Titel: | Versuche mit gepresster Schiessbaumwolle. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 250, Jahrgang 1883, S. 456 |
Download: | XML |
Versuche mit gepreſster
Schieſsbaumwolle.
M. v. Förster, über Versuche mit gepreſster
Schieſsbaumwolle.
Max v. Förster hat eine Reihe von Versuchen mit
gepreſster Schieſswolle durchgeführt und das Ergebniſs derselben soeben
veröffentlicht.Versuche mit comprimirter Schieſsbaumwolle in der Schieſsbaumwollfabrik Wolff und Comp. in Walsrode, ausgeführt von
deren Leiter Max v. Förster. 16 S. Mit 2
Figurentafeln. (Berlin 1883. E. S. Mittler und
Sohn.) Zweck der Versuche war, die vortheilhafteste
Verwendungsweise für gepreſste Schieſsbaumwolle zur Erzielung des gröſstmöglichen
Nutzeffectes zu finden. Zu diesem Behufe hat v. Förster
einen Bleicylinder von 0m,046 Durchmesser und
wechselnder Höhe auf eine Eisenplatte gestellt und auf ihm die Schieſswollpatrone
von 0m,030 Durchmesser und 0m,070 oder mehr Höhe theils elektrisch, theils
durch Zündschnur detonirt. Die Schieſswolle hatte 12,3 Proc. Stickstoffgehalt
(Hauptmann Heſs fand in Schieſswolle aus Kruppamühle
12,17 bis 12,29, in solcher aus Waltham Abbey 12,56 bis 12,67 Proc. Stickstoff), ihr
specifisches Gewicht war von 1,00 bis 1,10, im trockenen Zustande hatte sie 1 Proc.
Feuchtigkeit. Zur Detonirung wurden Zündhütchen von 1g Füllung verwendet.
M. v. Förster's Beobachtungen lassen sich
folgendermaſsen zusammenfassen: 1) Patronen gleichen Durchmessers, aber
verschiedener Höhe, also verschiedenen Gewichtes, haben so ziemlich gleiche Wirkung
geäuſsert, die höheren Patronen eher noch weniger. 2) Patronen mit centraler Bohrung
hatten gröſsere Wirkung als volle. 3) Mit Bariumnitrat gemengte oder nasse
Schieſswolle wirkt besser als trockene; die Wirkung ist offenbar auch weit
brisanter. 4) Je gröſser die Auflagefläche der Schieſswolle, desto gröſseren Raum
beherrschte die Wirkung. 5) Die äuſsere Gestalt der Auflagefläche prägt sich bei der
Detonation genau ab. 6) Die Wirkung ist besser, wenn das Zündhütchen an der dem
Sprengobjecte entgegengesetzten Seite sitzt.
Aus diesen Beobachtungen folgert v. Förster: 1) Eine
Vergröſserung der Ladungshöhe trockener Schieſswolle bei gleichem Durchmesser gibt
keine Erhöhung der Wirkung. 2) Nasse Schieſswolle in verschiedenen Ladungshöhen ist
in allen Theilen von gleicher Brisanz (Abel's
Beobachtung) und die Wirkung wird mit zunehmender Höhe gröſser. 3) Die Ladung soll
möglichst niedrig und in gröſser Fläche verwendet werden. 4) Man gebe den
Detonationsgasen eine bestimmte Richtung und zwar entweder dadurch, daſs man das
Zündhütchen auf der dem Sprengobjecte entgegengesetzten Seite anlegt, oder dadurch,
daſs man die Patrone an der dem Sprengobjecte zugekehrten Seite mit einer Höhlung
versieht.
Die Vorgänge während der Explosion von Sprengmitteln sind zum groſsen Theile noch
unbekannt, weil sie sich meist der Beobachtung entziehen. Aus diesem Grunde muſs
jeder Versuch, dieselben aufzuklären, hoch willkommen sein, und wenn es möglich ist,
aus einzelnen Erscheinungen auf die Allgemeinheit der Sprengstoffe zu schlieſsen,
ist ein Theil der für Civiltechnik und Kriegszwecke gleich wichtigen Aufgabe in
dankenswerther Weise erfüllt. Wir wollen deshalb die von Hrn. v. Förster angestellten mühsamen Versuche eingehender
beleuchten.
