Titel: | Arbeiten von G. Witz über die Oxydation der Cellulose; von H. Schmid. |
Autor: | H. Schmid |
Fundstelle: | Band 250, Jahrgang 1883, S. 271 |
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Arbeiten von G. Witz über die Oxydation der Cellulose; von
H. Schmid.
H. Schmid, über Witz's Oxydation der Cellulose.
Die Aufgabe, Baumwollfaser durch chemische Einflüsse derart zu verändern, daſs sie
nach Art der thierischen Faser direkt und ohne Beize gewisse Farbstoffe festhalten
kann, hat von jeher das Interesse des Praktikers in Anspruch genommen. Unter den
bisher vorgeschlagenen Mitteln zum Zwecke der so genannten „Animalisation“
greifen wir heraus die (nicht zu weit getriebene) Nitrirung, dann die Mercerisation,
gegründet auf dem Einflüsse der Alkalien, endlich die Hydratation der Cellulose,
hervorgerufen durch Einwirkung von Säuren; die im letzteren Falle gebildete
„Hydrocellulose“ theilt mit den Salpetersäureestern und der mercerisirten
Faser die Eigenthümlichkeit einer erhöhten Affinität zu gewissen Farbstoffen.
Jetzt bringt G. Witz in Rouen eine neue Methode der
Animalisirung in Vorschlag und hat darauf ein Patent (D. R. P. Kl. 8 Nr. 24173 vom
19. December 1882) genommen; auch sie beruht auf der Anwendung einfacher Reagentien,
deren erste zu erfüllende Bedingung ist, die Structur der Faser unverändert zu
lassen. Durch die Einwirkung oxydirender Mittel in
sauren oder neutralen Lösungen ändern sich die textilen Stoffe derart, daſs sie aus
ihrem passiven Verhalten gegenüber Farbstoffen heraustreten. So viele Male schon
gewöhnliche Chemikalien, wie Hypochlorid, Chlorat, Chromat, mit Spinnfasern unter
den mannigfachsten Bedingungen in Berührung gebracht worden sind, so ist doch eine
Veränderung in diesem Sinne noch stets der Beobachtung
entgangen. Witz liefert eine werthvolle Studie dieser
Erscheinungen und, erfüllen sich vielleicht auch nicht die Erwartungen, welche sich
bezüglich industrieller Anwendung darauf bauten, so enthält seine Arbeit dafür eine
Menge neuer und
wichtiger Beobachtungen, welche zum Theile der Praxis nützen werden.
„Oxydation“ der Textilfaser ist zwar schon längst von verschiedenen Chemikern
zu diesem oder jenem Zwecke unternommen worden. Jaquemin (1876) behandelt die Wolle mit Kaliumbichromat, welches sich
darauf fixirt. So vorbereitet, färbt sich die Wolle in Gelbholz, Blauholz, Krapp,
aber doch nur vermöge des durch Reduction entstandenen Chromoxydes; es bleibt also ein metallisches Prinzip in der Faser und
dieses wirkt als Beize, während bei den Witz'schen Versuchen die „oxydirte“ Faser, frei
von allen fremden Stoffen, von sich aus gegenüber mannigfachen Farbstoffen und
anderen Substanzen Anziehung äuſsert.
Lightfoot (Englisches Patent 1866) behandelt die Wolle
mit Chlorkalk und Salzsäure, um ihren reducirenden Einfluſs zu zerstören und auf ihr
Anilinschwarz erzeugen zu können. Auch hierbei handelt es sich also nur um die thierische Faser; zudem wird ein Erfolg erzielt,
welcher sich bei der oxydirten Cellulose gerade im Gegentheile äuſsert:
Anilinschwarz fixirt sich schlechter auf oxydirter Baumwolle wie auf
gewöhnlicher.
Thomson in Primerose (England 1840) präparirte gemischte
Gewebe aus Wolle und Baumwolle (chaîne-coton) in
Chlorkalk zum Zwecke der leichteren Aufnahme gewisser Farbstoffe. Hierbei hatte er
eine bloſse Unschädlichmachung des Schwefels in der Wolle im Auge.
Die Witz'sche Reaction beruht ihrem Wesen nach
vielleicht in einer Umwandlung der Cellulose, dieses alkoholartig constituirten
Kohlenhydrates, in eine Säure ähnliche Verbindung. Es lieſse sich dann die Anziehung
basischer Farbstoffe u. dgl. erklären durch die Analogiefalle, welche Benzoesäure,
Tannin und andere aromatische Säuren bieten. Sie bestände in der Fällung unlöslicher
Verbindungen der complicirten Amine der Rosanilingruppe und ähnlicher Farbstoffe.
