Titel: | Ueber den Ursprung der atmosphärischen Elektricität und deren Zusammenhang mit den elektrischen Erscheinungen auf der Erdkugel; von L. Zehnder in Basel. |
Autor: | L. Zehnder |
Fundstelle: | Band 248, Jahrgang 1883, S. 181 |
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Ueber den Ursprung der atmosphärischen
Elektricität und deren Zusammenhang mit den elektrischen Erscheinungen auf der Erdkugel;
von L. Zehnder in Basel.
(Schluſs der Abhandlung S. 141 d. Bd.)
Zehnder, über den Ursprung der atmosphärischen
Elektricität.
Bei Tag- und Nachtgleiche, wenn die Sonne über dem Aequator senkrecht steht, wird die
Elektricität sich nach beiden Polen hin ziemlich gleichmäſsig vertheilen. Im Sommer
und Winter dagegen besteht auf den beiden Halbkugeln ein bedeutender Unterschied. Im
Sommer muſs beispielsweise die heiſse Zone zwischen dem nördlichen Wendekreise und
dem Aequator die hauptsächlich Elektricität erzeugende Fläche sein. Ferner wird in
Folge der Wärme die Luft besonders von dieser Fläche aus aufsteigen und die
elektrischen Dampfmoleküle nach oben transportiren. Da nun die an allen Stellen
gleichartige Elektricität der Erde in Folge der Abstoſsung an dem von der
Erzeugungsfläche entferntesten Punkte die gröſste Dichte herzustellen sucht, so
sammelt sich in dieser Jahreszeit am Südpole der gröſsere Theil der Erdelektricität
an. Die Luftbewegung wird ebenfalls nach dem im Sommer bedeutend kälteren Südpole
eine viel lebhaftere sein, so daſs sich nun der weitaus gröſste Theil der
entwickelten Elektricität am Südpole ausgleichen muſs. Auf der nördlichen Halbkugel
herrscht im Sommer mit der Wärme auch der gröſsere Wassergehalt der Luft vor. Da die
gemäſsigte Zone zur Erregung der Elektricität bedeutend weniger beiträgt als die
heiſse, somit auch auf die (positive) Normalelektricität kaum als Erregungsfläche
abstoſsend zu wirken im Stande sein wird, da zudem von ihr beständig mit Wasserdampf
erfüllte, nur wenig Elektricität haltende Luft, vielleicht sogar manchmal, wenn
keine intensive Reibung stattgefunden hat, mit der Elektricität der Erde, also
negativ geladene Luft in die höheren Regionen aufsteigen kann, so ist der
Normalelektricität ein Weg geboten, sich mit der entgegengesetzten Elektricität der
Erde auszugleichen, bevor sie den Nordpol erreicht hat, sei es daſs sie von ihrer
höchsten Höhe direkt durch die stark Wasser haltige und in einen guten Leiter
umgewandelte Luft bis auf die Erde niedersteigt, sei es daſs sie vorerst nur eine
zwischenliegende Wolke erreicht, um von dieser später den Weg auf die Erde zu
suchen. In der dunstigen Atmosphäre der gemäſsigten Zone wird sich die nach Norden
geströmte Elektricität in raschen und in langsamen Entladungen ausgleichen und nur
ein Theil derselben wirklich zum Nordpol gelangen.
Auch auf der südlichen Halbkugel ist die heiſse Zone noch ein starker
Elektricitätserreger; die gemäſsigte hingegen ist kalt, hält in Folge dessen weniger
Wasserdampf und ist dadurch ein schlechter Leiter geworden, in noch höherem Grade
die kalte Zone. Wenn nun gleichwohl aus den angeführten Gründen die Elektricität
besonders das Bestreben hat, sich im Sommer gerade am Südpole auszugleichen, so kann
dies nur durch eine immerwährende Entladung am Südpole geschehen, indem theils in
Folge der natürlichen Luftbewegung, theils in Folge der Anziehung der beiden
verschiedenen Elektricitäten die elektrisch geladene Luft am Pole niedersteigt, bis
die Elektricität stetig überzuspringen im Stande ist. Diese gewissermaſsen langsame
Entladung einer ungeheuren Fülle von Elektricität stellt das Südlicht und ähnlich im Winter am Nordpole das Nordlicht her. Daſs ganz besonders im Winter unsere nördliche Atmosphäre
eine starke Elektricitätsfülle aufweist, zeigen die vielfachen Versuche und
Nachrichten darüber. Danach erreicht im Januar die Normalelektricität eine
Maximalspannung, ebenso die Elektricität des von der Erde emporsteigenden Nebels,
welch letzterer ebenfalls durch Reibung an der Erdoberfläche elektrisch geworden
ist.