Diese Versuche und deren Folgerungen gehen von einem unrichtigen Gesichtspunkte aus:
von der Ansicht, daſs man aus der Wirkung freiliegender Ladungen auf solche im
geschlossenen Räume, wie beispielsweise im Bohrloche oder in einer Granate, richtig
schlieſsen könne. Dies ist aber nicht der Fall. Schon der Vorgang der Explosion ist
ein ganz anderer. Während bei freiliegenden Ladungen die Explosion sich von Schicht
zu Schicht – nehmen wir vorläufig an nur in mathematischen Zeiten – fortpflanzt,
erfolgt sie im geschlossenen Räume nicht nur in dieser Weise, sondern die im ersten
Augenblicke gebildeten Gase üben einen stets potenzirten Druck aus, welcher die
Schwingungen erhöht und sie viel rascher der ganzen Masse mittheilt. Die Thatsache
ist zweifellos und nicht unbekannt, daſs freiliegende Ladungen gewisser Sprengmittel
mit zunehmender Höhe nicht auch an Wirkung zunehmen; sie erklärt sich einfach
dadurch, daſs die Schwingungen einer gewissen Zeit bedürfen, um sich in der ganzen
Masse fortzupflanzen, und daſs nur der unterste Theil der Ladung in direkte
Thätigkeit gelangt, wenn die erforderte Zeit verhältniſsmäſsig groſs ist. Ist aber
die Fortpflanzungszeit so klein, daſs sie nicht in Betracht kommen kann, so wird die
ganze Summe der in den einzelnen Schichten entwickelten Wirkung zur Geltung
gelangen, mit anderen Worten, die höhere Ladung wird auch gröſsere Wirkung haben.
Daraus erklärt sich sehr leicht, warum nasse Schieſswolle in höheren freiliegenden
Ladungen besser arbeitet, während trockene sich gleich bleibt. Die Masse der
trockenen Schieſswolle wird durch die Zwischenlagerung der darin enthaltenen Luft
viel langsamer in Bewegung versetzt, als wenn sie von Wasser allseitig umgeben ist,
das bekanntlich auf weite Entfernungen hin den Stoſs ungeschwächt weiter vermittelt.
Bei trockener Schieſs wolle ist die Wirkung der oberen Schichten bereits in die
umgebende Luft übergegangen, wenn die unteren Schichten erst in Bewegung versetzt
werden. Mit demselben Gedankengange erklärt es sich auch, warum Patronen mit
centraler Bohrung besser arbeiten als volle. Das Zündhütchen gibt den Anfangsimpuls
an die Patrone ab; die Schwingungen pflanzen sich um so rascher fort, je gröſser
ihre Anfangsgeschwindigkeit war und je mehr freie Fläche sie vorfinden. In der
Bohrung, auf welche von oben her der Druck des Knallquecksilbers wirkt, werden die
Schwingungen natürlich gleichfalls und gewissermaſsen concentrirt fortgepflanzt; die
geleistete Arbeit muſs also gröſser werden. Schieſswolle, als ein sehr brisantes
Sprengmittel, muſs notwendigerweise in freiliegenden Ladungen hauptsächlich dort die
meiste Wirkung ausüben, wo die Schwingungen direkt auftreffen, und je rascher dies
erfolgt (selbstverständlich auch je kräftiger das Sprengmittel ist), desto gröſser
wird der örtliche Eindruck sein.
Aus alledem folgt von selbst, daſs mit zunehmender Auflagefläche die örtliche Wirkung
gröſser wird und daſs die äuſsere Gestalt der ersteren sich abprägt. Wir haben
jedoch aus den Abbildungen der gestauchten Bleicylinder und Eisenplatten eine
weitere Beobachtung gemacht. Wurden gehöhlte Patronen auf Bleicylindern detonirt, so
erfolgte der Eindruck auf den dem vollen Theile der Patrone gegenüber stehenden
Punkten; auf Eisenplatten jedoch war stets eine der Höhlung der Patrone
entsprechende Ausbauchung vorhanden. Dies erklärt sich daraus, daſs das plastische
Blei dem Stoſse sofort nachgab, während das relativ wenig zusammendrückbare Eisen,
einem physikalischen Gesetze folgend, sich in dem inmitten des peripherischen
Druckes gebildeten freien Räume einbauchte. Daſs die Wirkung kleiner ist., wenn das
Zündhütchen sich zwischen Ladung und Sprengobject befindet, ist nur natürlich, da ja
die Schwingungen in einer dem letzteren entgegengesetzten Richtung erregt
werden.