Freilich, wie wir sehen werden, besitzen diese neuen Lacke bei weitem nicht die
Adhärenz an die Faser wie die gerbsauren Farbabkömmlinge.
G. Witz veröffentlichte seine Arbeit unter dem Titel:
„Untersuchungen über gewisse zufällige Veränderungen der Baumwolle beim
Bleichen“.Vgl. Bulletin de Rouen, 1882 S. 416 und 1883 S.
169. Ein Unfall in der Bleicherei ist es, welcher die ganze
umfangreiche Untersuchung zur Folge hatte. Witz fand
gebleichte Stücke stellenweise mit unzähligen oft winzig kleinen Löchern übersäet.
Mechanische Ursachen, wie Sand des Baches, worin die Stücke gewaschen wurden, in
letzteren zurückgehalten und zwischen den Walzen der Clapots zur Wirkung kommend,
oder kieselige Bestand theile im Kalke, dieselbe Rolle spielend, u. dgl. konnten
nicht in Frage kommen wegen des Verhaltens der geschädigten Waare beim Dämpfen.
Hierbei umgaben sich die Löcher im Gewebe mit einem schmalen bräunlichen Saume, was
entschieden auf einen
stattgehabten chemischen Einfluſs hindeutete. Durch Reagentien suchte Witz zu ermitteln, ob Alkalien oder Säuren im Spiele
waren, und wendete hierzu u.a. eine Lösung von AnilinviolettWitz wendet dieses Reagens (1g im Liter) an, um in den
Anilinschwarzfarben die gehörige Neutralisation der Saure durch das Anilin
zu controliren. an, in welcher Säuren einen Umschlag der Färbung
in Blau, Grün oder selbst Gelb bewirkt hätten. Hierbei bemerkte er, daſs der Rand
der Löcher sich lebhafter (bis zu Purpur) färbte wie der Rest des Gewebes. Durch
Aufspritzen von Schwefelsäure, Kalk, Natronlauge, Chlorkalk und nachheriges Dämpfen
wurde festgestellt, daſs nur letzterer die Faser in demselben Maſse zur
Farbstoffanziehung befähigt. In der That war zufällig beim Oeffnen eines Fasses
staubförmiger Chlorkalk auf die fraglichen Stücke gefallen und hatte jenen Unfall
hervorgerufen. Bei freiwilliger Wiederholung des letzteren im Kleinen ertheilte
jedes Theilchen Bleichkalk der Baumwolle die Fähigkeit, Violett anzuziehen, und nach
12 Stunden war der Angriff so weit gediehen, daſs beim Waschen Durchlöcherung
stattfand und beim Dämpfen die Löcher sich mit den charakteristischen braunen
Rändern umgaben. (Vgl. Lauber 1882 245 267.)
Der Chlorkalk ist nach Witz die hauptsächlichste Quelle
von Unannehmlichkeiten in der Bleicherei. Dem Praktiker wohlbekannte Thatsache ist,
daſs beim Dämpfen gebleichter Stücke oft Flecken auftreten von der Farbe des rohen
Gewebes oder gelblich bis röthlich gefärbt; zur gleichen Zeit sind die betreffenden
Stellen entsprechend „verbrannt“, ohne daſs im Uebrigen das Weiſs zu wünschen
übrig lieſse. Nur beim Dämpfen deckt sich diese Desorganisation des Zellstoffes auf
und ist sie, da am angegriffenen Orte Violett angezogen, entschieden dem Chlore
zuzuschreiben. Witz warnt daher vor zu starken oder zu
lang andauernden Chlorkalkbädern, welche bei ungleichmäſsiger Anwendung und unter
dem begünstigenden Einflüsse von Luft und Licht (namentlich im Sommer) unfehlbar
verderbliche Nebenwirkungen hervorbringen. Praktisch soll eine Concentration von
0,5° B. der klaren Chlorkalklösung nicht überschritten und dabei eher den
Operationen des Kochens mit Soda und Waschens mehr Wirkung ertheilt werden. Es
bedeutet nichts, wenn nach dem Bleichprozesse eine bei groſsen Haufen von Stücken
noch sichtbare schwache Färbung vorhanden ist: sie wird bei den nachfolgenden
Arbeiten der Fabrikation verschwinden.
