Titel: | Diffusion, Capillarität und Elektricität in ihren Beziehungen zur Gerberei; von Karl Sadlon, Gerber in Bösing. |
Autor: | Karl Sadlon |
Fundstelle: | Band 238, Jahrgang 1880, S. 237 |
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Diffusion, Capillarität und Elektricität in ihren
Beziehungen zur Gerberei; von Karl Sadlon, Gerber in Bösing.
Sadlon, ü. Diffusion, Capillarität und Elektricität in der
Gerberei.
Die folgende Abhandlung hat den Zweck, den Zusammenhang und den Einfluſs solcher
Naturkräfte auf den Gerbeproceſs nachzuweisen, deren Einfluſs auf diesen bisher entweder sehr
unvollkommen erkannt, oder aber gar nicht in Verbindung damit gebracht wurde.
Am unbestrittensten und klarsten liegt wohl der Einfluſs der Diffusion zu Tage. Die
Gesetze der Diffusion sind es, nach welchen die Gerbstoffpartikelchen von den
entfernteren Theilen der Gerbstofflösung zu den mit der Haut unmittelbar in
Berührung stehenden sich bewegen, in dieselbe eindringen und von der Faser
festgebunden werden, um auf solche Weise stets anderen Theilchen Platz zu machen so
lange, als überhaupt noch Gerbstoff in der Flüssigkeit vorhanden ist und als die
Faser noch Fähigkeit besitzt, denselben zu binden.
Allbekannt ist der groſse Einfluſs, welchen die Temperatur der Gerbeflüssigkeiten auf
den Gang der Gerbung und die Qualität des Fabrikates ausübt. Was die Schnelligkeit
der Durchgerbung anbelangt, so ist kein Gerber im Zweifel darüber, daſs höhere
Temperatur günstiger für dieselbe sei als niedere, da eben die Diffusion aller
Stoffe bei erhöhter Temperatur eine lebhaftere ist; nicht minder bekannt ist es aber
auch, daſs ein bei höheren Temperaturgraden gegerbtes Leder stets eine gröſsere
Geschmeidigkeit hat, als wenn die Temperatur während des ganzen Gerbeprocesses
niedrig gehalten wurde. Zur Erklärung der Ursache dieses Verhaltens ist es
nothwendig, an einige von den Gesetzen der Capillarität zu erinnern.
1) Die Höhe der in einer Capillarröhre gehobenen Flüssigkeitssäule
multiplicirt mit ihrem Halbmesser bildet für dieselbe Flüssigkeit eine beständige
Zahl, die sogen. Capillarconstante, d.h. die Höhe verhält sich umgekehrt wie der
Durchmesser.
2) Diese Constante ist für jede Flüssigkeit eine andere und hängt
überdies noch auch von anderen Umständen ab.
3) Von allen bis jetzt untersuchten Flüssigkeiten zeigt reines
Wasser die stärkste Capillarerhebung. Durch jeden darin aufgelösten Stoff wird
dieselbe vermindert.
Von den die Capillarconstante einer Flüssigkeit beeinflussenden
Umständen wollen wir hier vor Allem die Temperatur betrachten, für welche das Gesetz
gilt, daſs mit zunehmender Temperatur die Höhe der Säule abnimmt, wie aus
nachfolgender Tabelle erhellt:
Spec. Gew. bei 0°
Hmm
Zwischen
Wasser
1,0000
15,332 – 0,0286 t
0° bis 82°
Aether
0,7370
5,400 – 0,0254 t
– 6 „ + 35
Olivenöl
0,9150
7,461 – 0,0105 t
15 „ 150
Weingeist
0,8208
6,05 – 0,0116 t –
0,000051 t2
0 „ 75
Schwefelsäure
1,840
8,40 – 0,0153 t –
0,000094 t2
12 „ 90
Versuchen wir jetzt das bisher über Capillarität Gesagte auf die Gerberei anzuwenden.
