Titel: | Verwendung des Compoundsystemes bei Locomotiven. |
Autor: | Wilman |
Fundstelle: | Band 238, Jahrgang 1880, S. 373 |
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Verwendung des Compoundsystemes bei
Locomotiven.
Mit Abbildungen auf Tafel 27.
Verwendung des Compoundsystemes bei Locomotiven.
Unter diesem Titel veröffentlicht Maschinenmeister v.
Borries in der Zeitschrift des Vereines deutscher
Ingenieure, 1880 S. 447 einen interessanten Vorschlag zur Weiterbildung des
Mallet'schen Locomotivsystemes (vgl. 1876 222 187
und 394), über dessen praktischen Werth nun wohl bald endgültige Resultate vorliegen
werden, da in der Maschinenbau-Anstalt von Schichau in
Elbing zwei kleine Maschinen nach System Borries für
die Hannoversche Staatsbahn gebaut werden.
Gelegentlich der Besprechung dieses Vorschlages möge die Entwickelung des von Mallet zuerst vorgeschlagenen Compoundsystemes für
Locomotiven etwas eingehender besprochen werden.
Bekanntlich besteht die Wesenheit der Manschen Construction darin,
daſs die Locomotive an Stelle der gewöhnlich gleich groſsen Cylinder je einen
Hochdruck- und einen Niederdruckcylinder erhält, während die Anordnung der unter 90°
gegen einander versetzten Kurbeln, sowie der übrige Mechanismus unverändert bleibt.
Der frische Kesseldampf tritt nur in den Hochdruckcylinder, expandirt dort bis zu
einem gewissen Grade und tritt dann zum Niederdruckcylinder über, um von hier aus
völlig ausgenutzt durch das Blasrohr zu entweichen. Die Stellung der Kurbeln unter
90° nöthigt selbstverständlich zur Anordnung eines „Receiver“, zu welchem die
Rauchkammer den günstigsten Platz bietet, um einen Spannungsabfall des übertretenden
Dampfes zu verhindern. Endlich bedarf es einer Vorkehrung zum Einlassen directen
Dampfes in den groſsen Cylinder, um bei einer für den kleinen Cylinder ungünstigen
Kurbel Stellung das Anfahren zu ermöglichen.
Zu diesem Zweck verwendet Mallet
einen Schieber (tiroir de demarrage), Reicher, wie der
Name besagt, zunächst lediglich für das Anfahren bestimmt ist, weiterhin aber auch
dazu benutzbar gemacht wird, um nicht allein das Anfahren, sondern auch das Fahren mit
directem Dampf in beiden Cylindern zu ermöglichen und so für auſsergewöhnliche Fälle
der Beanspruchung eine Kraftreserve verfügbar zu haben. Dieser „tiroir de demarrage“, welcher sich in seiner
erweiterten Function passend mit „Volldruckschieber“ übersetzen läſst, ist, nach der aus Fig.
3 Taf. 27 im Horizontalschnitt ersichtlichen – übrigens durchaus nicht
mustergültigen Anordnung – auſsen an die Rauchkammer der Locomotive angesetzt und
steht durch die aus der Skizze ersichtlichen Rohre einerseits mit dem Blasrohr,
andererseits mit dem Schieberkasten des groſsen Cylinders in Verbindung. Der
Schieberkasten des Volldruckschiebers selbst ist durch eine directe Verbindung mit
dem Regulator stets mit frischem Kesseldampf erfüllt und entläſst denselben, durch
das Rohr e, beständig zum Schieberkasten des kleinen
Cylinders. Der aus dem kleinen Cylinder austretende Dampf entweicht durch das Rohr
a und gelangt, für die in Fig. 3
gezeichnete Stellung des Volldruckschiebers, unter die Schiebermuschel hindurch zu dem Einströmungsrohr
des groſsen Cylinders, welches gleichzeitig den Receiver bildet. Die für den kleinen
Cylinder dienende Blasrohrleitung ist verschlossen und die Locomotive arbeitet als
Compoundmaschine.
Soll dagegen in beiden Cylindern directer Dampf gegeben werden, so
wird der Volldruckschieber so weit nach links verschoben, daſs die Einströmung zum
groſsen Cylinder dem directen Dampf eröffnet wird, während die durch a austretenden Dampfmengen des kleinen Cylinders unter
die Schiebermuschel zu der früher verschlossenen Blasrohrleitung entweichen. Die
Stellung des Schiebers findet selbstverständlich vom Führerstand aus statt.