Fehlerhaft verfuhr die Praxis bis dahin folgendermaſsen: Zeigten sich beim Dämpfen
gelbliche Stellen, so suchte man die Ursache in mangelhaftem Chloren und vermehrte
die Stärke des Chlorkalkes, folgerichtig auch Angriff und Desorganisation, was sich
einige Zeit nachher offenbarte. Diese Thatsachen sind bis jetzt nie gehörig erkannt
und hervorgehoben worden, obgleich man im alltäglichen Leben tausend Mal den Angriff
der Wäsche durch das Chlor bitter empfindet. Chlornatron wirkt weniger energisch wie Chlorkalk. Oft
schrieb man die Schwächung der Faser, hervorgerufen durch unmäſsigen Gebrauch der
Hypochlorite, mangelhafter Entfernung der letzteren beim nachfolgenden Waschen zu
und schmeichelte sich, durch Anwendung von Antichlor der unliebsamen Einwirkung
vorzubeugen. Dem ist oft nicht so und dargethan ist, wie in vielen Fällen die
Bleichmittel trotz dieser nachträglichen Vorsichtsmaſsregeln ihren zerstörenden
Einfluſs haben ausüben können.
So wäre also einem der schwersten und verbreitetsten Unfälle ein Ende gemacht. Daſs
dessen Ursachen sich so lange allen Nachforschungen entzogen, erklärt sich daraus,
daſs ehedem der Weiſsbodenartikel meist durch Färben oder Hängen mit nachfolgender
Behandlung auf nassem Wege – also ohne Dämpfen – fabricirt wurde und deshalb die
beschriebenen Fehler nicht augenscheinlich zu Tage treten konnten. Dem Bleicher
selbst blieben sie natürlich ebenfalls verborgen. Ist das Uebel einmal da, so kann
es durch 1 bis 2maliges weiteres Dampfchloren gemildert werden, d.h. der Ton der
Flecken kann herabgestimmt werden, aber nicht ohne entsprechend vermehrten Angriff
des Gewebes.
Nach diesen praktischen Erörterungen geht Witz zum
eigentlichen Studium der Einwirkung des Chlorkalkes über. Als Reagens, mittels
welchem er den Fortschritt der Oxydation verfolgt, bedient er sich fortwährend des
Methylenblau; dieses wird um so kräftiger fixirtFärben in der Kälte in ½procentiger Methylenblaulösung., je
stärker die Faser vom oxydirenden Mittel angegriffen wurde. Streifen von
Baumwollgewebe werden in 4grädige Chlorkalklösung getaucht derart, daſs der gröſsere
Theil herausragt und durch Capillarität Flüssigkeit aufsaugt. Nach einiger Zeit,
z.B. nach 1 Stunde, wird gewaschen, der Ueberschuſs von Chlorkalk durch
Alkalibisulfit und durch Säuren entfernt und in Methylenblau ausgefärbt. Der
eingetauchte Theil findet sich schwach gefärbt, während etwas oberhalb des
Flüssigkeitstandes ein ganz dunkles Blau entsteht, welches nach und nach in hellere
Abstufungen übergeht und ein eigentliches „fondu“ bildet. Es wird hiermit die Rolle der atmosphärischen
Kohlensäure deutlich veranschaulicht; sie macht aus dem Hypochlorite die
unterchlorige Säure frei, welche als wirksames Prinzip die Oxydation des Zellstoffes
vollführt. Taucht man hell indigoblau gefärbtes Gewebe 1 Minute in 1 grädigen
Chlorkalk, so findet keine Veränderung statt, wohl aber augenblickliche Entfärbung,
wenn man Kohlensäure in die Flüssigkeit bläst. (Geeignet als Vorlesungsversuch.)
Erhöhung der Temperatur wirkt ähnlich und erzeugt Chlorkalk unter Mitwirkung der
Wärme aus Cellulose dieselbe Farbstoff anziehende Modifikation. Ebenso wirkt das
Licht begünstigend auf die oxydirende Kraft des Chlorkalkes.
