Titel: | Ueber Gesetze der Flussverunreinigungen. |
Autor: | Hajnis |
Fundstelle: | Band 254, Jahrgang 1884, S. 1 |
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Ueber Gesetze der
Fluſsverunreinigungen.
Mit Abbildung.
Fleck bezieh. Hajnis, über Gesetze der
Fluſsverunreinigungen.
Im 12. und 13. Jahresberichte
der k. chemischen Centralstelle für öffentliche Gesundheitspflege zu
Dresden (Dresden 1884) veröffentlicht Prof. Dr. H. Fleck
eine Abhandlung über Fluſsverunreinigungen, deren Ursachen, Nachweis, Beurtheilung
und Verhinderung. Diese Arbeit enthält sehr viel werthvolles Material über die Einwirkung verunreinigender Zuflüsse
namentlich aus industriellen Anlagen auf die chemische Beschaffenheit der
betreffenden Wasserläufe.
So sehr nun Referent den hohen Werth des chemischen
Theiles in Fleckes Abhandlung anerkennt, so kann er
doch mit den freilich nur nebenbei entwickelten Ansichten des Verfassers über den
Zusammenhang der hydrologischen Verhältnisse eines Wasserlaufes und der zulässigen
Verunreinigung desselben nicht übereinstimmen. So schreibt Fleck auf S. 46 des angeführten Jahresberichtes: „Es ist nämlich leicht
einzusehen, daſs caeteris paribus eine gegebene
Wassermenge durch verunreinigende Einflüsse um so stärker getroffen wird, je
geringer seine Mengen und je langsamer seine Bewegung im
Fluſsbette.“ Mit diesem Ausspruche würde Referent – so lange über das Maſs des Einflusses der Stromgeschwindigkeit nichts
Näheres gesagt wird – im Allgemeinen übereinstimmen. Fleck fährt jedoch fort: „Hat man also zwei Fluſsläufe gegeben, von
welchen in dem einen eine Wassermenge w sich mit
der Geschwindigkeit g, in dem anderen die
Wassermenge w' mit der Geschwindigkeit g' bewegt, und man denkt sich auf beide Fluſsläufe
dieselbe Art und Menge von Verunreinigungen wirken, so wird, wenn die
Verunreinigung der Fluſsläufe eine gleiche sein soll, auch gw = g'w' sein müssen.“
Prof. Fleck stellt also fest, daſs für gleiche
Verunreinigung das Product aus Wassermenge und
Geschwindigkeit für beide Fluſsläufe dasselbe
sein muſs. Dieses Product nennt Fleck: „die
Stromstärke“.
Weiter heiſst es an der angeführten Stelle: „Bezeichnet man ferner mit E die Menge der Effluvien, welche auf eine gegebene
Fluſsstrecke mit der Stromstärke gw = S einwirkenIn der That setzt Fleck später für E die Einwohnerzahl, deren Effluvien dem Fluſsläufe zugeführt
werden. – Referent führt hier getreu dem Originale an. Der Leser wird
trotz der nicht ganz zutreffenden mathematischen Ausdrucksweise den Sinn
ohne Mühe herausfinden., und setzt man E = 1, so ist gw : E = S auch gw = SE und man gewinnt hierdurch einen Maſsstab
für die Beurtheilung von Fluſsverunreinigungen im Allgemeinen.“
Fleck findet nun, daſs für die Elbe bei Dresden w = 50000l für die
Secunde, g = 0m,5
(beides für Kleinwasserstand) ist, und erhält, indem er noch E = 250000 (Einwohnerzahl von Dresden) einsetzt, schlieſslich gw : E = 0,5 × 50000 : 250000 = 0,1.
