Titel: | H. Marneffe's Kraft sammelnde Bremse für Strassenbahnwagen. |
Fundstelle: | Band 256, Jahrgang 1885, S. 193 |
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H. Marneffe's Kraft sammelnde Bremse für
Straſsenbahnwagen.
Mit Abbildungen.
H. Marneffe's Kraft sammelnde Bremse für
Straſsenbahnwagen.
Bei der immer lebhafter werdenden Benutzung der Straſsenbahnen macht sich der
schädliche Einfluſs mehr und mehr fühlbar, welchen das häutige Halten und
Wiederanfahren sowohl auf Fahrzeuge und Geleise durch das heftige Bremsen, als auch
auf die Zugthiere in Folge der zum Anziehen nöthigen Ueberanstrengung ihrer Kräfte
ausübt. Wenn ersteres bis jetzt weniger der Erörterung unterzogen wurde, weil der
daraus erwachsende Verschleiſs nicht besonders in Zahlen nachgewiesen, sondern
einfach den allgemeinen Ausbesserungkosten überwiesen wird, so hat dagegen der
zweite Punkt, die Ueberanstrengung der Pferde, schon lange die Aufmerksamkeit aller
Betheiligten auf sich gezogen und geben die zahlreichen einschlägigen Patente,
welche alle diesem Uebelstande abzuhelfen bestrebt sind, von der Wichtigkeit des
Gegenstandes den besten Beweis.
In der That braucht man gar nicht zu hoffnungsreich zu sein, um die bedeutenden
Vortheile anzuerkennen, welche den Pferdebahnen durch Beseitigung dieses lästigen
Umstandes erwachsen würden. Bedenkt man, daſs auf jeden Straſsenbahnwagen wenigstens
4 Pferde kommen und daſs jedes Pferd täglich nicht mehr als 2½ bis 3 Stunden
arbeitet, während doch ein Pferd im leichten Trabe bei 10stündiger Arbeit einen
gleichbleibenden Zug von 30 bis 35k, welcher zur
Bewegung der meisten Straſsenbahnwagen genügt, ausüben kann, so wird man gewiſs
finden, daſs eine namhafte Ersparniſs durch Veränderung der Betriebsbedingungen zu
erzielen sein würde. Unstreitig ist die geringe Ausdauer der Pferde der
Straſsenbahnen nur in der durch das beständige Anziehen hervorgerufenen
Ueberanstrengung zu suchen, woraus sich auch die meisten in den
Straſsenbahnpferdeställen auftretenden Krankheiten ableiten lassen. Beseitigt man
diese Arbeit des Anziehens, so wird damit die Arbeit des Straſsenbahnpferdes zu
einer gewöhnlichen; ja noch mehr: in Folge der häufigen Halte, welche als ebenso
viel Ruhepunkte angesehen werden können, arbeitet das Straſsenbahnpferd unter
günstigeren Bedingungen als jedes andere Pferd, welches im Wagen, in der Karre oder
im Göpel einen ununterbrochenen Zug auszuüben hat. Folglich wird man dem Pferde
auch, ohne es mehr zu ermüden, eine längere tägliche Arbeitszeit zumuthen können und
bleibt man gewiſs von der äuſserst zulässigen Beanspruchung noch weit entfernt, wenn
man die jetzige um ⅓ erhöht, so daſs jedes Pferd täglich 4 Stunden lang eingespannt
wäre. Dies ermöglicht die Ersparung eines Pferdes für jeden Wagen; abgesehen von dem
Werthe desselben, welchen man ungefähr durch die an dem Wagen vorzunehmende
Veränderung ausgeglichen annehmen kann, wird dadurch, den Unterhalt eines Pferdes
nur zu 3 M. täglich angenommen, eine jährliche Ersparniſs von 1095 M. für jeden
Wagen bewirkt. Diese Zahlen bleiben noch weit hinter der Wahrheit zurück, wenn man den
besseren Gesundheitszustand der Pferde mit in Rechnung zieht.
Wenn dessen ungeachtet noch keiner der vielen Apparate, durch welche obige Vortheile
zu erzielen sein sollen, dauernd in Thätigkeit ist, so liegt dies einestheils an der
Unvollkommenheit derselben, anderentheils an der verwickelten Anordnung ihrer
Bewegungstheile, welche es dem Führer schwierig macht, die einzelnen Verrichtungen
mit Sicherheit zu vollziehen. Alle beruhen aber auf demselben Grundgedanken, von der
Construction an, welche Ritchie sich im J. 1860 in
Nordamerika patentiren lieſs, bis auf die hier vorliegende, nämlich darauf, die
durch die lebendige Kraft des Wagens beim Halten verrichtete Arbeit zum Spannen
einer Feder zu benutzen und diese dann beim Anziehen drehend auf eine der Achsen
wirken zu lassen; die Unterschiede der verschiedenen Anordnungen bestehen lediglich
in der mehr oder weniger praktischen Lösung dieser Aufgabe. (Vgl. Cohrs 1876 221 * 416.)
