Titel: | Ueber den Siemens-Martinprozess. |
Fundstelle: | Band 253, Jahrgang 1884, S. 509 |
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Ueber den Siemens-Martinprozeſs.
M. Jungck, über den Siemens-Martinprozeſs.
Die Ausführung des Siemens-Martinprozesses auf der Hütte Phönix bei Ruhrort bespricht eingehend M.
Jungck in einer ProgrammschriftDer Stahlprozeß im Siemens-Martinofen; von M. Jungck, Lehrer an der Oberrealschule in
Gleiwitz. Programmschrift. 20 S. in 4. Preis 3 M. (Gleiwitz 1884.) Vom
Verfasser gef. eingeschickt., welcher folgende Mittheilungen
entnommen sind.
Der Gasgenerator der Hütte Phönix besteht aus 8 Kammern,
welche alle 3 Stunden mit etwa 600k Kohlen
folgender mittlerer Zusammensetzung:
Kohlenstoff
71,10
Wasserstoff
4,24
Sauerstoff und Stickstoff
11,92
Asche
12,74
beschickt werden. Das Gas von 2 Kammern genügt für einen
Flammofen, unter welchem sich 4 Regenerativkammern befinden. Ueber dem feuerfesten
Gewölbe derselben kann durch seitliche Oeffnungen Luft eintreten, um den nach oben
hin nun folgenden guſseisernen Boden des Herdes zu kühlen. Der Herd des Ofen selbst
besteht auf der Hütte Phönix nicht, wie dies zuweilen
als nothwendig angeführt wird, aus möglichst Kieselsäure freiem Materiale, sondern
im Gegentheile aus ganz reinem Quarzsande. Bei der im Ofen herrschenden Temperatur
sintert der Quarz bald oberflächlich zusammen und schmilzt später da, wo er frei
liegt, zu einem klaren Glase. Die Beschickung des Ofens besteht aus Stahlabfallen,
grauem Roheisen und Spiegeleisen; auch Schmiedeisenabfälle werden zur Beschleunigung
des Ganges in kleinen Mengen zugesetzt. Versuche, das billigere weiſse Roheisen an
Stelle des grauen zu setzen, worin nach verschiedenen Angaben ein Vorzug des
Martingegen den Bessemerprozeſs liegen sollte (so gibt z.B. Kuppelwieser an, das Roheisen müsse an Silicium armes weiſses Roheisen
sein), haben wenigstens auf der Hütte Phönix stets ein
ungünstiges Ergebniſs geliefert, indem dann der Ofen zu kalt ging; d.h. er
erforderte einen die erzielte Ersparniſs überwiegenden Mehrverbrauch an Gas. Das
Spiegeleisen ist seines Mangangehaltes wegen, der auch hier als ein eine leicht
flüssige Schlacke bildender Bestandtheil nicht entbehrt werden kann, erforderlich.
Die Dauer einer Hitze betrug auf der Hütte Phönix etwa
8 bis 9 Stunden. Der Einsatz bestand meist aus etwa 400k grauem Roheisen, 150k Spiegeleisen,
1500k Stahlabfällen und etwa 25 bis 50k Schmiedeisenabfällen sowie zuletzt noch etwa 20
bis 40k Spiegeleisen zum Gar machen.
Jungck untersuchte zwei Prozesse und zwar einen normal
und einen mangelhaft verlaufenden. Als Einsatz wurde Spiegeleisen, englisches graues
Roheisen (Maryport) und in der Hütte Phönix selbst
erzeugtes Bessemerroheisen verwendet. Eine gröſsere Durchschnittsprobe derselben
hatte folgende Zusammensetzung:
Bessemerroheisen
Engl. Roheisen
Graphit
3,09
3,45
Geb. Kohlenstoff
0,97
0,71
Mangan
2,55
0,12
Silicium
1,59
2,37
Phosphor
0,116
0,059
Kupfer
0,249
Spur
Schwefel
0,018
Spur
––––––
–––––––
Somit Eisen
91,417
93,291.