Diese Dresdener Verhältnisse glaubt nun Fleck
versuchsweise als Maſsstab gelten lassen zu können und stellt als „möglicherweise richtige“ Regel auf, daſs
der Ausdruck gw : E (worin w in Secundenliter,
g in Secundenmeter und für E die Einwohnerzahl einzusetzen ist) mindestens
den Zahlenwerth 0,4 ergeben soll, oder, um seine eigenen Worte zu
gebrauchen (S. 47): „daſs die Einwohnerzahl oder die
derselben in ihren Effluvien äquivalenter Industriewerkstätten das Zehnfache
der Stromstärke = S nicht überschreiten sollen.“
Referent will hier von einer näheren Erörterung der Frage, in wie fern die Dresdener
Verhältnisse als maſsgebend angesehen werden dürfen, absehen. Prof. Fleck fand, daſs die Verunreinigung der Elbe (soweit
sie sich durch chemische Analysen nachweisen läſst) bei dem Durchflusse durch
Dresden nicht zunimmt, und schreibt diesen Umstand dem
starken Zutritte von reinem Grundwasser in das
Fluſsbett innerhalb Dresden zu (a. a. O. S. 26), wodurch eine derartige Zunahme der
Wassermenge erfolgt, daſs die in der That absolut
gröſsere Menge von Verunreinigungen relativ nicht
gröſser (ja sogar etwas geringer) erscheint als vor der Stadt. Ob es nun zulässig
ist, einen gleichen Zutritt reinen Wassers auch an anderen Orten voraus zu setzen,
und ob hier überhaupt eine derartige Verallgemeinerung möglich ist, mag
dahingestellt bleiben. Zweifellos aber ist es, daſs eine so einfache Regel für die
zulässige Grenze von Fluſsverunreinigungen, wenn dieselbe unter der Autorität Fleck's ausgesprochen wird, von weitgehenden Folgen
sein kann, da der Praxis jede fertige Formel willkommen ist, und eine nähere
Untersuchung ihrer Berechtigung um so eher unterlassen
wird, je mehr man sich auf den Namen des Urhebers stützen zu können glaubt.
Um ein Beispiel der praktischen Anwendung der Formel Fleck's anzuführen, möge erwähnt werden, daſs ein Gebirgsbach von 4m Breite und 1m,25 Tiefe bei einer Wassergeschwindigkeit von secundlich 2m die Abgänge einer Bevölkerung von 200000 Seelen
aufzunehmen fähig wäre, ohne nach Fleck mehr
verunreinigt zu werden, als es bei der Elbe in Dresden der Fall ist.
Referent will nun die allgemeine Form Fleck'schen
Ausdruck wg : E = Constans in Betracht ziehen, ohne,
wie schon erwähnt, die Frage, ob für die Bestimmung der Constante = 0,1 eine
Berechtigung vorliegt, weiter zu behandeln. Selbstverständlich können diese
Untersuchungen nicht auf Abschluſs des Gegenstandes Anspruch machen; sollten
dieselben jedoch den Anstoſs zur Untersuchung der angeregten Frage von berufener Seite geben,
so wird der Zweck dieser Zeilen erreicht sein.
Wie schon erwähnt, unterliegt es im Allgemeinen keinem Zweifel, daſs der Einfluſs von
Verunreinigungen auf Wasserläufe sowohl von der Wassermenge, welche der Fluſs führt,
als auch von der Geschwindigkeit der Wasserbewegung abhängt.
Was den Einfluſs der Wassermenge betrifft, so ist wohl
anzunehmen, daſs die Menge der verunreinigenden Zuflüsse, welche bei gleicher
Verunreinigung von einem Wasserlaufe aufgenommen werden kann, der von dem Flusse
geführten Wassermenge direkt proportional ist. Dieser Theil der Annahme Fleckes ist daher nicht nur vollkommen berechtigt,
sondern wohl auch allgemein bekannt und anerkannt.
Anders gestaltet sich die Sache bei dem Einflüsse der Wassergeschwindigkeit, welcher in Bezug auf diesen Faktor jedenfalls ein
sehr mannigfaltiger ist. Es kann und wird die Wassergeschwindigkeit auf die mehr
oder weniger innige Mischung der Verunreinigungen mit dem Wasser, auf das Absetzen
von Schlamm, auf die gegenseitige chemische Reaction der verunreinigenden
Bestandtheile und endlich auf die etwa erfolgende Oxydation einwirken. Wie jedoch dieser Einfluſs gestaltet ist, d.h. in
welchem Maſse derselbe das Endergebniſs beherrscht, ist
sogleich nicht zu erkennen, und es würde jedenfalls eines groſsen, bisher keineswegs
vorhandenen Thatsachenmaterials bedürfen, diesen Einfluſs ohne weiters zu bestimmen.
Referent glaubt jedoch, daſs es nicht nur nicht
wahrscheinlich, sondern geradezu höchst
unwahrscheinlich ist, daſs dieser Einfluſs der Wassergeschwindigkeit direkt
proportional, d.h. dem Einflüsse der Wassermenge äquivalent sein könnte, wie Fleck kurzweg annimmt.
