Titel: | Technisch-chemische Notizen; von G. Lunge. |
Autor: | Georg Lunge [GND] |
Fundstelle: | Band 243, Jahrgang 1882, S. 157 |
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Technisch-chemische Notizen; von G. Lunge.
G. Lunge, technisch-chemische Notizen.
Die folgenden kleineren Arbeiten zur Aufklärung verschiedener streitiger Punkte habe
ich im technisch-chemischen Laboratorium des eidgenössischen Polytechnikums durch
mehrere der Praktikanten ausführen lassen.
1) Zersetzbarkeit von Natriumsulfat durch
Calciumbicarbonat.
Nach einem französischen Patente von Pongowski (Nr.
94531 vom 27. März 1872) sollen Alkalisulfate mit einer Lösung von Calciumbicarbonat
schon in der Kälte sich in Calciumsulfat und Alkalibicarbonat umsetzen. Man solle
Alkalisulfatlösung mit etwas mehr als der theoretischen Menge Calciumcarbonat mengen
und einen Strom Kohlensäuregas einleiten. Hr. R. Schock
hat dies versucht und Natriumsulfat mehrmals mit höchst fein gepulvertem Marmor bis
zur 3fachen theoretischen Menge und mit Kohlensäuregas bis 10 Stunden lang
behandelt, ohne daſs sich die geringste nachweisbare Menge Alkalicarbonat gebildet
hätte. Nach dem Filtriren der Lösung, Kochen zur Zersetzung des Calciumcarbonates
und abermaligem Filtriren wurde schon durch den ersten Tropfen Salzsäure saure
Reaction hervorgerufen. Obiges Verfahren ist demnach, soweit es aus der Beschreibung
entnommen werden kann, als unmöglich zu erklären.
2) Zersetzung von Natronsalpeter durch Thonerde.
Obige Reaction ist schon von Glauber i. J. 16481864 benutzt, dann von R. Wagner i. J. 1865 (vgl.
Wagners Jahresbericht, 1865 S. 250) zur Fabrikation
von Soda vorgeschlagen und i. J. 1866 von Newton in
England für denselben Zweck patentirt worden. Es entweicht ein Gemenge von nitrosen
Dämpfen und Sauerstoff, aus welchem in bekannter Weise unter Beihilfe von Wasser
Salpetersäure regenerirt werden muſs; im Rückstande bleibt Natriumaluminat, aus
welchem man durch Kohlensäure Natriumcarbonat und regenerirte Thonerde darstellt.
Der Erfolg des Verfahrens hängt augenscheinlich wesentlich davon ab, daſs 1) die
Zerlegung des Salpeters vollständig ist, 2) der weitaus gröſste Theil der
Salpetersäure regenerirt wird, 3) die Temperatur und Zeitdauer der Reaction nicht zu
hoch und mithin die Ausgabe für Brennmaterial eine mäſsige ist, 4) die Gefäſse nicht
zu sehr angegriffen werden. Hierauf bezügliche Versuche hat Hr. V. Villavecchia angestellt.
Die angewendete Thonerde (käufliches Hydrat) enthielt 0,3 Proc. Wasser über die
theoretische Menge, ein wenig Natron und nur Spuren von Eisen. Der Natronsalpeter
enthielt nur Spuren von Chlorid und Sulfat. Bei den Vorversuchen zeigte es sich,
daſs Gefäſse von Platin, Eisen und Glas zu stark angegriffen werden, um damit
arbeiten zu können.
Berliner Porzellan widerstand besser; doch konnte man auch hier jedes Gefäſs nur zu
einem Versuche benutzen. Bei einigen der Versuche wurde nur auf die Bildung von
Natriumaluminat, bei anderen auch auf die Regeneration der Salpetersäure geachtet.
