Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Autor: | Oscar Guttmann |
Fundstelle: | Band 258, Jahrgang 1885, S. 220 |
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Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
(Patentklasse 78. Fortsetzung des Berichtes Bd.
256 S. 408).
Mit Abbildung.
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Rudolf Sjöberg hat ein neues Sprengmittel „Romit“ hergestellt, mit welchem in Vaxholm (Schweden) von A. Oeberg und T. Algren
Versuche durchgeführt wurden. Die Zeitschrift des
oberschlesischen Berg- und Hüttenmännischen Vereines, 1885 S. 190 berichtet
über seine Zusammensetzung nur so viel, daſs es eine etwas klebrige chemische
Verbindung in fester Form sei, weder Nitroglycerin, noch Schieſsbaumwolle enthalte,
nicht gefriere und nur im geschlossenen Raume durch Zündhütchen explodire. Das
Schwergewicht der Versuche scheint darauf gelegt worden zu sein, daſs das Romit, in
Granaten geladen, das Rohr nicht beschädigte, sondern erst am Treffpunkte
explodirte. Die geringen Angaben über einige Bohrlochschüsse lassen keinen Schluſs
auf die Leistung zu; da jedoch berichtet wird, daſs das Romit in Wasser löslich sei,
selbst 5k davon bei Entzündung ruhig verbrannten,
im Freien mit Zündhütchen nicht einmal brannte, das gesprengte Gestein nur in
groſsen, ganzen Blöcken erhalten wurde, so kann man wohl vermuthen, daſs es sich
hier um einen sehr wenig brisanten Pulverersatz handle.
Lelarge und Amiaux (Moniteur des
Produits chimiques, 1885 Bd. 15 S. 147) stellen ein neues Nitrat „Nitrocolle“ her, indem sie Leim in kaltes
Wasser bis zur groſsten Wasseraufnahme einlegen, sodann gelinde schmelzen, filtriren
und so viel Salpetersäure zugieſsen, bis der Leim beim Erkalten nicht mehr gerinnt.
Das so erhaltene Product wird in gewöhnlicher Weise nitrirt und gewaschen.
Den beistehend dargestellten Apparat zur Regenerirung der
Abfallsäuren der Nitroglycerinfabrikation hat C. D.
A. Schroeder in Dresden-Neustadt (* D. R. P. Nr. 32322 vom 7. August 1884,
vgl. Poetsch, 1885 255 216)
angegeben. In einem Holzfasse N hängt, mit Asbest
gedichtet, ein Steinzeugkessel K, welcher die
Abfallsäure mit etwas heiſsem Wasser Aufnimmt und aus der Rohrleitung C mit Hahn C1 durch einen leisen Dampfstrom vorgewärmt wird; bei
c findet der Dampfwasser-Abfluſs statt. Bei 60 bis
70° entweichen die Nitroverbindungen bis auf die Salpetersäure. Um diese letztere zu
entfernen, wird in den aus Chamottesteinen gemauerten, mit Bleiblech ummantelten und
mit Eisen befestigten Ofen S durch Halm T1 gepreſste Luft
eingeblasen. Durch Abheben des mit Asbestplatte gedichteten Bleistöpsels O wird in die guſseiserne Schale G Schwefel eingetragen, derselbe nach Schluſs der
Oeffnung verbrannt und die entstehende Schwefligsäure von der Preſsluft durch die
Rohrleitung T in das Glasrohr t und dadurch vorgewärmt in die Säure im Kessel geleitet. Die darin nun
entstehenden niedrigen Stickstoffverbindungen werden durch das Thonrohr T2 abgesaugt und zu
Condensationsapparaten geführt, während die Schwefligsäure sich in Schwefelsäure
verwandelt. Das Verfahren ist kostspielig und umständlich und die Behauptungen Schroeder's, daſs die bisherigen Denitrirverfahren die
Salpetersäure nicht entfernen, daſs die Nitroverbindungen bei 60 bis 70° entweichen
u.s.w., sind nicht begründet.
Textabbildung Bd. 258, S. 221Das braune prismatische oder „Cacao“-Pulver (vgl. 1884 252 154) soll
neueren Mittheilungen zufolge mit Torfmull an Stelle
der Holzkohle zusammengesetzt sein. Torfmull ist eine in gewissen Gegenden
Deutschlands gefundene leichte Torfablagerung, welche übrigens auch schon als
„Torfstreu“ mehrfach Verwendung gefunden hat (vgl. 1883 250 * 451).
Bei einem Sprengstoffe von Robert Hannan in
Glasgow (D. R. P. Nr. 32911 vom 28.