Dem in dieser Gestalt vor etwa 6 Jahren ausgearbeiteten Mallet'schen Systeme glaubte, trotz allen Vorurtheiles,
mit welchem gerade im modernen Locomotivbau alle Neuerungen betrachtet werden,
Niemand eine wesentliche Oekonomie des Dampf-Verbrauches absprechen zu dürfen; dagegen fürchtete man andererseits durch
den nur zweimaligen Auspuff für jede Umdrehung eine Verminderung der Dampf-Erzeugung und ferner durch die ungleich groſsen
Cylinderdrücke sowohl beim directen, als beim combinirten Gang eine gefährliche
Erhöhung der schlingernden Locomotivbewegungen. Daſs sich auch die Stimmen der so
genannten „Praktiker“ gegen die Complication durch das Receiverrohr und den
Volldruckschieber laut machten, ist ja selbstverständlich.
Auffallend genug bewiesen sich die zumeist befürchteten Nachtheile
des Mallet'schen Systemes bei den zahlreichen
Ausführungen (auf der französischen Bahn Bayonne-Biarritz, auf der französischen
Nordbahn, auf der österreichischen Nordbahn u.a.) als thatsächlich nicht vorhanden,
wiewohl Jeder bestätigen muſs, der mit Mallet'schen
Locomotiven gefahren ist, daſs die Dampferzeugung sowie die Ruhe des Ganges gegen
die normalen Locomotiven keine bemerkenswerthen Unterschiede aufweisen. Dies ist
auch ganz einleuchtend, wenn einerseits erwogen wird, daſs doch unter allen
Umständen und mit nur wenig abweichenden Spannungen so viel Dampf durch das Blasrohr
entweicht, als erzeugt wird, und andererseits berücksichtigt, daſs bei richtiger
Balancirung der Massen der hauptsächlichste Grund des Schlingerns in den einseitig auftretenden Cylinderdrücken zu suchen ist.
Dann ist es ohne weiteres klar, daſs eine Compoundmaschine, welche bei gleicher
Leistung längere Admissionsperioden in beiden Cylindern hat als eine normale
Locomotivmaschine, unter Umständen weniger schlingert, da sich hier die
beiderseitigen Füllungsperioden theilweise überdecken, während bei einer hoch
expandirenden direct wirkenden Maschine gewissermaſsen nur momentane Stöſse in allen
vier Cylinderenden auftreten und so unvermeidlich schlingernde Bewegungen
hervorrufen. Die effective Leistung der einen oder anderen Cylinderseite hat damit
absolut nichts zu thun, wie ja eine Locomotive völlig ruhig gehen könnte, wenn beide
Cylinder (selbstverständlich auf Kurbeln unter 180° wirkend wie bei der
Duplexmaschine der österreichischen Staatsbahn auf der Londoner Ausstellung 1862)
nur auf einer Seite angebracht wären und somit die
ganze Kraftentwicklung einseitig stattfände.
Aus diesem Grunde hält Verfasser auch den von Mallet nachträglich eingeführten Dampfdruckreductor für
völlig überflüssig. Derselbe ist in bekannter Einrichtung mit einem
selbstregulirenden Differentialkolben derartig im Volldruckschieber angeordnet, daſs
der Dampf zum kleinen Cylinder ungehindert durchströmt, dagegen der für den groſsen
Cylinder bestimmte directe Dampf im Verhältniſs der beiderseitigen Cylinderflächen
reducirt wird, so daſs auch im groſsen Cylinder kein gröſserer Anfangsdruck auf das
Gestänge stattfinden kann wie im kleinen. Diese Einrichtung hat allenfalls einige
Bedeutung, um bei sehr leicht construirten Maschinen das Gestänge auf beiden Seiten
möglichst schwach halten zu können; – in der gewöhnlichen Ausführung unserer
Locomotiven, bei welchen die Dimensionen der Bewegungstheile mit Rücksicht auf die
normalen Abnützungsdrücke weitaus groſser gewählt sind, als es für die Festigkeit
erforderlich wäre, kann eine vorübergehende
Mehrbelastung des auf Seite des Niederdruckcylinders befindlichen Mechanismus
unbesorgt gestattet werden. Thatsächlich wird versichert, daſs die nach Mallet'schem Compoundsystem reconstruirte Locomotive
der österreichischen Nordbahn ohne Reductionsapparat arbeitet, dabei ihr früheres
Gestänge auf beiden
Seiten unverändert beibehalten hat, ohne daſs sich, selbst bei lange andauerndem
directem Gang unruhige Bewegungen oder schädliche Beeinflussungen des Mechanismus
gezeigt hätten.
