Titel: | Bemerkungen zu den Arbeiten Müller-Jacobs': über das Türkischrothöl; von H. Schmid. |
Autor: | H. Schmid |
Fundstelle: | Band 254, Jahrgang 1884, S. 346 |
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Bemerkungen zu den Arbeiten Müller-Jacobs': über
das Türkischrothöl; von H. Schmid.
H. Schmid, über das Türkischrothöl.
Trotz der ausführlichen Abhandlungen von Liechti und Suida einerseits (vgl. 1883 250 543 sowie S. 302 d. Bd.) bezieh. von A.
Müller-Jacobs (vgl. 1884 251 499. 254 302) andererseits und trotz der längeren
Auseinandersetzungen ist die Frage der Constitution und Wirkungsweise des
Türkischrothöles noch zu keiner endgültigen Klärung gelangt. Ein paar Bemerkungen
zum Zwecke kritischer Sichtung und Berichtigung einiger der hauptsächlichsten bis
jetzt gewonnenen Ergebnisse möchten insofern am Platze sein., als dieselben zur
rascheren Zurechtfindung in diesem Kapitel etwas beitragen könnten.
Liechti und Suida haben in
ihrer ersten Abhandlung (1883 250 543) die Umwandlung des
Olivenöles auf die Bildung eines wasserlöslichen Monooxyoleïnsäure-Glycerin-Schwefelsäure-Esters zurückgeführt, welcher
gleichzeitig gebildeter freier Oxyoleïnsäure als Lösungsmittel dienen würde. Die
Rolle der Schwefelsäure bestände hiernach, auſser in der verseifenden, hauptsächlich
in einer oxydirenden Einwirkung. Eine hervorragende Thatsache, welche dazumal den
genannten Forschern entgangen war und von Müller-Jacobs festgestellt
worden, ist die Entstehung von Oxystearin-Säure C18H36O3. Liechti und Suida gaben in ihrer neuesten Abhandlung (Mittheilungen des Technologischen Gewerbemuseums
u.s.w., 1884 S. 64) zu, daſs durch Spaltung ihres Esters neben Oxyoleïnsäure der
Hauptmenge nach Oxystearinsäure auftritt. Nun unterscheidet sich aber die letztere
von der gewöhnlichen Oelsäure durch einen bloſsen Mehrgehalt der Elemente des
Wassers: C18H34O2 + H2O = C18H36O3 und stellt sich in Folge dessen die Einwirkung der
Schwefelsäure auf Oel in einem anderen Lichte dar, als ursprünglich von Liechti und Suida
angegeben. Der oxydirende Einfluſs der Schwefelsäure bezieh. die Entwickelung von
Schwefligsäure wird eben nur davon abhängen, wie viel Oxyölsäure sich neben
Oxystearinsäure bildet; denn letztere entsteht ja aus Oleïnsäure durch bloſse
Anlagerung der Elemente des Wassers. Es ist sicherlich richtig, daſs man bei der
industriellen Darstellung des Türkischrothöles die Bildung von Schwefeldioxyd zu
vermeiden sucht und daſs jedenfalls letzteres nur in geringen Mengen austritt. Der
Vorgang, wie derselbe von Liechti und Suida in ihrer ersten Abhandlung ausgelegt worden ist,
würde zur Entwickelung von „Strömen“ schwefliger
Säure führen. Hiervon ist heute nicht mehr die Rede, wenn auch andererseits eine
theilweise Desoxydation der Schwefelsäure nicht ausgeschlossen ist und sich, wie wir
unten sehen werden, zwanglos gerade aus einigen von Müller-Jacobs selbst aufgestellten Thatsachen ableiten läſst. Vorderhand
müssen wir annehmen, daſs obige Berichtigung – d.h. Beschränkung der Rolle der
Schwefelsäure als oxydirendes Mittel, oder selbst ganze Unterdrückung derselben –
die Ester-Theorie Liechti's und Suida's als solche nicht zu stürzen vermag und wäre es ja immerhin
denkbar, daſs sich bei Einwirkung von Schwefelsäure auf Oel Oxystearinsäure-Glycerin-Schwefelsäure-Ester, begleitet oder nicht von Monoxyoleïnsäure-Glycerin-Schwefelsäure-Ester bildet.
