Titel: | Ueber die Normen zur Beurtheilung von Eisen und Stahl. |
Autor: | F. Müller |
Fundstelle: | Band 245, Jahrgang 1882, S. 321 |
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Ueber die Normen zur Beurtheilung von Eisen und
Stahl.
Mit Abbildungen.
Normen zur Beurtheilung von Eisen und Stahl.
Die mit der Pohlmeyer'schen Zerreiſsmaschine (vgl. * S.
16 d. Bd.) gewonnenen Diagramme veranlaſsten Dr. F.
Müller in Brandenburg a. H. im Stahl und
Eisen, 1882 S. 100 Betrachtungen über die Frage anzustellen: Wird die Zähigkeit durch die Dehnung oder durch die
Localcontraction eines zerrissenen Probestabes gemessen? Er kommt zu dem
Schlüsse, daſs die Dehnung nur so lange als Maſs der Zähigkeit angesehen werden
könne, als keine Localcontraction vorhanden sei, im übrigen aber nur die letztere
als Zähigkeitsmaſs benutzt werden dürfe.
Verfasser führt aus, daſs man mit der Behauptung, die Contraction sei eine örtliche
Erscheinung, deren Eintreten stets auf Ungleichmäſsigkeit des Materials schlieſsen
lasse, auf Widersprüche stoſse, da gerade die als am meisten homogen bekannten
Materialien in hohem Maſse die Localcontraction zeigen; dagegen liefern die Pohlmeyer'schen Diagramme den Beweis, daſs Homogenität
mit Localcontraction sehr wohl vereinbar sei, letztere daher in der That als
Zähigkeitsmaſs des ganzen Probestabes und nicht nur eines Theiles desselben
angesehen werden dürfe.
Der Verlauf der Dehnungscurve ist vor Eintritt der Maximalspannungen sehr annähernd
horizontal (isodynamische Dehnung nach einer Benennung des Verfassers); von dem
Erscheinen der Localcontraction an nimmt jedoch die Spannung rasch ab. Würde die
Contraction nun auf das Vorhandensein eines schwächeren Stückes im Material
zurückzuführen sein, dann würde die isodynamische Dehnung gar nicht zur Ausbildung
gelangen; denn, da in ihr die Spannung kaum mehr wächst, so müſste, auch wenn die
schwächere Stelle nur um weniges in ihrer Tragfähigkeit hinter der des übrigen
Stabes zurückbliebe, die Localcontraction früher eintreten; dann erhielte aber nur
das eine schwächere Stück seine volle Streckung bis zum Bruch und zwar auf Kosten
des in seiner Dehnung zurückbleibenden ganzen übrigen Stabes. Das Diagramm würde
also viel kürzer ausfallen und namentlich keine isodynamische Dehnung vorhanden
sein. Hat demnach die Dehnungscurve einen derartigen Verlauf, wie das Diagramm Fig.
7 Taf. 3 d. Bd. zeigt, so ist daraus zu schlieſsen, daſs das Material
jedenfalls sehr annähernd homogen war.
Daſs nun trotz dieser Homogenität eine Localcontraction zur Ausbildung gelangen
konnte, ist auf minimale Ursachen zurückzuführen. Selbst ein idealer, absolut
homogener Stab würde durch die geringsten äuſseren Veranlassungen zu
Localcontractionen gezwungen werden, wie viel mehr ein wirklicher, wenn auch mit
peinlichster Sorgfalt hergestellter Stab. Für diejenigen Materialien, welche in den
Rahmen des erwähnten Diagrammes passen, wird man demnach die Localcontraction nicht bloſs als Maſs der
örtlichen, sondern der gesammten Zähigkeit auffassen können.
