Titel: | Ueber Flammenschutzmittel; von Ferd. Fischer. |
Autor: | Ferd. Fischer |
Fundstelle: | Band 245, Jahrgang 1882, S. 36 |
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Ueber Flammenschutzmittel; von Ferd. Fischer.
F. Fischer, über Flammenschutzmittel.
Die Ausstellung für Hygiene und Rettungswesen in Berlin, welche am Dienstag den 16.
Mai eröffnet werden sollte, ist am 12. Mai gröſstentheils, namentlich das
Hauptgebäude mit den Ausstellungsgegenständen, niedergebrannt, eine groſse Menge
geistiger Arbeit und mehrere Millionen Mark an Geldwerth sind in wenigen Minuten
vernichtet. Nicht minder betrübend ist die erschreckende Zunahme der Theaterbrände,
von denen nach A. FölschA. Fölsch: Theaterbrände und die zur Verhütung
derselben erforderlichen Schutzmaſsregeln (Hamburg 1882. O. Meiſsner). Vgl. auch E. M. Shaw: Fires in Theatres (London 1877). in den
letzten 100 Jahren mehr als 460 stattgefunden haben, entsprechend einem Geldwerth
von über 500 Millionen Mark. In frischer Erinnerung sind noch die Theaterbrände in
Prag und in Schwerin (16. April 1882), besonders furchtbar die mit dem Verlust von
zahlreichen Menschenleben verbundenen Theaterbrände in Saragossa (1788), wobei 600
Personen, in Quebeck (1848), bei welchem mehr als 500 Personen, in Petersburg
(1836), Karlsruhe (1847), Brooklyn (1876), Nizza (1880) und schlieſslich der Brand
des Ringtheaters in Wien am 8. December 1881, bei welchem etwa 400 Menschen
erstickten und verbrannten. Erinnert man sich ferner an den Brand des Schiffes
„Austria“ (1857) und den der Kirche „La Campania“ in St. Jago am
8. December 1863, bei welchem in kaum 10 Minuten mehr als 2000 Frauen ihren Tod
fanden, so ist wahrlich Grund genug vorhanden, sich nach Mitteln umzusehen, welche
geeignet sind, die Wiederkehr solcher Ereignisse zu verhüten.
Zur Entstehung bezieh. Ausbreitung eines Brandes ist es erforderlich, daſs die
brennbaren Gegenstände mindestens auf ihre Entzündungstemperatur gebracht und
erhalten werden und daſs eine hinreichende Menge Sauerstoff zugeführt wird. Alle
Flammenschutzmittel wirken daher theils durch Abkühlung, theils durch Abhalten der
Luft, theils bewirken sie beides.
Lediglich abkühlend wirkt ein kräftiger Luftstrom, wie
wir ihn täglich mit Erfolg zum Ausblasen der Kerzen und Oelflammen verwenden, während die Herstellung
eines zum Löschen brennender Häuser u. dgl. genügenden Luftstromes bis jetzt
praktisch nicht ausführbar erscheint.
Wasser wirkt vermöge seiner hohen Verdampfungswärme
zunächst abkühlend, der gebildete Wasserdampf, sowie auch direct zugeführter WasserdampfVgl. 1832 43 313. 1833 48 89. 1838 67 383. 1839 74 441. 1841 79 77.
1852 123 245. 124 155.
1853 130 153. 1858 150
317. 1859 154 8. 1861 160 114. 1872 203 258. 1872 206 411. 1873 207 78.
208 281. vermöge seiner groſsen
specifischen Wärme abkühlend, gleichzeitig auch luftverdrängend. Das gleiche gilt
für SchwefligsäureVgl. 1830 35 321. 1849 111 381. 1858 150 158. 1859 152 30. 1873 210 157.
