Titel: | Lastwagen mit eiserner endloser Fahrbahn; von J. Schneider in Wehlheiden bei Kassel. |
Autor: | Wilman |
Fundstelle: | Band 240, Jahrgang 1881, S. 98 |
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Lastwagen mit eiserner endloser Fahrbahn; von J.
Schneider in Wehlheiden bei Kassel.
Mit Abbildungen auf Tafel 9.
J. Schneider's Transportsystem.
Eine kürzlich (bei Gustav Klaunig in Kassel) erschienene
Schrift „Das neueste Transportverfahren mittels eiserner endloser Fahrbahn“
entwickelt in breiter Weise die Wiederbelebungsversuche des wiederholt begrabenen
Wagensystemes mit endloser Fahrbahn. Der Verfasser hat mit anerkennenswerther
Beharrlichkeit ein Jahrzehnt auf Studien und Versuche in dieser Richtung verwendet
und veröffentlicht nun die Resultate derselben, leider jedoch nur solche Ergebnisse,
welche seinen Anschauungen von vorn herein entsprochen haben, und leider kein
einziges wirkliches Versuchsresultat. Wenn daher in dieser Richtung nur das Bedauern
ausgesprochen werden muſs, daſs J. Schneider nicht
verstanden hat, diese ihn so sehr beschäftigende Frage zu einem entgültigen
Abschluſs zu bringen, so bietet doch andererseits das von ihm versuchte System
Interesse genug, um auch in weiteren Kreisen bekannt gemacht zu werden.
Fig.
7 bis 12 Taf. 9
stellen die wesentlichen Theile des Schneider'schen
Wagens mit endloser Fahrbahn dar. Wie sofort ersichtlich, plant der Erfinder selbst
denselben nur als einachsig, also mit von vorn herein eng begrenzter Anwendbarkeit.
Vor und hinter der Tragachse befindet sich auf jeder Seite je eine Leitrolle für die
endlose Fahrbahn, welch letztere aus einer Anzahl von guſseisernen Gelenkplatten als
geschlossene Kette hergestellt ist. Die einzelnen Glieder derselben sind in Fig.
9 bis 11 in
vergröſsertem Maſsstab gezeichnet und bestehen aus einer Platte mit auf dem Rücken
befindlicher Versteifungsrippe, welche an beiden Enden in das Gelenk ausgeht. Diese
Rippe ist durch eine der Länge nach schief verlaufende Rinne in zwei Theile getrennt
(vgl. Grundriſs Fig. 10)
lediglich zum Zwecke der Gewichtsverminderung. Die Gelenkverbindung wird durch lose
Bolzen bewerkstelligt; diese sind durch eine seitliche Oeffnung des einen
Gelenktheiles eingeschoben, welche hiernach verschraubt wird.
Die so gebildete Kette wird ohne Spannung über das Tragrad und die beiden Leitrollen
geschlungen und findet mit den Rippen der einzelnen Glieder in den keilförmigen
Radkränzen (Big. 12) ihre Führung. Wird nun auf dieses System ein Zug parallel zur
Fahrbahn ausgeübt, so wird das Tragrad über die am Boden liegende Fahrbahn rollen,
als ob dieselbe fest am Boden läge, – so lange als eben das Moment der Zapfenreibung
und des Widerstandes der rücklaufenden Ketten nicht gröſser ist als das aus dem
Reibungswiderstand der Platte auf der Fahrbahn und aus der Zugkraft gebildete
Moment. In letzterem Falle gleitet das Fahrzeug schlittenartig mit der gerade unten
liegenden Gelenkplatte auf der Fahrbahn, genau wie das festgebremste Rad eines
gewöhnlichen Räderfuhrwerkes. Durch Anspannen des ablaufenden Kettentheiles läſst
sich somit der Schneider 's ehe Wagen mit beliebiger
Intensität bremsen; da aber schon durch das Eigengewicht der Kette und durch die
Widerstände der Gelenke und Leitrollen unter allen Umständen eine gewisse Spannung
hervorgebracht wird, so ist klar, daſs auf vollkommen fester
glatter Bahn der Zugwiderstand bei diesem Fahrzeug stets gröſser ausfallen
muſs als bei einem gewöhnlichen Räderfuhrwerk.
Da in der praktischen Anwendung diese Bedingung von der Fahrbahn nie vollständig
erfüllt wird, verändert sich auch der Zugwiderstand in sehr bedeutendem Maſse je
nach dem Zustande derselben; so geben die Morin'schen Resultate (unglaublicher Weise
seit etwa 50 Jahren unser einziger Anhaltspunkt zur Berechnung von
Reibungswiderständen) für einen einachsigen Karren mit 1600mm Rädern und 64mm Zapfendurchmesser auf bestem Sandsteinpflaster die Gröſse der Zugkraft
mit 1/86 der
Belastung an, auf bester Landstraſse mit 1/66, auf schlechtester Landstraſse mit 1/17, während der
aus der Achsenreibung entstehende Zugwiderstand nur etwa 1/250 beträgt.