Schützenberger betrachtet den Chlorkalk als oxydirendes Mittel und nicht als Chlorquelle; ohne Mitwirkung von Säure zersetzt er sich
in Chlorcalcium und
Sauerstoff (CaOCl2 = CaCl2 + O) und letzterer zerstört den Farbstoff. Witz bemerkt hierzu, daſs die geringste Spur Kohlensäure den Chlorkalk
„unendlich wirksamer“ mache. Ohne Kohlensäure in der Atmosphäre würde bei
gewissen Bleichmethoden der Chlorkalk weder seine bleichende Wirkung ausüben, noch
die erwähnten Unfälle herbeiführen können. Trotz ihrer groſsen Verdünnung in der
Luft wirkt die Kohlensäure unmittelbar und ohne Unterbrechung auf die
Chlorkalklösung; es bilden sich CaCO3 und HClO. Die
Cellulose hält kein Chlor zurückIm Widerspruche mit Gerhardt, welcher in der
gebleichten Baumwolle (chemisch gebundenes) Chlor findet, Vgl. Hurter: Die Zukunft der Chlorindustrie, 1883
249 128. Entweder hat Gerhardt seine Baumwolle nicht gründlich gereinigt, oder er hat
mit unreinen Reagentien gearbeitet.; indem die unterchlorige
Säure Sauerstoff abgibt, bildet sich also Salzsäure, welche ihrerseits auf den
Chlorkalk reagirt und so in fortlaufender Reihe seine Wirkung vergröſsert Völlige
Verbrennung der organischen Stoffe bildet den Endpunkt.
Witz geräth mit dieser seiner naturgemäſsen und übrigens
schon längst erkannten Theorie in Widerspruch mit den Annahmen A. Girard's.Vgl. Aimé Girard: Mémoire sur l'Hydrocellulose et ses
dérivés. Paris 1881. Letzterer schreibt die zerstörenden
Wirkungen des Chlorkalkes der Bildung von Salzsäure zu,
welche trotz Gegenwart von CaCO3 und CaOCl2 frei fortbesteht, die Cellulose hydratirt und in
brüchige Hydrocellulose überführt. Witz zeigt, wie Ozon
dieselben Veränderungen des Zellstoffes hervorruft wie Chlorkalk; hierbei sind
hydratirende Säuren nicht anwesend und also die Girard'schen Voraussetzungen nicht stichhaltig.
Die oxydirte Baumwolle besitzt nicht nur die Fähigkeit, Farbstoffe aus ihren Lösungen
zu absorbiren, sondern sie hält auch gewisse Oxyde und
Salze zurück. So zersetzt sie direkt die neutralen Salze des Eisens und
Aluminiums und fixirt ihre Basen in durch Färben nachweisbarer Form. Ueberläſst man
z.B. die mit Chlorkalk in bekannter Weise behandelten Baumwollstreifen während 20
Minuten bei 40° in einem Alaunbade (150g in 1l), so geben die gechlorten Stellen nach
gründlichem Waschen Roth mit Alizarin. Aehnlich verhalten sich Sulfat und Acetat des
Aluminiums. Ebenso werden SnCl2, CuSO4, Cd(NO3)2, Pb(NO3)2 u. dgl. durch die oxydirte Faser gebunden und
können auf letzterer durch die für sie charakteristischen Reactionen nachgewiesen
werden. Fixirt man z.B. in dieser Weise Quecksilbersublimat, so erhält man nach dem
Waschen durch Eintauchen in eine Lösung von Kaliumquecksilberjodid ein lebhaftes
Orange von gefälltem Quecksilberjodid.Aus einer kochenden alkalischen Lösung von Kupfertartrat reducirt die
oxydirte Baumwolle Kupferoxydul, welches auf ihr fixirt bleibt, – ein
Zeichen, daſs sie in chemischer Beziehung von der gewöhnlichen Cellulose
verschieden ist.
Am interessantesten ist das Verhalten des Vanadiums, welches in hohem Grade die
Eigenschaft besitzt, sich auf der oxydirten Baumwolle niederzuschlagen. Durch
Anilinschwarzbildung ist diese Erscheinung leicht zu erkennen. An und für sich entwickelt sich das
Anilinschwarz nur unvollkommen und mit groſser Langsamkeit auf der oxydirten
Baumwolle und verhält sich letztere merkwürdigerweise in dieser Hinsicht wie die
thierische Faser, d.h. sie bildet sozusagen Reserve gegenüber jener Farbe.