Wäre irgend eine Wolke völlig unelektrisch, so werden
sich die kleinsten Theilchen derselben, seien es Dunstbläschen oder äuſserst kleine
Wasserkügelchen, in Folge der Anziehung auf einander sehr rasch zu gröſseren Tropfen
vereinigen und auf die Erde niederfallen. Es erklärt sich nur aus dem elektrischen
Zustande der Wolke ihr länger andauerndes Bestehen. Zur Erklärung der im Inneren der
Wolke wirkenden Kräfte betrachte ich kleine Wasserkügelchen als kleinste Theilchen.
Die Wirkungen übertragen sich nachher leicht auf die neuerdings bevorzugte Hypothese
von Dunstbläschen.
Jedes Wasserkügelchen übt auf die benachbarten eine anziehende Kraft (Gravitation)
aus, deren Angriffspunkt bei geringer Entfernung der beiden Körperchen doch noch
sehr nahe seinem Schwerpunkte und Mittelpunkte liegt. Gleichzeitig wirkt aber die
Elektricität des Kügelchens, welche sich auf der alleräuſsersten Umhüllung desselben
ansammelt, als abstoſsende Kraft, deren Angriffspunkt bei geringen Entfernungen viel näher an der Oberfläche des Kügelchens liegt
als der Angriffspunkt der vorhin erwähnten Anziehungskraft. Wenn man bei den in
Betracht kommenden sehr geringen Entfernungen bedenkt, daſs die einander näher
liegenden Halbkugeln von zwei benachbarten Kügelchen die bei weitem gröſsere
Einwirkung auf einander ausüben und daſs die Elektricität nur auf der Oberfläche
dieser Halbkugel gleichmäſsig vertheilt ist, während das Wasser die ganze Halbkugel
ausfüllt, so ist obige Behauptung bewiesen, weil der Schwerpunkt einer
Halbkugeloberfläche stets weiter vom Mittelpunkte der Kugel entfernt liegt als der
Schwerpunkt der vollen Halbkugel. Sobald nun die gesammte elektrische abstoſsende
Wirkung eines jeden Wasserkügelchens auf die benachbarten kleiner ist als dessen
anziehende Kraft auf dieselben, so muſs ein Gleichgewichtszustand sich herstellen
und es ist ein Sichzerstreuen der Wolke gar nicht möglich. Ist die abstoſsende
Wirkung der Elektricität sehr gering, so nähern sich die Kügelchen bis zur Berührung, es
beginnt Tropfenbildung und Niederschlag. Wirkt aber die elektrische, aus einander
treibende Kraft stärker als die anziehende, so entfernen sich die Kügelchen immer
weiter von einander; bei sehr bedeutender elektrischer Spannung zertheilen sie sich
sogar selbst noch in so kleine Theile, daſs sie dem bloſsen Auge nicht mehr sichtbar
bleiben. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn man statt Wasserkügelchen die
Dunstbläschen betrachtet. Die Wirkungen sind genau dieselben, weil die letzteren als
Hohlkugeln mit einer endlichen Wandstärke anzunehmen sind, während die Elektricität
sich gewissermaſsen auf einer das Dunstbläschen einhüllenden Hohlkugel mit unendlich
dünner Wandstärke befindet. Die oben erläuterte Differenz der Angriffspunkte der
anziehenden und abstoſsenden Kraft muſs etwas geringer sein; aber ein Unterschied
bleibt bestehen und folglich auch die Wirkungen. Nur das Vorhandensein dieser
elektrischen Kräfte läſst es begreifen, daſs auch der aus einem Schornsteine
aufsteigende Dampf, welcher sich in der Luft rasch abkühlt und dessen kleinste
Theilchen durch Berührung unter einander sich zu gröſseren Tröpfchen vereinigen und
wieder zurückfallen müſsten, in Wirklichkeit sich in der Luft immer mehr zerstreut
und zuletzt wieder unsichtbar wird. Auch die oft seltsame und nach starker
Ortsveränderung sich doch gleichbleibende Gestalt der Wolken läſst sich nur durch
das Vorhandensein eines absoluten Gleichgewichtszustandes erklären.