Daſs dagegen die Dehnung als Zähigkeitsmaſs ganz unbrauchbar sei, wird auf folgendem
Wege nachzuweisen versucht. Einmal zeigen manche nicht homogene Materialien starke
Dehnungen; letztere sind also nicht immer Zeichen der Homogenität. Auſserdem aber
würde man auch in den – jedenfalls nicht unmöglichen – Fällen, wo die Contraction
lediglich in Folge der Ungleichmäſsigkeit des Materials an einer bestimmten Stelle
zur Entwickelung käme, die Dehnung deshalb nicht als Zähigkeitsmaſs ansehen können,
weil hier ja eben die Contraction ein örtlicher Vorgang
sei, welcher durch sein Erscheinen an der schwächsten Stelle die sonst zur weiteren
Ausbildung gelangende Dehnung des übrigen Stabes verhindert habe. – Letztere nicht
bestreitbare Thatsache scheint jedoch dem Referenten gerade ein wichtiger Grund zu
sein, um gegentheilige Ansichten zu rechtfertigen. Würde man doch, wenn man nur nach
der Contraction urtheilte, genöthigt werden können, einem ungleichmäſsigen Material
der vielleicht starken örtlichen Contraction zu Liebe den Vorzug zu geben vor einem
anderen, welches diese Contraction nicht ganz in demselben Maſse zeigte, dessen
groſse Dehnung dagegen auf gröſsere Homogenität schlieſsen lieſse.
Auf diesen Umstand wird besonders hingewiesen in der Wochenschrift des Oesterreichischen Ingenieur- und Architektenvereins,
1882 S. 114 vom Ingenieur der Kaiser Ferdinand-Nordbahn in Wien, Ritter v. Stochert, welcher durch die bei Abnahme von
Achsen und Radreifen gewonnenen Versuchsresultate zu gerade entgegengesetzten
Schlüssen kommt, wie F. Müller.
Als Grundlagen für die von Stochert ausgeführten
Zerreiſsproben galten die vom Verein deutscher Eisenbahn-Verwaltungen
vorgeschlagenen Normen, wonach die Güte des Materials beurtheilt wird aus einer
Summe von Z = Festigkeit an der Bruchgrenze in
Kilogramm auf 1 Quadratmillimeter und C = Contraction
in Procent des ursprünglichen Querschnittes. Für Wagenachsen und Radreifen aus
Bessemerstahl war folgende, für beide gleichlautende, nähere Bestimmung
vorgeschrieben: Festigkeit Z = 55k/qmm, Contraction
C = 35 Proc., Qualität Z + C = 90. Diese Werthe sollten erreicht
sein; für die Längendehnung war kein Minimalmaſs vorgeschrieben.
Im Verlaufe dieser Zerreiſsproben fiel dem Verfasser die Verschiedenheit und
Gesetzlosigkeit auf, mit welcher manchmal die Contraction bei wachsender Belastung
zunahm, bei gleich groſser schlieſslich erreichter Festigkeit zweier mit einander
verglichener Probestäbe. Im Einklang damit stand der ebenfalls öfters beobachtete
Gegensatz zwischen Contraction und Dehnung. Es ergab sich nämlich öfters bei
geringer Contraction eine ansehnliche Dehnung und umgekehrt, bei kleinerer
Längendehnung eine beträchtliche Querschnittsverminderung.
Nachstehend sind einige beobachtete Beispiele angeführt und bezeichnet, neben den
bereits angegebenen Gröſsen Z und C, L die Längenänderung auf 100:
Z1 =
52,4
Z2 =
52,5
Z1 =
53,6
Z2 =
54,0
Z1 =
57,1
Z2 =
57,0
C1 =
48,3
C2 =
39,6
C1 =
52,5
C2 =
32,1
C1 =
47,5
C2 =
37,4
–––––
––––
–––––
––––
–––––
––––
100,7
92,1
106,1
86,1
104,6
94,4
L1 =
13,7
L2 =
20,0
L1 =
16,0
L2 =
22,0
L1 =
17,0
L2 =
23,5
Fig. 1, Bd. 245, S. 323
Fig. 2, Bd. 245, S. 323
Fig. 3, Bd. 245, S. 323
Die nachstehenden Skizzen veranschaulichen in etwas übertriebener Darstellung zwei
solch entgegengesetztes Verhalten zeigende Probestäbe: Fig.
