Titel: | Ueber die Titrirung von schwefliger Säure und deren Salzen; von G. Lunge. |
Autor: | Georg Lunge [GND] |
Fundstelle: | Band 250, Jahrgang 1883, S. 531 |
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Ueber die Titrirung von schwefliger Säure und
deren Salzen; von G. Lunge.
Lunge, über die Titrirung von schwefliger Säure.
Die schweflige Säure steht zwischen den starken und schwachen Säuren in der Mitte.
Früher wurde wohl allgemein angenommen, daſs ihre wässerige Lösung sich mit Lackmus
ganz wie die stärkeren Mineralsäuren titriren lasse, d.h. daſs der Farbenumschlag
eintritt, wenn auf 1
Mol. SO2 2 Mol. NaOH kommt. Bekanntlich ist
neuerdings der Lackmus als Indicator in vielen Fällen durch das Methylorange ersetzt
worden, welches für die Titrirung von kohlensauren Salzen oder Schwefelalkalien
auſserordentlich viel mehr Bequemlichkeit besitzt. Dagegen ist dasselbe nicht
anwendbar mit organischen Säuren, wie ich gleich in meiner ersten Mittheilung
darüber erwähnt hatte, und dies ist auch durch die schöne und fast erschöpfende
Untersuchung von R. T. Thomson (Chemical News, 1883 Bd.
47 S. 136, vgl. auch S. 182 d. Bd.) durchaus bestätigt worden. Das Verhalten der
schwefligen Säure hatte ich bei meinen ersten Untersuchungen, welche viele
Azofarbstoffe betrafen, nicht speciell gegen Methylorange probirt; im vorigen Jahre
holte ich dies nach und erwähnte in der Chemikerzeitung, 1882 S. 1249, daſs man schweflige Säure ebenso gut mit
Methylorange wie mit Lackmus titriren könne und mit beiden Indicatoren identische
Resultate bekomme.
Seitdem ist nun obige Untersuchung von Thomson
erschienen, aus welcher die recht wichtige Thatsache erhellt, daſs die Salze der
schwefligen Säure in Bezug auf Indicatoren zweierlei Art von Neutralität zeigen.
Gegenüber Phenolphtaleïn und Rosolsäure ist das Salz Na2SO3 das neutrale; man braucht nur 0cc,2 Zehntelnormalsäure zuzusetzen, um den
Farbenübergang zu bekommen. Dagegen ist gegenüber Lackmus, Phenacetolin und
Methylorange NaHSO3 das neutrale Salz; der
Farbenumschlag tritt ein, wenn zu einer Lösung von Na2SO3 so viel Normalsäure gesetzt ist, daſs
gerade die Hälfte des Natrons damit gesättigt ist. Die beiden ersten Indicatoren
geben dabei sehr unbestimmte Endreactionen, während dieselbe bei Methylorange
durchaus scharf und bestimmt auftritt.
Thomson hatte mithin meine Beobachtung bestätigt, wonach
man beim Titriren von schwefliger Säure dieselben Resultate mit Methylorange wie mit
Lackmus bekommt; nur hatte er die neuen Thatsachen hinzugefügt, daſs man mit
Methylorange einen schärferen Uebergang bekommt und daſs beide Indicatoren auf 1
Mol. NaOH 1 Mol. SO2 anzeigen, also das doppelte der
bisher angenommenen Menge. Da dies für die analytischen Methoden zum
Fabrikgebrauche, mit denen ich mich namentlich in den letzten Jahren sehr viel zu
beschäftigen Gelegenheit gehabt habe, von groſser Wichtigkeit war, so muſste ich
eine Prüfung seiner Behauptungen anstellen, um mich von deren Richtigkeit zu
überzeugen. Ich würde es kaum für nöthig finden, darüber etwas zu veröffentlichen,
wenn nicht bei den betreffenden Versuchen, welche Hr. Fr.
Nötzli in meinem Laboratorium gemacht hat, etwas Neues herausgekommen wäre.
Solche Versuche waren namentlich wünschenswerth, weil Thomson keine Versuche mit Bisulfit, NaHSO3, oder mit freier schwefliger Säure angestellt hatte, und dies wurde nun
nachgeholt.
