Titel: | Ueber die Einwirkung von Natron, Kalk und Magnesia auf die Salze des Ammoniaks und organischer Amine sowie über die Titrirung von Anilin; von G. Lunge. |
Autor: | Georg Lunge [GND] |
Fundstelle: | Band 251, Jahrgang 1884, S. 37 |
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Ueber die Einwirkung von Natron, Kalk und
Magnesia auf die Salze des Ammoniaks und organischer Amine sowie über die Titrirung von
Anilin; von G.
Lunge.
G. Lunge, über Austreibung von Ammoniak u. dgl.
Die in der Ueberschrift erwähnte Reaction hat ein doppeltes Interesse, nämlich in
analytischer und in technischer Beziehung – in ersterer, weil es noch immer nicht
entschieden ist, welche jener drei Basen sich am besten zum Freimachen des Ammoniaks
bei der Analyse zeigt. Am nächsten liegt es ja wohl für die Analyse, Natronlauge zu
nehmen, aber Manche werfen dieser zu starkes Stoſsen vor; nach Anderen vermeidet man
bei Anwendung von Kalk besser die Zersetzung der aus dem Theere stammenden
organischen Aminsalze, welche den käuflichen Ammoniaksalzen beigemischt sein können.
Wieder nach Anderen nützt hierbei Kalk nicht mehr als Natron und schreiben diese
vor, Magnesia zur Austreibung des Ammoniaks anzuwenden. Dies geschieht z.B. auch von S. DysonJournal of the Society of Chemical Industry,
1883 S. 230. , welcher aber als Beleg für seine Ansicht, wonach
Kalk mehr flüchtige Basen aus organischen Stickstoffverbindungen freimache als
Magnesia, nichts weiter anführt, als daſs dasselbe Muster bei Destillation mit MgO
nur 2,045, mit CaO 2,152 Ammoniak ergeben habe. Da er nur sehr wenige Versuche
angestellt, überhaupt gar nicht auf die Gegenwart solcher organischer
Stickstoffverbindungen geprüft und auch, so weit man sehen kann, die Zeit der
Destillation nicht in Betracht gezogen hat, so können wir die Sache durchaus nicht
als in seinem Sinne erledigt ansehen. Dyson scheint im
Gegentheile bei Kalk länger als bei Magnesia destillirt zu haben, da er nur bei
ersterem anführt, daſs er beinahe bis zur Trockne gegangen sei, während wir unten
sehen werden, daſs die Destillationszeit von groſsem Einflüsse auf die Resultate
ist.
E. Boſshard hat gezeigtVgl. S. 47 d. Bd. , daſs beim Destilliren von reiner
Ammoniumchlorid-Lösung mit Magnesia bei Beobachtung aller Vorsichtsmaſsregeln
ziemlich gute, aber doch zuweilen etwas zu niedrige Resultate erhalten werden;
dieselben betrugen in 7 Versuchen: 99,4, 99,9, 97,7, 99,7, 99,7, 98,8, 97,3 Procent
der theoretischen Menge. Vermuthlich hatte auch hier die Destillation nicht immer
lange genug gedauert. Für unsere Zwecke ist es aber wichtig, daſs Boſshard beim Kochen mit Magnesia aus Asparagin 7,5 bis
9,5, aus Glutamin sogar 29,2 bis 33,3 Procent des Stickstoffes in Form von Ammoniak
abspalten konnte (von Glutamin beiläufig noch weit mehr, nämlich bis 88,5 Proc. beim
Behandeln nach Schlösing mit Kalkmilch in der Kälte).
Es ist aber schon hierdurch festgestellt, daſs die Magnesia auch aus gewissen
organischen Stickstoffverbindungen Ammoniak in Freiheit setzt. Freilich werden wir
gerade die von Boſshard untersuchten Verbindungen in
Gaswasser oder in käuflichen Ammoniaksalzen nicht vermuthen können; es blieb deshalb
noch immer eine Untersuchung darüber erforderlich, ob die Magnesia aus den in den
letzteren Producten möglicherweise vorkommenden Verbindungen, welche man wohl
wesentlich als dem Typus des Aethylamins oder dem des Anilins, Chinolins u. dgl.
angehörig ansehen kann, die flüchtigen Basen in solcher Form frei macht, daſs sie
auf das Resultat der Titrirung der vorgelegten Absorptionsflüssigkeit einwirken
müssen, was nach Dyson's Annahme (es ist freilich nur
eine solche, nicht eine Beweisführung) nicht der Fall wäre. Die Untersuchung muſste
dann weiter entscheiden, ob – abgesehen von dem erwähnten Umstände – die Anwendung
von Magnesia, Kalk oder Natron gröſsere Vortheile bringe.
