Titel: | Ueber die Festigkeitseigenschaften von Tauwerk; von Prof. Dr. Hartig in Dresden. |
Autor: | Hartig |
Fundstelle: | Band 245, Jahrgang 1882, S. 494 |
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Ueber die Festigkeitseigenschaften von Tauwerk;
von Prof. Dr. Hartig in Dresden.
Hartig, über die Festigkeitseigenschaften von Tauwerk.
Die von der Redaction der Deutschen Seilerzeitung
angeregte, in der kgl. mechanisch-technischen Versuchsanstalt in Berlin
durchgeführte, durch die Kaiserliche Admiralität geförderte Untersuchung über die
Festigkeitseigenschaften von Tauwerk ist die umfänglichste Arbeit dieser Art, welche
bisher veröffentlicht wurde; sie bezieht sich auf 269 verschiedene Versuchsobjekte
und hat allein etwa 6000 einzelne Zahlenwerthe zur Kenntniſs gebracht. Daſs diese in
Tabellenform in der Deutschen Seilerzeitung, 1881 S.
137 bis 282 veröffentlichten Ergebnisse zunächst keinerlei für die Tauschlägerei
nützliche Folgerungen unmittelbar vor Augen führen, wird jeder Interessent sich
schon selbst gesagt haben. Es entsteht die Frage, in welcher Weise das vorliegende
reiche Material zu besprechen und zum Nutzen der betheiligten Industriezweige, sowie
zu fernerweiter Ausbildung der Prüfungsmethoden auszubeuten sein wird.
Wenn der Verfasser es unternimmt, im Nachfolgenden einige Vorschlage hierzu an die
Oeffentlichkeit zu bringen, so geschieht dies nicht allein, um einem diesbezüglichen
Wunsche zu entsprechen, sondern auch in Anerkennung der Verpflichtung, welche die
Technologie hat, in einem noch vielfach dunklen Gebiet der Technik nach Möglichkeit
zu befriedigender Aufhellung beizutragen.
Die Zahl derjenigen Momente, welche das Verhalten eines Taues beim Zerreiſsen
beeinflussen, ist zu groſs, als daſs man mit einiger Aussicht auf Erfolg sogleich
daran gehen könnte, die Werthe der Zerreiſsungsfestigkeit und der Dehnbarkeit etwa
nach Material, Herstellungsart, Dicke u. dgl. zu ordnen. Es scheint vielmehr
erforderlich, daſs zunächst an der Betrachtung der auf ein einzelnes Versuchsobjekt
bezüglichen Daten Verständigung getroffen wird über die bei der Besprechung
festzuhaltenden Grundbegriffe und die etwa möglichen Ergänzungen dieser leider nicht
allenthalben genügend vollständigen Daten.
Wir wählen hierzu das dickste zur Untersuchung gelangte Hanftau, welches mit LIV3 (Versuchsnummer 668) bezeichnet ist. Die mit
diesem Tau erzielten Versuchsergebnisse linden sich a. a. O. S. 258.
Das Seil hat einen Umfang U = 233mm, also eine Dicke D
= 74mm,2 und einen Querschnitt F= 4320qmm. Das
verwendete Material ist abgezogener russischer Hanf, ungetheert. Wenn es ausgemachte
Sache wäre, daſs aller abgezogener russischer Hanf von einerlei Qualität und daſs diese Qualität
durch vorliegende Untersuchungen bereits ausreichend bestimmt wäre, so könnte man
sich bei dieser Angabe beruhigen. Es ist aber keine der beiden Voraussetzungen
zutreffend und somit entfällt zunächst die Möglichkeit, darüber zu streiten, welcher
Antheil an den Festigkeitseigenschaften dieses Taues den im Material vorhandenen
Qualitäten zuzuschreiben ist. Der Vorwurf trifft sämmtliche Versuchsreihen
gleichmäſsig und eine nachträgliche Abhilfe wird hier kaum möglich sein, weil nicht
anzunehmen ist, daſs die Verfertiger der eingesendeten Taue eine unversehrte Probe
des verwendeten Materials aufbewahrt haben. Es liegt hier ein erster Mangel des
Programmes vor, welcher bei künftigen Tau Werksuntersuchungen vermieden werden
sollte.
