Titel: | Ueber M. Honigmann's feuerlosen Dampfbetrieb. |
Fundstelle: | Band 256, Jahrgang 1885, S. 1 |
Download: | XML |
Ueber M. Honigmann's feuerlosen
Dampfbetrieb.
Mit Abbildungen auf Tafel
1.
Ueber Honigmann's feuerlosen Dampfbetrieb.
Mit groſsem Eifer hat sich M. Honigmann in
Grevenberg bei Aachen bestrebt, das ihm patentirte
Verfahren der Heizung von Dampfkesseln mittels Natronlauge, in welche der Abdampf
geleitet wird (vgl. 1883 250 * 429), weiter auszubilden, von anhaftenden Mängeln
möglichst zu befreien und dasselbe namentlich für den Betrieb von Locomotiven
einzuführen.
Während der Natronkessel anfänglich immer offen gelassen wurde, so daſs der Abdampf
entweichen konnte, sobald der Siedepunkt der Lauge erreicht war, soll derselbe
jetzt, wenn eine gewisse Verdünnung der Lauge eingetreten ist, geschlossen werden,
so daſs auch im Natronkessel ein geringer, allmählich steigender Ueberdruck
entsteht. Es wurde nämlich festgestellt, daſs der Siedepunkt der Lauge mit der
Pressung ganz erheblich steigt, so daſs er bei 0at,5 Ueberdruck schon um 11,5°, bei 1at
Ueberdruck um 22° höher liegt als bei atmosphärischem Drucke. Hierdurch ist es
ermöglicht, den Prozeſs bedeutend länger, d.h. bis zu einer viel stärkeren
Verdünnung der Lauge fortzusetzen, oder höhere Dampfspannungen zu verwenden. Wie
groſs der hierdurch erzielte Gewinn ist, geht aus folgenden von Honigmann, gemachten Angaben hervor:
100k Natronlauge,
deren Siedepunkt bei 220° liegt, verdampfen Wasser bei
at Ueberdruck imDampfkessel
at Ueberdruck im Natronkessel
0
0,5
1
1,5
2
80k
125k
200k
350k
4
51
70
98
125
6
34
48
66
80
8
22,5
33
47
60
10
16
24
35
46
20
2
8
12
21
Während man also bei offenem Natronkessel mit 100k
Lauge 80k Dampf von nur 2at erhielt, kann man jetzt mit derselben
Laugenmenge die gleiche Dampfmenge von 6at
Spannung erzielen, wenn man nach Verdampfung von 34k den Natronkessel schlieſst und den Ueberdruck in demselben allmählich
bis auf 1at,5 steigen läſst, wobei dann allerdings
auch der Gegendruck im Dampfcylinder im gleichen Maſse wächst.
Der wesentlichste Uebelstand des Honigmann'schen
Verfahrens bleibt vorläufig noch die zerstörende Einwirkung des Natrons auf das
Eisen. Um näheren Aufschluſs hierüber, wie auch über das Verhalten von Kupfer und
Messing dem Natron gegenüber zu erlangen, wurden 3 Drahtbündel in Natronlauge von
140 bis 200°, welche sich in einem kupferne Kessel befand, 7½ Stunden lang gekocht.
Hierbei verlor der Eisendraht 13,1 Procent an Gewicht oder 0g,0164 für 1qc
Oberfläche (= 0k,164 für 1qm), der Messingdraht nur 0,05 Procent oder 0g,93 für 1qm
Oberfläche. Eine Gewichtsverminderung des Kupferdrahtes war nicht wahrzunehmen.
Hiernach würde Eisenblech, wenn es fortdauernd solcher Lauge von 140 bis 200°
ausgesetzt ist, in 320 Stunden schon 1mm in der
Dicke eingebüſst haben, während Kupfer und Messing für die Natronkessel geeignet
scheinen; doch steht ihrer allgemeineren Anwendung allerdings der hohe Preis
entgegen.
