Titel: | Zur Kenntniss des Chlorkalkes; von G. Lunge und P. Naef. |
Autor: | P. Naef |
Fundstelle: | Band 248, Jahrgang 1883, S. 337 |
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Zur Kenntniſs des Chlorkalkes; von G. Lunge und
P. Naef.
Zur Kenntniſs des Chlorkalkes.
Durch die Arbeiten von G. Lunge und Schaeppi (1880 237 63)
scheint es festgestellt zu sein, daſs die zuerst von Odling vorgeschlagene Formel für den Chlorkalk, Cl---Ca---OCl, weitaus die
wahrscheinlichste sei. Im käuflichen festen Chlorkalk ist jene Verbindung als ein
Hydrat enthalten und stets mit einem gewissen Ueberschusse von Aetzkalk gemengt, von
dem Lunge und Schaeppi
nachgewiesen haben, daſs er für die Constitution des Chlorkalkes nicht wesentlich
sei und nicht in dessen Formel hineinbezogen werden dürfe, da es beim Arbeiten in
kleinem Maſsstabe gelingt, den freien Kalk bis auf ⅛ des Ganzen zu vermindern.
Dieser letzte Rest entgeht der Chlorirung in Folge mechanischer Umhüllung durch die
eigentliche bleichende Verbindung und es ist nicht möglich, durch längere Einwirkung
von Chlor auch seine Umwandlung in Chlorkalk zu erzwingen, weil alsdann die
bleichende Verbindung in Chlorcalcium und Calciumchlorat übergeht (vgl. Schaeppi in Wagner's
Jahresbericht, 1881 S. 281).
Das Wesentliche der Chlorkalkformel Cl---Ca---OCl ist, abgesehen von der eben
berührten Frage des freien Kalkes, augenscheinlich die Auffassung des Chlorkalkes
als eines eigentlichen Doppelsalzes, in welchem das 2werthige Calcium mit den Resten
der Salzsäure und unterchlorigen Säure verbunden ist, worin aber kein freies Chlorcalcium und unter-chlorigsaures Calcium,
sei es in mechanischem Gemische oder in so loser Verbindung, daſs sie alle
Reactionen jener beiden Salze neben einander gibt, angenommen werden kann. Auch jede
andere Chlorkalkformel wird hierdurch ausgeschlossen, welche die Anwesenheit von
Chlorcalcium als wesentlich hinstellt.
K. Kraut bestreitet nun in Liebig's Annalen, 1882 Bd. 214 S. 354 die von Lunge und Schaeppi aufgestellten Schlüsse.
Ueber die Gegenwart des überschüssigen Kalkes und des Wassers führt Kraut weder Versuche, noch Beweisgründe an, so daſs
trotz seines Widerspruches hierauf nicht noch einmal eingegangen werden kann. Den
Hauptgrund von Lunge und Schaeppi für eine Formel, welche freies Chlorcalcium ausschlieſst, daſs
man leicht fast sämmtliches Chlor des Chlorkalkes durch Kohlensäure austreiben
könne, sucht Kraut als ungültig hinzustellen, indem man
das Chlor des Chlorcalciums durch ein Gemenge von Kohlensäure und unterchloriger
Säure, wie es bei der Reaction von Kohlensäure auf Chlorkalk entstehen müsse,
austreiben könne: CaCl2 + Cl2O + CO2 = CaCO3 + 4Cl. Ferner sucht er zu beweisen, daſs die
Annahme eines Doppelsalzes, bei welchem das Calcium die Rolle der Bindung zweier
Säurereste übernimmt, in diesem Falle unstatthaft sei, weil man mit dem 1 werthigen
Lithium einen dem Chlorkalke völlig analogen Körper erhalten könne.
Lunge und Naef zeigen
dagegen in den Berichten der deutschen chemischen
Gesellschaft, 1883 S. 840, daſs man Kraut's
Versuchen über die Austreibung des Chlores aus Chlorcalcium von vorn herein die
Beweiskraft absprechen müsse, da er ausschlieſslich mit basischem Chlorcalcium
gearbeitet hat, über welches er erst freie unterchlorige Säure, dann ein Gemenge von
dieser mit Kohlensäure, dann Kohlensäure allein leitete, wodurch ein groſser Theil
des Chlores entfernt wurde. Dies läſst sich aber auch in folgender Weise
erklären:
Cl---Ca---OH + HOCl = H2O +
Cl---CaOCl, . . . . (I)
Cl---Ca---OCl + CO2 = CaCO3+2Cl. . . . . . . . . . (II)
Danach wird zuerst Chlorkalk gebildet und darauf durch
Kohlensäure zersetzt. Eine längere Versuchsreihe der Verfasser zeigte ferner, daſs
die Kohlensäure stets nur diejenige Menge von Chlor austreibt, welche nach ihrer
Theorie zu erwarten wäre und daſs das basische Chlorcalcium bei der Behandlung mit
unterchloriger Säure allein weit mehr bleichendes Chlor aufnimmt, als es obige
Gleichung (I) zuläſst. Auch reines Chlorcalcium nimmt beim Ueberleiten von unter
chloriger Säure eine groſse Menge davon auf und wird in einen Chlorkalk verwandelt,
welcher selbstverständlich kein überschüssiges Kalkhydrat, wie der gewöhnliche,
sondern viel überschüssiges Chlorcalcium enthält. Es ist hiermit nachgewiesen, daſs
Chlorcalcium bei gewöhnlicher Temperatur von unterchloriger Säure in ganz
erheblichem Maſse (über ¼ des Ganzen) zersetzt wird nach der Gleichung:
CaCl2 + Cl2O = CaOCl2 + Cl2 . . . . . . (III)
Diese Zersetzung macht nicht nur Kraut's Annahme einer gemeinschaftlichen Reaction von Cl2O und CO2 ganz
überflüssig, sondern zeigt auch, daſs die letztere nur eine Vermengung zweier nach einander sich abspielenden Vorgänge ist.
