Titel: | Die chemische Industrie auf der Erfindungsausstellung in London 1885. |
Fundstelle: | Band 259, Jahrgang 1886, S. 191 |
Download: | XML |
Die chemische Industrie auf der
Erfindungsausstellung in London 1885.
Smith, chemische Industrie auf der Londoner
Ausstellung.
W. Smith berichtet im Journal of
the Society of Chemical Industry, 1885 S. 469 ausführlich über die
Erfindungsausstellung in London 1885.
Simon und Carvès
erläuterten durch Modelle sowie auch durch Ausstellung von aus Kokesofentheer
erzeugten Farbstoffen ihren Prozeſs. Die sogen. Simon-Carvès'schen Kokesöfen liefern einen
Theer, welcher aromatische Kohlenwasserstoffe enthält. Die Kokes sind ebenso gut wie
in gewöhnlichen Kokesöfen erzeugte. Die Apparate sind von Carvès zuerst in Frankreich eingeführt worden; jetzt haben sie aber auch
in England schon an vielen Orten Eingang gefunden (vgl. 1883 250 524).
Schon seit dem J. 1862 sind viele Versuche gemacht worden, aromatische
Kohlenwasserstoffe aus Leuchtgas technisch zu gewinnen. Leigh patentirte i. J. 1863 ein Verfahren, Kohlengas durch Salpetersäure
oder eine Mischung derselben mit Schwefelsäure zu leiten, um so Nitrobenzol zu
gewinnen. Im J. 1869 erhielten Caro, Clemm und Engelhorn ein Patent zur Absorption von
Kohlenwasserstoffen aus Leuchtgas mit Oelen. G. J.
Davis hat dieses Verfahren neuerdings verbessert (vgl. 1884 252 41) und stellte verschiedene nach seinem Verfahren
erhaltene Producte aus. Davis kühlt das Gas durch
Verdichten und nachherige Expansion ab, so daſs die Absorption bei einer Temperatur
von etwa 4° geschieht. Auch das ursprüngliche, von Leigh patentirte Verfahren ist vervollkommnet worden und wird von der
Firma Sadler und Comp. in Middlesborough im Groſsen
ausgeführt. Der Grund, warum der ursprüngliche Prozeſs von Leigh nicht erfolgreich war, liegt darin, daſs das Leuchtgas Stoffe
enthält, welche mit Salpetersäure sich unter Wasserbildung zersetzen und so die
Säure verdünnen. Daneben zeigt sich ein bedeutender Verlust an Nitrobenzol durch
Verflüchtigung. Das von Sadler und Comp. auf der
Ausstellung veranschaulichte Verfahren wurde im J. 1881 von Kendall (1884 251 * 82) patentirt, Das
Leuchtgas geht zuerst durch concentrirte Schwefelsäure und nachher wird mit einer
Mischung von Schwefelsäure und Salpetersäure das Benzol und seine Homologen als
unlösliche Dinitroverbindungen abgeschieden. Kendall
fand, daſs bei Ueberhitzung des Leuchtgases vor der Absorption die meisten der für
den Prozeſs schädlichen Bestandtheile zerstört werden.
Um aus Erdöl eine geruchlose, bei niederer Temperatur siedende Flüssigkeit zu
erhalten, behandelt Warren dasselbe wiederholt mit
Schwefelsäure und scheidet die Sulfosäuren ab. Das erhaltene Product kann mit
Vortheil anstatt des giftigen und gefährlichen Schwefelkohlenstoffes verwendet
werden. Warren stellte auch mit demselben dargestellte
Firnisse und Lache
aus.