Einen wirksamen Schutz des Eisens will nun Honigmann
dadurch erreichen, daſs er die Natronlaugen mit Eisenoxyd übersättigt. Eine
derartige Lauge soll auf dem Eisen einen schwarzen, fest haftenden Beschlag von
Eisenoxyduloxyd (Magneteisen) veranlassen, welcher – wenigstens bei Temperaturen
unter 155° – in der Lauge unlöslich ist. Eisendrahtbündel, welche 3 mal hinter
einander je 10 Minuten in einer mit Eisenoxyd übersättigten Lauge gekocht waren,
zeigten keine Gewichtsabnahme; erst nachdem dieselben dann noch 10 Minuten in
derselben Lauge von 155 bis 166° Temperatur gekocht waren, ergab sich ein
Gewichtsverlust von 0,0029 Proc. Dieses Verfahren würde demnach benutzt werden
können, wenn man mit sehr geringen Dampfspannungen auskommt. In der Regel soll der
Natronkessel und die Heizröhren aus Kupfer bezieh. Messing hergestellt werden,
während man natürlich finden Dampfkessel, soweit derselbe mit dem Natron nicht in
Berührung kommt, Eisen verwendet. Der Preis eines vollständigen Natrondampfkessels
für Straſsenlocomotiven soll hiernach etwa 1400 M. betragen. Um auch die Möglichkeit
auszuschlieſsen, daſs der über der Lauge befindliche Sauerstoff das Kupfer oxydire,
soll dem Natron Eisenoxydul beigefügt werden, welches den Sauerstoff sofort
bindet.
Eingehende Untersuchungen über den Honigmann'schen
Dampfbetrieb sind von Prof. Riedler in München bezieh.
Aachen angestellt und später mit gröſseren Kesseln von M. F.
Gutermuth fortgesetzt worden. Diese Untersuchungen, über welche in der Zeitschrift des Vereins deutscher Ingenieure, 1883 * S.
729 und 1884 * S. 69 ausführlich berichtet ist, ergaben eine groſse Zahl
unmittelbarer Anhaltspunkte für die praktische Anwendung des Verfahrens, leider aber
noch keine zuverlässigen Grundlagen für eine rechnerische Behandlung der bei
demselben in Betracht kommenden Vorgänge, weil die Apparate namentlich zur genauen
Bestimmung der auftretenden Wärmeverluste nicht geeignet waren. Insbesondere hat die
in Folge der chemischen Verbindung der Natronlauge mit Wasser frei werdende Wärme
noch nicht genau bestimmt werden können. Ueber die wesentlichsten Gröſsen, welche
für den Bau eines Natronkessels zu berücksichtigen sind, nämlich die Menge der Lauge
und die Gröſse der Heizfläche, d.h. den Flächeninhalt der einerseits von der Lauge,
andererseits von dem zu verdampfenden Wasser berührten Wandung, läſst sich nach den
Versuchen folgendes sagen. Da die von der Lauge aufzunehmende Dampfmenge durch die
zulässige Verdünnung der Lauge bedingt ist, diese aber von den Siedepunkten abhängt,
so muſs die für eine bestimmte Leistung nothwendige Laugenmenge nach der verlangten
Temperatur bezieh. Spannung des Arbeitsdampfes bestimmt werden. Die Siedepunkte der
Lauge bei normalem Atmosphärendrucke sind nach Honigmann folgende:
Eine Natronlauge von 100 NaOH
gemischt mit
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
120
140
H2O
siedet bei
256
220,5
200
185,5
174,5
166
159
154
149
144
136
130°.
Soll nun z.B. eine Straſsenbahnmaschine während einer Stunde unausgesetzt 15e leisten, so sind bei einem Dampfverbrauche von
20k für 1e
und Stunde 300k Dampf erforderlich. Soll ferner
der Dampf einen Ueberdruck von 4at haben,
entsprechend einer Temperatur von 152°, und nimmt man einen Temperaturunterschied
zwischen Wasser und Lauge von 8° an (s. unten), so muſs die Lauge eine Temperatur
von 160° haben. Dieselbe darf also, wenn der Natronkessel offen ist, nur so lange
mehr und mehr verdünnt werden, bis ihr Siedepunkt bei 160° liegt, also nach obiger
Tabelle nahezu im Verhältnisse von 100 : 70. Verwendet man Lauge, welche anfänglich
auf 100k Natronhydrat 20k Wasser enthält (entsprechend einem Siedepunkte
von 220,5°), so können demnach 120k dieser Lauge
noch 70 – 20 = 50k Wasser aufnehmen. Für jene
300k Dampf wären mithin 6 × 120 = 720k Lauge nöthig. Dem Dampfkessel wären auſser den
300k zu verdampfenden Wassers noch etwa 100k überschüssiges Wasser zu geben, so daſs hiernach
das gesammte Flüssigkeitsgewicht des Kessels 1120k
betragen würde. Eine kleine 3pferdige Locomotive würde für einen 12stündigen Betrieb
unter den gleichen Voraussetzungen 1730k Lauge und
etwa 870k Wasser erfordern u.s.w.