Ueber die Herstellungsart des Taues enthält die Tabelle die Angaben: Kabelschlag,
ohne Seele, sehr lose geschlagenes Tau, 6 Litzen zu 480 Garne, also 6 × 480 = 2880
Grarne, 17 Duchten, also 17/6 = 2,83 Drehungen auf 1m.Die Zahl 17 steht zwar unter der Spalte „Durchmesser des Drahtes“; es
ist aber anzunehmen, daſs sie in die zweitnächste Spalte gehört.
Wenn in der letzteren Angabe ein Fehler nicht vorliegt, so ergibt sich in den
äuſsersten Fasern des Taues eine Ganghöhe von 1000 : 2,83 = 358mm und ein Steigungswinkel gegen die Längsachse
(äuſserer Drehungswinkel) von α = 33°26, also ein
verhältniſsmäſsig schwacher Drehungsgrad.Die Vorschriften der Kaiserlichen Admiralität fordern z.B. für ein
vierschäftiges Tau von 240mm Umfang 21
Duchten auf 1m, was einem Drehungswinkel
von 51°38' entspricht. Es ist anzunehmen, daſs auch die Litzen
und die Garne ausnahmsweise schwach gedreht sind, damit bei dem 6schäftigen Tau auch
ohne Benutzung einer Seele ein gleichmäſsiger Zusammenschluſs aller Bestandtheile
erfolge.
Zu einer vollständigen Charakterisirung der Herstellungsweise würde noch gehören:
eine Angabe über den Drehungsgrad und den Drehungssinn der Garne und der Litzen,
sowie die Bezeichnung der Stärke oder Feinheitsnummer der Garne und Litzen vor
erfolgter Vereinigung, durch Angabe des Gewichtes für 1m oder dessen reciproken Werthes.
Hier zeigt sich ein zweiter Mangel des Programmes, durch welchen es ziemlich
vereitelt wird, über den ursächlichen Zusammenhang zwischen Herstellungsart und den
Festigkeitseigenschaften der Taue ins Klare zu kommen.
Einigen Ersatz für das hier Fehlende kann die zur Mittheilung gebrachte Angabe über
das Gewicht des Taues für 1m (G = 3k,24 = 3240g) liefern, sofern sich hieraus und aus dem schon
berechneten Querschnitt (F = 4320qmm) das scheinbare relative Gewicht für Wasser =
1 herleiten läſst; dasselbe ergibt sich im vorliegenden Fall zu S = 3240 : 4320 = 0,75, also halb so groſs wie
dasjenige der Fasersubstanz selbst, welches zu 1,50 anzunehmen ist. Die in diesem
Tau enthaltenen Zwischenräume nehmen also denselben Raum ein wie die verwendeten
Hanffasern, während bei den übrigen Hanftauen im Durchschnitt nur ½ des Rauminhaltes auf die Zwischenräume
kommt, das scheinbare specifische Gewicht also 1,00 beträgt.
Da es aber nicht gleichgültig ist, wie die vorhandenen Zwischenräume im Inneren des
Taues vertheilt sind, so kann diese an sich ganz erwünschte Angabe über die
scheinbare Dichte als ausreichend nicht erachtet werden.
Wir kommen nunmehr zu denjenigen Zahlen, welche das Verhalten des vorliegenden Taues
bei der Zerreiſsungsprobe charakterisiren. Die Tabelle sagt uns zunächst, daſs das
Tau bei einer Belastung von P = 15600k zerriſs. Es fragt sich, wie aus dieser Angabe
ein Schluſs auf die specifische Festigkeit des Versuchsobjektes zu ziehen ist. Die
bei homogenen und ausreichend harten Materialien (z.B. den Metallen) übliche
Vergleichung des Querschnittes mit der Bruchbelastung und die Feststellung der
Zerreiſsungsfestigkeit auf 1qmm dieses
Querschnittes ist hier kaum am Orte; denn die Ermittelung des zur
Querschnittsberechnung benutzten Seilumfanges ist unsicher wegen der Weichheit eines
solchen lose geschlagenen Taues und der Querschnitt selbst repräsentirt nur zu einem
Bruchtheil wirkliche Fasersubstanz, welcher Bruchtheil, wie schon erwähnt, bei
verschiedenen Tauen in weiten Grenzen schwankt. Weit angemessener der Natur des
Fabrikates wird es sein und zu einer wirklichen Vergleichung zwischen Cohäsion und
Intensität der Materialanhäufung muſs es führen, wenn man nach dem Vorschlage von
Reuleaux aus Bruchbelastung P und Gewicht der Längeneinheit G diejenige
Taulänge R (in Kilometer) berechnet, welche freihängend
vermöge des eigenen Gewichtes das Zerreiſsen herbeiführen würde. Diese sogen.