Während derart die einzig rationell erscheinenden Einwände gegen
das Mallet'sche System durch die Erfahrung ganz oder
zum groſsen Theil widerlegt wurden, stellte sich merkwürdiger Weise auch heraus,
daſs die erwartete Dampf- und Kohlenersparniſs nur in geringem Maſse eintrat, ja in
manchen Fällen gar nicht festgestellt werden konnte. Dies muſste um so mehr
überraschen, als doch die bedeutenden Vorzüge der Compoundmaschinen vor der
gewöhnlichen Zwillingsmaschine durch unwiderlegliche Beweise festgestellt sind, wenn
auch über den relativen Werth der verschiedenen hier Einfluſs nehmenden Faktoren
noch keine Einigung erzielt ist. Diese Faktoren sind: 1) gleichmäſsigere
Arbeitsabgabe auf die Kurbelwelle als bei gleich weit getriebener Expansion in zwei
einzeln wirkenden, wenn auch unter 90° gekuppelten Cylindern; 2) die Ermöglichung
einer bei den einfachen Steuerungssystemen unerreichbaren Gesammtexpansion; 3) die
Verminderung des Dampfverlustes durch Undichtheit der Schieber und Kolben in Folge
Vertheilung der Druckdifferenz; 4) als wesentlichstes Moment die Vertheilung der
totalen Temperaturdifferenz auf zwei Cylinder und endlich 5) die Möglichkeit der
Wiederbelebung des zum groſsen Cylinder übertretenden Dampfes durch Heizung des
Receiver.
Wenn es nun auch aus all diesen Gründen wohl begreiflich
erscheint, warum das Compoundsystem die höchste bis jetzt erreichbare Dampfökonomie
erzielen läſst, so ist damit doch nicht gesagt, daſs
sie auch unter allen Umständen erreicht werden muſs; im
Gegentheil lehrt die Rankinisirung so manchen Compounddiagrammes, welch ungeheure
Verluste auch hier gegenüber dem idealen Diagramme vorkommen können. Am wenigsten
aber von allen bestehenden Maschinensystemen hat die Locomotivmaschine die
Vorbedingung zur Geltendmachung der Vorzüge des Compoundsystemes. Vor allen Dingen:
sie condensirt nicht, die Temperaturen des Kesseldampfes und des Abdampfes wechseln
höchstens zwischen 180 und 105°, also um etwa 70 Proc., während sie bei
condensirenden Compoundmaschinen mit normalem Anfangsdruck von 5at effectiv zwischen 160 und etwa 45°, also um
mehr als 250 Proc. schwanken; zudem vermag sich der schädliche Einfluſs der
Cylinderwandungen beibai der hohen Kolbengeschwindigkeit der Locomotiven bei weitem weniger geltend
zu machen und endlich ist auch jene Ansicht nicht ohne Berechtigung, welche nicht
allein die relativen Temperaturverhältnisse, sondern auch die absoluten Höhen
derselben zu berücksichtigen verlangt.
Verliert somit dieser Umstand für die Locomotivmaschine viel von
seinen bei anderen Systemen Ausschlag gebenden Bedeutung, so gilt auch das gleiche
von dem weiteren Vorzug der Compoundmaschinen, der Verminderung der Dampfverluste
durch Schieber und Kolben. Dagegen bleibt auch für Locomotivmaschinen bestehen der
Vorzug einer weit getriebenen Expansion mit einfachen Steuerungen, die gröſsere
Regelmäſsigkeit des Ganges und geringeren Reibungsverlust bedingende gleichmäſsige
Kraftabgabe und das Nachwärmen des theilweise expandirten Dampfes im Receiver.