Die als weiterer Einsatz verwendeten Bessemerstahlschienen-Abfälle Hatten im
Durchschnitte 0,4 Proc. Kohlenstoff 0,26 Proc. Silicium (0,12 bis 0,32) und 0,1
Proc. Phosphor, ebenso viel etwa der Kopf der Kopfschienen, während eine
gelegentliche Analyse von deren Fuſs und Steg 0,07 Proc. Mangan, 0,17 Proc.
Silicium, 0,12 Proc. Schwefel, 0,09 Proc. Kupfer, 0,29 Proc. Phosphor und 0,08 Proc.
Kohlenstoff ergab. Doch kann diese Analyse wie die obigen nur als eine ungefähre für
die folgenden beiden Prozesse bezeichnet werden.
Beim ersten Verfahren wurden um 3 Uhr Morgens 300k
Bessemerroheisen, 100k Maryport und 150k Spiegeleisen eingesetzt. Nach 45 Minuten war die
Masse geschmolzen und erhielt nun:
2 Sätze
von
je
350k
Bessemerschienenenden,
1 Satz
„
„
300
Bessemerkopfschienen,
5 Sätze
„
„
300
Bessemerschienenenden,
1 Satz
„
„
300
Bessemerkopfschienen,
2 Sätze
„
„
250
Bessemerschienenenden.
Es folgte dann um 11 Uhr 40 Min. ein Zusatz von 115k Spiegeleisen, worauf der Stahl die diesmal
gewünschte Härte (gerade 5 der steirischen Skala) besaſs und abgestochen wurde. Die
obigen Sätze gebrauchten je etwa 45 Minuten zum Einschmelzen und Durcharbeiten.
Vor jedem neuen Zusätze wurde dem Stahlbade eine Probe entnommen
und auf Bruch geprüft. Die erste nach dem Einschmelzen des Roheisens und
Spiegeleisens genommene Probe war im Bruche am Rande stark strahlig, innen
feinkörnig und lichtgrau. Ihre Oberfläche war völlig glatt. Schon nach dem eisten
Schienenzusatze war der Bruch rein weiſs und weniger strahlig, der Graphit also
bereits ganz oder nahezu ganz in chemisch gebundenen Kohlenstoff umgewandelt. Von da
ab wurde die Oberfläche mehr und mehr pockig und blasig und es zeigten sich
moosähnliche Krystallbildungen. Schon nach dem 2. Einsatze verschwand die strahlige
Structur und das Korn des Bruches ging bis nach dem 6. Einsatze ganz allmählich aus
feinkörnigem Roheisen in feinkörnigen Stahl über. Nach dem 7. Einsatze zeigte die
Probe ganz das Aussehen eines guten, höchst feinkörnigen, aber etwas harten
Stahles.
