Titel: | Die Deformationsarbeit elastischer fester Körper, Flüssigkeiten und Gase; von Dipl. Ingenieur Friedrich Steiner, |
Autor: | Friedrich Steiner |
Fundstelle: | Band 251, Jahrgang 1884, S. 289 |
Download: | XML |
Die Deformationsarbeit elastischer fester Körper,
Flüssigkeiten und Gase; von Dipl. Ingenieur Friedrich Steiner,
o. ö. Professor an der deutschen k. k. technischen
Hochschule zu Prag.
Mit Abbildungen.
Steiner, über die Deformationsarbeit.
Wird ein aus elastischen Stäben gebildetes festes System äuſseren Kräften P1, P2 u.s.w. (Fig. 1) unterworfen, welche bei der Deformation in
Richtung der Kräfte die Wege p1, p2 ... zurücklegen, und sind S1, S2 ... die Spannungen, welche hierbei in den
einzelnen Stäben von der Länge l1, l2 ...., den Querschnitten F1, F2 .., den Elasticitätsmoduli E1, E2 ... entstehen, so muſs die Deformationsarbeit A der äuſseren Kräfte P
gleich jener der inneren S werden, d.h. es müssen die
Gleichungen bestehen:
A=\frac{P_1\,p_1}{2}+\frac{P_2\,p_2}{2}+....=\frac{{S_1}^2\,l_1}{2\,E_1\,F_1}+\frac{{S_2}^2\,l_2}{2\,E_2\,F_2}
. . . (1)
oder kurz:
A=\Sigma\,\frac{P\,p}{2}=\Sigma\frac{s^2\,l}{s\,E\,F} . . .
. . . . . . . . . (2)
Die in den festen und beweglichen Auflagern entstehenden
Reactionen D', D'', D'''
u.s.w. leisten bei starrer Unterlage keine Arbeit.
Fig. 1., Bd. 251, S. 289
Fig. 2., Bd. 251, S. 289
Wir wollen nunmehr zwei einander geometrisch ähnliche Systeme I und I' untersuchen und alle auf I' bezüglichen Gröſsen wie oben bezeichnen, jedoch mit
einem Striche versehen und annehmen, daſs die Längen des Systemes I' n mal gröſser als jene des Systemes I sind. Unter der Voraussetzung, daſs die Körper auch
nach der Deformation einander geometrisch ähnlich bleiben, wird:
\frac{\Delta\,l'}{\Delta\,l}=\frac{S'\,l'}{E\,F}\,:\,\frac{S\,l}{E\,F}=n,
woraus sich S' = n2S findet, da
F' : F = n2 sein muſs. Für die Deformationsarbeit
von I' ergibt sich:
A'=\Sigma\,\frac{S'^2\,l'}{2\,E\,F'}=n^3\,\Sigma\,\frac{S^2\,l}{2\,E\,F}
. . . . . . (3)
In ganz analoger Weise hat man für einen massiven Stab (Fig. 2), wenn die Ebene der Kräfte in einer Hauptebene
des Stabes bleibt und mit J das Trägheitsmoment des
Stabquerschnittes von der Gröſse F, mit M
das Biegungsmoment, mit
N die Achsialkraft in einem beliebigen
Normalschnitte bezeichnet wird, für die Deformationsarbeit:
A=\Sigma\,\frac{P\,p}{2}=\int\frac{M^2\,d\,s}{2\,E\,J}+\int\frac{N^2\,d\,s}{2\,E\,F}
. . . . . . (4)
Vergleichen wir wieder zwei geometrisch ähnliche Stäbe I
und I', so tritt ds' an Stelle von V
in unserer früheren Untersuchung. Soll auch nach der Deformation noch Aehnlichkeit
herrschen und sind Δ ds sowie Δ
ds' die Verkürzungen der Elemente in der Schwerpunktsachse gemessen, so
muſs:
\frac{\Delta\,d\,s'}{\Delta\,d\,s}=n=\frac{N'\,d\,s'}{E\,F'}\,:\,\frac{N\,d\,s}{E\,F},
woraus N' = n2
N, da F' : F = n2 ist. Ebenso erhält man für die Verdrehung zweier
unendlich naher Querschnitte:
\frac{\Delta\,d\,\varphi}{d\,s'}\,:\,\frac{\Delta\,d\,\varphi}{d\,s}=1\,:\,n=\frac{M'}{E\,J'}\,:\,\frac{M}{E\,J}.
