Titel: | Beitrag zur mechanischen Untersuchung plastischer Körper; von Prof. Hugo Fischer. |
Autor: | Hugo Fischer |
Fundstelle: | Band 259, Jahrgang 1886, S. 70 |
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Beitrag zur mechanischen Untersuchung plastischer
Körper; von Prof. Hugo Fischer.
H. Fischer, zur mechanischen Untersuchung plastischer
Körper.
Die Bildsamkeit oder Plasticität ist diejenige Eigenschaft eines Körpers, vermöge
welcher derselbe unter der Einwirkung beliebig gerichteter mechanischer Kräfte und
ohne Störung des stetigen Zusammenhanges seiner Massentheilchen bleibende
Formänderungen anzunehmen vermag. Die Gröſse der Bildsamkeit, der Bildsamkeits- oder
Plasticitätsgrad, hängt ab: 1) von der Gröſse der Kraft, welche die erste, nach dem
Aufhören der Kraftwirkung nicht wieder verschwindende Formänderung hervorbringt; 2)
von dem Höchstwerthe der ohne Lösung des Zusammenhanges möglichen gegenseitigen
Lagenänderung der Körpertheilchen.
Man nennt denjenigen Körper, dessen bleibende Formänderung den geringsten
Kraftaufwand erfordert und welcher die gröſsten bleibenden Formänderungen zu
ertragen vermag, den bildsamsten. Die Festsetzung des Bildsamkeitsgrades setzt daher
die Untersuchung der Festigkeitseigenschaften des Materials, insbesondere die
Bestimmung des elastischen Verhaltens und der Gröſse der Formänderungen voraus (vgl.
Hugo Fischer 1882 245 *
67.) Wenn derartige Untersuchungen trotz der Wichtigkeit des Gegenstandes bisher nur
in beschränkter Zahl zur Ausführung gelangtenVgl. auch Hugo Fischer: Experimentelle Untersuchungen
über die Zugfestigkeit und Zugelasticität von Metalldrähten im Civilingenieur, 1884 * S. 391., so
dürfte nicht zum wenigsten dem Umstände die Schuld beizumessen sein, daſs die für
gewöhnlich zur Bestimmung der Festigkeit eines Körpers in Verwendung stehenden
Apparate wenig geeignet sind, über das Verhalten des Körpers während der
Beanspruchung aufzuklären-sie geben vielmehr nur gewisse Endwerthe mit mehr oder
weniger Zuverlässigkeit an (Elasticitätsgrenze, Bruchmodul, Bruchdehnung), Werthe,
welche für die Untersuchung sehr bildsamer Körper deshalb von geringer Wichtigkeit
sind, weil sich der Bruch bei diesen meist nur langsam und allmählich vollzieht und
der Zeitpunkt desselben selten mit der erforderlichen Schärfe festzustellen ist. Für
solche Materialien von groſser Bildsamkeit ist daher die stetige Beobachtung ihres
Verhaltens während der Beanspruchung von besonderer Wichtigkeit. Eine derartige
Untersuchung ist aber nur mit Hilfe solcher Meſsinstrumente möglich, welche in dem
selbstthätigen Aufzeichnen eines Diagrammes das Mittel bieten, jeden Augenblick den
Vergleich von Beanspruchung und Formänderung des Versuchsstückes zu ziehen. Der
schon so vielfach bewährte Zerreiſsapparat des Norwegers Detlef Reusch (vgl. 1880 235 * 414) ist daher
auch für die Untersuchung sehr bildsamer Körper mit Vortheil verwendbar, zumal wenn
derselbe durch Hinzufügen von Hilfsapparaten für die Ermittelung der Druck- und
Scherfestigkeit vervollständigt wird. Im Folgenden seien einige Versuchsergebnisse
mitgetheilt, welche einer denselben Gegenstand ausführlicher behandelnden
Veröffentlichung im Civilingenieur, 1885 * S. 481
auszugsweise entnommen sind. Zu den in Rede stehenden Versuchen wurden drei Sorten
Modellirthon aus der Gegend von Halle, Kamenz und Prohlis verwendet, welche theils
im hochplastischen Zustande (d.h. bei einem Wassergehalte W
= 22 bis 27 Proc.), theils bei geringeren Wassergehalten zur Anwendung
kamen. Das Material wurde durch Kneten und Schlagen gut durchgearbeitet und
möglichst vergleichmäſsigt und hierauf für die Zerreiſsversuche cylindrische Stäbe
von 30mm Dicke und 200 bis 250mm Länge, für die Druckversuche verschieden groſse
Cylinder (Durchmesser gleich Höhe) und für die Ab-scherungsversuche quaderförmige
Körper daraus geformt.