Eine Lösung von schwefliger Säure in Wasser, deren Gehalt an SO2 durch Jodtitrirung genau ermittelt worden war, wurde mit Normalkali
titrirt und nach eingetretenem Farbenwechsel mit Normalsäure zurücktitirt. Bei 3
Versuchen mit Lackmus und 3 solchen mit Phenacetolin waren die Farbenübergänge sehr
langsam. Bei Lackmus speciell ging das Roth in rosa über und wurde allmählich
blauer, aber erreichte erst bei Zusatz von 2cc,40
Normalkali das Blau einer zur Controle gebrauchten Lackmustinctur. Der Zeitpunkt, wo
sich dem Roth das erste Blau beimischt, war durchaus nicht genau festzustellen; es
wurde also auf entschiedenes Blau gearbeitet. Nun wurde zurücktitrirt und 1cc,30, 1cc,20
bezieh. 1cc,25 Säure gebraucht, um ein deutliches
Roth wieder herzustellen.
Bei Phenacetolin braucht man ebenfalls 2cc,40 Kali
bis zum deutlichen Roth, und 1cc,20, 1cc,20 bezieh. 1cc,25 Säure zurück bis Gelb. Bei Methylorange dagegen schlug schon nach
Zusatz von 1cc,20 Kali bei allen Versuchen die
Farbe sofort aus Roth nach ganz schwach Gelblich um und ein einziger Tropfen Säure
genügte, um das Roth wieder herzustellen. Bei Phenolphtaleïn und Rosolsäure braucht
man in 6 Versuchen 2cc,3 und 2cc,4 Kali, mit scharfem Uebergange in Roth. Die
Berechnung zeigt, daſs 2cc,46 Kali nöthig waren,
um K2SO3 zu bilden.
Hiermit stimmt das Resultat bei Phenolphtaleïn und Rosolsäure unter allen Umständen
und bei Lackmus, wenn man auf entschiedenes Blau
geht; ganz entsprechend bei Phenacetolin. Dagegen braucht man nur 1cc,2 entspr. KHSO3, bei Methylorange unter allen Umständen, bei Lackmus
(ähnlich bei Phenacetolin) wenn man mit Säure auf entschieden Roth
zurücktitrirt.
Hieraus ergibt sich, daſs Lackmus und, Phenacetolin zum Titriren von schwefliger
Säure durchaus zu verwerfen sind; denn da ganz verschiedene Resultate erhalten
werden, je nachdem man auf Blau oder auf Roth titrirt, so hört jede Sicherheit auf,
um so mehr, als es ein geübtes Auge und Geduld braucht, um auch nur die obigen
Resultate zu erreichen. Dagegen sind die anderen Indicatoren gleich gut brauchbar;
nur muſs man im Auge behalten, daſs Methylorange auf 1 Mol. KOH ein ganzes Molekül
SO2 (64), Phenolphtaleïn und Rosolsäure nur ein
halbes Molekül oder ein Aequivalent SO2 (32)
anzeigen; nur letzteres stimmt mit der früheren Annahme, alles dagegen mit den
Resultaten von Thomson.
Das Obige wird bestätigt durch weitere Versuche mit schwefligsauren Salzen. Als man
zu einer Lösung von Na2SO3, welche 0g,3136 SO2 enthielt, nach Zusatz von Lackmus Normalsäure
setzte, so brauchte man 4,7 bis 4cc,75, bis
deutlich Roth und genau ebenso viel Normalkali beim Zurücktitriren auf Blau. Absolut
dasselbe trat bei Phenacetolin ein. Bei Methylorange brauchte man stets 4cc,85 Säure bis Roth; der erste Tropfen Kali
genügte zur Wiederentfernung des Roth. Zur Bildung von NaHSO3 hätte man 4cc,90
Normalsäure gebraucht. Man kann demnach mittels Methylorange das normale Natriumsulfit auf seinen Gehalt an SO2 titriren; nicht aber mit Phenolphtaleïn oder
Rosolsäure, denn bei diesen gibt Säure keine Farbenänderung und der erste Tropfen
Alkali gibt Roth.
Bei saurem Sulfit, NaHSO3, brauchte man mit Lackmus
und Phenacetolin in 6 Versuchen 1,30 bis 1cc,40
Kalilauge bis zur bestimmten Aenderung und genau so viel bei Rosolsäure und
Phenolphtaleïn; aber bei diesen wurde durch den ersten Tropfen Säure die frühere
Farbe zurückgebildet, während bei Lackmus und Phenacetolin genau ebenso viel Säure
dazu nöthig war, als vorher Alkali gebraucht wurde. Gegen Methylorange verhielt sich
NaHSO3 völlig als ein neutrales Salz.
Das Neue an diesen Versuchen ist also das ganz abnorme Verhalten von Lackmus und
Phenacetolin gegen schweflige Säure und deren Salze.