Im ersteren Falle wurde im Porzellantiegel ½ bis 1 Stunde über dem Gebläse geglüht,
die Masse mit Wasser gekocht, filtrirt, die Lösung mit Kohlensäure behandelt, das
ausfallende Thonerdehydrat abfiltrirt und die klare Lösung mit Normalsalzsäure
titrirt. Wenn hierbei die Thonerde nicht vorher entwässert wurde, so trat starkes
Ueberschäumen ein. Es stellte sich bald heraus, daſs die von der Gleichung: Al2O3 + 6NaNOa = Al2(ONa)6 + 6NO2 + 3O
geforderte Menge Thonerde viel zu gering zur Zersetzung des Salpeters ist; wenn man
mehr nahm, so wurde dabei zugleich die Masse weniger flüssig und das Ueberschäumen
hörte auf. Ueber 2 Mol. Al2O3 auf 6 NaNO3
hinauszugehen, erwies sich als nicht vortheilhaft, indem die Zersetzung von dem bei
jenem Verhältnisse erhaltenen Maximum (85 Proc.) wieder herabging. Wenn man während
der Arbeit umrühren könnte, was bei kleinen quantitativen Versuchen nicht gut
thunlich ist, würde die Zersetzung jedenfalls vollständiger und wohl auch mit
geringerem Ueberschusse von Thonerde vor sich gehen.
Bei den Versuchen zur Regenerirung der Salpetersäure wurde das Gemisch in ein
Porzellanschiffchen gebracht und in einem böhmischen Glasrohre mittels eines
Verbrennungsofens möglichst hoch erhitzt, indem an einem Ende des Rohres ein
langsamer Strom von Luft eingeleitet wurde und am anderen Ende das Gasgemenge durch
passende, zur Vertheilung des Gases dienende Röhren in mit Wasser beschickte
Absorptionsflaschen eintrat. Es gelang dabei, bis 89 Procent der frei werdenden
Salpetersäure in den Vorlagen zu erhalten; ohne Zweifel würde bei vollkommeneren
Vorrichtungen mehr wiedergewonnen worden sein, wie ja bei den analogen Versuchen von
Schaeppi mit Natriumnitrat und Calciumcarbonat
(vgl. 1880 238 72) bis 93 Proc. gewonnen worden war. Da im Glasrohr nicht bei so
groſser Hitze wie im Porzellantiegel über dem Gebläse gearbeitet werden konnte, so
ging auch die Zersetzung des Salpeters nicht so weit. Folgende Tabelle zeigt die
erhaltenen Resultate der vollständig durchgeführten Versuche:
Nr.
Angewendet
Umwandlungvon NaNO3 inNa2CO3
WiedererhalteneAl2O3
RegenerirteSalpeter-säure
Al2O3
NaNO3
1
1 Mol.
6 Mol.
66 Proc.
–
–
2
1
6
71
–
–
3
1½
6
79
–
–
4
2
6
85
–
–
5
2
6
80
92 Proc.
61 Proc.
6
2
6
73
94
73
7
2
6
79
92
89
Zu weiteren Versuchen, die bei zweckmäſsigerer Einrichtung wohl bessere quantitative Resultate
nach allen Richtungen hin ergeben würden, fühle ich mich nicht ermuthigt, da mir die
Schwierigkeit, im kleinen wie im groſsen Maſsstabe passende, dem Angriffe des
schmelzenden Salpeters auf die Länge widerstehende Gefäſse darzustellen, vor der
Hand zu groſs erscheint. Sollte sie gelöst werden, so wäre jedenfalls auch das oben
erwähnte, früher untersuchte Verfahren der Zersetzung von Natronsalpeter mit
Calciumcarbonat ausführbar und wäre demjenigen mit Thonerde aus mehrfachen Gründen
vorzuziehen.
3) Zersetzung von Schwefelcalcium durch Chlorcalcium.
Bekanntlich hat Aarland (1881 239 47) vorgeschlagen, das
Schaffner-Helbig'sche Schwefel-Regenerations verfahren dadurch billiger zu machen,
daſs an Stelle des Chlormagnesiums zur Zersetzung des Sodarückstandes Chlorcalcium
angewendet wird. Dem gegenüber steht aber die Angabe von Rickmann (Chemiker-Zeitung, 1880 S. 254), wonach durch anhaltendes Kochen
frischer Rückstände von der Potascheschmelze (nach Leblanc) mit concentrirter Chlorcalcium-Lösung nicht die geringste
Zersetzung erzielt werden konnte. Es schien wünschenswerth, weitere Versuche zur
endgültigen Entscheidung der Sache zu machen, welche Hr. G.
Billitz angestellt hat.
Durch Glühen von 2 Th. Kalkhydrat mit 1 Th. Schwefel im verschlossenen Tiegel wurde
ein Pulver erhalten, das nach jodometrischer Analyse 52,6 Proc. CaS enthielt. Dieses
wurde mit verschiedenen Mengen von Chlorcalcium in concentrirter Lösung in einem
Kölbchen auf dem Wasserbade so lange erhitzt, als noch deutliche Entwicklung von
Schwefelwasserstoff zu bemerken war, der Rückstand dann stark verdünnt und wieder
mit Jod titrirt. Folgendes waren die Resultate:
Nr.