Als eine besonders glückliche Lösung erscheint die auf S. 195 und 196 dargestellte
Construction von H. Marneffe in Lüttich (vgl. * D. R.
P. Kl. 20 Nr. 25 829 vom 1. Februar 1883), welche von der Maschinenfabrik Beer in Jemeppe bei Lüttich gebaut wird. Der Motor der
Vorrichtung besteht in einer kräftigen Spiralfeder, welche sich in einem vollständig
geschlossenen Federhause auf einer der Wagenachsen befindet und sowohl für den
Rückwärtsgang, wie für den Vorwärtsgang dient. Dabei dreht sich das Federhaus, wenn
die Bremse nicht in Thätigkeit ist, mit der Achse, verursacht also keinerlei Reibung
und die dadurch dem Wagen aufgebürdete todte Last ist verhältniſsmäſsig gering.
Die Zeichnungen, in welchen überall gleiche Buchstaben den
gleichen Theilen gelten, zeigen in Fig. 1 und Fig. 2 den Längsschnitt und Grundriſs eines mit der
Marneffe'schen Kraft sammelnden Bremse versehenen
Wagens, aus denen ersichtlich, daſs letzterer zur Anbringung der Bremse keinerlei
Veränderungen zu erleiden hat. Auf eine der Achsen des Wagens wird das mit
Sperrzähnen versehene Federhaus A gesteckt; die Achsen
der Schaltwerke sind durch Winkeleisen F gehalten,
welche unmittelbar unter die Querschwellen des Wagenkastens geschraubt sind, und die
Bewegung derselben geschieht mittels der Bremswelle R,
die zu diesem Zwecke unten ein Doppelexcenter trägt. Die an dem Wagen vorhandene
Reibungsbremse wird an der nicht mit Federhaus versehenen Achse beibehalten und auf
gewöhnliche Weise durch die Handkurbel der Bremswelle R, welche ebenfalls zur Bewegung der sogen. Accumulatorbremse dient,
angezogen.
Es stellen Fig. 3 die Seitenansicht
der Vorrichtung, Fig. 4 den Längsschnitt durch das
Federhaus, Fig. 5 den Querschnitt in der Wagenachse,
Fig. 6 den Grundriſs, Fig. 7 und 8 die Construction des die
Bewegung der Schaltwerke einleitenden Excenters dar und ist die Stellung desselben
in den verschiedenen Augenblicken der Benutzung in Fig.
9 angegeben.
Die als Motor dienende Spiralfeder W
ist innen an der Nabe B und auſsen am inneren Umfange
des Federhauses befestigt, welche beide Theile A und
B sich unabhängig von einander lose auf der Welle
drehen können, deren seitliche Verschiebung aber durch die Stellringe b, b1 verhindert wird.
Federhaus und Nabe sind mit Sperrzähnen versehen, welche eine einander
entgegengesetzte Neigungsrichtung haben, und zwar sind die Zähne a des Federhauses unmittelbar an dem äuſseren Umfange
desselben angegossen, während die Sperrzähne sich der Nabe c am Umfange einer auf diese aufgekeilten Scheibe befinden, welche gleichzeitig
das Federhaus nach dieser Seite vollständig abschlieſst. Zu beachten ist, daſs die
Neigungsrichtung der Sperrzähne c der Richtung der
Windungen der Spiralfeder W entspricht. Auſser den
Sperrkränzen a und c sind
Federhaus und Nabe noch auf den einander abgewendeten Seiten mit Zahnkuppelungen a1 und c1 versehen, deren
Zähne gleiche Neigungsrichtung mit den Zähnen des zugehörigen Sperrkranzes haben und
mit den auf der Welle auf Keilen verschiebbaren Kuppelungsmuffen D und E, welche durch die
Schraubenfedern d und d1 beständig angedrückt werden, im Eingriffe stehen.
Die Federn können durch Verstellen der Stellringe e und
e1 mehr oder
weniger gespannt werden. Eingelegte Kautschukringe zwischen dem Ringe b und dem Muffe D bezieh.
b1 und E verhindern ein zu heftiges geräuschvolles Aufschlagen
der Zähne, wenn dieselben beim Spannen der Feder auf einander gleiten. Das Ausrücken
der Kuppelungsmuffe geschieht durch die wagerechten Winkelhebel J und J1, welche gabelförmig um den Hals derselben
herumgreifen und durch die Zugstangen K, K1 vom Führerstande aus bewegt werden können. In
Rücksicht auf die Schwingungen des Wagenkastens gegen die Radachse beim Fahren ist
nach allen Richtungen hin genügendes Spiel zwischen dem Halse der Muffen und den
Gabeln des Hebels gelassen, so daſs diese sich beim ordnungsmäſsigen Gange nicht
berühren können.