Unter Zugrundelegung der oben nachgewiesenen Thatsachen will ich auf die Gewittererscheinungen näher eintreten und stelle mir
deshalb einen sehr heiſsen, schwülen Sommertag in der gemäſsigten nördlichen Zone
vor: Die Sonne erwärmt eine gröſsere, von Wolken nicht bedeckte Fläche Landes sehr
stark, die erhitzte Luft steigt mit den Dämpfen des verdunsteten Wassers empor und
macht die Atmosphäre zu einem guten Leiter, wodurch elektrische Entladungen von oben
nach der Erde begünstigt werden. Durch die erzeugte heftige Luftbewegung nach oben
ist ferner die auf der Erde ruhende Luft genöthigt nachzuströmen und es werden die
Wolken, welche die stark erwärmte Fläche umgeben, über die letztere getrieben
werden. Es begünstigt nun die entstandene leitende Luftsäule in erster Linie ein
langsames Ueberströmen der negativen Erdelektricität nach solchen in die Säule
hineingetriebenen Wolken und macht dieselben negativ elektrisch, wenn sie es nicht
vorher schon waren. Bei einem langsamen Uebergang der
positiven in negative Elektricität im Inneren der Wolke tritt aber einmal ein
neutraler Zustand ein, in welchem sich Regen bilden muſs, der seinerseits die
Leitung der Luftsäule noch verbessert und das Ueberströmen der Erdelektricität in
die Wolke beschleunigt. (Der kurze schwächere Regenguſs, welcher sehr oft noch vor
den heftigen plötzlichen Entladungen eintritt.)
Nach genügender Ansammlung von negativer Elektricität in jener Wolke erfolgt nun aus
den obersten Schichten eine Entladung positiver Normalelektricität nach der
Wolke hin und, je nachdem diese dadurch selbst positiv elektrisch wurde, oder nur
angenähert neutralisirt, wird sich entweder noch im gleichen Augenblicke die Wolke
nach der Erde hin entladen oder nicht. Es ist sogar denkbar, daſs sich die Erde nach
der neutralen Wolke hin gewaltsam entlade, wenn die Spannungsdifferenz groſs genug
ist. In jedem auch nur angenähert neutralen Zustande der Wolke nimmt die aus
einander treibende Kraft im Inneren derselben ab; zugleich wirkt auſser der
Gravitation die bei jeder plötzlichen Entladung hervorgerufene bedeutende
Lufterschütterung auf die Dunstbläschen ein, vereinigt sie zu Wassertropfen, welche
selbstverständlich wegen ihres Gewichtes zur Erde fallen und so das Ausgleichen der
Elektricitäten und auch das Ueberströmen der Erdelektricität nach den Wolken hin auf
jede Weise erleichtern, geschehe dies durch langsame oder hier und da sogar durch
plötzliche Entladungen. In der That beobachtet man seltener Blitzschläge der
negativen Erdelektricität nach den Wolken hin als der positiven Normalelektricität
nach der Erde.
Unter allen Umständen werden also die obersten Schichten ihre positive Elektricität
nach der zwischen ihr und der Erde liegenden Wolke hin entladen und dieselbe positiv
machen; die Erde ihrerseits macht sie abwechselnd wieder negativ, so daſs ein lang
dauernder beständiger Wechsel der Elektricitäten jener Zwischenwolke statthaben
wird, so lange eben der ungeheure Vorrath von Elektricität in den obersten Regionen
und deren Spannung die gewaltsamen Entladungen ermöglicht. Danach kann es bei einem
stärkeren Gewitter kaum vorkommen, daſs sich der Regen ergieſse, bevor nur die
betreffende Wolke ihre Elektricität zum groſsen Theile durch langsame oder
gewaltsame Entladung abgegeben hat. Höchstens einem sehr intensiven und
unregelmäſsigen Winde wäre in dieser Beziehung einige Wirksamkeit zuzumuthen.