Alle diese Umstände vermögen, wenn sie auch theilweise gerade bei
Locomotivmaschinen verminderte Bedeutung erhalten, doch ganz zweifellos eine erhöhte
Oekonomie der Compoundlocomotiven zu erzielen; ebenso zweifellos ist aber auch, daſs
diese an und für sich nicht allzu bedeutend erwartete Oekonomie durch ungünstige
Führung des Compoundprocesses wieder völlig verloren gehen kann. Und da bei den
wechselnden Arbeitsverhältnissen der Locomotive eine allgemein passende
Cylinderdimension unter keinen Umständen erzielt werden kann, liegt es lediglich in
der richtigen Führung der Steuerung, um die Compoundlocomotive zu einem ökonomischen
Erfolg zu gestalten.
Aus diesem Grunde ist Maltet bei
seiner neueren Maschine (so auch bei der von Schaltenbrand in der oben genannten Zeitschrift 1879 * S. 119 eingehend
und gründlich behandelten Ausstellungsmaschine) von dem System gemeinschaftlicher
Steuerung abgegangen, obwohl der Theorie nach bei entsprechender Wahl der
Durchmesser beide Cylinder unter allen Umständen bei gleichen Mllungsgraden gleiche
Leistungen entwickeln. Es fällt aber dieser Zustand gleicher Arbeitsleistung in
beiden Cylindern nicht nothwendig mit gröſster Dampfökonomie zusammen und läſst sich
daher mit getrennter Steuerung für beide Cylinder günstiger arbeiten. Zudem ist die
Steuerung des Hochdruckcylinders speciell mit Rücksicht auf möglichst kleine
Compressionen zu construiren, da sonst bei der hier als Gegendampf auftretenden
Receiverspannung enorme Compressionen entstehen; beim Niederdruckcylinder dagegen
sind, für die Ruhe des Ganges in den Hubwechseln, hohe Compressionen erwünscht.
Aus allen diesen Gründen versieht nunmehr Mallet jeden Cylinder mit einer besonderen Steuerung, welche durch einen
besonderen Hebel regulirbar ist, und nur zum rascheren Umsteuern ist es möglich,
beide Hebel zu kuppeln.
Welche Resultate Mallet thatsächlich
mit dieser Anordnung im regelmäſsigen Betrieb erzielt hat, ist bis jetzt noch nicht
authentisch bekannt geworden.
Auf Grund der vorausgegangenen Uebersicht haben wir den richtigen Standpunkt zur
Beurtheilung der vom Maschinenmeister v. Borries
vorgeschlagenen Verbesserungen des Mallet'schen Compoundsystemes gewonnen. Es werden
zwei Abänderungen vorgeschlagen und zwar in dem Volldruckschieber und in der
Steuerung: erstere, wie wir glauben, von nur nebensächlicher Bedeutung, letztere
dagegen ausschlaggebend für die Existenzfähigkeit der Compoundlocomotive
überhaupt.
Was den Volldruckschieber betrifft, so erachtet v.
Bornes denselben sowohl überflüssig, als schädlich; – überflüssig deshalb,
weil durch eine viel einfachere Vorrichtung das Anfahren ermöglicht werden kann;
schädlich, da er gerade bei der gröſsten Leistung, wo eine Oekonomie am
ausgiebigsten wäre, die Compoundwirkung mit der directen Arbeit vertauschen läſst.
Darum läſst v. Borries den Volldruckschieber ganz fort
und bringt dafür am Regulator im Dampfdom die aus Fig. 4 Taf.
27 ersichtliche Abänderung an.
Das Regulatorrohr, welches nunmehr direct mit dem Hochdruckcylinder in Verbindung
steht, ist in gewöhnlicher Weise durch einen Schieber verschlossen, auf welchem, wie
vielfach gebräuchlich, ein Entlastungsschieber zur Erleichterung des Oeffnens sitzt.