Zur Klärung der Anschauungen in dieser Frage dürfte es vielleicht angezeigt sein, den
Einfluſs der einzelnen bei Fluſsverunreinigungen in Frage kommenden Faktoren in eine
allgemeine mathematische Form zu bringen, wo dann leicht ersichtlich gemacht werden
kann, welche Umstände genau festgestellt werden können und welche – wenigstens bis
auf Weiteres – in einer allgemeinen, unbestimmten Form belassen werden müssen.
Textabbildung Bd. 254, S. 3
In nebenstehender Figur ist F ein
Wasserlauf, welchen wir zwischen den Querschnitten I
und II betrachten wollen. Den Querschnitt I durchflieſst secundlich eine Wassermenge Q Liter, in welcher im Liter a Gewichtseinheiten (Milligramm), also im Ganzen αQ Gewichtseinheiten verunreinigende
Stoffe sich befinden. Bei II treten secundlich Q1 Liter mit φ
Gewichtseinheiten Verunreinigungen im Liter aus. Die Zunahme
der relativen Verunreinigung des Wasserlaufes auf der Strecke I-II ist also
=
\Delta\,\varphi=\varphi-\alpha . . . .
(1)
Auf dieser Strecke nimmt der Fluſs einerseits eine
Anzahl verunreinigter Zuleitungen (Kloakenwasser, Industriewasser), andererseits
eine gewisse Menge reinen
Wassers (Grundwasser) auf. Irgend ein verunreinigter Zufluſs führt dem Wasserlaufe
secundlich Pm Liter
Wasser zu, welches im Liter βm also im Ganzen βmPm
Gewichtseinheiten Verunreinigungen enthält. Die einzelnen Zuflüsse reinen Wassers
bringen secundlich S1,
S2 . . Sm . . Sr Liter Wasser
zu.S kann auch negativ werden (Verdunstung,
Versickerung). Schlieſslich verliert
der Fluſs auf der Strecke I-II eine gewisse Menge
verunreinigender Bestandtheile durch Absetzung und andere hier einstweilen nicht
näher zu erörternde Einflüsse. Diese Menge sei Y
Gewichtseinheiten.
Die den Querschnitt II secundlich
durchflieſsende Wassermenge ist, wie leicht einzusehen:
Q_1=Q+\sum_{m=1}^{m=n}P_m+\sum_{m=1}^{m=r}S_m (Liter) . . .
. . . (2)
Ebenso ist die Menge der verunreinigenden Stoffe,
welche bei II austritt:
G=a\,Q+\sum_{m=1}^{m=n}\beta_m\,P_m-Y
(Gewichtseinheiten) . . . . (3)
Es ist also die Gewichtsmenge verunreinigender Stoffe
im Liter im Querschnitte II = φ = G : Q1 oder nach Gleichung (2) und (3):
\varphi=\frac{a\,Q+\Sigma\,\beta\,P-Y}{Q+\Sigma\,P+\Sigma\,S}Wir lassen der Einfachheit wegen in den weiteren Formeln die Indices und
Grenzbezeichnungen weg.. . . . . . (4)
Die relative Zunahme der Verunreinigung auf der Strecke
I-II ist nach (1):
\Delta\,\varphi=\frac{a\,Q+\Sigma\,\beta\,P-Y}{Q+\Sigma\,P+\Sigma\,S}
oder
\Delta\,\varphi=\frac{\Sigma\,\beta\,P-a\,\Sigma\,(P+S)-Y}{Q+\Sigma\,(P+S)}
. . . . . (5)
Sind alle verunreinigten Zuflüsse in gleicher Weise unrein, d.h. ist β1 = β2
= βn = β, so kann die
Formel (5) geschrieben werden:
\Delta\,\varphi=\frac{(\beta-a)\,\Sigma\,P-a\,\Sigma\,S-Y}{Q+\Sigma\,(P+S)}
. . . . . (6)
Soll der Fluſs seinen Zustand nicht ändern, d.h. soll
Δφ = 0 werden, so müſste sein:
(\beta-a)=a\,\Sigma\,S+Y . . . . .
(7)
Nimmt man auf die „Selbstreinigung“ keine
Rücksicht, d.h. setzt man Y = 0, so ergibt sich aus
Gleichung (7):
\Sigma\,S=\left(\frac{\beta-a}{a}\right)\,\Sigma\,P . . . .
. (8)
eine Bedingung, welche annähernd in Dresden zutreffen
dürfte.