Die Analyse der Gase zeigte deutlich, wie das Cl2O
des eintretenden Gases beim Austritte groſsentheils in freies Chlor verwandelt war,
und bestätigte die
gefundene Reaction. In dem von Kohlensäure aus dem fertigen Producte ausgetriebenen
Gase war sehr wenig und bei Behandlung von gewöhnlichem Chlorkalk mit Kohlensäure
sogar nur eine Spur von unterchloriger Säure neben freiem Chlore nachzuweisen. Dies
widerlegt die Annahme, wonach im Chlorkalke ein Gemenge von unterchlorigsaurem Kalke
mit Chlorcalcium wäre, aus dem durch CO2 zuerst
Cl2O frei wird, welche dann das CaCl2 im Sinne der Reaction Gleichung III zersetzt. In
diesem Falle wäre es nämlich nicht denkbar, daſs der Kohlensäurestrom nicht gröſsere
Mengen von Cl2O auf mechanischem Wege wegführen
sollte, ehe diese auf das nur mechanisch beigemengte Chlorcalcium wirken konnte.
Daſs im Gegentheile nur ganz unbedeutende Mengen von Cl2O weggeführt werden, welche man durch die Gegenwart von Feuchtigkeit und
die dadurch verursachte Spaltung einer geringen Menge von CaOCl2 in CaCl2 und
CaO2Cl2 erklären
kann, widerlegt den Einwurf von Kraut gegen Odling's Formel und macht letztere nach wie vor zu der
weitaus wahrscheinlichsten für den Chlorkalk.
Nach Kraut soll man ferner höchstens die Hälfte des
Lithions in Chlorlithion, LiCl + LiOCl, umwandeln können, entsprechend dem Umstände,
daſs man beim Kalke nur ⅔ in Chlorkalk umwandeln könne. Nicht nur hat aber Kraut die früher von Lunge
und Schaeppi angestellten Versuche übersehen, nach
denen man leicht ⅞ des Kalkes chloriren kann, sondern auch beim Lithion treffen die
wenigen von Kraut angeführten Versuche nicht zu. Die
Verfasser haben gefunden, daſs man bis 88 Procent des LiOH in Chlorlithion umsetzen
kann, worauf freilich ein Theil unter Sauerstoffverlust in LiCl übergeht. Dieser
Sauerstoffverlust ist bei der von Kraut stets
angewendeten Berechnung der Aufnahme von Chlor durch Gewichtszunahme völlig
übersehen und macht deshalb alle auf die letztere gegründeten Schlüsse hinfällig.
Das Chlorlithion ist aber überhaupt nichts weniger als ein Analogon des Chlorkalkes;
während man diesen durch Kohlensäure in wenigen Stunden mit gröſster Leichtigkeit
zersetzen kann, hat die Kohlensäure auf Chlorlithion selbst bei Tage langem
Durchleiten so gut wie gar keine Einwirkung und macht selbst bei lang andauernder
Temperaturerhöhung nur sehr wenig Chlor frei, wobei es im Uebrigen theils unter
Bildung von chlorsaurem Salze, theils unter Freiwerden von Sauerstoff zerfallt. Auch
ist ein ganz bedeutender Bruchtheil des durch Kohlensäure ausgetriebenen Gases nicht
freies Chlor, sondern unterchlorige Säure. Gerade das Verhalten des aus dem
1werthigen Lithium entstehenden Bleichsalzes, welches von dem des Chlorkalkes so
entschieden abweicht, ist mithin alles eher als eine Bestätigung der von Kraut gegen obige Formel gemachten Einwürfe. Ueberhaupt
stehen die zahlreichen Versuche der Verfasser in allen wesentlichen Stücken im
Widerspruche mit Kraut's Angaben.
Unmittelbar gestützt wird obige Chlorkalkformel durch Versuche mit Strontian, aus
welchem die Verfasser einen dem Chlorkalke in seinem Verhalten gegen Kohlensäure
völlig entsprechenden Chlorstrontian darstellen konnten. Chlorbaryt konnte nur in
unvollkommener Weise erhalten werden; doch verhielt sich auch dieser den aus Kalk
und Strontian erhaltenen Producten entsprechend.
Die aus den 2werthigen Metallen Calcium, Strontium und vermuthlich auch Barium sich
ableitenden Bleichsalze besitzen somit wahrscheinlich die Natur von Doppelsalzen der
Formel Cl---R---OCl, deren sämmtliches Chlor durch Kohlensäure direkt ersetzt werden
kann. Die zuerst von Odling aufgestellte, übrigens
nicht näher begründete Formel des Chlorkalkes: Cl---Ca---OCl, welche durch die
ausführliche Arbeit von Lunge und Schaeppi als die unsere Kenntnisse am richtigsten
ausdrückende nachgewiesen worden ist, muſs noch immer beibehalten werden, nachdem
die Einwürfe von Kraut dagegen in allen Stücken
widerlegt worden sind.