Der Umstand, daſs besonders nach sehr lange anhaltendem heiſsem Wetter, nach welchem
man einen warmen Regen vermuthen könnte, umgekehrt Hagel, also Eisklümpchen auf die Erde niederfallen, ist nun ebenfalls kein
Räthsel mehr: Bei dem schwülsten Wetter sind keine tief liegenden vermittelnden
Wolken in der Nähe, die leitende, mit Wasserdampf erfüllte Luftsäule erhebt sich bis
in bedeutend höhere Regionen und leitet die Blitze von dieser Höhe, in welcher die
Elektricität eine viel gröſsere Spannung besitzt, auf die Erde hinab. Nach den
Entladungen, welche unter solchen Umständen auch viel stärker sein werden, bilden
sich sofort die Wassertropfen, sie gefrieren in der niederen Temperatur jener
Regionen und fallen als Hagel nieder, indem sie alle unterwegs aufgefangenen
Regentropfen mitreiſsen und ebenfalls gefrieren machen. Nur die Annahme einer
vermittelnden Wolke zwischen der stark positiven Normalelektricität der obersten
Atmosphäre und der stark negativen Elektricität der Erde macht die beobachteten
Unregelmäſsigkeiten und
raschen Aenderungen der positiven in negative Elektricität und umgekehrt in den
Gewitterwolken erklärlich.
Es drängt sich nun die Frage auf, warum bei sehr starken Gewittern niemals eine Wolke sich vollständig entleere, so daſs
während des Regens sich der Himmel allmählich mehr und
mehr lichten würde. Im Gegentheile sieht man stets und überall nach dem Gewitter,
wenn ringsum der Regen aufgehört hat, noch schwarze Wolken am Himmel hangen, oft
beinahe so dunkle wie vor dem Gewitter. Auch dieser Vorgang läſst sich nun aus dem
Vorangehenden erklären: Die Entladungen von den obersten Schichten nach der Wolke
hin dauern so lange, bis die Spannung der obersten Normalelektricität etwas
nachgelassen, oder bis sich die Wolke so weit auf die Erde gesenkt hat, daſs jene
Entladungen in Folge der gröſseren Entfernung aufhören müssen. Der Regen aber wird
sich länger ergieſsen; er fängt im Gegentheile erst recht an, wenn sich die
Elektricität der Wolke möglichst neutralisirt hat; er wird nun auch ein sehr starkes
Ueberströmen der negativen Erdelektricität in die Wolke befördern und die letztere
gelangt wieder in einen elektrischen Zustand mit so groſser Spannung, daſs die
Regenbildung aufhören muſs. Die negative Wolke wird nun von der negativen
Elektricität der Erde abgestoſsen, erhebt sich und setzt ihren Weg weiter fort so
lange, bis sie in eine Höhe gelangt, nach welcher hin die Normalelektricität sich
neuerdings entladen kann, so daſs dort das Spiel von Neuem beginnt.
Bei Gewittern hat man sich sonach ein sehr oft wiederholtes Auf- und Absteigen der
Wolken, verbunden mit jeweiligen Entladungen und Ergüssen zu denken, während diese
Wolken über die Erde streichen, so daſs sie also bei ihrem Zuge sich bald entladen,
bald ohne Erguſs über einen Ort fliehen. Bei den stärksten, mit Hagel verbundenen
Gewittern ist es am leichtesten nachzuweisen, daſs wirklich der Erguſs sich auf
kleine Flächen beschränkt, die betreffende Wolke nachher, ohne zu schaden, weiter
zieht und erst an einem entfernteren Orte wieder neue heftigere Ergüsse stattfinden.
Da die Beschaffenheit der oft erwähnten leitenden Luftsäule einen groſsen Einfluſs
hat, so kann eine und dieselbe Wolke ganz wohl eine zweite Entladung heftiger werden
lassen als die erste; im Allgemeinen wird aber doch die Intensität einer jeden Wolke
allmählich abnehmen, weil durch den Regen ihr Wassergehalt abnimmt. Jene Luftsäule
kann eine schwach positive Wolke langsam entladen und ihr die negative Elektricität
der Erde beibringen, bevor nur Blitzschläge erfolgen. Beweis hierfür sind die vor
Gewittern aus der Erde ausströmende Elektricität, das St. Elmsfeuer u. dgl.
Danach bleibt es durchaus nicht ausgeschlossen, daſs sich auch in der gemäſsigten
Zone durch Reibung der Wolken an der Erde Elektricität entwickle; es wird dies stets
der Fall sein und mehr bei der Hitze als bei der Kälte, weil die warme Luft mehr Wasser
aufnehmen kann. Es sind aber die Erregungsflächen keine so groſsen, weshalb die
Elektricitäten auſserhalb derselben leicht sich wieder vereinigen können; auch die
Luftströmungen sind selten so direkt nach oben strebende, daſs jene Ausgleichung
nicht leicht statthaben könnte, besonders bei der stark Feuchtigkeit haltenden Luft
des Sommers. Die Nebel mit ihrer positiven Elektricität sprechen dafür, daſs sich
auch bei der geringsten Reibung von Wasser haltiger Luft an der Erde in ersterer die
positive Elektricität: entwickelt, wenn auch nur schwach. Und wie jene Wolken und
die oberste Schicht der Atmosphäre so kann auch der Nebel die Elektricität im Winter
besser zurückhalten, weil nur die ganz warme Wasser haltige Luft leitend wird, nicht
die kältere Luft, bei welcher sich die Nebel bilden.