Klotzt man das oxydirte Gewebe mit einer Lösung von 0g,1 Vanadium in 1l Wasser (3l Vanadiumbad auf 1m Zeug), wäscht vollständig, trocknet und druckt eine metallfreie
Anilinschwarzmischung auf, so erhält man beim Hängen Schwarz. Die
Anilinschwarzbildung geht hierbei nicht etwa am schnellsten auf den am stärksten
oxydirten Stellen vor sich; denn obgleich letztere dem Vanadium gegenüber die
gröſste Absorptionskraft entwickeln, so äuſsert sich andererseits der Anilinschwarz
reservirende Einfluſs, welcher die Wirkung des Vanadiums zum Theile aufhebt. Am
besten lassen sich auf diesem Wege die genannten Erscheinungen mit schwach und
gleichmäſsig oxydirter Baumwolle darthun, wie sie z.B. durch 1 stündiges Verweilen
in 2° B. starker Chlorkalklösung bei gewöhnlicher Temperatur erhalten wird.
Witz ist mit seinen Vanadiumverdünnungen bis zu den
äuſsersten Grenzen gegangen. Er hat durch Verdünnen eine Lösung von 1g Vanadium in 10000cbm Wasser hergestellt, 30l dieser
Lösung auf 10m oxydirten Stoff einwirken lassen
und auf diese gewaschene Probe, vergleichsweise mit einem bloſs mit Wasser
behandelten Stücke, eine metallfreie Anilinschwarzmischung gebracht. Nach 15
stündigem Hängen trat der Unterschied in deutlichster Weise zu Tage. Ja noch weiter
hat Witz die Verdünnung getrieben und dabei stets
gefunden, daſs die oxydirte Baumwolle aus solchen schwachen Lösungen das Vanadium
anziehen und auf sich anhäufen konnte in der Art, daſs sie die Schwarzbildung
zulieſs. Es ist wohl kaum je in der analytischen Chemie ein Nachweis von gröſserer
Schärfe und Empfindlichkeit geführt worden.
Die atmosphärische Luft äuſsert auf die Dauer denselben Einfluſs auf die Baumwolle
wie die Hypochlorite. Lange Jahre der Luft ausgesetzte Vorhänge, bei welchen die
Faser bis zur Zerreibbarkeit geschwächt war, färbten sich mit Methylenblau dunkel an
und waren also in „Oxycellulose“ übergegangen, wie Witz
hier und da die durch Oxydation veränderte Cellulose nennt. Licht beschleunigt die
Wirkung der Luft.
Wasserstoffsuperoxyd und Ozon spielen dieselbe Rolle. Anläſslich des letzteren
bemerkt Witz, daſs von Ozon im Vergleiche zur Schönheit
der erzielten Töne beim Färben in Blau die Faser verhältniſsmäſsig am schwächsten
angegriffen werde. Wolle und Seide, mit Ozon behandelt, nehmen in den Farbbädern
viel kräftigere Färbungen an wie im normalen Zustande. Es liegt hierin nach Witz eine Fülle neuer und fruchtbringender Anwendungen
verborgen und wahrt er sich bei dieser Gelegenheit sein Prioritätsrecht in Bezug auf
„die Verwendung des Ozons, der Hypochlorite und anderer oxydirender Stoffe
zum Zwecke einer derartigen Veränderung der thierischen und pflanzlichen Faser,
daſs sie, ohne eine nennenswerthe Schwächung erlitten zu haben, gewisse
Farbstoffe mit oder ohne Mitwirkung von Beizen besser zu fixiren
vermag“.
Um die neue Reaction für den Baumwolldruck nutzbar zu
machen, nimmt Witz die Chlorate zu Hilfe. Die
Chlorsäure kann die Hypochlorite ersetzen, wenn sie unter solchen Umständen mit der
Faser in Berührung gebracht wird, daſs sie unter dem Einflüsse fremder ihr
beigegebener Reagentien in Sauerstoff und wenig beständige Chloroxydationsproducte
zerfällt. Vanadium zersetzt bekanntlich die Chlorsäure am leichtesten und
schnellsten. Gesättigte Kaliumchloratlösung, mit etwas weniger als der zur
Freimachung der Chlorsäure nöthigen Menge Salzsäure versetzt, mit Traganthgummi
verdickt und mit 10mg Vanadin im Liter versehen,
wird aufgedruckt. Beim Trocknen bei einer Temperatur von 50 bis 60° tritt die
Reaction ein, welche die Bildung von Oxycellulose zur Folge hat. Die Menge des
Chlorates und des Vanadiums kann je nach der Temperatur und der Dauer der Einwirkung
vermindert werden. Dämpfen scheint weniger günstig zu wirken wie warme Luft. Rasches
scharfes Trocknen entwickelt starken Chlorgeruch und gibt zu kräftiger Oxydation
Veranlassung, ohne indeſs von einer bemerkenswerthen Schwächung des Gewebes
begleitet zu sein. Zum Drucke sind Compositions-Abstreichmesser den stählernen
vorzuziehen. Obgleich die Hauptwirkung der Chlorsäure beim Trocknen in der heiſsen
Luft sich äuſsert, so kann man nachher doch noch einige Stunden in einem warmen
Lokale verhängen, immerhin bei guter Lüftung, um Angriff durch die sauren Dämpfe zu
verhüten.