Daſs ein zweckmäſsiges Schwellen der Sohlleder nur bei niedrigen Temperaturen
ausführbar ist, weiſs jeder Gerber. Ich habe in groſsen Sohllederfabriken
gearbeitet, wo überhaupt nur in den kälteren Monaten Häute zu Sohlleder
eingearbeitet wurden, die Einarbeitung in den heiſsen Monaten hingegen gänzlich
verblieb, eben weil in dieser Zeit und bei der Lage der betreffenden Werkstätten ein
zweckentsprechendes Schwellen nicht erreichbar war.
Gerade das Umgekehrte gilt aber von Oberleder. Bei diesem muſs jede Schwellung
sorgfältig vermieden werden, weil man sonst anstatt eines weichen geschmeidigen
Leders, ein mehr oder weniger starres, an Sohlleder erinnerndes Product erhält.
Dieses schädliche Schwellen der Oberleder läſst sich am sichersten aber nur durch
entsprechendes Hochhalten der Temperatur der Gerbebrühen vermeiden; aus diesem
Grunde hält es so schwer, im Winter ein zweckentsprechendes Oberlederfabrikat
herzustellen, so daſs namentlich in kleineren Gerbereien, wo die Lage der Werkstätte
und sonstige Verhältnisse es nicht gestatten, eine höhere Temperatur während des
ganzen Verlaufes der Gerbung einzuhalten, die Einarbeitung zu Oberleder im Winter
möglichst eingeschränkt wird. Ich will hier nur beiläufig die vielen Klagen
streifen, welche sich auf miſsrathenes, hartes, aufgequollenes, narbenbrüchiges
Oberleder beziehen; ich glaube 90 Procent dieser Klagen haben nur in dem einzigen
Umstände ihre Schuld, daſs die Gerbung eben bei zu niedriger Temperatur vor sich
gegangen ist. Es braucht zu diesem Hauptumstande nur noch hinzuzukommen: ein um ein
geringes höherer Procentsatz von Säure in der Brühe, zu wenig Gerbstoff und das
Unglück ist fertig. Faſst man nun alle diese Thatsachen ins Auge, bedenkt man, daſs
die Haut aus unendlich vielen und unendlich engen Kanälen besteht, welche durch die
neben einander laufenden Fibrillen gebildet werden, in die das Wasser mit groſser
Gewalt mittels Capillarwirkung eindringt und darin festgehalten wird; bedenkt man
die Uebereinstimmung, welche zwischen den oben angeführten Gesetzen der Capillarität
bei verschiedenen Temperaturen und dem Verhalten der Häute unter eben diesen
Umständen herrscht, so drängt sich der Gedanke auf, daſs das Schwellen und Verfallen
der Häute bei niedrigen und höheren Temperaturen in einem sehr innigen Zusammenhang
mit der Capillaritätswirkung stehen muſs.
So einfach und einleuchtend nun dieser Schluſs als Folgerung aus den mitgetheilten
Betrachtungen sich ergibt, so ergeben sich bei weiterem Vorschreiten in dieser
Richtung doch noch so manche Schwierigkeiten, ja Widersprüche, die zu beseitigen
nicht so leicht erscheint.
Betrachten wir vor Allem die in obiger Tabelle angeführten Flüssigkeiten nach
einander in ihren Wirkungen auf die Haut, so werden wir finden, daſs das dort
angeführte Verhältniſs der Capillarerhebungen vollkommen übereinstimmt mit dem
Verhalten, welches thierische Haut, in diese Flüssigkeiten gebracht, zeigt,
ausgenommen die Schwefelsäure.
Hängt man in reinem Wasser aufgequollene Blöſse in Aether oder Weingeist, so wird
wegen des hier ins Spiel kommenden Massenmomentes das Wasser aus dem Hautgewebe nach
und nach vollständig verdrängt und seine Stelle von obigen Flüssigkeiten
eingenommen, zugleich aber schrumpft die Haut in eben
demselben Verhältniſs zusammen, wie sich die Capillarconstante des Wassers
zu derjenigen dieser Flüssigkeiten verhält. Aehnlich verhält es sich mit den Oelen, nur daſs
hier wegen Nichtmischbarkeit dieser Flüssigkeiten mit Wasser der Nachweis
schwieriger gelingt. Wenn man aber reingemachte Blöſse so vollständig als möglich
durch Pressen zwischen Flieſspapier von Wasser befreit und sie dann anhaltend mit
Erdöl knetet, so daſs die Haut ziemlich gut von dem Oele durchdrungen wird, so
behält sie nun eine platte, magere Beschaffenheit und kehrt nicht mehr zu der
vollen, aufgequollenen Form zurück, welche sich zeigte, als ihre Capillarräume noch
mit Wasser gefüllt waren. Auch hier also bestätigt es sich, daſs das Verhalten der
Haut gegen Oele übereinstimmt mit den betreffenden Capillarconstanten.