Bekanntlich ist die Elektricität der Niederschläge bald positiv, bald negativ. Daſs
bei Gewittern die positive Elektricität vorherrscht, weil während der Entladungen
die Wolke gröſstentheils einen Ueberschuſs an positiver Elektricität aufweist, liegt
auf der Hand, ebenso der häufige Wechsel der elektrischen Spannungen, welche sich
beim Gewitterregen äuſsert. Bei gewöhnlichem Regen ohne gewaltsame Entladungen macht
sich hingegen mehr eine negative Spannung bemerkbar. Der Grund hiervon ist
folgender: Die negative Elektricität der Niederschläge kommt in der Regel von Wolken
her, welche bereits einmal ein Gewitter mitgemacht haben, aber so weit nach Norden
getrieben wurden, daſs keine plötzlichen Entladungen mehr möglich sind, wegen des
geringeren Wassergehaltes der Luft und der Spannungsabnahme der Normalelektricität.
Nach den vorangehenden Erläuterungen muſs nämlich angenommen werden, daſs durch die
Gewittererscheinungen die Normalelektricität gröſstentheils aufgebraucht werde und
daſs nur ein geringer Theil derselben auch im Sommer bis zum Nordpole gelange, so
daſs hier unter gewöhnlichen Verhältnissen kein Nordlicht mehr entstehen kann. Wenn
nun die Spannung in der obersten Region unter einem gewissen Breitegrade schwach
genug geworden ist und doch noch Wolken sich so weit nach Norden verloren haben, so
müssen eben diese ihre von früheren Gewittern hergenommene negative Elektricität in
Folge anderer Ursachen, wie der Temperaturunterschiede, der Winde u.s.w., abgeben
und es werden deshalb die meisten Regen mit negativer Elektricität von Süden kommen.
Die positiven Regen kommen häufiger von Norden und führen offenbar ihre durch
Reibung an der Erde erzeugte positive Elektricität mit sich. Sehr häufige Ausnahmen
von diesen Regeln ergeben sich aus der Mannigfaltigkeit der Winde, welche in
verschiedenen Regionen ganz entgegengesetzte Richtungen haben können, auch aus dem
Umstände, daſs die Einwirkung der Gebirgszüge und der sehr oft durch diese wieder
beeinfluſsten Winde auf die Bildung der Niederschläge eine bedeutende, ja sogar eine
vorherrschende sein
muſs, wenn keine gewaltsamen elektrischen Entladungen stattfinden können.
Auf die periodischen Schwankungen der Normalelektricität
will ich nur kurz zu sprechen kommen. Der Zusammenhang derselben mit dem
Erdmagnetismus bestätigt sich in auffallender Weise durch die Aehnlichkeit ihrer
periodischen Schwankungen. Beide haben in ihren täglichen Variationen 2 Maxima und 2
Minima aufzuweisen und sie haben ihre jährlichen Perioden. Die betreffenden Maxima
und Minima können uns deswegen nicht gleichzeitig offenbar werden, weil der
Erdmagnetismus nicht von der Normalelektricität eines Beobachtungsortes, sondern von
der auf der gesammten Erdoberfläche befindlichen abhängig ist.
Als weiteren Nachweis der Entstehung der Elektricitäten durch die Reibung von
Wasserdämpfen an der Erde und gleichzeitig zur deutlicheren Vergleichung mit der
Dampfkessel – Elektricität erwähne ich noch einen Vulkanausbruch, bei welchem nachgewiesenermaſsen sehr heftige elektrische
Entladungen dem Ausbruche auf dem Fuſse folgen und auch sofort starke Regengüsse
stattfinden. Hier liegen Ursache und Wirkung einander auſserordentlich nahe. Weil
die Erregungsfläche, der Krater, sehr klein ist, kann die Wiederausgleichung in sehr
geringer Entfernung von derselben und sehr rasch stattfinden. Wenn aber bei so
kleiner Erregungsfläche schon Elektricität für so bedeutende Gewitter sich
entwickeln kann, wie auſserordentlich groſs muſs erst die Fülle der auf der
gesammten Erdoberfläche durch Reibung entwickelten Elektricität sein!