An diesem Punkte setzt die Schneider'sche Theorie ein;
er vernachlässigt vollständig die inneren Bewegungswiderstände des Fahrzeuges und
setzt die Zugkraft proportional dem Flächendrucke auf die Fahrbahn. Daſs hiernach
sein neues Fahrzeug eine auſserordentliche Verminderung des Zugwiderstandes bewirkt,
ergibt sich ohne weiteres, wenn auch selbst von diesem Standpunkte aus die
Berechnung der Verhältniſszahlen für den Widerstand des neuen Wagens gegenüber einem
gewöhnlichen Fuhrwerk als vollständig unrichtig bezeichnet werden muſs. J. Schneider meint nämlich, daſs sein Fahrzeug mit
260mm langen und 100mm breiten Tragplatten einen 260mal kleineren
Flächendruck ausübt als ein gleich schweres Räderfuhrwerk mit 100mm breiten Felgenkränzen, und macht dabei
einerseits die unmögliche Voraussetzung, daſs seine Tragplatte voll aufliegt, sowie
andererseits die ebenso unrichtige Annahme, daſs die Radperipherie auf nur 1mm Länge die Fahrbahn berührt. Es braucht aber
kaum bemerkt zu werden, daſs der Zugwiderstand thatsächlich niemals dem Flächendruck auf die Fahrbahn direct proportional ist; weist
doch allein der Umstand, daſs die Verbreiterung der Felgenkränze von Seite der
Staatsverwaltung durch Prämien und Strafen erzwungen werden muſs, eher auf ein
entgegengesetztes Verhältniſs hin!
Ein einziger Versuch mit dem Zugdynamometer hätte J.
Schneider von der Hinfälligkeit seiner Theorie überzeugen müssen und
gleichzeitig ein Urtheil über die Grenze der Anwendbarkeit seines Fahrzeuges
ermöglicht – denn wir sind weit entfernt dessen völlige Unbrauchbarkeit zu behaupten
–; doch das Bedürfniſs zu derartigen Feuerproben macht sich seltsamerweise bei den
wenigsten Erfindern geltend.
Referent glaubt, daſs auf gut erhaltenen Landstraſsen eine Verwendbarkeit des Schneider'schen Wagens nur bei auſsergewöhnlich groſsen
Lasten – schwere Maschinenbestandtheile, Geschütze, Hammerchabotten und ähnliches –
denkbar ist, dagegen auf Feldwegen und weichem Boden eine ausgedehntere Anwendung
desselben möglicherweise vortheilhaft wäre, und wird in dieser Anschauung bestärkt
durch die groſsen Erfolge, die ein ähnliches Transportsystem, Boydell's
Radschuhsystem (Patent vom J. 1846 und 1854), anfänglich davongetragen hat. Das
Wesentliche dieser wiederholt in D. p. J. beschriebenen
Erfindung (vgl. Moll 1858 150 173. Rühlmann 1859 152 * 248) besteht darin, daſs die Räder
an ihrem Umfang mit flachen Tragplatten – „Schuhen“ – versehen werden, welche
jedoch nicht fest damit verbunden, sondern derart in Führungen beweglich sind, daſs
sie erst dann die Last des Rades tragen, wenn sie voll auf dem Boden aufliegen. Es
wurden thatsächlich nach dieser Construction zahlreiche Straſsenlocomotiven – oder
richtiger selbstbewegliche Locomobilen – construirt, und wenn sich auch die Berichte
über die allgemeine Einführung dieses Systemes selbstverständlich mehr oder weniger
zweifelhaft aussprachen, wurde doch das richtige Functioniren dieses Mechanismus von
keiner Seite in Frage gestellt. Allerdings verschwand Boydell's „Traction engine“ ganz plötzlich wieder vom Schauplatz, um nur
einmal noch – unseres Wissens vor etwa 12 Jahren – bei einem englischen Wettpflügen
erfolglos aufzutreten.
Dieser älteren Construction gegenüber besitzt Schneidens
„neuestes Transportsystem“ mit seiner von der Radbewegung ganz unabhängigen
Kette entschieden
den Vorzug gröſserer Einfachheit und Sicherheit in der Wirkungsweise, wie es auch
eine freiere Construction des Fuhrwerkes und die Möglichkeit der Ausführung in
kleineren Dimensionen bietet. Endlich scheint der Einfluſs von Schmutz und Staub der
Straſsen bei Boydell's Construction empfindlicher gewesen zu sein als bei Schneiden's Gliederkette, bei welcher sich wenigstens
nach Angabe des Erfinders in dieser Beziehung gar kein Anstand ergeben haben soll.
Unzweifelhaft muſs selbst bei befriedigender Lösung aller anderen Fragen dieser
letztere Umstand endgültig über die Möglichkeit von Schneider's Transportsystem entscheiden.
Wilman.