Angewendet
Zeit desKochens
UnzersetztesCaS
Rohes Schwefelcalcium
CaCl2
1
3,23g
4,93g
24 Stdn.
50,0 Proc.
2
3,27
9,99
36
47,0
3
3,27
19,98
45
23,5
4
3,27
24,65
53
11,7
Es gelingt also in der That, durch Kochen mit einem sehr groſsen Ueberschusse von
Chlorcalcium, aber erst nach längerer Zeit, den gröſsten Theil des Schwefelcalciums
zu zersetzen. Bei einem Gegenversuche stellte es sich jedoch heraus, daſs schon
durch 55stündiges Erhitzen von Schwefelcalcium mit Wasser ohne Zusatz von CaCl2 mehr als die Hälfte
des CaS zersetzt wurde, indem nur 47,0 Proc. davon wieder erhalten wurde. Immerhin
waren in derselben Zeit bei Gegenwart von viel CaCl2
nur 11,7 Proc. CaS zurückgeblieben (Versuch 4); die Zersetzung wurde also durch das
Chlorcalcium erheblich gefördert. Um die Einwirkung des Chlorcalciums zu verstehen,
kann man vielleicht annehmen, daſs bei dessen Gegenwart zuerst ein Oxychlorid
entsteht, nämlich nach der Gleichung: CaS + CaCl2 +
H2O = H2S +
CaO,CaCl2. Wenn nun auch obige Versuche beweisen, daſs Aarland's Vorschlag nicht so ganz grundlos war, als man
nach Rickmann denken sollte, so ermuthigen sie doch
keineswegs zu der Hoffnung, daſs derselbe in der Praxis erfolgreich sein wird. Die
lange Zeit der Behandlung und die dadurch bedingte groſse Verdünnung des
Schwefelwasserstoffes sprechen dagegen.
Auf schwefligsauren und thioschwefelsauren Kalk oder Polysulfide wurde bei den
Analysen keine Rücksicht genommen, da dies für die Feststellung der Wirkung des
Chlorcalciums nicht wesentlich erschien und es sich ja nicht um eine
wissenschaftlich genaue Verfolgung des Vorganges handelte, welche unter den
vorliegenden Umständen der Mühe nicht zu lohnen schien.
4) Entwickelung der Salzsäure aus Chlorcalcium.
Angesichts der ungeheuren Menge von Chlor, welche in Form von Chlorcalcium bei
technischen Processen verloren geht, ist es eine alte Aufgabe der technischen
Chemie, das Chlorcalcium wieder auf Salzsäure auszunutzen. Namentlich seit der
groſsartigen Entwickelung der Ammoniaksoda-Industrie ist diese Frage eine dringende
geworden. Sobald es gelänge, aus dem Chlorcalcium hinreichend billig Salzsäure zu gewinnen, wäre eine der Hauptursachen
weggeräumt, welche es bewirken, daſs trotz der vielen unleugbaren Vorzüge jenes
Verfahrens doch das Leblanc-Soda-Verfahren, wenn auch durch scharfe Concurrenz
bedrängt, sich thatsächlich auf der früheren Hohe der Production erhalten hat.
Die früheren Arbeiten über diesen Gegenstand sind seit einigen Jahren überholt durch
die unablässigen Bemühungen von Solvay, welcher dazu
nicht nur aus geschäftlichen Gründen angespornt zu werden, sondern geradezu einen
Ehrenpunkt darin zusehen scheint, das Leblanc-Verfahren aus der Welt zu schaffen und
die Ammoniaksoda zur alleinigen Herrschaft zu bringen. Wenn ihm dies gelänge, so
würden zwar eine groſse Anzahl von Schwefelsäure- und Sodafabriken groſse Verluste
durch Entwerthung ihrer Fabriksanlagen erleiden, aber die Menschheit im Ganzen würde
noch viel gröſseren Vortheil daraus ziehen. Zweifellos hat Solvay (wie schon Andere vor ihm) erhebliche Mengen von Salzsäure aus
Chlorcalcium dargestellt; aber daſs, dies je in fabrikmäſsigem Maſsstabe und hinreichend billig geschehen sei, ist bis jetzt noch
nicht bekannt. In dieser Beziehung scheinen meine Bemerkungen im Handbuche der Soda-Industrie, Bd. 2 S. 153 noch immer
gültig zu sein.