Eine groſse Abweichung von der Regel scheint aber die Schwefelsäure, sowie überhaupt
alle Säuren zu machen. Während die Capillarconstante der Schwefelsäure nur wenig
gröſser ist als die des Oeles oder des Weingeistes und man demnach erwarten sollte,
daſs Haut, in verdünnte Schwefelsäure gebracht, zusammenschrumpfen sollte, was auch
aus dem Gesetze, wonach die Capillarerhebung des Wassers durch jeden darin
aufgelösten Stoff vermindert wird, gefolgert werden könnte, findet das Gegentheil
von alledem statt: die Haut schwillt nur um so mehr auf und wir bedienen uns ja in
der Gerberei der Säure, um eine möglichst sichere und – wenn nöthig – rasche
Schwellung zu erzielen. Zur Lösung dieses Widerspruches ist zunächst zu bemerken,
daſs bei Zusammenstellung obiger Tabelle der Capillarerhebungen die Versuche
voraussichtlich in Röhrchen von einem Stoffe vorgenommen wurden, worauf die
untersuchte Flüssigkeit keinen chemischen Einfluſs ausübte. Waren dies nun, wie es
die Natur der Sache verlangt, Röhrchen von Glas, so übt keine der dort angeführten
Flüssigkeiten einen irgendwie bemerkenswerthen chemischen Einfluſs auf die Substanz
der Röhre aus, und so muſste es auch sein, damit man die Erscheinung unbeeinfluſst
von Nebenumständen in ihrer möglichsten Reinheit prüfen könne. Die Capillarräume der
thierischen Haut hingegen werden aus einem Stoffe gebildet, welcher sich nicht so
indifferent gegen die angeführten Flüssigkeiten verhält.
Fassen wir hier nur den weitaus vorwiegenden Bestandtheil der thierischen Haut,
nämlich die leimgebende Fibrille, ins Auge. Wasser, Weingeist und neutrale Oele
wirken auf dieselbe chemisch nicht ein, wohl aber alle Säuren; diese lösen die
Substanz der Hauptfibrillen schon bei groſser Verdünnung, und zwar äuſsert sich
diese lösende Wirkung zuvörderst in einer Lockerung der Fibrillensubstanz, wodurch
sie befähigt wird, neue Wassermengen in ihre Molecularinterstitien aufzunehmen und
so die Erscheinung des Quellens hervorzurufen. Dieses Aufquellen der Fasersubstanz,
sowie anderer in der Haut vorhandenen Proteïnstoffe bringt im Groſsen und Ganzen die
Haut in denselben äuſserlichen Zustand des Geschwelltseins, wie es sonst die
vermehrte Capillaranziehung thut, ist jedoch nach dem Vorhergehenden zu unterscheiden von
derselben. Wir hätten demnach principiell zwei Arten von Schwellung der Haut zu
unterscheiden: 1) Die Schwellung durch erhöhte Capillarwirkung bei niedriger
Temperatur, welche in einer Erweiterung der Fasernzwischenräume (hervorgerufen durch
gröſsere Flüssigkeitsaufnahme) besteht und ein rein physikalischer Vorgang ist, und
2) die Schwellung durch chemische Einwirkung der betreffenden Stoffe (Säuren,
Alkalien u. dgl.) auf die Substanz der Hautfasern; diese würde demnach in einer
Aufquellung der Fasern und Verengerung der Kanäle bestehen. Es scheint übrigens,
daſs beim wirklichen Schwellen der Häute immer beide Factoren gemeinsam mitwirken
müssen, um dasselbe normal und regelrecht hervorzurufen. Weder Säure, bei höherer
Temperatur angewendet, bringt die Haut auf denjenigen Grad der Schwellung, wie ihn
die Praxis erfordert, noch vermag dies niedere Temperatur allein (bei Anwendung von
reinem Wasser) zu bewirken.