Dies gibt, da J' : J = n4 ist, M' = n3M; mithin wird die Deformationsarbeit:
A'=\int\frac{M'^2\,d\,s'}{2\,E\,J}+\int\frac{N'^2\,d\,s'}{2\,E\,F'}=n^3\,\int\frac{M^2\,d\,s}{2\,E\,J'}+n^3\,\int\frac{N^2\,d\,s}{2\,E\,F}.
Erwägt man nun, daſs in beiden Fällen V : V = 1 : n3 ist, wenn V und V die Volumen der Systeme I' und I bezeichnen, und dieselbe Relation
für das Verhältniſs der Gewichte gilt, so hat man: Die
Deformationsarbeiten, welche nothwendig sind, um geometrisch ähnliche elastische
Stabsysteme oder beliebig gekrümmte Stäbe innerhalb der Elasticitätsgrenze so zu
deformiren, daſs sie auch nach der Deformation geometrisch ähnlich bleiben,
verhalten sich wie die Volumen bezieh. Gewichte der Systeme.
Bezeichnet k die specifische Spannung in irgend einem
Stabe des Systemes bezieh. die specifische Spannung in einem beliebigen Querschnitte
des massiven Stabes für ein Flächenelement im Abstande v von der Schwerpunktsachse, so wird für das Stabsystem
k=\frac{S}{F} und
k'=\frac{S'}{F}=\frac{S}{F}, da S'=n^2S
ist; für den massiven Stab:
k=\frac{N}{F}+\frac{M\,v}{J} und
k'=\frac{N'}{F'}+\frac{M'\,v'}{J'}=\frac{N}{F}+\frac{M\,v}{J};
d.h. die specifischen Spannungen in
homologen Punkten beider Systeme bleiben dieselben. Da
A=\Sigma\,\frac{P\,p}{2} und
A'=n^3\,A=\Sigma\,\frac{P'\,p'}{2} ist, so findet sich leicht
unter Beachtung des Umstandes, daſs p' : p = n sein muſs, daſs sich die
deformirenden äuſseren Kräfte wie die Quadrate homologer Seiten der ähnlichen
Körper verhalten müssen.
Die vorgeführten Sätze ermöglichen, den Zusammenhang zwischen Modell und Ausführung
zu überblicken. Wollen wir die Deformationsverhältnisse eines Balkens I' an einem Modelle I,
dessen Abmessungen den n ten Theil von I' betragen, studiren, so haben wir, um analoge
Deformationen zu erzielen, die Belastung n2 mal kleiner zu machen.Für n = 100 z.B. tritt an Stelle von 1 Tonne des Originales 0,1 Kilogramm im
Modelle.Man hat sich jedoch wohl zu hüten, die Deformationsarbeit, welche z.B. das
eigene Gewicht des Brückenmodelles bei seiner Aufstellung leistet und welche
meſsbare Durchbiegungen erzeugt, mit der Deformationsarbeit der ausgeführten
Brücke aus demselben Materiale nach obigem Gesetze vergleichen zu wollen, da
in diesem Falle die angreifenden äuſseren Kräfte (die Eigengewichte) den dritten Potenzen homologer Seiten
proportional sind.
Viel interessanter jedoch noch gestalten sich die erhaltenen Sätze, wenn wir sie mit
den Resultaten vergleichen, welche Prof. Kick in Prag
aus zahlreichen Versuchen entwickelte und ihn zur Aufstellung des Satzes
führtenVgl. D. p. J. 1879 234 257. 260. 1883 247 5. 250 * 141. : Körper bestimmten Materials und bestimmter Form bedürfen zu einer bestimmten
Formänderung oder Theilung einer Arbeitsgröſse, welche gleich ist dem Producte
aus dem Körpergewichte in die für die Gewichtseinheit desselben Materials bei
geometrisch ähnlicher Grundform und gleicher Formveränderung oder Theilung
benöthigte Arbeitsgröſse, oder 1) Die Arbeitsgröſsen, welche zu gleichartiger und mit gleicher Geschwindigkeit
erfolgender Formänderung zweier geometrisch ähnlichen und materiell gleichen Körper
erfordert werden, verhalten sich wie die Volumen oder Gewichte dieser Körper; also
A : A1 = V : V1 = 1 : a3. Hierbei ist unter
gleichartiger Formänderung jene verstanden, bei weicher die beiden deformirten
Körper in den einzelnen in Vergleich gezogenen Stadien der Deformation geometrisch
ähnlich bleiben. 2) Die Drücke, welche zur
gleichartigen Formänderung zweier geometrisch ähnlichen und materiell gleichen
Körper erfordert werden, verhalten sich wie die correspondirenden Querschnitte der
gepreſsten Körper, also Q : Q1 = F : F1 = 1 : a2, unter a das
Verhältniſs der linearen analogen Abmessungen verstanden.In Bauschinger's Mittheilungen, 1876 Heft 6
heiſst es: „Prismen geometrisch ähnlicher Gestalt, wenn sie aus dem
gleichen Materiale hergestellt sind, besitzen gleiche
Druckfestigkeit“; es ist dies ein specieller Fall des obigen
Satzes.