Solvay ist bei seinen Bemühungen, wie schon u.a. Pelouze (vgl. a. a. O.), wesentlich davon ausgegangen,
die Zersetzung des Chlorcalciums mittels überhitzten Wasserdampfes durch Zusatz von
Sand, Thon u. dgl. zu befördern. Diese Substanzen hindern erstens das Schmelzen des
Chlorcalciums, wodurch die Masse porös und für den Wasserdampf zugänglicher bleibt,
und können zweitens durch chemische Verbindung mit dem entstehenden Kalk die Zersetzung befördern. Vor
Allem könnte man dann auch hoffen, das bekanntlich selbst bei Glühhitze noch
vorhandene Bestreben des Aetzkalkes zur Verbindung mit Chlorwasserstoff (dem
freilich an sich die Massenwirkung des Wasserdampfes entgegenwirkt) ganz aufzuheben.
Da die neuere Literatur hierüber nur wenig enthält und nicht zu erwarten steht, daſs
Solvay die sicherlich in groſser Anzahl in seinen
Laboratorien gemachten Versuche veröffentlicht, so habe ich selbst einige dahin
zielende Versuche von Hrn. H. Enz vornehmen lassen,
hauptsächlich, um zu ermitteln, ob die Beimengung jener Substanzen einen
wesentlichen Vortheil gegenüber der Einwirkung des überhitzten Wasserdampfes für
sich allein hat. Diese Versuche sind um so mehr als nur „beiläufige“
anzusehen, als uns nicht die Mittel zur Ueberhitzung des Wasserdampfes, zur
Hervorbringung hoher Temperaturen u. dgl. zu Gebote standen, welche man in Fabriken
anwenden kann, bieten aber vielleicht hinreichendes Interesse für eine ganz kurze
Erwähnung.
Die Substanz wurde mehrere Stunden lang in einem Schiffchen von Porzellan erhitzt,
welches nahe an einem Ende eines Berliner Porzellanrohres angebracht war, während in
das andere Ende Wasserdampf eingeleitet wurde, der schon vorher in einem
Messingrohre durch Erhitzen getrocknet war und in dem Porzellanrohre noch stärker
überhitzt wurde. Das ganze Rohr wurde durch Kokes in einem gut ziehenden Ofen auf
helle Rothglut gebracht. An dem jenem Schiffchen näheren Ende war es mit einem
leeren, mit einer Kältemischung umgebenen Kölbchen zur Abkühlung der Gase verbunden,
das wieder mit zwei Halbnormal-Ammoniak enthaltenden Flaschen verbunden war. Nach
Beendigung des Versuches wurde durch Rücktitriren die Menge der entwickelten
Salzsäure ermittelt.
Bei der Behandlung von Chlorcalcium mit mehr als einem Aequivalent an Kieselsäure (mit Salzsäure gereinigter Kieselguhr)
wurde in 4 Versuchen 60,5, 66,8, 62,3, 65,9 Procent der aus dem CaCl2 der Theorie nach zu entwickelnden Salzsäure
erhalten. Bei der Behandlung von Chlorcalcium mit etwas über dem doppelten Gewichte
Feldspath erhielt man 66 Procent der theoretischen
Menge von Salzsäure. In der salzsauren Lösung des Rückstandes war keine
aufgeschlossene Thonerde nachzuweisen. Beim Erhitzen von Chlorcalcium für sich allein im Wasserdampf erhielt man in mäſsiger
Rothglut 54 Proc., in heller Rothglut 60 Procent der theoretischen Menge von
Salzsäure. Der Rückstand reagirte natürlich stark alkalisch.
Man kann nach obigen Versuchen vermuthen, daſs Chlorcalcium durch noch längeres
Glühen und bei noch höherer Temperatur wohl noch mehr Salzsäure abgegeben haben
würde; aber dieser Vorgang wird durch Beimengung von Kieselsäure oder Feldspath
nicht merklich beschleunigt. Auf diesem Wege erzeugte Salzsäure, selbst wenn sie nach den neuesten
Vorschlägen von Solvay leichter zu condensiren wäre,
als man es sonst vermuthen muſs, scheint jedenfalls viel zu theuer zu kommen, als
daſs sie mit der bei der Sulfatfabrikation nebenbei abfallenden Salzsäure
concurriren könnte.