An letzterem greift die Zugstange an und bewirkt, falls der in Fig. 4
geschlossen gezeichnete Regulator geöffnet werden soll, zunächst eine
Aufwärtsbewegung des Entlastungsschiebers, durch welchen der enge Schlitz des
Grundschiebers eröffnet und ein vorläufiger Dampfweg zum Hochdruckcylinder gewonnen
wird. Gleichzeitig damit wurde aber auch ein zweiter oberhalb des Regulatorrohres
angebrachter Schlitz eröffnet, durch welchen mittels einer besonderen Rohrleitung
directer Dampf zu dem den groſsen Cylinder versorgenden Receiver geleitet wird. So
erhalten beide Cylinder directen Dampf, der groſse Cylinder dagegen, wie v. Borries annimmt, mit geringerer Spannung, da der
durch das enge Hilfsrohr zuströmende Dampf durch die Ausbreitung in den groſsen
Räumen des Receiver und des groſsen Cylinders momentan einen Theil seiner Spannung
verliert. So erfolge denn das Anfahren in gleicher Weise, als ob beide Cylinder
denselben Gesammtdruck hätten; der Regulator wird nach eingetretener Bewegung völlig
geöffnet und die Maschine wirkt, da nunmehr das Hilfsrohr zum groſsen Cylinder wieder abgeschlossen
ist, lediglich als Compoundmaschine. Selbstverständlich läſst sich eine ähnliche
Wirkungsweise auch durch einen einfachen Regulator erzielen.
Es unterliegt keinem Zweifel, daſs diese Anordnung einfacher ist wie der von Mallet angewendete Volldruckschieber, – aber auch
geringwertiger. Die Möglichkeit, mit beiden Cylindern direct arbeiten zu können, ist
unter allen Umständen ein Vortheil, den man nicht ohne zwingenden Grund aufgeben
sollte; ja Verfasser betrachtet die hierdurch innerhalb so weiter Grenzen mögliche
Veränderung der Leistung als einen der allerwesentlichsten Vorzüge des Mallet'schen Systemes, wodurch dasselbe sich ganz
speciell für Secundär – und Straſsenbahnen eignen wird. Wenn v. Borries seinen Niederdruckcylinder so groſs construiren kann, daſs
damit die durch directen Gang nach Mallet erzielte
Maximalwirkung auch beim Compoundgang geleistet wird, schädigt er unzweifelhaft den
Nutzeffect bei geringeren Füllungsgraden; überdies ist aber bei groſsen Maschinen
die Erzielung eines entsprechenden Cylinderdurchmessers fast immer unmöglich.
Was aber die Einfachheit der Handhabung betrifft, so ist es wohl recht gut möglich,
den Regulatorhebel derart mit dem Volldruckschieber zu verbinden, daſs er bei einer
bestimmten Stellung des Regulators etwas weniges geöffnet wird, um das Anfahren ohne
weiteren Handgriff zu gestatten, auſserdem aber seine besondere Bewegung behält, um
für den directen Gang völlig geöffnet zu werden. Doch ist zu bemerken, daſs sowohl
hier, wie bei v. Borries' Anordnung der Fall nicht
ausgeschlossen ist, daſs dennoch auf den Kolben des groſsen Zylinders der volle
Dampfdruck wirkt. Es tritt dies dann ein, wenn die beiden Kurbeln so ungünstig
stehen, daſs überhaupt kein Anfahren in dieser Richtung möglich ist, sondern
reversirt werden muſs. In diesem Falle, wo somit beim Oeffnen des Regulators keine
Bewegung eintritt, hat der Dampf Zeit, auch durch die kleine Oeffnung seinen ganzen
Druck geltend zu machen. Will man somit das Gestänge des Niederdruckcylinders auch
gegen diesen Fall ungewöhnlicher Inanspruchnahme schützen, so bleibt kein anderer
Ausweg übrig als den Malle'schen Druckreductor
einzuführen.
Neben dem vorstehend beschriebenen Hilfsrohr am Regulator hat v. Borries bei seiner Compoundlocomotive noch eine eigenthümliche
Construction des Reversirhebels angewendet, welche in Fig. 5 Taf.
27 argestellt ist. Der eigentliche, mit dem Handgriff versehene Reversirhebel ist
durch eine Zugstange mit dem Bewegungshebel für die Reversirwelle des groſsen
Cylinders verbunden, während die Reversirwelle des kleinen Cylinders – in gleicher
Achse mit der ersteren, aber selbstverständlich getrennt gelagert – durch einen
zweiten neben dem Reversirhebel aufgesteckten Hebel bewegt wird. Letzterer ist mit dem Reversirhebel
durch eine Knagge verbunden, so daſs er der Rückwärtsbewegung desselben folgen muſs.