Ob nun diese Verbindungen oder eine eigentliche Oelsulfosäure im Rothöle enthalten
sind und demselben seine schätzenswerthe Eigenschaft der Wasserlöslichkeit
ertheilen, möchten wir dahingestellt sein lassen, indem es uns scheint, daſs weder
das eine, noch das andere zweifellos aus den von den betheiligten Seiten ins Feld
geführten Gründen und Thatsachen hervorgeht. Eine Lösung der hierbei noch
herrschenden Widersprüche wird nur durch weitere Versuche herbeigeführt werden
können.
Machen wir hingegen auf einen Widerspruch aufmerksam, welcher sich in der vorletzten
Arbeit Müller-Jacobs' (vgl. 1884 25 499) vorfindet und sich als unbegreifliches Uebersehen gewisser ganz
natürlicher Thatsachen darstellt. Müller-Jacobs
betrachtet das Türkischrothöl als Gemenge bezieh. Lösung von wasserlöslicher
Oleïnsulfosäure C18H33(SO3H)O2, alkohollöslicher Oxyölsäure und Oxystearinsäure und ätherlöslichem
unverändertem Triglycerid. Er gibt ferner an, daſs die Oleïnsulfosäure durch Kochen
mit Wasser sich zersetzt und daſs als Zersetzungsproduct ein Gemenge von Oxyoleïnsäure und
Oxystearinsäure auftritt. Für diesen Vorgang, gegen dessen Endergebniſs nichts
einzuwenden ist, stellt er jedoch folgende unerklärliche Gleichung auf:
2C18H34SO5 + H2O =
C18H34O3 +
C18H36O3 + 2H2SO4.
Oxyoleïns.
Oxystearins.
Hierbei spielt kein bloſses Setzereiversehen mit, indem die
Gleichung geradezu einen Haupttheil der Reaction verschweigt, nämlich die oxydirende
Einwirkung der Schwefelsäure. Daſs sich durch Zersetzung der Oleïnsulfosäure
Oxystearinsäure bildet, läſst sich erklären: C18H33(SO3H)O2 + 2H2O = H2SO4 + C18H36O3. Hingegen kann Oxyölsäure nur in der Weise aus
Sulfoleïnsäure entstehen, daſs die in erster Linie abgespaltene Oelsäure sich auf
Kosten der Schwefelsäure oxydirt: C18H33(SO3H)O2 = SO2 + C18H34O3.
Die von Müller-Jacobs gegebene Zersetzungsgleichung wäre
also folgendermaſsen umzuändern:
2C18H34SO5 + 2H2O = H2SO4
+ SO2 + C18H34O3 + C18H36O3.
Was nun bei den einschlägigen Versuchen besonders auffällt,
ist der Umstand, daſs Müller-Jacobs auf Grund seiner
falschen Gleichung die Menge Schwefelsäure berechnet, welche auf eine bestimmte
Menge Fettsäure in obiger Reaction frei werden muſs, und daſs er in der That in fünf dahin zielenden Versuchen diese Schwefelsäuremenge
ziemlich genau wiederfindet. Und doch hätte er in Wirklichkeit die Hälfte
davon finden sollen! An Hrn. Müller-Jacobs ist es,
dieses Räthsel zu lösen.