Der technische Punkt, welcher durch die Versuche beleuchtet werden sollte, ist der,
ob man im Groſsen die Austreibung des Ammoniaks ebenso gut mit Magnesia wie mit Kalk
ausführen könne. Sehr häufig sind schon Vorschläge gemacht worden, bei welchen diese Reaction ins
Spiel kommt, fast durchgängig in der Absicht, das Chlor des entstehenden
Chlormagnesiums besser auszunutzen, als dies mit dem Chlore des Chlorcalciums
geschehen kann, und zugleich die Magnesia zu regeneriren. Bekanntlich ist dies
namentlich von groſser Wichtigkeit für die Ammoniaksoda-Fabrikation. Auch kommt es
zur Geltung in dem geistreichen Verfahren von Schaffner
und Heibig (vgl. 1882 246
521), welches die Regeneration des Schwefels der Leblancsoda-Rückstände mit dem
Ammoniaksoda-Verfahren combinirt, weil hierbei die Salmiaklösungen mit Magnesia
destillirt werden sollen. Aus diesem Grunde wurde die Untersuchung auch darauf hin
ausgedehnt, ob Natron, Magnesia und Kalk die ihnen entsprechenden Mengen von NH3 in Freiheit setzen, worauf es bei Analysen nicht
ankommt, wo ja stets ein Ueberschuſs der stärkeren Base zugesetzt wird.
Die jetzt zu beschreibenden Versuche der Destillation mit Natron, Kalk und Magnesia
sind in meinem Laboratorium von Hrn. C. Steiger
angestellt, von mir selbst umgerechnet und corrigirt worden; die Versuche mit
direkter Titrirung der organischen Amine habe ich selbst angestellt.
Die Destillationen werden sämmtlich in einem Erlenmeyer'schen Kolben ausgeführt, nachdem es sich gezeigt hatte, daſs dieser
sich dazu weit besser als ein gewöhnlicher bauchiger Kolben eignet. In ersterem
brechen die bei Ueberschuſs von Kalk und Magnesia entstehenden Blasen sich leicht
und sehr selten steigt der Schaum bis in die erste Kugel des Gasentbindungsrohres
(welches mit zwei Kugeln versehen war), während bei Rundkölbchen ein Uebersteigen
nur bei sehr groſser Vorsicht zu vermeiden ist. Die Erhitzung geschah auf einem
Luftbade in der Art, daſs der Kolbeninhalt zum langsamen Sieden kam. Zur Absorption
des NH3 u. dgl. dienten zwei mit Normalsäure
beschickte U-Röhren. Eine vorgängige Kühlung, welche den Apparat schwerfälliger
macht, zeigte sich als ganz unnöthig; ebenso Vorrichtungen gegen das Stoſsen,
welches bei einem Luftbade nie in gefährlicher Weise eintritt.
Die Operation wurde so ausgeführt, daſs die gewogene Menge der einen Substanz in das
trockene Kölbchen eingeführt wurde; dazu kam dann die andere Substanz, ebenfalls im
trockenen Zustande, worauf das Kölbchen sofort verschlossen und durch den
Hahntrichter desselben Wasser einlaufen gelassen wurde. Nur bei Natronlauge muſste
diese von vorn herein durch den Hahntrichter zugegeben werden. Zu Ende der Operation
wurde einige Zeit lang Luft durch den Apparat durchgesaugt. Als Normalsäure diente
Schwefelsäure, welcher der Indicator (Methylorange) gleich beigefügt wurde; nach
Beendigung des Versuches wurde zurücktitrirt. Die verbrauchten Substanzmengen
betrugen zwischen 0,5 und 1g der salzsauren Basen;
der Einfachheit wegen gebe ich im Folgenden sofort die auf Procent berechneten
Resultate:
I) Salmiak und Kalk.
NH4Cl
CaO
Dauer der Destillation
Entwickeltes NH3Theorie = 100
1)
1 Mol.
1,5 Mol.
1,75 Stdn.
76,90
2)
1
1,5
3
100,73
3)
1
1,5
3
98,76
4)
1,5
1
3
99,50
5)
1,5
1
4
99,43
6)
1,5
1
2,75
100,30
II) Salmiak und Magnesia.