Auch Chromate lieſsen sich praktisch verwenden: Gewebe wird mit einer 10procentigen
Lösung von Kaliumbichromat geklotzt und getrocknet. Hierauf druckt man mit dem
Rouleau einen mit 15 Proc. Oxalsäure versehenen lauwarmen Stärkekleister auf. Nach
dem Trocknen, wobei die Oxydation stattfindet, wäscht man, reinigt durch verdünnte
Säuren und wäscht wieder. Beim Ausfärben in kalter Methylenblaulösung heben sich in
kurzer Zeit (10 Minuten) die aufgedruckten Zeichnungen in dunkelblauer Farbe vom
hellblauen Grunde ab.Die Anwendung in der Färberei ergibt sich von
selbst. Das Bad bestellt aus bei gewöhnlicher Temperatur gesättigter
Kaliumchloratlösung, enthaltend auf 1 Mol. KClO3 weniger wie 1 Mol. HCl, aber mehr wie ⅕ Mol., sowie im Liter
0g,01 Vanadium in Form von Chlorür.
Die Baumwolle wird in Gestalt von Büscheln, Gespinnst oder Geweben, roh oder
ausgelaugt, in die Lösung eingetaucht und alsdann ausgepreſst; oder man
setzt dieselbe nach dem Eintauchen rasch der Wirkung der Hitze von ungefähr
60° aus, bis die Bildung der chlorigen Säure sich durch Dämpfe oder
gelbliche Färbung bemerkbar macht. Oder man benutzt als Bad eine bei
gewöhnlicher Temperatur gesättigte Kaliumbichromatlösung, angesäuert durch 1
bis 2 Mol. Salzsäure oder Schwefelsäure auf 1 Mol. K2Cr2O7. Die Baumwolle wird ½ Stunde in diese
Flüssigkeit getaucht, wobei die letztere leicht gewärmt werden kann, um die
Wirkungskraft zu vermehren; oder es wird etwas Wasser zugefügt, um die
Lösung zu verdünnen und die Wirkung zu schwächen. In jedem Falle wird nach
vollendeter Oxydation gut gewaschen und kann hierauf zum
Ausfärben geschritten werden.
Die Farbstoffe theilen sich übrigens, bezüglich des Verhaltens gegenüber der
oxydirten Baumwolle, in zwei Klassen: in angezogene und abgestoſsene (matières tinctoriales repoussées). Die letzteren
färben die Baumwolle im oxidirten Zustande selbst weniger wie im gewöhnlichen. Es
gehören hierher die sauren Azofarbstoffe, wie Ponceau, Bordeaux, die sauren
Farbstoffe von Phenolnatur im Allgemeinen, die Phtaleïne, dann die Farbamine, welche
durch Einführung von sauren Gruppen sauren Charakter erworben haben, wie Fuchsin S,
die sulfonirten Diphenylaminblau u.s.w. Die Farbstoffe basischer Natur, wie die
Rosaniline und substituirten Abkömmlinge, im Allgemeinen also diejenigen, welche
unlösliche Tannate bilden, gehören in die Reihe der angezogenen Farbmaterien. Witz bringt schöne Muster von durch Oxycellulose
fixirtem Methylenblau, Malachitgrün, Safranin, Bismarckbraun.
So lebhaft und kräftig diese also ohne Verwendung jegliche Mordants auf der Faser
befestigten Farben sind, so widerstehen sie doch schlecht alkalischen Einflüssen.
Schon bloſses nachhaltiges Waschen mit heiſsem Wasser vermindert fortschreitend ihre
Stärke und von Widerstandsfähigkeit gegenüber Seifenbädern ist keine Rede. Es ist
dies ihre schwache Seite, welche sich um so ungelegener in den Vordergrund drängt,
als sonst bezüglich der Lichtbeständigkeit diese neuen Oxycellulose-Farblacke mit
den gewöhnlich praktisch verwendeten Tannin- und anderen Lacken den Vergleich
aushalten. So fanden wir wenigstens, daſs mehrwöchentlich belichtetes Methylenblau,
auf oxydirte Baumwolle gefärbt, ebenso gut widerstand wie mit Tannin und
Brechweinstein fixirtes.