Nachdem Müller-Jacobs die Entstehung von Oxyölsäure aus
seiner „Sulfosäure“ nicht oxydirter Oelsäure bezeugt und nachdem wir gesehen
haben, daſs deren Bildung durchaus von einer Sauerstoffabgabe der Schwefelsäure
abhängt (es sei denn, daſs die Luft während jenes Prozesses in Spiel tritt, was
nicht wahrscheinlich ist und nicht erwähnt wird), ist es um so bemerkenswerther, von
ihm zu vernehmen, daſs die Oxyoleïnsäure und Oxystearinsäure, welche er, wie oben
schon erwähnt, mittels Alkohol aus seiner von der Sulfosäure befreiten
Reactionsmasse auszieht, sich während der Darstellung der
Reactionsmasse in Folge Zersetzung eines Theiles der Sulfosäure gebildet
haben (und bis zu 27 Procent des benutzten Rohöles betragen). Da Oxyölsäure
sich durch oxydirenden Einfluſs der Schwefelsäure bildet und Müller-Jacobs ihre Bildung während des Aktes der Schwefelsäure-Einwirkung
annimmt, so ist nicht zu ersehen, warum er sich so gewaltig gegen alle und jede
Schwefeldioxydentwickelung bei der Rothöldarstellung sträubt und dieselbe nie
bemerkt haben will; theoretisch ist dieselbe nach Obigem doch möglich, wenn auch
beim gewöhnlichen Arbeiten die Rolle der Schwefelsäure neben der verseifenden eine
vielmehr hydratirende, d.h. Oxystearinsäure bildende, als eine oxydirende ist.
Müller-Jacobs behauptet im Türkischrothöle die
Anwesenheit von 30 und mehr Procent unveränderten Triglycerids (also unveränderten
Olivenöles) und
schreibt dem letzteren die Hauptrolle beim Beizprocesse zu. Das unveränderte Oel
soll, „indem es in den Farblack eintritt, denselben
umhüllen, so zu sagen feucht erhalten und vor äuſseren Einwirkungen
(Reagentien) schützen,
der Farbe Glanz, Weichheit und Solidität (die
Grundeigenschaften des Türkischroth) ertheilen“, – eine Ansicht, die seinerzeit schon von S. Jenny ausgesprochen worden und nun von Müller-Jacobs auch auf das neue Türkischrothöl
angewendet wird. Das letztere wirkt also nur, indem es das
unveränderte Oel „in vertheiltester Form an die Faser abgibt“; ja
Müller-Jacobs sagt sogar, daſs die übrigen
Bestandtheile des Türkischrothöles (seine sulfoleïnsauren Salze) bei einem
vorzüglichen Färbeverfahren wieder von der Faser weggewaschen werden müssen. Ihm zu
Folge würden also in dem Falle nur 30 Procent von einem Rohöle beim Färbeprocesse
wirksame und endgültige Verwendung finden.
Wir haben uns von jeher gegen diese rein physikalische Theorie der Wirkung des
Türkischrothöles gesträubt und fanden, daſs eine chemische Erklärungsweise sich
leichter und natürlicher den Verhältnissen anpaſst. In Bezug auf Ricinusölderivate
anstatt Olivenölderivate ist diese Ansicht auch durch Versuche gestützt worden.
Nachdem Müller-Jacobs hiervon Kenntniſs genommen,
bestätigt er selbst diese Thatsache in obiger Abhandlung und bezeugt, daſs einfaches
Ammonricinoleat den aus Triglyceriden erstellten Mordant trotz Abwesenheit von
Estern oder von unveränderten Glyceriden zu ersetzen vermöge. Müller-Jacobs glaubt also in dieser Beziehung unserem
Berichte an das Comité de Chimie de Mulhouse vom 10.
Juli 1884 und kommt in Folge dessen zum Schlusse, „daſs
hierdurch überhaupt die specifische Bedeutung des wasserlöslichen Körpers
für die Türkischrothfärberei wesentlich eingeschränkt“ werde.
Die oben erwähnten Versuche sind in einer der ersten Türkischrothfärbereien der
Schweiz von Dr. Heinr. Fischli ausgeführt worden.