Oktober 1884), bestehend aus 48 Th. chlorsaurem Kalium, 24,3 Th.
Salpeter, 10,6 Th. gelbem Blutlaugensalze, 11,6 Th. Holzkohle, 5 Th. Paraffin, 0,5
Th. Eisenoxyd, soll der Zusatz von Eisenoxyd die raschere Zersetzung der chlorsauren
Salze bewirken. Man ist bisher der Ansicht, daſs sich Sprengstoffe mit Chloraten
viel zu leicht zersetzen, als daſs es noch Mittel bedürfte, dies zu befördern.
B.
Broncs in Wien (D. R. P. Nr. 32891 vom 26. Oktober 1884) stellt einen Sprengstoff
„Bronolith“ dar, indem er durch
Vermengung der Lösungen von Natriumpikrat und einem anderen Pikrate, z.B. Barium-
oder Bleipikrat, Pikratdoppelsalze herstellt und diese passend mit bekannten Stoffen
vermengt, überdies noch hoch nitrirtes Naphtalin (vgl. Favier 1885 256 410) offenbar zur
Herabminderung der Empfindlichkeit der Pikratsalze zusetzt. Als
Mischungsverhältnisse sind angegeben: 30 bis 15 Th. pikrinsaures Barium-Natrium, 30
bis 8 Th. pikrinsaures Blei-Natrium, 10 bis 2 Th. Kaliumpikrat, 5 bis 20 Th.
nitrirtes Naphtalin, 20 bis 40 Th. Kalisalpeter, 1,5 bis 3 Th. Zucker, 2 bis 3 Th.
Gummi, 0,5, bis 4 Th. Kienruſs. Die löslichen Bestandtheile werden in Wasser gelöst,
die anderen gepulvert zugesetzt und das Ganze abgedampft.
Es ist der Bericht der englischen
Explosivstoff-Inspectoren für das J. 1884 erschienen (vgl. 1883 250 184. 1884 253 70).
Zu Ende des J. 1884 bestanden in England (auſser den
Spielzeug-Feuerwerk-Laboratorien) 107 Fabriken für Explosivstoffe; 4 waren neu
hinzugekommen, eine hat zu bestehen aufgehört, der Zuwachs beträgt sonach 3. Der
Stand der Spielzeug-Feuerwerkfabriken ist 13 geblieben. An Zusatzlicenzen wurden in
diesem Jahre 24 ertheilt, Magazine bestanden 343 (um 14 mehr als im J. 1883, nachdem
19 concessionirt, 5 aufgelassen wurden). Die Anzahl der Lager (Magazine bis 1815k Pulver oder zur Hälfte Dynamit o. dgl.) ist für
dieses Jahr nicht neu ausgewiesen; es ist also nur die frühere Zahl von 2108 bekannt
und ebenso die der angemeldeten Verkaufsläden mit 19386. 105 Eisenbahn- und 106
Kanal-Gesellschaften verfrachten Explosivstoffe, 14 bezieh. 11 nicht; 131 Häfen und
Docks gestatten deren Verkehr, 69 nicht; 48 haben keinen Verkehr, in 23 ist ein
Verkehr von 13k,6 gestattet. Eingeführt wurden:
344526k Pulver (– 238441), 492154k Dynamit (– 379053), 4636k Knallquecksilber (+ 9), 2933k Sprengkapseln (– 3837). Von Pulver wurden
7259015k (– 34343) ausgeführt. Die 3
Inspectoren haben 1577 Besuche gemacht, der Chemiker Dupré 246 Analysen ausgeführt; in 12 Fällen muſsten die Inspectoren, in 27
die Ortsbehörden strafweise vorgehen.
Insgesammt fanden 144 Unglücksfälle (– 28) statt, welche mit 51
Tödtungen (+ 12) und 138 Verletzungen (+ 29) verbünden waren. Von diesen ereigneten
sich beim Versandt keine Unglücksfälle, bei:
Erzeug.
Aufbewahrg.
Gebrauch u. dgl.
Summe
Schieſspulver
28
1
36
65
Dynamit
1
–
17
18
Schieſswolle
2
–
3
5
Knallquecksilber
2
–
1
3
Munition
31
–
9
40
Feuerwerkskörper
3
1
8
12
Verschiedene Stoffe
–
–
1
1
Neu concessionirt wurden: Dynamit 1
S, identisch mit dem Kieselguhr-Dynamite, und Cooppal's Pulver, nitrirter Holzstoff mit
Zusatz von Salpeter und Stärke, beide nur zur Einfuhr. Sprenggelatine und Gelatine-Dynamit sind nun
endgültig concessionirt. Die Erzeugung von Espir's Pulver und von Asphaline
wurde aufgelassen.