Noch eine wichtige Beobachtung muſs hier kurz berührt werden: die Einwirkung der Sonnenflecken auf das Nordlicht, die Magnetnadel u.s.w.
Wenn ich daran erinnere, daſs die Sonnenfleckenjahre die heiſsesten Sommer und die
mildesten Winter, aber auch die stärksten Temperaturänderungen bringen (in Folge der
abwechselnd frei werdenden und gebundenen Verdampfungswärme der die Sonnenflecken
bildenden Niederschläge) und daſs in heiſseren Tagen auch mehr Elektricität erzeugt
wird, in genügender Spannung und Menge, um auch. in wärmeren Monaten ein Nordlicht
zu erzeugen und um einen sehr fühlbaren Einfluſs auf den Erdmagnetismus auszuüben,
so erklären sich alle Unregelmäſsigkeiten aus dem Vorangehenden ohne Weiteres.
Folgenden Einwand gegen meine Hypothese sehe ich noch voraus: Wenn wirklich die
Elektricität der Atmosphäre in der heiſsen Zone in so auſserordentlichen Mengen
erzeugt und von dort durch die höchsten Regionen hindurch nach den Polen getragen
wird, warum bilden sich denn von dem vielen Wasserdampfe keine Wolken, welche den
immerwährenden Luftzug jener Schichten sichtbar machen? Die Antwort lautet einfach:
Weil die Spannung der an diesen Wassertheilchen haftenden Elektricität so stark ist,
daſs die auf dieselben wirkenden abstoſsenden elektrischen Kräfte gröſser sind als
die anziehenden (Gravitations-) Kräfte, wie es bei der Wolkenbildung erklärt wurde. Die
elektrische Spannung des Wasserdampfes ist eine so starke, daſs die Concentration
des Dampfes in Bläschen oder gar in Tropfen unmöglich wird; dieselbe muſs im
Gegentheile das Wasser in die allerfeinste Zertheilung bringen, die Schicht wird
sich über die ganze Atmosphärenoberfläche ausdehnen und vollständig durchsichtig
werden. Nach sehr bedeutenden Entladungen, nach den Gewittern, muſs der Wasserdampf
allerdings beim Spannungsverluste sich concentriren, in niedere Regionen fallen und
als helle Wolke sichtbar werden, die um so dunkler wird, je tiefer sie fallt und je
gröſser die Wassertröpfchen werden. Durchsichtig nannte ich die oberste Schicht der
Atmosphäre, welche Trägerin der Normalelektricität ist, jedoch nicht unsichtbar. Wem
anders als dieser obersten stark Wasser und Elektricität haltenden Region verdanken
wir die prachtvolle blaue Farbe des Himmels, welche Farbe sich um so entschiedener
ausprägt, je gröſser die Spannung der Normalelektricität ist? Die Sichtbarkeit des
die Normalelektricität bergenden Wasserdampfes wird überdies bestätigt durch die
Beobachtungen des lebhafteren Funkeins der Sterne in Sonnenfleckenzeiten u. dgl.
Ohne solche Ströme von feinst getheiltem Wasserdampfe auch beim klarsten Himmel
müſste gar kein Funkeln stattfinden.
Ganz unbegründet wäre der Einwurf, warum sich die Elektricität überhaupt bis an die
Pole in der obersten Region behaupten könne und sich nicht schon vorher durch
Anziehung mit der negativen Erdelektricität ausgleiche? Wo die Erdoberfläche mehr
oder weniger erhitzt ist und die Luft auch nur einigermaſsen leitend wird, ohne daſs
aber jene als Erregungsfläche stark abstoſsend wirken würde, da werden die
Entladungen, wenn auch unter Umständen nur langsam, stattfinden. Wo aber, wie auf
der entgegengesetzten Erdhälfte, dieser Zustand des Leitungsvermögens der Luft in
Folge von zu gröſser Kälte fehlt, da ist die gesammte Atmosphäre als nichtleitende
Kugel mit einer leitenden dünnen Schicht auf der Oberfläche anzusehen. Die
gleichartige Elektricität dieser Schicht stöſst sich überall ab und sie würde sich
von jedem Punkte aus nach der Erde ganz gleich entladen können, wenn nicht noch
andere mitwirkende Ursachen, die oben beschriebenen, den Ort der Entladungen genauer
bestimmen würden.