Es ist noch das Verhalten der Haut bei Behandlung mit weichem und mit hartem Wasser zu erörtern. Es
ist die Thatsache bekannt, daſs die Haut in weichem, also solchem Wasser, welches
nur sehr wenig oder gar keine mineralischen Stoffe gelöst enthält:, auch bei ganz
niedriger Temperatur nur sehr wenig oder gar nicht aufquillt, während dieselbe in
Wasser, welches kohlensaure oder schwefelsaure Salze gelöst enthält, unter denselben
Umständen einen verhältniſsmäſsig beträchtlichen Grad von Schwellung annimmt; nicht
minder bekannt ist die der Schwellung entgegen wirkende Eigenschaft des Kochsalzes
sowie aller Chloralkalien und der Chlorverbindungen der alkalischen Erden (vgl. Eitner 1877 226 524).
Was die Erfahrung anbelangt, daſs Haut in reinem Wasser selbst bei niedriger
Temperatur eine kaum bemerkbare Schwellung erleidet, so kann ich nicht leugnen, daſs
diese Thatsache sehr gewichtig gegen die in Obigem aufgestellte Theorie spricht,
laut welcher doch gerade in reinem Wasser die Schwellung am stärksten eintreten
müſste. Es ist aber zu bedenken, daſs, wenn Haut, welche mit reinem Wasser gesättigt
ist, über 0° sich selbst überlassen bleibt, sofort auch die Bedingungen der Fäulniſs gegeben sind. Wir kennen nun die Wirkungen der
Fäulniſs auf die Haut, selbst wenn sie in minimalem Grade auftritt; diese äuſsern
sich zu allererst in einer. Erschlaffung und in einem Verfallen des ganzen Gewebes
und darum ist es nicht schwer zu begreifen, warum solch ein Hautstück in reinem
Wasser nicht aufquillt. Wo die Bedingungen der Fäulniſs gegeben sind, dort sind
selbst die energischesten chemischen Schwellungsmittel nicht im Stande, eine
entsprechende Schwellung hervorzubringen. Ein alter, mit Fäulniſsstoffen überladener
Aescher gibt den besten Beleg für die Wahrheit dieser Behauptung.
Das Verhalten der Chlorsalze enthaltenden Wässer stimmt mit den Capillaritätsgesetzen überein;
bezüglich der schwefelsaure und kohlensaure Salze enthaltenden Wässer glaube ich
annehmen zu dürfen, daſs ihre schwellende Wirkung in der gewöhnlich nicht völlig
neutralen Reaction solcher Wässer ihre Ursache habe.
Aus dem bisher Vorgebrachten dürfte der Einfluſs der Capillarität auf den
Gerbevorgang klar hervorgehen–, es wirft sich hier nur die Frage auf, ob es jetzt
schon möglich ist, Folgerungen für die Praxis daraus abzuleiten. Ich versuche es, in
Nachfolgendem den Weg anzudeuten, welchen ich in dieser Richtung eingeschlagen.
Daſs Wärme die Diffusion beschleunigt, ist bekannt und halte ich es nicht für nöthig,
specielle Belege hierfür anzuführen; dieselbe ist (auſser der mechanischen Bewegung
der Häute in den Brühen) das einzige bisher bekannte Beschleunigungsmittel für die
Gerbung. Ihre Anwendung ist aber ziemlich beschränkt, weil man die Temperatur nur
bis zu einer gewissen Grenze erhöhen darf, da hierüber hinaus ein nachtheiliger
Einfluſs auf die Qualität des Leders ausgeübt würde, und dann ist überhaupt die
Anwendung von höherer Temperatur bei der Gerbung nur bei Oberleder, wo es auf groſse
Geschmeidigkeit ankommt, erlaubt und muſs bei der Herstellung der Unterleder
vermieden werden, welche letztere möglichste Starrheit besitzen müssen, die eben nur
durch Gerbung bei verhältniſsmäſsig niedrigen Temperaturen (bis etwa 12°, namentlich
anfangs) erreichbar ist.