1878 229 303. 1879 233
86. 1881 240 161., deren Anwendung
bereits i. J. 1722 von Geoffroy empfohlen wurde, sowie
für Kohlensäure (vgl. 1879 232 484), deren specifische
Wärme für gleiches Gewicht kaum halb so groſs als die des Wasserdampfes, für
gleiches Volumen aber etwa ebenso groſs ist (vgl. 1881 242 42). Die bereits von Philipps (1849 124 412) empfohlene gleichzeitige Anwendung von
Kohlensäure und Wasserdampf hat daher keinen ersichtlichen Zweck, während die
Verwendung flüssiger Kohlensäure, abgesehen von ihrer nicht wegzuläugnenden
Explosionsgefahr, sei es direct, sei es als Triebkraft für den zu schleudernden
Wasserstrahl, wie sie von Barber (Wagner's Jahresbericht,
1875 S. 538. 1881 S. 1053) und Raydt (1881 242 230) empfohlen wurde, für einige Zwecke immerhin
brauchbar sein mag. Chloroformdämpfe (1874 214 421) wirken ihres hohen specifischen Gewichtes wegen
wohl vorwiegend luftverdrängend. Auch das bereits i. J. 1788 von Cointroux mit Erfolg angewendete Aufwerfen von Erde und
Asche, das Auflegen von Decken u. dgl. wirkt wesentlich durch Luftabschluſs, während
das Auflegen von Drahtnetzen (vgl. 1827 24 95. 1861 162 399. 1869 192 344) das
brennbare Gasgemisch durch Abkühlen unter die Entzündungstemperatur löscht.
Es ist nun meist sehr leicht, einen eben entstehenden Brand zu unterdrücken, schwer,
ja oft unmöglich, eine bereits entwickelte Feuersbrunst zu löschen. Man hat daher
schon lange versucht, die brennbaren Stoffe schwer entzündlich, bezieh. schwer
verbrennlich zu machen, indem man dem Löschwasser Salze, Thon u. dgl. zusetzteVgl. 1836 60 470. 61
379. 1843 90 78. 1845 98 334. 1849 111 156. 377. 1878 229 303., oder, was jedenfalls weit
besser ist, indem man Holz, Kleidungsstücke, Decorationen u. dgl. mit Salzen tränkte
oder mit schützenden Ueberzügen versah. So sollen die alten Römer bereits Gemische
von Essig und Thon verwendet haben; Wild benutzte
bereits i. J. 1735 Gemenge von Alaun, Borax und Vitriol, Fagot empfahl in den Abhandlungen der Akademie zu Stockholm (1740) Alaun
und Eisenvitriol, während im Dictionnaire de
l'Industrie (1786) Gemenge von Alaun, Eisenvitriol und Kochsalz zum
Unverbrennlichmachen von Holz empfohlen wurden. Origo
(1831 42 217) tränkte Kleidungsstücke mit Alaun und
Gyps.
Von neueren Vorschlägen sind folgende erwähnenswerth. Sieburger (1872 205 277) empfiehlt zur
Schwerverbrennlichmachung von Holz eine Lösung von Alaun und Eisenvitriol. Das von
Burnet (1849 111 385)
und Sorel (1858 148 124)
vorgeschlagene Chlorzink wirkt zwar gut, hat aber nach Sieburger den Nachtheil, beim beginnenden Brande erstickende Dämpfe zu
entwickeln, welche bei Anwendung desselben in geschlossenen Räumen eine Rettung
unmöglich machen. Das von Kletzinsky (1866 179 406) als Zusatz zur Stärke oder Schlichte
vorgeschlagene Gemisch von schwefelsaurem Zink, schwefelsaurem Magnesium und
Ammoniakalaun verspricht wenig Erfolg.
Abel (1860 158 76) taucht
Gewebe in eine Lösung von basisch essigsaurem Blei, dann in Wasserglas. Für Holz hat
sich die von Buchner (1844 92 78) vorgeschlagene Behandlung mit Eisenvitriol und Wasserglas bewährt,
weniger das von Münsing (1840 76 364) vorgeschlagene Mangansulfat, während die schon i. J. 1705 von Homberg empfohlene, dann von Ryan (1833 49 456. 50 299. 1838 68 471. 69 365) weiter vervollkommnete Holzconservirung mittels Quecksilberchlorid
hier kaum in Frage kommen kann.