Vergleichen wir nun die allgemeine Formel (5) oder (6) mit der Annahme, daſs die
Verunreinigung eines Wasserlaufes der Wassergeschwindigkeit umgekehrt proportional
sei, so finden wir, daſs eine derartige Annahme mit der Formel unvereinbar ist. Ein
möglicher Einfluſs der Wassergeschwindigkeit kann nur in der Gröſse Y verborgen sein, und selbst wenn diese Gröſse mit der
Wassergeschwindigkeit wachsen sollte – was von vorn herein nicht zu erkennen ist –,
so wäre der Zusammenhang zwischen Δφ und der
Wassergeschwindigkeit stets ein wesentlich anderer, als
Fleck annimmt. Da jedoch der Einfluſs der
Geschwindigkeit auf die unter Y einbegriffenen
Klärungsprozesse ziffermäſsig nicht bekannt ist, so haben wir überhaupt kein Mittel,
den Einfluſs dieser Geschwindigkeit auf das Gesammtergebniſs ziffermäſsig oder in
mathematischer Form auszudrücken. Es erscheint daher die Annahme Fleck's, daſs für gleiche Verunreinigung zweier Flüsse
durch gleiche Zuflüsse gw = g' w' sein müſste, unhaltbar. Ebenso wenig haltbar
ist natürlich die aus dieser Annahme abgeleitete Formel gw : E = Constans, ganz abgesehen von der
Wahl der Constanten.
Wenn dadurch nun auch nachgewiesen sein dürfte, daſs Fleckes Formel keine allseitige Berechtigung hat, so ist es doch auch
nicht möglich, dieselbe durch eine andere, bessere, von allgemeiner Gültigkeit zu
ersetzen. Wollte man auch z.B. für Δφ einen bestimmten
Grenzwerth setzen, so wäre es doch erst nöthig, die Gröſse Y zu kennen, um zu genauen Ergebnissen zu gelangen. Aber selbst bei
Vernachlässigung des Einflusses von Y ist es klar, daſs
noch mehr bekannt sein muſs als die Einwohnerzahl des betreffenden Ortes, und es ist
überdies noch fraglich, ob die Vernachlässigung von Y
praktisch berechtigt ist, da z.B. gerade dieser Einfluſs es ist, welcher nach den
Fleck'schen Untersuchungen die Wirkung von
Industriewässern oft nicht erkennen läſst.
Referent ist überhaupt der Ansicht, daſs die Frage der Fluſsverunreinigungen sich
nicht mit einer einfachen mathematischen Schablone abthun läſst. Die Einfluſs
habenden Umstände sind so zahlreich und mannigfaltig, daſs sie in den einzelnen
gegebenen Fällen erwogen werden müssen, und Aufgabe der allgemeinen Untersuchungen kann es nur sein, den Einfluſs der einzelnen
Umstände möglichst genau zu studiren und die Ergebnisse möglichst scharf, etwa in
mathematischer Form (wo es zulässig) auszudrücken. Das Gesammtergebniſs muſs dann aus diesen Einzel Wirkungen in jedem Falle
besonders bestimmt werden.
Natürlich genügt es nicht, bloſs die chemische Seite der
Frage zu studiren. Höchst wichtig sind Aufschlüsse über das organische Leben in den
flieſsenden Wassern – und zwar sowohl das mikroskopische, als das Leben der höheren
Pflanzen und Thiere – und die Wechselwirkungen zwischen diesem Leben und den
Verunreinigungen des Wassers. Schlieſslich sind diese Studien (wie auch Prof. Fleck richtig bemerkt) nicht auf das Wasser zu
beschränken, sondern auch auf den sich absetzenden
Schlamm auszudehnen, welcher – wie an den Ufern der Themse und an der Seine
unter Paris – einen nicht geringen Antheil an dem hygienischen Werthe eines
Wasserlaufes hat. So lange über alle einzelnen Vorgänge in verunreinigtem Wasser
nicht eine groſse Menge wohlgesichteten Materials vorhanden ist, wird die Frage der
Fluſsverunreinigung – nebenbei bemerkt eine Lebensfrage der groſsen Städte – eine
unerledigte bleiben, da bei mangelnden Unterlagen natürlich ein zutreffender Schluſs
unmöglich ist, Es sei dem Referenten gestattet, ausdrücklich darauf hinzuweisen,
daſs zu einem derartigen gesichteten Thatsachenmateriale Prof. Fleck wie in allen seinen früheren, so auch in der
jetzt vorliegenden Arbeit einen wesentlichen Beitrag geliefert hat.
Prag, August 1884.
Hajnis.