs man in kürzester Zeit jene Veränderungen vornehmen kann, um mit den inzwischen bei Seite gelegenen Stuhltheilen den Webstuhl zum Weben von gekoperter Waare aus Baumwolle, Flachs oder Schafwolle vorzurichten. An das Hauptgestell wird hinten ein kleines rechteckiges Gestell angegesteckt, in welches nun der Kettenbaum eingelagert wird, um einen gröſseren Abstand desselben vom Brustbaum zu erzielen. Auch kann für Arbeiten mit Doppelketten noch ein zweiter Kettenbaum im Hintergestelle eingelegt werden. Die feste Kettenspannung wird durch eine nachgiebige Belastung mit Wagegewicht ersetzt, dagegen die Aufwicklung der Waare von einem selbstthatig einsetzenden Regulator controlirt. Statt der einfachen Schaft- und Trittvorrichtung hängt der Weber einen Kontermarsch, statt der schweren Lade eine leichtere Lade mit Wechselkästen ein. Für etwaige Zugarbeit (statt Trittarbeit) kann für die Schäfte auch eine kleine Jacquardmaschine auf das Stuhlgestell aufgesetzt werden. Der Universal-Handwebstuhl, System de Grave, erscheint dem Referenten einer eingehenden Beachtung werth. Auch bei uns könnten in verschiedenen Webereibezirken solche Stühle Nutzen bringen; versuchsweise sollten sie wenigstens in den staatlichen Fachschulen eingeführt werden. Zu diesem Vorschlage muntern uns die vorgelegten gunstigen officiellen Begutachtungen auf, welche es doppelt bedauern lieſsen, daſs wir nicht noch während der Ausstellung selbst Gelegenheit fanden, das bescheidene, von den meisten (ob von der Jury auch, wissen wir nicht zu sagen) übersehene Webstuhlmodell der Beurtheilung einheimischer Fachmänner vorzulegen.

Tafeln

Tafel Tafel 22
Tafel 22