1 zeigt den Probestab in normalem Zustande und zwar dessen mittleren
cylindrischen Theil zwischen den Körnermarken. Fig. 2
stellt einen Versuchsstab mit ganz bedeutender Contraction dar. Das
Versuchsergebniſs wäre hiernach ein sehr günstiges, da die Qualitätszahl Z + C sehr groſs wird.
Fig. 3 läſst nur unbedeutende Contraction,
dagegen gröſsere Längendehnung erkennen, reibt daher nach den uns geläufigen
Anschauungen, trotz der gleich groſsen Festigkeit, wegen nicht erreichter
Qualitätszahl Z + C unter „Material geringerer
Qualität“.
Diese auffallende Erscheinung veranlaſste Stockert zu
eingehenderem Studium dieser Frage. Es schien ihm gewiſs, daſs die groſse
Contraction des Probestabes Nr. 1 allerdings der Ausdruck einer groſsen Dehnbarkeit
war, aber der Dehnbarkeit an einer Stelle, also ein
örtliches Qualitätskriterium und zugleich ein Anzeichen der Inhomogenität des
Materials; denn nur an einer Stelle äuſserte sich eine so bedeutende
Stabdeformation, während alle übrigen Stabquerschnitte noch keine
Molecularverschiebung erduldet hatten. Dagegen sprachen viele Anzeichen dafür, daſs
der Stab Nr. 2 trotz der niederen Qualitätszahl aus besserem Material bestand.
Jedenfalls war dasselbe homogener, denn der Stab setzte dem Trennen seines
molecularen Gefüges in allen seinen Querschnitten einen gleichmäſsigen Widerstand
entgegen; dies bewies die bei geringer Querschnittsverminderung aufgetretene
bedeutende Längendehnung.
Aus der einschlägigen Literatur, die zunächst zu Rathe gezogen wurde, erhellte, daſs
die oben angegebene Norm nicht überall sich Geltung verschafft habe; so bildet z.B.
die Preuſsische Ostbahn: 1) das Produkt Ze × L (d.h.
Zugfestigkeit an der Elasticitätsgrenze mal Dehnung) und nennt es Qualitätszahl für die Elasticität, 2) das Produkt A × C (d.h. Zugfestigkeit
an der Bruchgrenze mal Contraction) und nennt es Qualitätszahl für den Bruch, 3) den Quotienten l :
λ (d.h. Gesammtlänge des Probestabes dividirt durch die Verlängerung beim
Bruch) und heiſst diese Zahl Maſs der Zähigkeit oder
Härte.
Früher noch (Ende 1877) empfahl die Section Leoben des Oesterreichischen
montanistischen Vereins, bezieh. Prof. B. Bock, von der
Bruchfestigkeit und der Contraction als Qualitätswerthen gänzlich abzusehen und
dafür als Qualitätszahl den Quotienten:
\frac{L_e}{Z_e}=\frac{\mbox{Elastische
Dehnung}}{\mbox{Zugfestigkeit an der Elasticitätsgrenze}}\
\mbox{einzuführen}.
Stockert hatte nun zunächst
versucht, die bei seinen Zerreiſsversuchen gefundenen Werthe in diesen Formeln
einzusetzen, gelangte aber dann durch weiteres Probiren zu einer neuen Relation,
nämlich dem Produkte:
A = L × Z,
d.h. Zugfestigkeit an der Bruchgrenze mal der Längendehnung
des Stabes, welcher Ausdruck für vergleichende Qualitätsbestimmungen sehr verwendbar
schien. Denn abgesehen davon, daſs er aus Werthen gebildet wird, welche bei
Zerreiſsproben mit gröſster Leichtigkeit und Sicherheit ermittelt werden können (die
Bestimmung der Contraction ist bei Stäben viereckigen und selbst runden
Querschnittes häufig unverläſslich), welcher ferner die wichtigsten Eigenschaften
des Materials, die der Festigkeit und Zähigkeit, in sich zusammenfaſst, hat dieser
Ausdruck noch eine andere Bedeutung. Er stellt nämlich – wenn auch wissenschaftlich
nicht streng richtig – als das Produkt aus Weg mal Widerstand jene mechanische
Arbeit des Materials dar, welche den Bruch herbeigeführt hat. Ganz richtig ist der
Ausdruck nicht, weil die die Dehnung bis zum schlieſslichen Bruch veranlassende
Kraft veränderlich war. Nichts desto weniger dürfte dieser einfache Ausdruck für
relative Vergleichsbestimmungen der Materialqualitäten anstandslos und sehr bequem
zu verwenden sein und sicherlich mit mehr Berechtigung als die räthselhafte Summe
aus der Festigkeit und der Querschnittsverminderung.