Ricinusöl wurde mit Natronlauge verseift, aus der gewonnenen Seife die
Ricinusölsäure mittels Salzsäure gefällt, gewaschen, in einem Gemische von Natron
und Ammoniak bis zur Neutralisation gelöst und das so erhaltene Präparat an Stelle
des gewöhnlichen Türkischrothöles beim Türkischrothfärbeverfahren angewendet
(doppelte Einwirkung des Ricinates zunächst beim
anfänglichen Beizen des Gewebes, worauf der Thonerdemordant folgte, dann beim späteren Ausfärben, allwo das Ricinoleat dem
Färbebade zugegeben wurde). Das erhaltene Roth entsprach in jeder Beziehung, in
Schönheit wie Solidität, dem auf gewöhnliche Weise erstellten Roth.Auch Verfasser ist es seither gelungen, mittels Ammonricinoleat ebenso
feurige Alizarinrothlacke im trockenen Zustande darzustellen wie mittels.
Türkischrothöl.S. Und doch
war hierbei „fein vertheiltes Triglycerid“ fern, welches Müller-Jacobs als Hauptbedingung der Erzeugung von
Türkischroth hinstellte.
Der Chemismus der Reaction ist doch einfach: Bildung von ricinölsaurer Thonerde und
schlieſsliche Bildung eines Doppellackes von ölsaurem und alizarinsaurem Aluminium.
Daſs letzterer eben solider und glänzender ist wie die von Fettsäure freien
Verbindungen, ist nun einmal auf die schon oft festgestellte Thatsache
zurückzuführen, daſs zusammengesetzteren Lacken gröſsere Stabilität und oft gröſsere
Lebhaftigkeit zukommen wie einfachen, und erinnern wir hierbei u.a. an die
Antimontanninlacke der Aminfarbstoffe, an die Chrommagnesiumlacke gewisser
Farbstoffe u.s.w. Ueberflüssig ist es, zum Verständnisse der Wirkungsweise des Oeles
zu einer so groben mechanischen Theorie seine Zuflucht zu nehmen, nach welcher das
letztere wie ein bloſser schützender Firniſs, wie eine schwer durchdringliche
Umhüllung auftritt.
Noch eine Bemerkung in Bezug auf die Wirkung freier Oleïnsäure: Alb. Scheurer und Hor.
Koechlin, letzterer wohl einer der sachverständigsten Türkischrothfärber,
haben gefunden und im oben genannten Sitzungsberichte bemerkt, daſs die feine
Emulsion der freien Oelsäure, wie dieselbe durch monatelanges Schütteln der
letzteren mit Wasser erhalten wird, ein gleiches Türkischroth hervorbringen kann wie
die Türkischrothöle des Handels. Müller-Jacobs
bezweifelt dies und meint: „Man kann sich leicht durch den Versuch überzeugen, daſs freie Oelsäure,
selbst in feinster Vertheilung, nicht im Stande ist, Thonerdelösungen zu
zersetzen, d.h. ein Aluminiumoleat zu bilden.“ Dies ist nun aber
gar nicht behauptet worden. Bei Anwendung freier Oleïnsäure muſs natürlich der Gang
der Färberei geändert werden und würde man erstere z.B. auf schon fixirte
Thonerdebeize einwirken lassen, wobei die Oleïnsäure angezogen wird und
Aluminiumoleat bildet. Eine ähnliche Anziehung der Emulsion wird im Färbebade
stattfinden. Der ganze Versuch bezweckt, zu zeigen, daſs Oelsäure als wirksames
Prinzip und Aluminiumoleat als Grundlage der Rotherzeugung auftritt. Es wird darum
Niemandem einfallen, Emulsionen von freier Oelsäure oder Ricinölsäure an Stelle der
handlicheren und bequemeren Form der heutigen löslichen Türkischrothöle in der
Praxis anzuwenden.