Wir erkennen leicht, daſs dieses Gesetz, welches Kick
auf experimentellem Wege für bleibende Deformationen
gefunden hat, auch für elastische Formveränderungen von
Stäben und Stabsystemen innerhalb der Elasticitätsgrenze Gültigkeit besitzt, was
auch schon von Kick (vgl. 1879 234 258) ausgesprochen wurde. Diese Thatsache führt zur Frage, ob und in
wie weit auch Flüssigkeiten und Gase dem genannten Gesetze unterworfen sind.
Es sei dv = dx dy dz das Element eines festen Körpers
und den sechs Normal- und Tangential-Spannungen σx, σy, σz bezieh. τx, τy, τz unterworfen, welche inneren Kräfte mit
den gegebenen äuſseren, am Körper angreifenden Kräften im Gleichgewichte stehen. Die
innere Deformationsarbeit des isotropen Körpers wird dann, wenn wir sie durch die
Spannungen im Zustande der groſsten Deformation ausdrücken:
A=\frac{1}{2\,E}\,\int\left[{\sigma_x}^2+{\sigma_y}^2+{\sigma_z}^2-\frac{2}{m}\,\left(\sigma_y\,\sigma_z+\sigma_z\,\sigma_x+\sigma_x\,\sigma_y\right)\right]\,d\,V+\frac{1}{2\,G}\,\int({\tau_x}^2+{\tau_y}^2+{\tau_z}^2)\,d\,V,
wobei E den Elasticitätsmodul für
Normalelasticität, G denjenigen für Schubelasticität
bedeutet und \frac{1}{2}\ \frac{m}{m+1}\ E=G ist. Das erste der
beiden Integrale bringt die Compressionsarbeit, das
zweite die Verschiebungsarbeit zum Ausdrucke; auſserdem
wird bei jeder Deformation der elastische Körper eine Aenderung seines
Wärmezustandes erleiden, welche bei festen und flüssigen Körpern vernachlässigt
werden kann. CastiglianoTheorie de l'équilibre des systèmes élastiques.
Turin 1879. hat im J. 1873 und unabhängig von ihm 1882 FränkelZeitschrift des Architekten- und Ingenieurvereins zu
Hannover, 1882 S. 63. gezeigt, daſs die obige
Deformationsarbeit stets ein Minimum wird, und dadurch die Möglichkeit geboten, bei
statisch unbestimmten Belastungsfällen und Systemen die Gröſsen der Spannungen zu
berechnen, worauf jetzt hier nicht näher eingegangen werden soll. Für vollkommene Flüssigkeiten werden die
Tangentialspannungen sämmtlich Null, da die Theilchen der Verschiebung keinen
Widerstand entgegensetzen. Das Integral der Verschiebungsarbeit verschwindet. (Vgl.
auch Kick 1883 250 143.)
Wird auf eine Flüssigkeit, die in einem starren cylindrischen Gefäſse I eingeschlossen ist, mittels zweier Kolben von der
Fläche F, die einander gegenüberstehen, je ein Druck
P ausgeübt, so pflanzt sich dieser nach allen
Richtungen gleichmäſsig fort; es wird σx = σy =
σz = σ. Die äuſseren Kräfte erzeugen keine Ortsveränderung
der Flüssigkeitsmasse; diese wird lediglich verdichtet und die Deformationsarbeit
erscheint durch den Ausdruck gegeben: A=\frac{3}{2\,E}\
\frac{m-2}{m}\,\int\sigma^2\,d\,V=\frac{3}{2\,E}\
\frac{m-2}{2m}\,\sigma^2\,V. Für ein dem ersteren geometrisch
ähnliches Gefäſs I' erhält man also:
A'=\frac{3}{2\,E}\
\frac{m-2}{2\,m}\,\sigma^2\,V'.