In diesem Stadium des Prozesses könnte man also versuchen, ohne
Zusatz von Ferromangan oder Spiegeleisen den Stahl ablaufen zu lassen und zu
verwenden. Allein der so geleitete Stahlprozeſs würde nicht bloſs ein sehr
unsicherer, sondern er wäre meist unökonomischer als der jetzige Martinprozeſs, da
bei diesem nun noch 3 Einsätze gemacht, also ¼ Stahl auf einmal bei gleichem
Einsatze von Roh- und Spiegeleisen mehr erzeugt bezieh. ⅓ Stahlabfälle mehr
verarbeitet werden können. Vom 8. Einsatze ab begann der Uebergang des Stahles in
Fluſseisen: Der Bruch wird grobkörniger; die schon bei den früheren Proben ziemlich
zahlreichen Blasen durchsetzen allmählich die ganze Probe und werden mehr und mehr
länglich, ein Beweis, daſs der Stahl nicht plötzlich erstarrt, sondern vorher eine
zähflüssige Beschaffenheit annimmt, ein Umstand, der in der Praxis dazu benutzt
wird, die so schädlichen Blasen des Stahles durch Druck aus demselben, ehe er fest
geworden, möglichst zu entfernen. Die Oberfläche der Proben war bei der ersten stark
gewölbt, bei den folgenden bildete sich aber allmählich eine tiefe Einsenkung in der
Mitte, welche bei der vorletzen Probe bis zu ⅔ des Durchmessers ging. Diese
Einsenkung rührt von den Gasblasen her, welche noch entweichen können, wenn der
Stahl am Rande bereits fest geworden ist, und lehrt uns durch ihre Gröſse
einerseits, wie stark die Reaction im Stahlbade ist, andererseits, daſs die
Zähigkeit des Stahles mehr und mehr zunimmt. Die letzte vom fertigen Stahle
genommene Probe war weit glatter als die vorhergehenden, nur wenig blasig, in der
Mitte eher erhaben, weil der durch den Zusatz von Spiegeleisen aus dem Fluſseisen erzeugte Stahl
viel dünnflüssiger als jenes bei gleicher Temperatur ist. An ihrem Rande befand sich
eine leichte Rinne; diese rührt daher, daſs der Stahl sich beim Uebergange von dem
flüssigen Aggregatzustande zum festen stark zusammenzieht, also wie längst bekannt,
auch keine scharfen Guſsformen liefert.
Der erhaltene Stahl entsprach bei den damit angestellten Proben den Anforderungen
eines guten Martinstahles vollkommen. Seine Zusammensetzung war folgende:
Mangan
0,304
Kohlenstoff
0,336
Silicium
0,035
Phosphor
0,160
Schwefel
0,006
–––––––
Somit Eisen (mit einer Spur Kupfer)
99,159.
Auffallend ist der sehr geringe Siliciumgehalt. Derselbe zeichnet den Martinstahl
überhaupt vor den anderen Stahlsorten so sehr aus, daſs er geradezu als
Erkennungsmittel des ersteren bezeichnet werden kann. Im Ganzen kamen nach den
obigen Analysen in den Einsätzen etwa 17k,7
Silicium in das Stahlbad, während der abflieſsende Stahl nur noch 1k,38 enthielt. Es sind also etwa 12/13 des
gesammten Siliciums verschlackt worden. Rechnen wir bei dem eingeschmolzenen Roh-
und Spiegeleisen durchschnittlich 4 Proc. Kohlenstoff (eine Probe des letzteren gab
sogar 4,35 Proc), für die Stahlabfälle 0,4 und für die betreffenden Stege 0,1 Proc.
so kamen in den Ofen 38k,9 Kohlenstoff, im Stahle
blieben 13k,3, so daſs 25k,6 oxydirt wurden. Der hohe Phosphorgehalt stammt
aus den Bessemerkopfschienen. Die ablaufende SchlackeBemerkenswerte ist das starke Steigen der
Schlacke beim Abkühlen. Eine mit Schlacken gefüllte Form gleicht
einem kleinen Vulkane, aus dem beständig flüssige Schlacke von Gasblasen
gefolgt, welche mit blauer Flamme an der Luft verbrennen und also wohl aus
Kohlenoxyd bestehen, herausströmt. Es muſs also die flüssige Schlacke Kohlenoxyd in bedeutender Menge
absorbiren. hatte folgende Zusammensetzung:
Kieselsäure
50,18
Phosphorsäure
0,020
Schwefel
0,014
Eisenoxydul
25,75
Thonerde
2,61
Manganoxydul
20,44
Kalk
0,62
Magnesia
0,17
–––––––
99,804.
Schwefel und Phosphor wurden somit fast gar nicht
abgeschieden; doch ist vom Schwefel auch nur wenig im Stahle zurückgeblieben, weil
man Schwefel haltige Rohstoffe möglichst vermeidet.