Dabei wird jedoch bei gleichen Bogenausschlägen der Reversirhebel der kürzere Hebel
der Reversirwelle des kleinen Cylinders rascher zurückgezogen wie der längere Hebel
auf der Steuerwelle des groſsen Cylinders und nähert sich somit entsprechend rascher
seiner Mittelstellung. In Folge dessen haben die beiden Cylinder die volle Füllung,
für welche v. Borries hier 70 Proc. angibt, gemeinsam;
dagegen entspricht 50 Proc. im groſsen Cylinder nur 40 Proc. im kleinen, 35 Proc. im
groſsen Cylinder 20 Proc. im kleinen – Ziffern, welche v.
Borries für ein Cylinderverhältniſs von 1 : 1,9 als die vortheilhaftesten
ausgemittelt hat.
Für das Rückwärtsfahren ist selbstverständlich eine umgekehrte Stellung der beiden
Reversirhebel zu einander erforderlich, welche durch den zweiten Zahn in dem
Seitenhebel ermöglicht wird. Zum Rangiren, bei welchem nur die Endstellungen
verlangt werden, wird die Knagge überhaupt ausgelöst und der Seitenhebel vom
Handhebel dadurch mitgenommen, daſs letzterer abwechselnd an die Anschläge stöſst,
welche an beiden Enden des Bogenstückes, in welches der Seitenhebel ausgeht,
angebracht sind. Dem entsprechend bewegt sich beim Reversiren mit ausgeklinktem Zahn
der Handhebel zunächst eine Strecke allein, bis er an den Seitenhebel anschlägt und
denselben nach rückwärts mitnimmt. In der hinteren Endstellung liegen dann beide
Hebel gleichzeitig in den Futterstücken ihrer betreffenden Führungsbögen an, ebenso
wie dies für den Vorwärtsgang in Fig. 4
gezeichnet ist.
Die Hantirung mit v. Borries' Reversirhebel ist somit
kaum complicirter wie die eines gewöhnlichen Reversirhebels und die selbstthätige
Einstellung der Füllungsgrade gegenüber der Anordnung Mallet's ein auſserordentlicher Vortheil. Denn abgesehen von der
complicirteren Handhabung der doppelten Hebel hieſse es doch allzuviel von dem
Führer verlangt, daſs er auch noch die günstigsten zusammengehörigen Expansionsgrade
von Hoch- und Niederdruckcylinder ausstudiren solle. Daſs dies aber absolut nöthig
ist, um mit der Compoundlocomotive überhaupt eine nennenswerthe Ersparniſs erreichen
zu können, glauben wir oben nachgewiesen zu haben. Darum betrachtet Verfasser die
vorliegende Verbesserung, welche selbstverständlich nach praktischem Erforderniſs
noch mannigfach variirt werden kann, als ausschlaggebenden Versuch für die
Compoundlocomotive überhaupt und sieht dem von v.
Borries in Aussicht gestellten Bericht über seine vergleichenden
Untersuchungen mit höchstem Interesse entgegen.
Hiermit wird auch der Beweis erbracht sein, ob überhaupt das Compoundsystem für
nichtcondensirende Maschinen mit sehr variablen Leistungen irgend eine Berechtigung
hat; sind doch die vortrefflichen Leistungen des Compoundsystemes lediglich bei den
so besonders günstig und
regelmäſsig arbeitenden Schiffsmaschinen und bei sonstigen groſsen Motoren für
nahezu constanten Kraftbedarf erzielt worden.
Sollten sich aber, wie Verfasser fast fürchtet, die thatsächlich erreichbaren
Vortheile der Compoundlocomotive als allzu klein herausstellen, um deren allgemeinen
Verbreitung zu rechtfertigen, so bleibt doch noch ein Mittel, um auf einfache Weise
eine wesentliche Oekonomie der Locomotivmaschine zu erzielen: die Steuerung. Der
bedeutende Einfluſs einer richtigen Functionirung der Steuerung auf den guten und
ökonomischen Gang der Locomotive ist allgemein anerkannt und das Bestreben zur
thunlichsten Verbesserung der Coulissensteuerung, um rasche und volle Oeffnung,
möglichst späten Voraustritt und späte Compression zu erhalten, so alt wie die
Locomotive selbst. Warum soll nicht, wie so vieles, das beim ersten Versuche
verworfen worden, die Doppelschiebersteuerung neuerdings aufleben, da wir selbst
Ventilmaschinen mit 200 Touren arbeiten sehen.
Wilman.