Die merkwürdige Absorptionsfähigkeit, welche die sogen. Oxycellulose gegenüber den
Amin ähnlichen Farbstoffen entwickelt, ist jedenfalls eine Errungenschaft, welche
von dem gerügten Fehler zu befreien und der praktischen Anwendung zu sichern es
durch gewisse Veränderungen der Bedingungen oder Zuzug fremder Hilfsmittel wohl
gelingen möchte. Zum Voraus ladet die Animalisirung der Cellulose ein zur
Präparation gemischter Gewebe (chaîne-coton) behufs
gleichzeitiger und gleichmäſsiger Anziehung derselben Farbstoffe.
Durch die vollständige Entfernung der Farbstoffe von der oxydirten Baumwolle büſst
letztere von ihrem beizenden Charakter nicht das Geringste ein. Wird z.B. das
Methylenblau durch Behandlung mit 4grädiger Salzsäure und durch wiederholte leichte
siedende Seifenbäder vollständig „abgezogen“, so kann an seiner Stelle Grün
ebenso gut aufgefärbt werden wie auf frischer, nie gefärbter Oxycellulose. Das Grün,
durch dieselben Mittel zum Verschwinden gebracht, läſst sich durch Safranin ersetzen
– das letztere durch Anilinbraun – und entfernt man selbst dieses wieder, so läſst
sich durch abermaliges Ausfärben in Methylenblau das letztere in ursprünglicher
Tonhöhe fixiren. Nur markirt sich hierbei die Schwächung des Gewebes in leichtem
Grade.
In einem Worte stellt die Oxycellulose, auf dem Wege des Druckes in oben angegebener
Weise erhalten, einen unveränderlichen Mordant dar, der
selbst durch concentrirte Salzsäure, durch Schwefligsäure, durch kaustische
Alkalien, durch neutrale oder alkalische oxydirende Mittel, durch kochendes Wasser,
Alkohol u. dgl. nichts von seinen kostbaren Eigenschaften verliert. Wie viel anders
verhalten sich unter diesen Verhältnissen die gewöhnlichen Beizen!
Auf überraschende Weise hat Witz durch die von ihm an
der Oxycellulose beobachteten Erscheinungen einige praktische, fast schon der
Vergessenheit anheimgefallene Räthsel gelöst. Im Jahre 1876 empfahl C. F. Brandt (vgl. 1875 215
453. 1877 223 331) Färben der Anilinschwarzartikel in
Anilinviolett, um das „Vergrünen“ zu verhüten. Das Violett wird angezogen
und, mit dem Grün bekanntlich Blau gebend, verhindert es das Auftreten des
häſslichen grünen Tones. Warum fixirte das Schwarz jenen Anilinfarbstoff? Diese
Eigenthümlichkeit blieb unerklärt. Heute wissen wir, daſs bei der Umwandlung des
Anilins in Schwarz durch Chlorat das Gewebe ebenfalls eine mehr oder weniger
kräftige Oxydation erleiden kann; die hierhei gebildete Oxycellulose war es also,
welche in jenem Falle die Rolle der Beize spielte.
Balanche (1869) klotzte Anilinschwarz, in Streifenform
aufgedruckt, in verdickter Anilinviolettlösung. Bei längerem Aufenthalte der
aufgerollten Stücke, vor dem Trocknen, wurde das Violett vom Schwarz absorbirt
derart, daſs auf dem violetten Boden die schwarzen Streifen, getreu in Weiſs copirt,
sichtbar wurden. Dieselbe Erklärung gilt hier.
Im J. 1873 beobachtete Jeanmaire (vgl. 1874 214 76) eine Desorganisation der Pflanzenfaser durch
Alkalien nach vorhergehender Einwirkung gewisser oxydirender Mittel. Eine
Chromgelbfarbe schwächte bei der Umwandlung in Orange durch ein heiſses Kalkbad die
Faser in ganz bedeutendem Maſse. Auch hierbei hatte die Chromsäure Oxycellulose
gebildet, welche unter alkalischem Einflüsse in der Wärme eine tiefer gehende
Desorganisation erleidet. Witz hatte ebenfalls
festgestellt, daſs die oxydirte Baumwolle beim Kochen mit Soda oder Natron haltigem
Wasser bis zum Verbrennen angegriffen wird. Sie färbt sich hierbei in ein fahles
Gelb (dieselbe Färbung, welche er unter dem Einflüsse des Dämpfens bemerkt hatte)
und gibt an das Bad ebenfalls eine gelb bis braun färbende Substanz ab.