„Reiſslänge“ berechnet sich zu: R = P :
1000G = 15600 : 3240 = 4km,81.
Wenn man nun weiſs, daſs die Kaiserliche Marine von Schiffstauen gleicher Stärke eine
Reiſslänge von 3km,53 fordertVgl. Technische Bedingungen über die Abnahme von Hanf tau werk u. dgl. für
die Kaiserliche Marine. Eine 4schäftige Trosse von 225m Länge und 750k Gewicht, ungetheert, soll bei 1m Einspannlänge eine Tragfähigkeit von
11070k zeigen: also G = 3k,14 und
R = 11070 : 3140 = 3km,53., so ergibt sich, daſs
das untersuchte Tau hinsichtlich seiner Festigkeit selbst strengen Anforderungen
genügt, trotzdem, daſs seine äuſsere Tordirung ungewöhnlich schwach ist. Je dünner
die durch Zusammendrehen hergestellten Fasergebilde sind, um so näher kann die
specifische Festigkeit desselben an diejenige der verwendeten Faser gebracht werden;
die schwächste, von dem Verfasser untersuchte Hanfschnur (Harnischlitze,
Feinheitsnummer N = 1,40, d.h. 1m,40 auf 1g)
zeigte eine Reiſslänge von R = 22km,4 Zwischen diesen ersteren Werthen stuft die
specifische Festigkeit nach Verhältniſs der Feinheitsnummer entsprechend ab.
Die Zusammenstellung der Beobachtungsdaten liefert ferner auch Auskunft über die
während der Anspannung des Probestückes beobachteten Verlängerungen desselben und die
zugehörigen Verminderungen des Umfanges. Ziehen wir zunächst die ersteren in
Betracht und ergänzen wir die betreffende Zahlenreihe durch graphische Auftragung
bis zur Bruchgrenze, so erhalten wir als correspondirende Werthe:
Dehnung in Procent
Spannung in k
(100 δ)
(P)
9,4
3000
14,9
6000
17,7
9000
20,0
12000
21,9
15000
22,3
15600
Das Tau hat also eine ansehnliche Dehnbarkeit gezeigt; ein Stück von 1m Länge verlängert sich bis zum Bruch um δ = 0m,223. Dasselbe
verbraucht demgemäſs auch eine beträchtliche Arbeitsgröſse bei seiner Zerreiſsung.
Diese Arbeitsgröſse, bezogen auf ein Taustück von 1m Länge, berechnet sich als das Produkt aus dem mittleren Widerstand beim
Zerreiſsen Pm und dem
beobachteten Reck δ, der mittlere Widerstand Pm ergibt sich durch
Ausmessung des aufgezeichneten Zerreiſsungsdiagrammes zu Pm = 5070k, daher jene Arbeitsgröſse Pmδ = 5070 × 0,223 = 1130mk. Da es zur Vergleichung mit anderen Tauen
angezeigt erscheint, diesen Arbeitswerth auf die Gewichtseinheit zu berechnen, so
dividiren wir denselben durch die Zahl, welche das Gewicht von 1m Taulänge in Gramm ausdrückt, und erhalten so den
sogen. Arbeitsmodul der Zerreiſsung, d.h. die auf die
Gewichtseinheit des Probestückes (1g) kommende
Arbeitsgröſse in Meterkilogramm = A = Pmδ : 1000G = 1130 :
3240 = 0mk,349. Diese Zahl gibt den
concentrirtesten Ausdruck für die speeifische Widerstandsfähigkeit des untersuchten
Taustückes, d.h. für die Trefflichkeit von Material und Arbeit in Rücksicht auf
Zugbeanspruchung des Fabrikates; sie gewinnt an Anschaulichkeit und Werth, wenn man
weiſs, daſs der Arbeitsmodul für Zerreiſsung sich berechnet zu:
0,015mk
für
Bleidraht,
0,18
„
Seile von ungeglühtem Eisendraht,
0,32
„
rothgares Rindsleder,
0,60
„
Schweiſseisenstäbe
3.
Qualität,
0,80
„
„
2.
„
1,00
„
1.
1,20
„
Stabe von Fluſseisen und Fluſsstahl,
1,72
„
Darmsaiten,
2,62
„
Fischbein,
3,31
„
Rohseide.
Das besprochene Tau fällt also hinsichtlich seines specifischen Arbeitsverbrauches
beim Zerreiſsen zwischen rothgares Rindsleder und Schweiſseisen 3. Qualität.