Die Heizfläche ist selbstverständlich immer möglichst
groſs zu nehmen. Je gröſser dieselbe ist, um so geringer wird der
Temperaturunterschied zwischen Lauge und Wasser ausfallen, um so besser kann also
die erstere ausgenutzt werden und um so weniger ist für eine bestimmte Leistung
erforderlich. Bei den 4 gröſseren der bei den Versuchen benutzten Kessel betrugen
die auf 1qm der Heizfläche kommenden
Wassermengen:
200
150
80
50k
und die Temperaturunterschiede:
30 bis 40°
15 bis 20°
12 bis 15°
6 bis 90.
Will man daher keinen über 7 bis 8° hinausgehenden
Temperaturunterschied haben, so muſs man für je 50k zu verdampfenden Wassers 1qm
Heizfläche rechnen.
Seit Juli 1884 ist auf der Aachen-Burtscheider Straſsenbahn eine in Honigmanns Werkstätten zu Grevenberg gebaute
Natronlocomotive in Betrieb, deren Bauart aus Fig. 1 Taf. 1 ersichtlich
ist. Auf einen stehenden cylindrischen Natronkessel n
von lm,2 Durchmesser und lm,4 Höhe ist oben ein niedriger Wasserkessel w von gleichem Durchmesser und 0m,5 Höhe aufgeschraubt, von welchem 120
Messingröhren von 41mm äuſserem Durchmesser in den
unteren Kessel hinabreichen. Der Kessel w selbst wird
von der Lauge nicht berührt. Der untere Kessel n wird
vor Beginn des Betriebes so weit mit concentrirter Lauge gefüllt, daſs etwa 5qm der Röhrenfläche von Lauge bespült, also als
Heizfläche zu rechnen sind. Durch die Dampfaufnahme vergröſsert sich dieselbe
während des Betriebes allmählich bis auf 10qm. Der
obere Kessel wird zuerst etwa zur Hälfte mit Wasser gefüllt, so daſs ungefähr 250
bis 300k Dampf daraus gewonnen werden. Während der
Fahrt werden dann noch mittels eines Injectors 300 bis 350k Wasser von 30 bis 40° eingespeist. Auf diese
Weise ist es möglich, den Dampfdruck trotz der stets wachsenden Heizfläche annähernd
constant zu erhalten. Die Locomotive hat 2 Cylinder von 180mm Durchmesser und 220mm Hub und eine Zahnradübersetzung von 2 : 3; sie wiegt 6000k und arbeitet mit einem Drucke von 4 bis 5at. Die Bahnstrecke ist 1km lang und hat auf 400m eine Steigung von 1 : 30, auf 250m eine Steigung von 1 : 43 und auf 350m eine Steigung von 1 : 72. Dabei sind 4 Curven
von 20m Radius zu durchlaufen. Eine Füllung von
900k Natron reicht für einen 4½ stündigen
Betrieb aus, in welcher Zeit die 1km lange Strecke
27 mal zurückgelegt wird. Die Geschwindigkeit beträgt demnach im Mittel 6km in der Stunde. Auf einer anderen fast
wagerechten Strecke soll die Maschine in 4½ Stunden 38km zurücklegen. Um ein Klappern der Zähne zu vermeiden, können nur groſse
Füllungen benutzt werden, so daſs der Dampfverbrauch ein verhältniſsmäſsig hoher
ist. Neuerdings fertig gestellte, direkt (ohne Zahnräder) wirkende Maschinen sollen
mit der gleichen Natronfüllung eine 6½ stündige Dienstzeit ermöglichen.
Auf der Abdampfstation sind zur Zeit zwei guſseiserne Kessel von 20mm Wanddicke und 4qm Heizfläche vorhanden, in welchen mit 1k Kohlen 6k Wasser verdampft werden.
Später sollen dieselben durch kupferne Kessel ersetzt werden.Nachdem dies neuerdings ausgeführt worden, soll eine 7,1 fache Verdampfung
mit geringwerthiger Förderkohle erzielt worden sein. Nach dem
Einlaufen der Locomotive in die Station wird zuerst der Wasserkessel sowie der auf
der Locomotive (unten zwischen den Rädern) befindliche Wasserbehälter gefüllt. Die
Spannung in ersterem geht dabei auf etwa 1at,5
herab. Dann wird durch den gegen Ende der Fahrt erreichten geringen Ueberdruck im
Natronkessel die
verdünnte Lauge in den einen Abdampfkessel gehoben, worauf man die gesättigte Lauge
aus dem anderen Kessel einlaufen läſst. Einschlieſslich des Befestigens der Einlauf-
und Ablaufröhren ist hierzu eine Zeit von nur 20 Minuten erforderlich. Während des
Einlaufens der 210 bis 220° heiſsen Lauge steigt die Spannung im Dampfkessel bis auf
5at, so daſs nach erfolgter Füllung die
Locomotive sofort wieder betriebsfähig ist.