Besonderes Interesse boten die bei den drei verschiedenen Beanspruchungsarten
beobachteten eigenthümlichen und, wie es scheint, in einem gewissen Zusammenhange
stehenden Formänderungen und Brucherscheinungen, darin bestehend, daſs die
Zerstörung des Probestückes stets von dem Auftreten geneigt zur Kraftrichtung
liegender Einbrüche bezieh. Trennungsflächen begleitet war; die Zahl und
Neigungsgröſse derselben ändert sich hierbei, wie zahlreiche Druckversuche lehrten,
mit dem Wassergehalte des Thones, also mit der von diesem abhängenden Sprödigkeit
bezieh. Bildsamkeit desselben. Wenn derartige Erscheinungen auch schon vielfach bei
dem Zerreiſsen faseriger, dem Zerdrücken spröder Materialien und der Spanbildung bei
Metallen beobachtet worden sind, so lassen diese Beobachtungen, weil an
verschiedenartigen Materialien angestellt, eine gleiche Ursächlichkeit doch weniger
leicht erkennen als die vorliegenden Versuche mit Materialien gleicher Art und
gleichem physikalischen Allgemeinverhalten.
Lieſse sich die Anschauung vertreten, daſs die Cohäsion und innere Reibung eines
Festkörpers in einem ebensolchen Abhängigkeitsverhältnisse zu einander stehen wie
die Reibung, welche bei der gegenseitigen Verschiebung zweier sich unter Druck
berührender Körper in die Erscheinung ritt und die von dem herrschenden Drucke
abhängig ist, so würde ohne weiteres folgen, daſs die Cohäsion stets ein Vielfaches
der inneren Reibung sein müſste. Dies vorausgesetzt, würde man zu der weiteren
Folgerung geführt, daſs bei der allmählich wachsenden Beanspruchung eines Körpers
nicht dessen Cohäsion, sondern die von dieser abhängende innere Reibung als die
kleinere der widerstehenden inneren Kräfte vor und bei dem Eintritte des Bruches zur
Messung gelangt. Der Grund für die Trennung des bildsamen Körpers in Theilstücke durch
Belastungssteigerung würde daher von diesem Gesichtspunkte aus nicht im
Voneinanderreiſsen der kleinsten Körpertheilchen, sondern in deren so weit geführten
gegenseitigen Verschiebung zu finden sein, daſs dieselben an einander abgleiten. Es
ist zu wünschen, daſs durch ausführliche anderweite geeignete Untersuchungen die
Berechtigung der angedeuteten Erklärung geprüft werde; die Technologie der bildsamen
Materialien könnte durch solche Versuche vielleicht eine nicht zu unterschätzende
Bereicherung erfahren.
Während die bei den Zerreiſsungsversuchen von dem Festigkeitsmesser gelieferten
Diagramme besondere Eigenthümlichkeiten in Bezug auf ihre Gestalt nicht darbieten
und daher zu besonderen Bemerkungen nicht Veranlassung geben, zeigen die bei
Druckbeanspruchung des plastischen Thones erhaltenen Diagramme die von Prof. Kick (vgl. 1882 244 * 36)
auch bei Versuchen mit verschiedenen Metallen beobachtete eigenthümliche Gestalt der
Diagrammcurve. Dieselbe steigt anfänglich concav zur Abscissenachse gekrümmt empor
und wendet sich dann allmählich der Ordinatenachse zu. Der so entstehende Wendepunkt
entspricht der Beobachtung zu Folge den ersten Einbrüchen am äuſseren Umfange des
anfangs cylindrischen, durch die Zusammenpressung tonnenförmig gestalteten
Versuchskörpers, sowie gewissen Aenderungen in dem elastischen Verhalten dieses
letzteren.
Unter den erhaltenen Festigkeitswerthen sind diejenigen Zahlen besonders lehrreich,
welche sich auf die Druckfestigkeit und Zusammendrückbarkeit der drei Modellirthone
sowie einer Probe Seilitzer Kaolins aus der Kgl. Porzellanmanufactur in Meiſsen, bei
verschiedenen Wassergehalten der Probestücke, beziehen.
Bei allen untersuchten Thonen steigt im Allgemeinen die Tragfähigkeit mit der Abnahme
des Wassergehaltes, so daſs der bildsamste Thon die geringste Druckspannung zu
erfragen vermag. Der Thon von Halle zeigt im lufttrocknen Zustande den gröſsten
Druckmodul; mit Zunahme des Wassergehaltes nimmt derselbe stetig ab derart, daſs
sich bis etwa W = 14 Proc. die Tragfähigkeit vermindert
von 234 auf 164g/qmm. Im weiteren Verlaufe findet bis etwa W =
23 Proc. eine rasche Abnahme auf 8,68g/qmm statt, worauf bis zum Eintritte, der höchsten
Bildsamkeit (etwa 26 Proc.) wiederum nur allmähliche Abnahme (Endwerth 3,96g/qmm) beobachtet
wird.