Die Tabelle enthält ferner noch eine Zahlenreihe, welche die procentale
Umfangsverminderung für die verschiedenen Spannungszustände des Versuchstaues
anzeigt. Nach Vervollständigung derselben auf graphischem Wege ergibt diese
Zahlenreihe das Folgende:
Belastung
Umfangsverminderung
3000k
10,7
Proc.
6000
18,0
9000
20,6
12000
22,3
15000
22,8
15600
22,9.
Mit den Umfangsverminderungen stehen entsprechende Querschnittsverminderungen in
Zusammenhang, die sich berechnen lassen und aus denen wiederum Zunahmen des
scheinbaren relativen Gewichtes sich ergeben; letztere liefern ein Bild von der bei
wachsender Belastung vorschreitenden Ausfüllung der anfangs vorhandenen
Zwischenräume und damit einen erwünschten Einblick in die inneren Vorgänge bei
fortschreitender Beanspruchung des Taues auf Zug. In nachfolgender Tabelle sind die
Resultate der hierauf bezüglichen Rechnungen niedergelegt:
Belastung
Querschnitt
Specifische
Scheinbares spec. Gewicht
Spannung
Wasser = 1,
Anfangswerth = 1
0k
43,2qc
0at
0,750
1
3000
34,5
87,0
0,858
1,14
6000
29,1
206,2
0,969
1,29
9000
27,2
330,9
1,01
1,35
12000
26,0
461,5
1,02
1,36
15000
25,9
579,1
1,03
1,37
15600
25,7
607,6
1,03
1,38.
Die Verdichtung des Probetaues erfolgt also anfangs sehr rasch; sie beträgt bei einer
specifischen Spannung von 330at,9 oder 330k,9 auf 1qc
schon 35 Proc. und wächst von da an bis zum Bruch (bei 607at) nur noch um 3 Proc.
Die im Vorstehenden für ein Versuchsobjekt ausgeführten Rechnungen würden nun 269 mal
zu wiederholen sein, um zunächst diejenigen Zahlenwerthe aus den unmittelbaren
Beobachtungsdaten herzuleiten, mit deren Hilfe ein Einblick in die wirklichen
Qualitäten der zerrissenen Taue zu gewinnen ist. Es muſs bezweifelt werden, ob
Jemand diese Arbeit auf sich nehmen wird, wenn er weiſs, daſs die Angaben über
Material und Herstellungsart lückenhaft sind und sogar manche der bei dem gewählten
Tau vorgefundenen Angaben bei vielen der anderen Versuchsobjekte fehlen, z.B. das
Gewicht von 1m Länge, die Zahl der Duchten auf
1m, bei den stärkeren Drahtseilen sogar die
Angaben über Verlängerung und Umfangsverminderung. Dazu kommt, daſs eine wichtige
Zahl – das Gewicht der Längeneinheit – dem Vernehmen nach gar nicht von der
Versuchsanstalt controlirt, vielmehr nur nach den eigenen Angaben der Verfertiger
mitgetheilt ist, daher jedenfalls der gleichmäſsigen Genauigkeit entbehrt.
Das vorliegende Material kann also – trotz seiner Umfänglichkeit – nicht für
vollständig gelten und es ist zu bedauern, daſs dasselbe mit der Signatur einer
Königlichen Prüfungsanstalt veröffentlicht wurde. (Nach der Deutschen Seiler Zeitung, 1882 S. 16.) – Der Mangel eines wohl erwogenen
Arbeitsplanes kann auch dadurch nicht beseitigt werden, daſs man nachträglich die Resultate
der gesammten Dehnungsversuche und der Beobachtungen über Umfangsverminderung
einfach ignorirt und durch Combinirung der Bruchbelastung mit dem Verkaufspreis für
1m Taulänge eine „Werthziffer“
construirt, welche ein gänzlich auſserhalb der technischen Eigenschaften der
Versuchsobjekte liegendes Moment umschlieſst, wie dies von Ingenieur C. Kortüm in Berlin (Deutsche
Seilerzeitung, 1882 S. 79) unternommen wurde.
Die von dem Letzteren (Daselbst S. 67) gegen die vorstehenden kritischen Bemerkungen
gerichteten Ausfälle zeugen übrigens von einer Unkenntniſs der Sache und von solcher
Gesinnung, daſs ich es unter meiner Würde halte, darüber auch nur ein Wort zu
verlieren.
Hartig.