Die Deformationsarbeiten verhalten sich auch hier nach dem Gesetze der proportionalen
Widerstände, wie es Kick genannt hat; sie bleiben für
gleiche specifische Spannungen direkt dem Volumen proportional und werden nicht zu
einem relativen, sondern zu einem absoluten Minimum.
Fig. 3., Bd. 251, S. 292
Für Gase gestaltet sich die Untersuchung
folgendermaſsen: In einem cylindrischen Gefäſse I vom Querschnitt F und der Länge l1 werde mittels eines
Kolbens, auf welchen der Druck P wirkt, das Gasvolumen
V vom Gewichte G und
der absoluten Temperatur T1 im Gleichgewichte erhalten (Fig. 3).
Durch allmähliches Aufbringen eines Gewichtes Q werde
das Gas adiabatisch zusammengepreſst, so daſs die Höhe der deformirten Gassäule auf
l2 sinkt. Ganz
denselben Vorgang denken wir uns mit einem Gase gleicher specifischer Spannung und
Temperatur in dem zu I geometrisch ähnlichen Gefäſse I' eingeschlagen und die entsprechenden Gröſsen mit l1', P', V', T1, Q', l2' bezeichnet.
Wir wollen uns nun F in so viele (m) Flächenelemente ΔF zerlegt denken, als das Gefäſs Volumengröſsen
v1 vom Gewichte 1
besitzt. Ist A1 die
Arbeit, welche die Gewichtseinheit leistet, indem sie von der Gröſse v1 und der Temperatur
T1 in die
Volumengröſse v2 von
der Temperatur T2
übergeht, so wird, da die Arbeit der äuſseren Kraft A =
½ Q (l1 – l2) gleich jener der inneren Kraft sein muſs: A = ½ Q (l1 – l2) = mA1 da jedes der m Flächenelemente des Kolbens
die Arbeit A1 zu
überwinden hat und m = G
ist.
Nach dem Poisson'schen Gesetze wird bei adiabatischer
Compression:
A_1=\frac{R\,T_1}{\varkappa-1}\,\left[{\left(\frac{v_1}{v_2}\right)}^{\varkappa-1}-1\right],
wenn R die Constante des Mariotte-Gay-Lussac'schen Gesetzes, x das Verhältniſs der Wärmecapacitat bei constantem
Druck zu jener bei constantem Volumen ist. Ferner wird in unserem Falle:
v_1=\Delta\,F\,l_1=\frac{F\,l_1}{G} und
v_2=\frac{F\,l_2}{G}; mithin
\frac{v_1}{v_2}=\frac{l_1}{l_2}.
Da nun für das Gefäſs I' analog
v1' : v2' = l1' : l2' sein muſs und, wenn
die Gasvolumen V und V'
auch nach der Deformation ähnlich bleiben sollen, l1 : l2 = l1' : l2' wird, so ergibt sich A1' = A1, mithin A = GA1 und A' = G'A1, d.h. die
Deformationsarbeiten sind den Gewichten der Gasmengen direkt
proportional.
Da nach dem Poisson'schen Gesetze:
A_1={A_1}'=\frac{R}{\varkappa-1}\,\left(T_2-T_1\right)=\frac{R}{\varkappa-1}\,\left({T_2}'-T_1\right)
sein muſs, so ergibt sich, daſs nach erfolgter Deformation in beiden Gefäſsen dieselbe absolute Temperatur herrscht,
was sich auch aus den Prinzipien der mechanischen Wärmetheorie erklären läſst, da
die Gewichtseinheiten der beiden Gasmengen denselben Zuwachs an Energie erhalten
haben und diese dem Zuwachsen der Temperatur proportional sind. Da die specifische
Spannung in beiden Gasvolumen dieselbe ist, verhalten sich
die deformirenden Kräfte Q,, Q' wie die Kolbenflächen oder wie die Quadrate
homologer Seiten der ähnlichen Körper.
Es erscheint mithin das von Kick auf experimentellem
Wege für bleibende Formveränderungen gefundene Gesetz auch für elastische
Formveränderungen fester, flüssiger und gasförmiger Körper aufrecht und mithin als
der Ausdruck eines allgemeinen Naturgesetzes.
Ob, wie mit groſser Wahrscheinlichkeit vermuthet werden darf, unter der Einwirkung
äuſserer Kräfte stets jene Deformationsweise eintritt, für welche die
Deformationsarbeit ein Minimum wird, was bisher nur für elastische
Formveränderungen fester und flüssiger Körper erwiesen ist, müssen weitere
Untersuchungen lehren. Prag, im
December 1883.