Zum Ueberziehen von Holz wurde von Paimboeuf (1839 73 239) ein Gemisch von Kalk, Alaun und Chlornatrium
verwendet, von Anderen Kalk, Gyps, Thon u. dgl. mit Leimlösung (1840 78 160), von Moshammer (1854
134 440) Kalk mit etwas Alaun, von Masson (1857 144 465) auch
für Gewebe Chlorcalcium mit essigsaurem Calcium. Dagegen versuchte Karmarsch (1844 93 383)
vergeblich, befriedigende Resultate durch Niederschlagen von Gyps innerhalb der
Faserstoffe zu erreichen.
Nowbotham (1860 158 441)
empfahl wieder den bereits von Gay-Lussac (1821 4 255) vorgeschlagenen Borax, Patern (1872 203 481) verwendete für Gewebe mit
bestem Erfolg Borax mit schwefelsaurem Magnesium, so daſs sich auf der Faser
borsaures Magnesium bildete. L. Navarro (Englisches
Patent Nr. 288 vom 23. Januar. 1877) fügt diesem Gemisch schwefelsaures Ammonium
hinzu, während J. A. Martin (1882 243 85) Borax mit Ammoniumverbindungen verwendete, Hager (1873 210 157) phosphorsaures
Ammonmagnesium mit wolframsaurem Natrium.
Nach Versuchen von Versmann und Oppenheim, (1860 158 66) sind die von Fontenay (1833 49 266) u.a.
vorgeschlagenen Chloralkalien unbrauchbar, die von Brugnatelü (1821) und Wittersteaf (1838 68 473) angepriesenen kohlensauren Alkalien nicht
empfehlenswerth; auch die von Sala (1880 236 501) in Vorschlag gebrachten ätzenden Alkalien
dürften höchstens für Holz brauchbar sein. Wasserglas wurde von J. Fuchs (1825 17 465. 1826
19 108. 1849 111 383),
dann von Letellier (1838 68
75) empfohlen. Bei bewegten Geweben wird das Wasserglas nach Morin (1841 81 118) leicht abgerieben, während
sich gutes Wasserglas für unbewegliche Gewebe, Papier, und Holz durchaus bewährt
hat, Empfehlenswerth ist der Vorschlag von Sandham
(1858 149 195) das zu schützende Holz erst mit Wasserglas, dann mit Kalkmilch
zu überstreichen; ein solcher Ueberzug wird nicht durch Regen abgewaschen und ist
auch gegen Stoſs wenig empfindlich.
Phosphorsaures Ammonium wurde von Gay-Lussac (1821 4 255) und Döbereiner (1859
153 394) mit bestem Erfolg angewendet, um Gewebe
schwer verbrennlich zu machen; dahin gehört auch die sonderbare Vorschrift zur
Herstellung von „Hottine“ (1865 178 415). Weniger
gut als Ammoniumphosphat ist das von Prater (1839 74 373) vorgeschlagene Chlorammonium mit Zinnchlorür,
während das von R. Smith (1849 111 382) empfohlene schwefelsaure Ammonium nach Versuchen von Versmann und Oppenheim
(1860.156 157. 158 66) für
alle die Stoffe zu empfehlen ist, welche nicht mit heiſsem Bügeleisen in Berührung
kommen. Für letztere hat sich namentlich eine mit 3 Proc. Natriumphosphat versetzte
Lösung von wolframsaurem Natrium bewährt. Patera (1872
203 481) verwendet ferner schwefelsaures Ammonium und
Gyps in wechselnden Verhältnissen.
Um Gewebe unentflammbar zu machen, sind wolframsaures Natrium, borsaures Magnesium,
schwefelsaures und phosphorsaures Ammonium zu empfehlen. Holz ist mit Wasserglas und
Kalkmilch oder Eisenvitriol zu bestreichen, oder aber mit Kalkmilch oder
Metallsalzlösungen wo möglich unter Druck zu tränken.