Fig. 1–2., Bd. 256, S. 1951/60 n. Gr. Die Schaltwerke der Sperrkränze a und c befinden sich auf den in den Winkeleisen F gelagerten Wellen f,
f1 und bestehen für jeden Sperrkranz in
einem Sperrhaken G, G1
und einer Sperrklinke H, H1. Die Sperrhaken sind fest auf die Welle gekeilt, während die
Sperrklinken sich lose darauf drehen und nur durch die Federn g, g1 von den
Sperrhaken aus angedrückt werden, in ordnungsgemäſser Stellung aber unter Einfluſs
des oben angeschmiedeten Gegengewichtes h, h1
auſser Eingriff senkrecht herabhängen. Die auf die Wellen aufgekeilten Hebel L, L1 dienen zum
Bewegen des Schaltwerkes; dieselben sind mit den Stangen M,
M1 durch welche sie mit dem Führerstande in
Verbindung stehen, nicht fest verbunden, sondern treten in einen Schlitz derselben,
in welchem sie durch die Federn l, l1 nach vorn gedrückt werden.
Fig. 3–9., Bd. 256, S. 196
1/20 nat. Gröſse.
Durch diese Anordnung wird bewirkt, daſs beim Ziehen
der Stangen M, M1 die
Sperrhaken G, G1
unbedingt ausgerückt werden müssen, während die Sperrklinken im Eingriffe bleiben
werden, so lange die durch den Zahndruck hervorgebrachte Reibung gröſser ist als die
Wirkung der Gegengewichte h, h1. Beim Andrücken dagegen können die Stangen M, M1 einen gröſseren
Weg durchlaufen als die Hebel L, L1 indem sie, wenn die Sperrhaken anliegen, die
Federn spannen. Dies ist nöthig wegen des Ausschlages des Excenters zwischen den
Stellungen II und III (Fig. 9) in welchen der
Sperrhaken, wie später gezeigt werden wird, eingerückt sein muſs.
Die Bewegung der Stangen K, K1 und M, M1 welche zur Aus- und Einrückung der
Kuppelungsmuffen und Schaltwerke dienen, geschieht, wie oben schon bemerkt wurde,
von dem einen oder anderen Führerstande aus durch die auf das Ende der Brems wellen
R aufgesteckten Doppelexcenter. Nach der Zeichnung
jedoch ist nur ein Excenter N auf jeder Welle vorhanden
und wird das zweite durch einen an ersteres excentrisch angegossenen Zapfen O ersetzt. Das Excenter N
greift dabei an die Stangen K, K1 der Kuppelungsmuffe und die Zapfen O an die Stangen M, M1 der Schaltwerke. Beide können sich nur nach einer
Richtung von rechts nach links drehen; an einer Drehung im entgegengesetzten Sinne
werden dieselben durch die Sperrklinke t verhindert,
welche in die in dem Halse n des Excenters angebrachten
und den Stellungen I bis IV (Fig. 9) entsprechenden
Nuthen eingreift. Das Excenter sitzt dabei lose auf dem mit Gewinde versehenen Ende
der Welle und wird in seiner höchsten Stellung bei einer Drehung von rechts nach
links durch den Anschlagestift r, welcher sich gegen
die Nase s legt (Fig. 7
und 8), mitgenommen.
Bei einer Drehung im entgegengesetzten Sinne aber sinkt das
Excenter, welches an dieser Bewegung nicht Theil nimmt, bei jeder Umdrehung um eine
Ganghöhe herab und kommt dadurch auſser Eingriff mit dem Anschlagestifte, dessen
Dicke etwas geringer ist als die Ganghöhe. Die Anzahl der möglichen Umdrehungen in
diesem Sinne (etwa 2½ bis 3) hängt von der Anzahl der freien Gewindegänge der Welle
ab und wird durch eine unten angebrachte Vorlegescheibe mit Mutter begrenzt, wodurch
gleichzeitig ein zufälliges Herabfallen des Excenters verhindert wird.
Ueber dem Excenter sitzt lose auf der Welle R die Bremsscheibe P, um
welche sich die Kette F, F1 (Fig. 2) der Reibungsbremse wickelt.