Es drängt sich nun die Frage auf, ob nicht noch andere Beschleunigungsmittel der
Diffusion, welche zugleich eine ausgebreitetere Anwendung gestatten, als Wärme
vorhanden sind. Bei eingehenderem Studium der Frage, wie es kommt, daſs Wärme die
Diffusion beschleunigt, gelangt man zu dem Resultate, daſs dies eine Folge ihrer
Eigenschaft ist, den Zusammenhang zweier Molecüle zu lockern; es klingt zwar etwas
paradox, daſs verstärkte Diffusion in einer Verminderung der Anziehung ihren Grund
haben soll; doch ist dies bei weiterem Eingehen leichter zu begreifen als diejenige
Anschauung, wonach die Diffusion eines in einer Flüssigkeit gelösten Stoffes um so
stärker sei, je stärker die Anziehung dieses Stoffes zur Flüssigkeit. Wenn nun diese
Anschauung begründet ist, so werden auch die übrigen Ursachen, welche den
Zusammenhang zweier Molecüle lockern, die Diffusion beschleunigen. Als solche
Ursachen kennen wir aber, abgesehen von der Wärme, nur die Elektricität und die
chemische Einwirkung der Molecüle eines anderen Körpers.
Was den Zusatz chemisch fremder Körper zur Lösung anbelangt, so scheint die Wirkung
des Kochsalzes in der Weiſsgerberei als Zusatz zum Alaun in der That dieser
Auffassung zu entsprechen; denn es ist bekannt, daſs der Alaun schneller und in
gröſseren Mengen in die Haut diffundirt bei Gegenwart von Kochsalz als für sich
allein. Wie sich Gerbsäurelösung in Bezug auf Diffusion bei Gegenwart fremder Stoffe
verhält, bedarf
jedenfalls noch gründlicher Untersuchungen, da wir bis jetzt mit nothwendiger
Schärfe weder das Verhalten der chemisch reinen Gerbsäure in Lösung, noch die
verschiedenen Stoffe, die sich gemeinsam mit ihr in unseren Gerbebrühen gelöst
finden, kennen.
Für die Wirkung der Elektricität als Beschleunigungsmittel der Diffusion sprechen
auſser der schon angeführten Analogie mit der Wärme auch noch andere Gründe. Das
Wesen der Elektricität, welches auch nur eine Form der Bewegung ist wie die Wärme,
die Thatsache, daſs leitende Flüssigkeiten bei einer Temperaturerhöhung ihren
Leitungswiderstand vermindern, daſs der elektrische Strom selbst Wärme erzeugt, dies
Alles zeigt den innigen Zusammenhang der beiden Naturkräfte. Was bisher versucht
wurde, um die Wirkung der Elektricität auf die Diffusion klarzustellen, besteht, so
weit mir bekannt, in einem Versuche Fodera's; dieser
füllte die geöffnete Brusthöhle eines Kaninchens mit Eisenchloridlösung und die
Bauchhöle mit einer Lösung des Blutlaugensalzes; es mischten sich die beiden
Flüssigkeiten durch das dicke Zwerchfell hindurch sehr langsam; schneller ging die
Mischung aber von statten, wenn Fodera einen leichten
elektrischen Strom durch das Zwerchfell leitete. (Vgl. auch H. S. 1877 224 657. Gaulard 1878 230 * 317.)
Ich unternahm folgenden Versuch. Ein Hautstück wurde zwischen zwei Metallplatten so
gelegt, daſs sich zwischen demselben und den Platten von beiden Seiten eine Schicht
Gerbstoff (Knoppern) befand, welche in genügend feuchtem Zustande erhalten wurde;
das Ganze lag in einer Porzellanschale und die Platten wurden mit den Polen zweier
Chromsäure-Elemente kleinsten Formates verbunden. Wenn nun der Flüssigkeit eine
kleine Menge Säure zugesetzt wurde, so concentrirte sich die ganze Thätigkeit des
galvanischen Stromes auf die Wasserzersetzung; an den Elektroden entwickelte sich
Sauerstoff und Wasserstoff zum Beweise, daſs sich unter diesen Verhältnissen dem
Strome nach dieser Richtung (Zersetzung des Wassers) der kleinste Widerstand bot.