NH4Cl
MgO
Dauer der Destillation
Entwickeltes NH3Theorie = 100
7)
1 Mol.
1,5 Mol.
3 Stdn.
100,00
8)
1
1,5
3
98,70
9)
1,5
1
2,75
80,20
10)
1,5
1
3,5
87,21
11)
1,5
1
3
85,9
12)
1,5
1
5
85,4
13)
1,5
1
3,5
87,12
III) Salmiak und
Natronlauge.
NH4Cl
NaOH
Zeitdauer
EntwickeltesNH3 Theorie = 100
14)
1 Mol.
1,5 Mol.
2,75 Stdn.
99,2
15)
1
1,5
3
99,4
16)
1,5
1
1,75
86,98
17)
1,5
1
3,5
99,31
18)
1,5
1
3
99,45
IV) Salmiak und salzsaures
Aethylamin.
Von letzterem wurde dem Salmiak 8 bis 10 Procent seines Gewichtes
zugesetzt; die letzte Spalte zeigt, wie viel Probesäure beim Destilliren gesättigt
wurde, wenn man die durch sämmtliches vorhandene NH3
und C2H5NH2 in Anspruch genommene Säure = 100 setzt:
SalzsaureAmine (NH3+ C2H5NH2)
Mol. derfixen Basen
Dauer derDestillationen
Gesättigte Probe-säure,Theorie =
100
19)
1 Mol.
1,5 CaO
3 Stdn.
99,42
20)
1
1,5 CaO
3
100,61
21)
1
1,5 MgO
3,5
99,20
22)
1
1,5 MgO
3,5
100,09
23)
1
1,5 NaOH
3
98,60
24)
1
1,5 NaOH
3
99,50
V) Salmiak und salzsaures
Anilin.
Hierüber gilt ganz das unter Nr. IV Gesagte. Der Anhang wird
zeigen, daſs beim Titriren mit Methylorange auch das Anilin gefunden werden muſste;
die bei letzterem eintretende Ungenauigkeit der Endreaction kommt bei den geringen
Mengen (0,06 bis 0g,12) des Anilinsalzes neben der
10 fach gröſseren Menge des Salmiaks nicht in Anschlag:
SalzsaureAmine (NH3+ C6H7N)
Mol. derfixen Basen
Dauer derDestillationen
Gesättigte Probe-säure,Theorie =
100
25)
1 Mol.
1,5 CaO
4 Stdn.
99,8
26)
1
1,5 CaO
3,5
100,05
27)
1
1,5 MgO
3,5
100,20
28)
1
1,5 MgO
3,5
99,40
29)
1
1,5 MgO
3
99,30
30)
1
1,5 NaOH
3,5
99,85
31)
1
1,5 NaOH
3
100,80
Aus den Versuchen werden wir folgende Schlüsse ziehen können:
1) Kalk, Magnesia und Natronlauge im Ueberschusse treiben alles NH3 aus Salmiak gut gleich aus. Jedoch darf der Zeitraum der Destillation
nicht erheblich unter 3 Stunden bleiben, sonst treibt auch Kalk oder Natron nicht
die entsprechende Menge NH3 aus (vgl. Versuch 1 und
16). Es ist also bei reinem Salmiak für die Analyse ganz gleichgültig, welche der
drei fixen Basen man anwendet; am einfachsten und reinlichsten ist die Arbeit mit
Natron.
2) Bei Gegenwart von fetten Aminen (Aethylamin) oder aromatischen Aminen (Anilin)
werden diese unter genau den gleichen Umständen wie Ammoniak in Freiheit gesetzt,
d.h. bei Ueberschuſs der fixen Base und 3 stündiger Destillation werden alle
flüchtigen Basen übergetrieben, gleichviel ob man Natron, Kalk oder Magnesia
angewendet hat. Die Anwendung von Magnesia gewährt also nicht den mindesten Vortheil
in der Beziehung, daſs dabei etwa nur das NH3 allein
bestimmt würde. Es ist kaum anzunehmen, daſs andere im Gaswasser oder in den
käuflichen Ammoniaksalzen vorkommende Basen sich anders verhalten sollten (für
Chinolin zeigten Nebenversuche ein mit dem Anilin übereinkommendes Resultat), und
liegt also gar kein Grund dafür vor, die Natronlauge oder den Kalk in der Analyse
durch Magnesia zu ersetzen.