Honigmann gibt die Anlagekosten für 4
Straſsenbahnlocomotiven, von denen drei dauernd laufen und eine in Vorrath gehalten
wird, zu 36000 M., die der Abdampfstation zu 5000 M., zusammen mithin 41000 M. an
und berechnet die Betriebskosten für 1 Tag einschlieſslich 10 Proc. Zinsen und
Tilgung und 4 Proc. Ausbesserungskosten zu 48 M., also für jede der 3 laufenden
Locomotiven zu 16 M., was für 1km, wenn jede
Maschine täglich 100km zurücklegt, 16 Pf.
ausmacht.
Seit Oktober 1884 ist ferner auf der Aachen-Jülicher Eisenbahn eine von der Hannoverschen Maschinenbau-Actien-Gesellschaft, vormals G.
Egestorff nach Honigmann'schem System gebaute,
sehr schwere Locomotive im Betriebe. Dieselbe hat Cylinder von 0m,6 Durchmesser und 0m,62 Hub, 6 gekuppelte Räder von 1m,2
Durchmesser und einen liegenden Natronkessel von 6m Länge und 0m,2 Durchmesser, in welchen
ein Wasserkessel mit wagerechten Röhren eingesetzt ist (vgl. Fig. 2 und 3 Taf. 1). Das
Dienstgewicht der ganzen Locomotive beträgt 45t.
Eine Natronfüllung genügt zur Verdampfung von 6 bis 7cbm Wasser bei einem Drucke von anfangs 7 und schlieſslich noch 4at. Die Locomotive zieht täglich einen Personenzug
von Aachen nach Jülich und zurück und soll später auf der Grotthardbahn thätig sein.
Sowohl der Betrieb auf der Aachen-Burtscheider Straſsenbahn, wie der auf der
Aachen-Jülicher Eisenbahn soll zunächst ununterbrochen ein volles Jahr durchgeführt
werden, um möglichst ausgedehnte Erfahrungen zu sammeln.
In Fig. 4 ist
noch eine einfache Kesselconstruction angegeben, welche wenigstens für liegende
Kessel sehr geeignet zu sein scheint. Ein gewöhnlicher Walzenkessel ist durch zwei
kupferne Scheidewände, welche durch Messingröhren verbunden sind, in drei Kammern
getheilt. Die beiden äuſseren nehmen das zu verdampfende Wasser, die mittlere die
Natronlauge auf.
Von Interesse ist, daſs nach Engineering, 1874 Bd. 17 S.
124 schon vor 11 Jahren Spence ein dem Honigmann'schen ähnliches Verfahren versuchsweise zur
Anwendung brachte. Er erhitzte Aetznatronlauge durch Einleiten von Abdampf auf etwa
190° und lieſs diese heiſse Lauge behufs Dampferzeugung durch ein Rohrsystem
strömen, welches in einem gewöhnlichen Dampfkessel angebracht war. Ebenso will auch
L. Perkins (daselbst S. 147) auf Grund von
Versuchen, welche er im J. 1864 und 1865 mit Salzlösungen, Säuren, Glycerin und
namentlich mit Schwefelsäure angestellt hatte und bei denen er durch Einleiten von
Abdampf Temperaturen von
260° erzielt haben will, eine 4pferdige Dampfmaschine construirt haben, deren Kessel
mit einer Kochsalzlösung umgeben war, in welche der Auspuffdampf der Maschine
geleitet wurde. Spence sowohl wie Perkins glaubten aber mit dem Verfahren einen groſsen
Wärmegewinn erzielen zu können und erkannten nicht die Bedeutung, welche dasselbe
für unterirdische und Straſsenbahnen o. dgl. haben kann. Nachdem sie sich in ihren
Hoffnungen getäuscht sahen, gaben sie die Sache wieder auf. Honigmann dagegen hat die Erfindung lebensfähig gemacht und sie mit
seltener Energie in die Praxis eingeführt.