Beim Brennen von Holz oder Geweben findet zunächst in Folge der von auſsen
zugeführten Wärme eine Entgasung statt, die entwickelten Gase verbrennen mit der
zutretenden atmosphärischen Luft und in Folge der dadurch entwickelten Wärme werden
neue Theile entgast. Die organischen Stoffe und die daraus gebildete Kohle sind aber
schlechte Wärmeleiter- die mit Wärmeabsorption verbundene Entgasung würde daher sehr
langsam fortschreiten, wenn nicht gleichzeitig die an der Oberfläche gebildete Kohle
vergast würde, bei hinreichender Temperatur durch Zersetzung von Kohlensäure und
Wasser unter Bildung von Kohlenoxyd und Kohlenwasserstoffen, ein mit groſser
Wärmeabsorption verbundener Vorgang, namentlich aber durch Verbrennung zu
Kohlensäure und Kohlenoxyd auf Kosten des Sauerstoffes der zutretenden
atmosphärischen Luft, wodurch gleichzeitig die Temperatur erhöht wird. Da bei hoher
äuſserer Temperatur das Eindringen der Wärme nie völlig verhindert werden kann, so
ist auch niemals an eine völlige Verhinderung der Entgasung oder der Verkohlung zu
denken und kann daher auch von einer Unverbrennlichmachung von Holz und Geweben keine Rede sein. Wohl aber ist
man im Stande, das Eindringen der Wärme durch schützende Ueberzüge oder passende
Tränkung zu erschweren, namentlich aber die Vergasung der gebildeten Kohle fast ganz
zu verhindern und dadurch die Entgasung der darunter liegenden Theile wesentlich zu
verlangsamen, die Verbrennung von Holz, Geweben, Papier u. dgl. somit so sehr zu erschweren, daſs sie
nur dann verbrennen, wenn bei Luftzutritt dauernd gröſsere Wärmemengen zugeführt
werden.
Die mit den genannten Stoffen unentflammbar gemachten Gewebe verkohlen daher wohl,
wenn sie einer Gasflamme u. dgl. zu nahe kommen, brechen aber nicht in Flammen aus,
sind daher auch nicht im Stande, das Feuer fortzupflanzen, wie die nicht mit solchen
Salzen behandelten Decorationen beim Kirchenbrand in St. Jago oder im Wiener
Ringtheater. Entsprechend behandeltes Holz brennt äuſserst schwierig, kann daher
mindestens sehr leicht gelöscht werden, auch wenn auf oder unter dem Fuſsboden
Hobelspäne u. dgl. aus Unvorsichtigkeit entzündet wurden, welche
(Zeitungsnachrichten zu Folge) das leider nicht unentflammbar gemachte Holz des
Ausstellungsgebäudes für Rettungswesen so rasch in Flammen setzten, daſs Rettung
unmöglich war.
Zwar bezweifle ich, daſs Flammenschutzmittel jemals so allgemein Eingang finden, daſs
überall die Fenstervorhänge, leicht entzündlichen Damenkleider u. dgl. unentflammbar
gemacht werden, so wünschenswerth dies auch sein würde; wohl aber dürfte die
Forderung zu stellen sein, daſs in Theatern, Kirchen, auf Schiffen, namentlich aber
auch in den aus leichten Holzbrettern hergestellten Ausstellungsgebäuden die zu
Decorationen, Vorhängen u. dgl. verwendeten Gewebe, sowie alle Holztheile mit
passenden Flammenschutzmitteln behandelt werden, welche zwar nicht jede Feuersgefahr
ausschlieſsen, die Löschung eines etwa ausbrechenden Feuers aber so leicht machen,
daſs solche ungeheure Verluste an Menschenleben und Eigenthum, wie die erwähnten,
nicht wieder vorkommen können.