Um die beiden Qualitätswerthe Z + C und L × Z mit einander zu vergleichen, wurden vom Verfasser
die Versuchsresultate nach beiden Normen graphisch dargestellt, wobei es sich dann
zeigte, daſs von den 149 angestellten Zerreiſsproben wenn auch im Ganzen ungefähr
dieselbe geringe Anzahl, doch im Einzelnen wesentlich verschiedene Zerreiſsproben
auf ein minderwerthiges Material schlieſsen lieſsen.
Es fragt sich nun, welche dieser von einander so verschiedenen
Qualitätsbeurtheilungen die richtigere sei: Ist die Längendehnung oder die
Contraction das richtige Kriterium der Zähigkeit? Kann der Guſs- oder Materialfehler
im Probestab, welcher, wie oben angeführt wurde, die groſse Contraction und damit
die hohe Qualitätszahl hervorgerufen hat, kann dieser Fehler nicht auch eine groſse
fehlerhafte Dehnung zur Folge haben? Im Allgemeinen nicht; denn dieser Fehler, diese Inhomogenität, diese Schwächung eines
bestimmten Querschnittes wird bei der fortgesetzten Zugbeanspruchung zu einer
weiteren Schwächung desselben durch Zusammenziehung und endlich zum Bruch führen,
während alle übrigen Querschnitte, vermöge ihrer gröſseren Widerstandsfähigkeit eine
Verschiebung ihrer
molecularen Bestandtheile noch nicht erleiden konnten; der Bruch wird rasch und
früher erfolgen, bevor eine bedeutende Dehnung, welche ja eine Mitleidenschaft aller
Querschnitte voraussetzt, erfolgen konnte; die dazu gehörige Qualitätszahl: das
Produkt L × Z wird also
trotz hohem C klein bleiben müssen, weil L klein geblieben ist.
Für den Ausdruck L × Z spricht ferner jedenfalls die
schon oben erwähnte Analogie desselben mit der zum Zerreiſsen wirklich verwendeten
Arbeit, welche jedoch auch durch Vergleiche an Versuchsresultaten von Prof. Jenny thatsächlich nachgewiesen wurde, während ein
Zusammenhang des Ausdruckes C + Z mit dieser Arbeit nicht aufgefunden werden konnte.
Diese Anschauungen, die in ähnlicher Weise, wie der Verfasser bemerkte, bereits vom
Prof. Tetmajer in Zürich zum Ausdruck gebracht wurden
und mit denen ferner der Vorschlag Pohlmeyer's (vgl.
Stahl und Eisen, 1881 S. 239), den Flächeninhalt
des die Zerreiſsarbeit repräsentirenden Diagrammes seiner Maschine als Qualitätsmaſs
eines Materials einzuführen, im Einklänge steht, fanden im Oesterreichischen
Ingenieur- und Architekten verein lebhaften Anklang und führten zu dem Antrage, der
Verein möge einen Ausschuſs ernennen aus Professoren des Polytechnikums,
Hüttenmännern, Bau- und Maschinen-Ingenieuren, welcher sich mit der Frage
beschäftige und geeignete Anhaltspunkte gäbe über die Beziehungen zwischen den
einzelnen Ziffern, welche aus den Zerreiſsungsproben sich ergeben.
Aus den gemachten Mittheilungen erhellt, daſs die Meinungen über den richtigen
Maſsstab zur Beurtheilung von Eisen und Stahl augenblicklich noch weit aus einander
gehen; indessen ist zu hoffen, daſs zahlreiche und gründliche Versuche mit den
neueren registrirenden Zerreiſsmaschinen eine baldige
Klärung der Ansichten herbeiführen werden.