Es läſst sich demnach leicht erkennen, ob auf Indigo weiſse oder gelbe Muster durch
Schutzpappen oder durch Aetzung (K2Cr2O7) hervorgebracht
worden sind. Im letzteren Falle schwächen sich die betreffenden Stellen durch
Behandlung mit Alkalien (Jeanmaire), oder färben sich
in Methylenblaulösung (Witz). Wendet man als Aetzmittel
für Indigo rothes
Blutlaugensalz und Natronlauge an, so leidet die Festigkeit der Faser nicht.
Ueberhaupt bilden oxydirende Stoffe in alkalischer Lösung keine Witz'sche Oxycellulose.
Cross und BevanJournal of the Chemical Society,
1883. haben gleichzeitig mit Witz die
Oxydation der Baumwollfaser bearbeitet und dabei in analytischer Hinsicht positive
Zahlen zu Tage gefördert. Durch Kochen mit 60procentiger Salpetersäure wird die
Cellulose langsam in Oxalsäure übergeführt; diese Zersetzung geht in 3 Perioden vor
sich. Im ersten Grade findet vollständige Zerstörung der Structur der Faser statt,
welche hierbei die Girard'sche Hydrocellulose bildet.
Als Endproduct des dritten Zustandes liefert letztere Oxalsäure. Ein gewisser Theil
der Hydrocellulose weicht jedoch nur langsam dem Angriffe der Salpetersäure und
verwandelt sich erst in ein oxydirtes Zwischenproduct, welches die Verfasser mit der
Bezeichnung Oxycellulose belegen. Die Verbrennung des gereinigten Productes liefert
Zahlen, welche mit der Formel C18H26O16 stimmen. Die
Oxycellulose löst sich leicht in verdünnten Alkalien und wird aus der Lösung in
einer der Pectinsäure ähnlichen Form gefällt durch Säuren, Alkohol, Salzlösungen, ja
selbst durch die Lösung concentrirter Alkalien. Der Niederschlag enthält nur Spuren
unorganischer Substanzen, ein Beweis, daſs die Oxycellulose mit Basen keine
Verbindungen oder nur schwache eingeht.
Witz, welcher von dieser Arbeit Notiz genommen,
betrachtet seine Oxycellulose als verschieden von derjenigen Cross und Bevan's. Durch Behandlung der von
ihm erhaltenen oxydirten Baumwolle mit Alkalien wird wahrscheinlich die eigentliche,
von den englischen Verfassern analysirte Oxycellulose gelöst und entfernt. Die
gewaschene Faser behält aber dennoch ihre Anziehungskraft den Farbstoffen gegenüber.
Sie enthält also ein Derivat der Cellulose, welches nicht identisch ist mit dem
Oxydationsproducte der Genannten, und dieses Derivat ist es, auf welches Witz die Originalität und Neuheit seines der
praktischen Verwendung fähigen Verfahrens zur Vorbereitung spinnbarer Fasern zum
Färben und Drucken mittels oxydirender Mittel gründet.
Die Witz'schen Neuerungen beziehen sich übrigens nicht
nur auf Baumwolle, bastartige und holzartige Fasern, Wolle und Seide u. dgl.,
sondern auch andere Stoffe thierischen und vegetabilischen Ursprunges, wie Wolle,
Haare, Hörn, Schuppen, Haut, Federn, Schwämme, Knochen, und unlösliche Proteinstoffe
im Allgemeinen, können ebenfalls durch das neue Verfahren so umgewandelt werden,
daſs sie die nämlichen Eigenschaften wie die Spinnfasern in Bezug auf das Färben
erhalten. Was den Flachs betrifft, so braucht man zur Oxydation desselben gewöhnlich
weniger starke Mittel, da derselbe je nach der Verbindung der einzelnen Fasern unter
einander sich mehr oder weniger leicht oxydiren läſst. Für animalische Stoffe
wendet man die nämlichen Oxydationsmittel, nur etwas weniger stark, an, sowohl in
Bezug auf die Concentration der einzelnen Bestandtheile, als auch in Bezug auf den
Wärmegrad und die Dauer des Arbeitsprozesses.