Beim folgenden Prozesse ging der Ofen zu kalt, obgleich sehr viel Gas verbrannt
wurde. Der Ofen war 7 Uhr früh mit 350k Ruhrorter
grauem Bessemerroheisen, 150k Spiegeleisen und
100k englischem Eisen beschickt. Nach dem
Einschmelzen erhielt der Ofen bis 2 Uhr 10 Minuten alle 35 bis 40 Minuten einen
neuen Einsatz und zwar der Reihe nach:
Vorkommen des Titelblattes hier ist ein Bindungsfehler des Druckexemplars.
2 Sätze
von
je
350k
Bessemerabfälle,
1 Satz
„
„
300
Puddelstahlabfälle,
4 Sätze
„
„
300
Bessemer- und Martinstahlschienenenden,
2 Sätze
„
„
250
desgleichen.
Zum Schlüsse wurde das entkohlte Bad mit 125k Spiegeleisen versetzt, darauf eine Probe vom
Bade genommen, ausgeschmiedet und durch Eintauchen in Wasser gehärtet. Da aber der
Stahl zu weich war, so wurden noch 40k
Spiegeleisen und nach einer zweiten abermals zu weichen Probe weitere 10k Spiegeleisen zugesetzt, worauf der Stahl die
richtige Härte (3 nach der steirischen Skala, nach dem ersten Einsatze war er eine
weiche 6, nach dem zweiten eine harte 5) besaſs, worauf um 2 Uhr 40 Minuten
abgestochen wurde. Eine angesaugte Durchschnittsprobe des zugeführten Generatorgases hatte, nach dem von StöckmannVgl. Ferd. Fischer: Chemische Technologie der
Brennstoffe, S. 224. angegebenen Verfahren
untersucht, folgende Zusammensetzung:
Vol.-Proc.
Gew.-Proc.
Stickstoff
61,49
64,83
Kohlensäure
4,45
7,36
Kohlenoxyd
23,24
24,50
Kohlenwasserstoffe
2,07
1,24
Wasserstoff
6,49
0,55
Wasserdampf
2,26
1,52.
Das Gas enthielt noch 13,61 Gew.-Proc. Ruſs und Asche und 0,9
Proc. Theer. Da somit neben 13,61 Proc. Staub und Ruſs nur etwa 27 Proc. Wärme
erzeugende Bestandtheile im Gase vorhanden waren, so ist die Abnahme der Temperatur
im Ofen erklärlich.
Die abziehenden Gase enthielten 0,13 Proc. Asche und Ruſs, während der Theer völlig
verbrannt war; die gasförmigen Bestandtheile enthielten:
Vol.-Proc.
Gew.-Proc.
Stickstoff
68,17
65,74
Kohlensäure
12,76
19,33
Kohlenoxyd
1,73
1,66
Wasserstoff
0,78
0,05
Sauerstoff
6,05
6,66
Wasserdampf
10,51
6,57.
Das Vorkommen von Sauerstoff neben Kohlenoxyd und Wasserstoff erklärt sich daraus,
daſs während 2 Stunden eine sogen. Durchschnittsprobe angesaugt war.
Im Vorwärmofen wird mit oxydirender Flamme gearbeitet, weil diese mehr Hitze gibt,
also weniger Gas braucht als die reducirende. Die hier bis zu starker Rothglut
vorgewärmten Eisenstücke haben daher stets eine dicke Glühspanschicht, welche
zugleich mit dem in den Gasen des Stahlofens zuweilen vorkommenden freien
Sauerstoffe dazu dient, den Kohlenstoffgehalt des Stahlbades zu oxydiren, und der
Siemens-Martin'schen Stahlerzeugungsmethode den
Charakter eines sehr verlangsamten Puddelprozesses verleiht, welcher aber in sehr
starker Hitze und bei
stets geschmolzenen Massen vor sich geht und daher in seinen Apparaten und
Behandlungen besonders am Schlüsse stark an das Verfahren bei der Erzeugung von
Tiegelguſsstahl und beim Bessemern erinnert.