Anders ist das Verhalten der Thone von Prohlis und Kamenz. Bei dem ersteren, welcher
wegen Unzulänglichkeit des Festigkeitsapparates im lufttrocknen Zustande nicht
untersucht werden konnte, ergibt sich bei 8,89 Proc. Wassergehalt die höchste
Druckfestigkeit mit 580g/qmm. Während der Wassergehalt auf ungefähr 10 Proc.
anwächst, sinkt die Tragfähigkeit bedeutend und erreicht mit 267g/qmm ihren ersten
Mindestwerth. Einer erneuten Steigerung der Festigkeit auf 395g/qmm bei 12,6
Proc. Wassergehalt folgt dann die anfangs rasche, später langsame stetige Abnahme der specifischen
Bruchspannung (Endwerth 3,8g/qmm bei W = 26,3
Proc).
Die Druckfestigkeit des Kamenzer Thones endlich wächst von 199g/qmm Belastung,
welche dem lufttrocknen Zustande (W = 1,88 Proc.)
entspricht, auf 312g bei 15,8 Proc. Wassergehalt
und nimmt dann ebenfalls anfänglich rasch, später langsamer ab (Endwerth 7,9g/qmm bei W = 29,0 Proc).
Für den Seilitzer Kaolin fand sich der Wassergehalt der lufttrocknen Masse zu 2,24
Proc., derjenige, welchen die Masse im Zustande der gröſsten Bildsamkeit befaſs, zu
30,3 Proc. Hierbei ergaben sich als Grenzen der Druckfestigkeit 136,4 bezieh.
3,95g/qmm. Im
lufttrocknen Zustande und bis zu einem Wassergehalte von etwa 15 Proc.(P = 150g/qmm) steht die Festigkeit der geschlämmten Seilitzer
Porzellanerde den anderen untersuchten Thonen bedeutend nach; sie übertrifft dagegen
die Festigkeit dieser bei gröſseren Wassergehalten und kommt derselben erst im
Zustande gröſster Bildsamkeit ungefähr gleich. Während bis W = 22 Proc. eine geringe Steigerung der specifischen Festigkeit
wahrzunehmen ist, nimmt dieselbe von diesem Procentsatze an mit Zunahme des
Wassergehaltes sehr rasch ab.
Aehnliche Beziehungen ergeben sich für die Abhängigkeit der Zusammendrückbarkeit der
Probestücke von dem Wassergehalte.
Die Untersuchung der Spanbildung durch scherend wirkende Kräfte lieferte eine Anzahl
beachtenswerther Ergebnisse, von denen nur das Folgende hier mitgetheilt werde.
Sowohl durch das Eindringen des Schermessers, als durch das Abflieſsen des Spanendes
wird der Abstand zwischen Messerkante und Oberkante der dem Messer gegenüber
stehenden Druckplatte (Gegenmesser), also die Länge der Abscherungsfläche stetig
kleiner, während die Schubkraft nach Ausweis der Diagramme eine stetige Steigerung
erfährt und schlieſslich eine solche Gröſse erreicht, daſs ihr die in der
Scherfläche wirksame innere Reibung nicht mehr das Gleichgewicht zu halten vermag
und die Abschiebung des ganzen Spanes eintritt. Die in diesem Augenblicke
herrschende Messerpressung, bezogen auf die beim Beginne der Abschiebung noch
vorhandene Berührungsfläche zwischen Span und Werkstück (also nicht das bei der
Berechnung von Schubbeanspruchungen gewöhnlich eingeführte Anfangsmaſs des
Probestückes) liefert dann die für den Vergleich verschiedener Materialien geeignete
specifische Scherkraft. Mit Rücksicht hierauf führte die Untersuchung für
verschiedene Spandicken s zu den folgenden Werthen der
letzteren:
Spandicke
s =
3
5
8
10
12mm
Thon von Kamenz
(W = 27,2%)
P =
5,22
4,30
3,47
3,47
2,70g/qmm
Thon von Halle
(W = 23,8%)
P =
2,47
2,04
1,87
1,83g/qmm
Hierbei trat, sofern die Länge des Spanes die Dicke desselben um das 4,4 bis 4,9
fache übertraf, die Ablösung eines geschlossenen Spanes ein, während im anderen
Falle der vorgegebene Span in Form einzelner dreiseitig: prismatischer Theilstücke
zur Abtrennung von dem Werkstücke gelangte, welche aber in Folge der nicht aufgehobenen,
zwischen den partiellen Abscherungsflächen wirkenden Cohäsion ein zusammenhängendes
Ganze bildeten. Bei sämmtlichen Abscherungsversuchen betrug der Schneidwinkel,
ebenso wie der Aufsetzwinkel des Schermessers stets 90°, so daſs die Vorderebene
desselben genau normal zur ideellen Abscherungsebene stand. Der Zuschärfungswinkel
des Messers war nur wenig kleiner als 90°. Vor jedem Versuche wurde die
Angriffsfläche des Messers gut geölt, um die Adhäsion des Thones an derselben zu
vermindern und die freiere Spanbildung zu fördern. Bezüglich weiterer Ergebnisse und
Folgerungen sei auf die oben genannte Veröffentlichung hingewiesen.