3) Kalk und Natron treiben bei 3 stündiger Destillation mit überschüssigem Salmiak
ihr volles Aequivalent an Ammoniak aus, Magnesia dagegen bei 3 bis 5 stündiger
Destillation nur etwa 85 Procent der theoretischen Menge von NH3 (vielleicht in Folge der Bildung eines nicht
leicht durch Salmiak zerlegbaren basischen Chlormagnesiums). Man muſs also von
Magnesia stets einen Ueberschuſs anwenden, während bei Natron oder Kalk dies nicht
nöthig ist. Dieses Verhalten kommt natürlich nur für technische Zwecke in
Betracht.
Anhang: Ueber die Titrirung von aromatischen Aminen.
Bekanntlich wird Lackmustinctur von Anilin und seinen Homologen nicht verändert,
durch Anilinsalze aber geröthet, und es sind mir keine Versuche bekannt, diese Basen
mit anderen Indicatoren zu titriren. Im geraden Gegentheile hat Mentschutkin in den Berichten
der deutschen chemischen Gesellschaft, 1883 S. 315 gezeigt, daſs in den Salzen des Anilins, sowohl in wässeriger, als in
alkoholischer Lösung, die Säure durch Kali, Natron, Baryt und Ammoniak bei Anwendung
von Phenolphtaleïn als Indicator genau titrirt werden kann, als ob gar kein Anilin
vorhanden wäre. Ganz anders aber verhält es sich, wie ich gefunden habe, wenn man
Methylorange als Indicator anwendet. Für dieses sind Anilinsalze neutral und das
Anilin selbst zeigt die Reaction der Basen. Ganz ebenso verhalten sich Ortho- und
Paratoluidin, Xylidin, Meta- und Paraphenylendiamin und gewiſs viele andere
aromatische Amine.
Ich habe viele Versuche mit diesen Körpern angestellt in der Hoffnung, durch Titriren
von wasserfreien Anilinölen des Handels in diesen den relativen Gehalt von Anilin
und Toluidinen nachweisen zu können, unter Benutzung der Verschiedenheiten in den
Molekulargewichten.
Dies wäre eine höchst willkommene Ergänzung zu der gewöhnlichen Prüfung durch
fractionirte Destillation und, wenn die Endreaction scharf genug ist, entschieden
der letzteren weit vorzuziehen. Freilich muſs man bedenken, daſs eine geringe
Differenz in der verbrauchten Normalsäure (1cc =
0g,093 Anilin oder = 0g,107 Toluidin) schon auf groſse Differenzen im
Verhältnisse der Amine führen muſs. Mithin ist hier nur eine Titrirung brauchbar,
welche ganz scharfe Resultate liefert, und solche erlangt man leider mit
Methylorange nicht. Reines Anilin zeigt z.B. in
wässeriger Lösung den Farbenübergang in Orange mit ganz schwach röthlichem Stiche
bei 90 bis 92 Procent, denjenigen in entschiedenes Rosa bei 92 bis 94 Procent der
der Theorie nach nöthigen Säuremenge. Dasselbe Resultat wird erhalten, wenn man zur
Lösung ein wenig (etwa 25 Proc.) Alkohol dem Wasser beimengt- bei mehr Alkohol
werden die Uebergänge ganz unsicher und bei Anwendung von lauter Alkohol zur Lösung
tritt gar keine Veränderung des Orange in Roth selbst bei groſsem Säureüberschusse
ein.
Ganz ähnliche Resultate wie Anilin gab Orthotoluidin,
doch war der Farbenübergang hier noch allmählicher; bei Paratoluidin dagegen (aufgelöst in 25 Proc. Alkohol) war der
Farbenübergang sehr scharf und das Resultat zeigte 97 bis 99 Procent der Theorie an.
Diese Versuche zeigen, daſs man wohl sehr kleine Mengen von Anilin neben Ammoniak
noch genügend genau mittels Methylorange wird titriren können, wie es in obigen
Versuchen Nr. 25 bis 31 geschah, daſs aber an eine quantitative Unterscheidung von
Anilin und Toluidin u. dgl. auf diesem Wege nicht zu denken ist. Chinolin zeigt ziemlich scharfen Uebergang und die
genauesten Resultate. Ich behalte es mir vor, weitere Versuche mit anderen
Indicatoren in dieser Richtung anzustellen.