Diese nimmt an der Drehung von rechts nach links, durch welche die Accumulatorbremse
gespannt wird, nicht Theil, sondern wird nur bei der entgegengesetzten
Drehungsrichtung durch die Kuppelungsmuffe Q
mitgenommen, welche auf den in die Welle eingelegten Keilen gleitet. Der Führer kann
also mit derselben Kurbel, je nachdem er sie in der einen oder in der anderen
Richtung herumdreht, entweder die gewöhnliche Reibungsbremse anziehen, um bei
Gefälle die Geschwindigkeit der Wagen zu vermindern, oder auf die Accumulatorbremse
wirken, wenn die durch das Anhalten verrichtete Arbeit wieder ausgenutzt werden
soll. Ein kleiner Quadrant S unmittelbar unter der
Kurbel macht den Führer auf die Stellungen des Excenters aufmerksam.
Der Gang des Apparates ist nun folgender: Angenommen, die Bremse sei auſser
Thätigkeit, der Wagen bewege sich in der angegebenen Pfeilrichtung und der Führer
stehe vorn. Das Excenter befindet sich dann in der Stellung I (Fig. 9); sämmtliche Schaltwerke der Sperrkränze sind
ausgerückt, während die Kuppelungen D und E im Eingriffe stehen und das ganze System sich mit der
Achse dreht. Soll die Bremse wirken bezieh. die Feder gespannt werden, so dreht man
das Excenter in die Stellung II; der Sperrhaken G
greift dann in die Zähne c des Sperrkranzes der Nabe
und hält diese fest, während das Federhaus, durch den Muff D mitgenommen, sich mit der Achse dreht. Der Muff E und die Sperrklinke H, welche beide nur
durch Federn gegen die der Bewegungsrichtung entgegengesetzt geneigten Zähne c1 und a gedrückt werden, gleiten auf diesen und treten erst
in Thätigkeit, wenn der Wagen in Ruhe ist, indem sie ein Zurückdrehen der Feder
verhindern. Man dreht jetzt das Excenter in die Stellung III und rückt damit den
Muff D aus; da aber das Federhaus am Umfange und an der
Nabe durch das Schaltwerk G und H gehalten wird, so bleibt die Feder gespannt und wirkt erst auf die
Achse, wenn das Excenter im Augenblicke der Abfahrt nach IV gedreht und damit der
Sperrhaken G ausgerückt wird. Das Federhaus wird dann
am Umfange durch die Sperrklinke H gehalten, während
sich die Nabe und mit dieser mittels des Muffes E die
Achse unter Einwirkung der Spiralfeder W in der
Pfeilrichtung dreht und damit den Wagen vorwärts treibt. Stände der Führer hinten
und führe der Wagen in entgegengesetzter Richtung, so würde man ganz denselben
Erfolg erzielen; die Feder treibt den Wagen immer nach der Seite hin, von welcher
die Bewegung der Schaltvorrichtungen ausgegangen ist.
Ist der Wagen am Ende der Bahn angekommen und die Feder von vorn aus gespannt, so
schaltet man hinten die Bremse ebenfalls ein, indem man dort das Excenter in die
Lage II bringt, worauf man das Excenter vorn in die Lage I zurückdreht. Die Feder
wird gespannt bleiben und nachher, von hinten ausgelöst, den Wagen nach rückwärts
treiben.
Weiter ist es möglich, die Arbeit der Feder augenblicklich zu unterbrechen und später
wieder aufzunehmen; es genügt hierfür, das Excenter aus IV nach I zu drehen,
wodurch, da dann beide Kuppelungsmuffen E und D im Eingriffe stehen, die Feder in gespanntem Zustande
bleiben wird, um dann bei einer Drehung des Excenters nach IV wieder in Thätigkeit
zu treten.
Sollte die Feder den Wagen zu rasch vorwärts treiben, so kann man durch rasches
Rückwärtsdrehen der Kurbel die Reibungsbremse anziehen und dadurch einen Widerstand
schaffen, ohne durch diese Drehung der Kurbel die Wirkung der Feder zu unterbrechen,
da das Excenter in seiner Stellung durch die Sperrklinke t festgehalten wird.
Diese Vorrichtung hat an einem schweren Antwerpener Straſsenbahnwagen versuchsweise
mehrere Tage gearbeitet, ohne auch nur ein einziges Mal zu versagen. Selbst in den
stärksten Krümmungen zog die Feder den von Neugierigen überfüllten Wagen immer
sicher an, so daſs das vorgespannte Pferd sich mit schlaffen Zugseilen in Gang
setzen konnte. Wenn nun auch während dieser Versuchszeit der Maschinist die
Bremskurbel handhabte, so unterliegt es doch keinem Zweifel, daſs in Anbetracht der
Einfachheit der Handhabung und wegen der Abwesenheit jedes dem Führer unbekannten
Bewegungstheiles nicht viel Uebung erforderlich ist, um sich vollständig damit
vertraut zu machen. (Nach der Zeitschrift des Vereins
deutscher Ingenieure, 1885 S. 845.)