Von den 28 Unglücksfällen in Schießpulverfabriken waren 23 Explosionen in Kollermühlen, wobei nur ein Mann verletzt wurde. Zu erwähnen ist wieder
ein Unglücksfall, wo
ein Häuer eine gepreſste Pulverpatrone mit einem hölzernen Ladstocke im Bohrloche zerschlagen wollte, in Folge dessen 1
Mann getödtet und 3 verwundet wurden.
„Zur Schlagwetter-Frage“ betitelt ist eine Flugschrift von Isidor Trauzl. Verfasser erklärt, daſs nur drei Fälle
denkbar sind, in welchen ein Sprengschuſs Anlaſs zu einer Grubenexplosion geben kann
und zwar: 1) die Zündung ist Ursache; 2) es werden Flammen bis an Orte geführt, wo
explosible Gase vorhanden sind; 3) die
Lufterschütterung drängt oder saugt die Flamme der Sicherheitslampe nach auſsen.
Bezüglich des ersten Falles räth Trauzl als sichere
Abhilfe die auch sonst vortheilhafte elektrische
Zündung an. In dem zweiten Falle muſs die Flamme vor Ort getragen werden;
denn wenn auch im Gesteine selbst sogen. Bläsergase vorkommen, so enthalten sie doch
mindestens 75 Proc. Grubengas, während die Wetter mindestens 6 Th. Luft auf 1 Th.
Grubengas haben müssen, wenn sie explosibel sein sollen. Trauzl erörtert nun ausführlich, daſs langsam brennende Pulver durch
Lassen, vorzeitiges Hereinbrechen des Gesteines u. dgl. ganz gut die Flamme nach
auſsen tragen können, während gewöhnliche Dynamitladungen in 1/15000 Secunde
(Pulver in 1/30)
explodiren. Wird also eine Dynamitladung gut besetzt und elektrisch abgefeuert, so
ist eine Entzündung der in der Strecke befindlichen Gase nahezu vollständig
ausgeschlossen. Gegen das Durchschlagen der Flamme aus den Lampen gibt es der
Hilfsmittel genug. Trauzl warnt vor übertriebener
Aengstlichkeit gegenüber der Sprengarbeit. Eine Untersuchung in Schweden hat
ergeben, daſs bloſs durch Anwendung von Dynamit statt Pulver jährlich 1500 Menschen
weniger beschäftigt werden; es finden dadurch alljährlich viele Hunderte von
Verunglückungen in der Grube weniger statt und die Untersagung der Sprengarbeit
würde nicht nur eine riesige Vermehrung der Arbeitskräfte erforderlich machen,
sondern auch, wenn in einzelnen Staaten durchgeführt, manche bergmännische Industrie
geradezu auſser Wettbewerb bringen.
Mit der gleichen Frage beschäftigt sich „ein Fachmann in Waldenburg“ in der
Schlesischen Zeitung, 1885 Nr. 416. Er sagt, daſs,
wenn man das Schieſsen in der Kohle verbieten und wieder das Schlitzen einführen
wollte, die Häuer sämmtlich dagegen wären, weil das letztere durch Kohlenstaub die
Wetter auſserordentlich gefährdet und die Gesundheit der Arbeiter (das
„Schwarzspucken“ ist bei dem Schlitzen gewöhnlich) bedenklich verderbe.
Ueberdies müſsten in minder mächtigen Flötzen die Ulme stehen bleiben; denn das
Nachkeilen derselben wäre zu kostspielig und durch die naturgemäſs entstehenden
engen Strecken würde wieder die Lufterneuerung so erschwert, daſs dieser Zustand mit
Rücksicht auf die schlagenden Wetter erst recht bedenklich wäre. Und schlieſslich
reden auch hier die Concurrenzverhältnisse darein: Oberschlesien wäre bei einem
Schieſsverbote im Vortheile gegen Niederschlesien u.s.w. Eine kräftige
Lufterneuerung, Verwendung geschulter, an strenge Ordnung gewöhnter Bergleute seien bewährte
Mittel gegen „der Wetter wilde Macht“.
