Titel: | Fortbewegung von Schiffen durch die Stromkraft des Fahrwassers. |
Fundstelle: | Band 253, Jahrgang 1884, S. 228 |
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Fortbewegung von Schiffen durch die Stromkraft
des Fahrwassers.
Mit Abbildungen auf Tafel 18.
Fortbewegung von Schiffen durch die Stromkraft des
Fahrwassers.
Es ist ein einleuchtender Gedanke, die Fortbewegung von Schiffen gegen den Strom
durch die nichts kostende und in unbeschränktem Maſse zur Verfügung stehende
Stromkraft des Wasserlaufes selbst zu bewirken. Dies lieſse sich etwa in der Weise
ausführen, daſs man einen entsprechend groſsen Theil der lebendigen Kraft des
Wassers, z.B. durch Schiffmühlenräder, nutzbar macht, um das Schiff ganz wie bei der
gewöhnlichen Ketten schifffahrt an einer Kette bezieh. einem Seile stromaufwärts zu
bewegen. Neuerdings ist nach dem Génie civil, 1883 Bd.
3 S. 627 ein solches Schiff von Perrin in den
Werkstätten von Claparède in Paris erbaut worden und
soll sich nach damit vorgenommenen Probefahrten als betriebsfähig erwiesen
haben.
Wie aus Fig. 18 und
19 Taf. 18 hervorgeht, liegt über einem schmalen und verhältniſsmäſsig
tief tauchenden Schiffskörper von 9m Länge eine
Querwelle, welche zu beiden Seiten je ein Schiffmühlenrad von 3m,2 Durchmesser trägt. Jedes Rad besitzt 12
Schaufeln von 2m Länge und 0m,8 Breite, welche aus einem inneren festen und
einem am Umfange liegenden beweglichen Stücke zusammengesetzt sind, um beim Ausheben
aus dem Wasser geringeren Widerstand zu finden. Auf der Auſsenseite der Räder
befinden sich noch zwei als Ausleger dienende, mit dem Mittelschiffe starr
verbundene Schiffskörper von 4m Länge, so daſs das
ganze Fahrzeug eine Breite von 6m,26 erhält. Die
Radwelle trägt auſserdem in der Mitte die Windetrommel für die Betriebskette.
Dieselbe ist höchst einfach hergestellt und besteht aus zwei 6armigen Radsternen,
durch deren Arme Bolzen in mehr oder minder groſsem Abstande von der Achse gesteckt
werden können, um verschiedene Geschwindigkeiten des Schiffes zu ermöglichen. Ueber
diese sechseckige Trommel ist dann die Betriebskette in der aus der Abbildung
ersichtlichen Weise geführt. Das Steuerruder ist am Heck des Mittelschiffes
angeordnet. Um das Schiff anhalten zu können, ist zwischen Mittel- und Seitenschiff
vor jedem Rade eine Schütze angebracht, welche den Zufluſs des Wassers zum Rade je
nach seiner Stellung freigibt, oder mehr oder weniger hemmt und so Vorwärtsbewegung,
Anhalten oder Rückgang gestattet. Alle Theile sind möglichst leicht, die
Schiffskörper aus Stahlblech hergestellt und läſst sich das ganze Fahrzeug, welches
übrigens, wie aus seiner beschriebenen Bauart hervorgeht, ohne selbst beladen zu
werden, nur zum Schleppen anderer Schiffe dient, leicht zerlegen, um gegebenen
Falles über Land befördert werden zu können.
Das Schiff wurde auf der Seine bei Saint-Denis an einer alten Tauereikette von 400m Länge, welche 3k das Meter wog, erprobt. Indem die Geschwindigkeit des Stromes von 1,10 bis 1m,20 in der Sekunde wechselte, erreichte das
Fahrzeug eine Geschwindigkeit von 8,04 bis 8m,52
in der Minute. Hierbei war dasselbe frei, trug aber 10 Personen und eine sonstige
Belastung von 1000k. Darauf schleppte es bei
derselben Belastung ein Dampfschiff von 30e mit
6m Geschwindigkeit gegen den Strom. Die
Versuche, welche noch auf der Rhone wiederholt werden sollen, erwiesen die volle
Brauchbarkeit des Schiffes. Ganz besonders dürfte dasselbe wohl zur Ueberwindung von
Stromschnellen auf Flüssen mit geringerem, hauptsächlich durch Segelschiffe
bewältigtem Verkehre am Platze sein, aber auch sonst häufig vortheilhafte Verwendung
finden können.
Ein Vorschlag von Wilh. Wernigh in Berlin (* D. R. P.
Kl. 65 Nr. 23212 vom 31. Oktober 1882) geht dahin, bei einem Fahrzeuge zu gleichem
Zwecke die Schwimmkörper als wasserdicht verschlossene cylindrische Behälter auf der
Achse des Schiffrades selbst anzubringen und sonst nur noch eine Unterstützung durch
ein schwimmendes Steuerruder zu benutzen. Eine Verringerung des Schiffswiderstandes,
worauf diese Einrichtung abzuzielen scheint, wird aber auf diesem Wege wohl kaum zu
erreichen sein.
Neuerdings sind nach der Deutschen Bauzeitung, 1884 * S.
344 an der Oberschleuse des Landwehrkanales bei Berlin am 20. Juni d. J. Versuche
mit einem Modelle des Wernigh'schen Fahrzeuges
angestellt worden. Das Modell in etwa 0,1 natürlicher Gröſse aus Blech hergestellt
mit 2 Schaufelrädern von 40cm äuſserem Durchmesser
und 8cm breiten und 22cm langen Schaufeln genügte, um ein mit 2 Personen besetztes gröſseres
Boot mit 6cm sekundlicher Geschwindigkeit gegen
den Strom zu schleppen. Hiernach wird die Zugkraft eines einfachen Apparates in
natürlicher Gröſse bei 1 und 2 bezieh. 2m,5
Stromgeschwindigkeit zu 150 und 525 bezieh. 750k
berechnet.