Ich unternahm deshalb einen zweiten Versuch in der Weise, daſs ich nun alle Säure
fern hielt, und erzielte nun wirklich ein von dem vorigen verschiedenes Resultat.
Die Thätigkeit des Stromes concentrirte sich nämlich nun hauptsächlich auf die
Zersetzung des Gerbstoffes; nach 10tägiger Einwirkung war der Gerbstoff zum groſsen
Theil in eine schwarze humose Masse verwandelt, während an dem Hautstück selbst
nichts besonders bemerkenswerthes wahrzunehmen war: die Gerbung war nicht weiter
vorgeschritten als an einem zweiten Hautstück, welches mit denselben Gerbstoffmengen
ohne Anwendung von Elektricität behandelt wurde, sondern war wegen Abwesenheit von
Säure eher noch unvollkommener. In beiden Versuchen wurde also das gewünschte
Resultat: Beschleunigung der Diffusion, nicht erreicht; in beiden Fällen erstreckte
sich die lockernde Kraft der Elektricität in anderer Richtung, als wünschenswerth
war: im ersten Fall
zersetzte sie Wasser, im zweiten Gerbsäure, während für unseren Zweck nur eine
Lockerung des Zusammenhanges zwischen den Wasser- und den Gerbsäuremolecülen
erforderlich ist. Wenn es gelingen wird, die Einwirkung der Elektricität so zu
leiten, daſs dieses letztere Resultat erzielt wird, dann ist ihre Anwendung als
Beschleunigungsmittel der Gerbung von selbst gegeben.
W. Velten berichtet in seiner
Abhandlung: „Einwirkung strömender Elektricität auf die Bewegung des Protoplasma
(Sitzungsberichte der k. Akademie in Wien, 1876 Bd. 73), daſs durch starke
elektrische Ströme das Protoplasma befähigt wird, Wasser in seine eigenen
Interstitien aufzunehmen und aufzuquellen; wenn dies nun, wie wahrscheinlicher Weise
angenommen werden kann, mit den Hautgebilden ebenfalls der Fall ist, und wenn es
sich bestätigt, daſs die Elektricität ein Beschleunigungsmittel der Diffusion
bezieh. der Gerbung ist, so könnte dieselbe auch bei Gerbung von starren Unterledern
angewendet werden, was, wie wir gesehen, von der Wärme nicht gilt.
Auch ist noch zu erwähnen, daſs die Capillarität ebenfalls in sehr
inniger Wechselbeziehung zur Elektricität steht, wie aus der Untersuchung „Relations entre les phénomènes éléctriques et
capillaires“ von G. Lippmann in den
Annales de Chimie et Physique, 1875 hervorgeht, auf
Grund welcher Untersuchungen Lippmann ein
Capillar-Elektrometer (1878 227 247) construirt hat, bei
dem sich mit Hilfe des Mikroskopes noch eine sehr deutliche Veränderung der
Capillardepression des Quecksilbers beobachten läſst, wenn die elektrische
Dichtigkeit an der Oberfläche dieser Flüssigkeit sich um den tausendsten Theil der
Spannung am Pole eines Daniell'schen Elementes verändert.
Albert Fuchs beschreibt in Poggendorff's Annalen, 1857 Bd. 102 S. 633 folgenden
Versuch: Bringt man in die Nähe des Strahles eines kleinen Springbrunnens einen
elektrischen Körper, etwa ein geriebenes Glasrohr, so wird in dem Abstand von 4 bis
5 Schritten alles Tropfen werfen aufhören, der Strahl zieht sich in eine Säule
zusammen und steigt, ähnlich dem Pistille einer Lilie, vollkommen ungetheilt in die
Höhe; hält man den Kopf in 12 bis 18 Zoll Entfernung und fährt mit der Hand nur
einmal durch die Haare, so zieht sich der Strahl augenblicklich, wenn auch nur für
kurze Zeit, zusammen.
Da nun die Tropfenbildung unmittelbar durch die Capillarilätsconstante bedingt ist,
so sieht man aus diesen Versuchen leicht den innigen Zusammenhang der Elektricität
mit der Capillarität.