Es sei hier noch daran erinnert, daſs Guibal zum Schütze gegen schlagende Wetter die Bohrlöcher mit
Wasser besetzte, und daſs Smethurst und Abel nach dein Iron vom
18. März 1881 schon im J. 1871 in dieser Richtung Versuche machten und später um die
Dynamitpatrone einen mit Wasser gefüllten Mantel gaben, welcher explosible
Gasgemenge vor Entzündung schützte, während dies bei einer ähnlich hergestellten
Pulverpatrone nicht der Fall war.
Um der Angelegenheit auf den Grund zu kommen, hat nun die preuſsische Schlagwettercommission in Schlagwettern, Kohlenstaubluft u.
dgl. eingehende Versuche mit verschiedenen Sprengmitteln angestellt. Mit Kohlenstaub
erfüllte Luft konnte, bei Abwesenheit von Grubengas, durch Dynamit Nr. I niemals
entzündet werden. Enthielten die Wetter 5 Proc. Grubengas, so war gleichfalls
Entzündung nicht zu erzielen, ebenso wenig bei 6 Proc.; bei 7 Proc. gelang es schon
manchmal, über 8 Proc. erfolgte die Zündung fast regelmäſsig. Wetter mit 8 Proc.
Grubengas können jedoch selbst der gewöhnlichsten Aufmerksamkeit nicht entgehen und
Trauzl's Ansicht ist sonach vollkommen
gerechtfertigt.
Zur Umlegung bezieh. Sprengung von Schornsteinen. Am 9. und 11. Oktober d.
J. sind 6 Schornsteine des zur Bebauung mit Wohnhäusern bestimmten früheren
Fabrik-Grundstückes der Firma Kunheim und Comp. in
Berlin an der Bergmannsstraſse durch Mannschaften des Garde-Pionier-Bataillons
mittels Schießbaumwolle niedergelegt worden. Die
Sprengung des größten unter diesen Schornsteinen, der
bei etwa 44m Höhe 9m unteren Durchmesser und 0m,63 lichte
Weite hatte, erfolgte in nachstehender Weise. Der Bau war mit 5 Ladungen von
zusammen 23k Schieſsbaumwolle versehen worden, von
denen 3 auf der von der Stadt abgewendeten Seite, je einer auf den anstoſsenden
Seiten angebracht worden waren. Man hatte damit unter allen Umständen einen Sturz
des Schornsteines nach der Stadtseite verhüten wollen; nachdem jedoch die mittels
Leitung von einer magneto-elektrischen Maschine aus bewirkte Zündung erfolgt war,
brach derselbe mit einem kurzen dumpfen Knalle fast senkrecht in sich zusammen, da
die eigenthümliche Wirkung der Schieſsbaumwolle die Sockelwände gleichzeitig nach
auswärts gedrückt hatte. Beim Zusammenbrechen hatte sich der Zusammenhang des
Mauerwerkes vollständig gelöst; der Mörtel war zerstäubt, während die einzelnen
Ziegel fast unversehrt erhalten geblieben waren.
Etwas anders gestaltete sich der Vorgang bei Sprengung eines kleineren, nur mit 9k
Schieſsbaumwolle geladenen Schornsteines. Derselbe neigte sich nach Zündung der
Ladung etwas zur Seite und brach dann in der Mitte derart aus einander, daſs der
untere Theil etwas seitlich, der obere dagegen wiederum nahezu senkrecht
zusammenstürzte; auch hierbei blieben die einzelnen Ziegel fast sämmtlich
unversehrt. Bei Sprengung eines dritten Schornsteines kippte der obere Theil des in
der Mitte gebrochenen Schaftes um, so daſs die Spitze zunächst die Erde
berührte.
Durchweg blieb die Wirkung des Sprengmaterials jedoch auf eine
kurze Entfernung beschränkt, so daſs eine Gefährdung der Umgegend, ähnlich wie bei
den in D. p. J. 1884 254 *
456 berichteten Fällen, völlig ausgeschlossen war.
Referent erfährt, daſs Hr. Büchsenmacher Zieschang in Bautzen den Guttmann'schen Kraftmesser (vgl. 1885 257
295) zu Spottpreisen anbietet. Es ist nicht Jedermanns Sache, derlei Apparate mit
der erforderlichen Genauigkeit und Verläſslichkeit herzustellen. Mechaniker E. O. Knötschke in Wien, IV. Belvederegasse 28, hat die
bisher vom Referenten bestellten Apparate ausgeführt und er allem wird von den allmählichen
Verbesserungen unterrichtet. Referent hat lediglich ein moralisches Interesse an der
Sache, möchte aber gerade deshalb nicht, daſs Fachleute auf unverläſsliche und
unberufene, wenn auch wohlfeilere Nachahmungen verfallen.
Oscar Guttmann.