Es wäre nach dem Obigen unrichtig, wollte man die Folgerungen v, Förster's auch auf Ladungen in geschlossenem Räume ausdehnen. Die
tägliche Erfahrung zeigt uns ja, daſs die Wirkung langer wie kurzer
Bohrlochsladungen im ungefähren Verhältnisse zu ihrem Gewichte steht, ja daſs dies
selbst bei Pulver der Fall ist, welches zu freiliegenden Ladungen der kleinen Zahl
und der geringen Schnelligkeit seiner Schwingungen wegen nicht zu verwenden ist. Es
dürften sich überhaupt so manche Vorgänge bei der Explosion leichter erklären
lassen, wenn die absolute Richtigkeit einer Theorie angenommen werden kann, welche zuerst F. Abel zur Erklärung der verschiedenen
Aufeinanderwirkung von Schieſswolle und Dynamit andeutete und die ich im Allgemeinen
als Theorie der Explosion aufstellen möchte: Die Explosion
eines Sprengmittels erfolgt durch Versetzung desselben in eine groſse Anzahl
molekularer Schwingungen, welche durch plötzlichen Druck oder durch Wärme oder
gleichzeitig durch beide erregt werden; je gröſser die Anzahl der Schwingungen,
desto rascher erfolgt die Explosion, je groſser die entwickelte Wärme, desto
kräftiger ist die Wirkung; – sind beide Umstände in gesteigertem Maſse
vorhanden, so ist die Wirkung am bedeutendsten.
M. v. Förster hat auch noch Versuche angestellt, um
Schieſswolle wasserdicht zu machen. Er taucht sie zu
diesem Zwecke in Aether, Essigäther u. dgl., wodurch sich auf ihr eine dünne, aber
feste Haut bildet, welche gegen das Austrocknen nasser Schieſswolle einige Wochen,
gegen die Aufnahme von Wasser durch trockene Schieſswolle wohl nicht länger als
einen Tag sicher schützt. Um Schieſswollpatronen deshalb vollständig wasserdicht zu
machen, taucht er sie in flüssiges Paraffin und überzieht nur das Loch zur Aufnahme
des Zündhütchens mit Aether. v. Förster behauptet, daſs
die Schieſsbaumwolle durch das Eintauchen in Aether sich löse und also die Haut
bilde. Dies ist nicht richtig. Nach Muspratt löst sich
die Schieſsbaumwolle weder in Aether, noch in Essigäther, sondern es ist die
Binitrocellulose oder Collodiumwolle, welche sich in diesen Aethern löst, und auf
dieser Eigenschaft beruht die Methode des Hauptmanns Heſs zur Bestimmung des Gehaltes an Trinitrocellulose in der
Schieſsbaumwolle. Was also v. Förster beobachtete, ist
nur eine Lösung der niedrigen Nitrationsstufen an der Oberfläche der Patrone und
daraus erklärt es sich auch, warum sich in der Haut feine Risse befinden und
Wasserdichtigkeit nicht erzielt wird. Das Eintauchen in Paraffin muſs, nach unseren
auch bei Pulver gemachten mehrjährigen Erfahrungen, nahe dem Schmelzpunkte desselben
erfolgen, weil dünnflüssiges Paraffin zu tief in die Patrone eindringt und durch die
Unebenheiten der Patronenoberfläche Luftblasen oder nicht überzogene Stellen
entstehen.
M. v. Förster beobachtete endlich, daſs eine seit 1878
in seinem Besitze befindliche Schieſswollpatrone, welche bei der Erzeugung nicht
genügend von Säure befreit wurde, jetzt eine grünliche Masse von veränderter
Structur und Aussehen bildet, gedrückt eine klebrige Flüssigkeit von sich gibt,
sauer riecht, mit weiſser Flamme brennt, kurz alle Merkmale der Selbstzersetzung an
sich trägt, – eine Beobachtung, welche schon de Luca,
Pelouze und Maurey machten. M. v. Förster folgert daraus, daſs die Selbstzersetzung
nicht unter Feuererscheinung vor sich gehe, und er glaubt, daſs ein Abbrennen der
Schieſswolle durch Selbstzersetzung niemals vorgekommen sei. Eine solche Folgerung
kann jedoch aus dieser einen Beobachtung nicht gezogen, vielmehr muſs die
Möglichkeit der Selbstzersetzung unter Feuererscheinung entschieden angenommen
werden. Man hat sehr häufig beobachtet, daſs während der Nitrirung von Glycerin oder
Baumwolle bei Ueberschreitung der Temperatur unter starker Entwickelung von
Untersalpetersäure-Dämpfen ein allmähliches „Aufzehren“, eine Zersetzung
eintrat, ohne Entzündung hervorzurufen. Aber ebenso wurde auch das Gegentheil schon
oft genug gefunden. Es ist ein Unterschied, ob die in der Schieſswolle enthaltene
Säuremenge klein oder groſs ist, die Zersetzung also langsam oder rasch erfolgt;
denn davon hängt ja der Grad der Wärme-Entwickelung ab und die Aufbewahrung in
trockenem Räume und in einer Kiste ist gewiſs nicht zur Beschleunigung des
Zersetzungsvorganges geeignet.
Oscar Guttmann.