Die Destillation von Theer und von bituminösen Schiefern zur
Darstellung von Paraffin war durch folgende Häuser vertreten: Joung's Paraffin Light and Mineral-Oil Company,
Limited, stellte bei der Paraffinölfabrikation erhaltene Zwischen- und
Endproducte aus. Die Firma erzeugt auch Oxalsäure durch
Behandlung von werthloseren Oelen mit Salpetersäure, sowie Alaun (aus der
Abgangssäure), Ammoniumsulfat und Eisensulfat. Folgende Angaben über die jährliche
Erzeugung in Tonnen engl. der Unternehmung, welche 14 Schiefergruben besitzt, 3700
Arbeiter und Beamte beschäftigt und über 9000e
Betriebskraft verfügt, sind von Interesse:
Destillirter Schiefer
500000
Rohöl
72000
Brennöl
30000
Naphta
4000
Schmieröl
9000
Festes Paraffin
6000
Kerzen
4000
Ammoniumsulfat
4000.
Joung und Beilby stellten
Modelle von zur Destillation bituminöser Schiefer verwendeten Apparaten aus, ebenso
ununterbrochen arbeitende Destillirblasen zur fractionirten Destillation und
Condensation von Paraffinölen, ferner ein neues Luftthermometer für die
Destillirblasen und Zeichnungen von neuen Apparaten zur Abkühlung von Oelen bei der
Paraffindarstellung (vgl. 1884 254 * 342). Weben der
hohen Ammoniakausbeute hat G. Beilby's Verfahren
namentlich für Gaserzeugung Vortheile. Zur Nutzbarmachung der Warme der Retortengase beim
Abkühlen dient ein neuer Kühler, in welchem heiſse, mit Wasserdampf gesättigte Luft
zur Speisung der Retorten erzeugt wird.
Die Paraffinöldarstellung stammt vom J. 1850, als Joung
sein Patent erhielt. Eine groſse Verbesserung von J.
Joung vom J. 1867 bestand darin, die Retorten nur auf dunkler Rothglut zu
halten. Ein weiterer wichtiger Fortschritt war das Patent von Joung und Beilby vom J.
1881, in welchem Verbrennnug des Destillationsrückstandes in einer Atmosphäre von
Wasserdampf vorgeschlagen wird. Es sollen jetzt 2000 Retorten zur Destillation von
jährlich 750000t Schiefer nach diesem Systeme
errichtet und für jede Tonne Schiefer 6k,24
Ammoniumsulfat erhalten werden, entsprechend einem jährlichen Gewinne von 937000 M.;
dazu kommen noch 800000 M. für Mehrausbeute an Paraffin. Die
Oeldestillationsapparate von Joung und Beilby bestehen aus langen, in Abtheilungen getrennten
Kesseln; jede Abtheilung ist mit eigener Kühlvorrichtung versehen.
Die Theerdestillation wurde von Burt, Boulton und Haywood durch Producte veranschaulicht. Die Firma
beschäftigt sich auch mit Holzimprägnation und verwendet dazu Boulton's Kreosotirungsverfahren (Englisches Patent 1879 Nr. 1954).
Unter den Ausstellern von Anilin und anderen Farbstoffen
sind hauptsächlich folgende zu erwähnen: The British
Alizarin Company, Limited (vormals Burton, Boulton
und Haywood). Nach Angabe dieses Hauses wurde die Alizarinfabrikation im J.
1869 von Perkin's Brothers in England begonnen. Von
1855 bis 1870 wurde jährlich für 20 Mill. Mark Krapp in England eingeführt. Jetzt
beträgt die Einfuhr 6800t 10procentiges Alizarin,
was etwa 61200t Krapp entsprechen würde. Letzterer
würde aber einen Werth von 59140000 M. haben, während 6800t Alizarin nur 9139200 M. kosten. Die jährliche
Ersparniſs für die englische Textilindustrie beträgt daher mindestens 50 Mill. Mark.
Der Alizarinverbrauch in England beträgt ungefähr so viel wie der aller anderen
Länder zusammen.
Ch. A. Burghardt in Manchester brachte einen Apparat zur
Rüchgewinnung von in verschiedenen Industrien
(Kautschuk u. dgl.) als Lösungsmittel verwendeten, bis jetzt in die Luft
entweichenden leichtflüchtigen Substanzen, wie Naphta,
Schwefelkohlenstoff u. dgl. (vgl. 1885 255 * 71).
Sehr bemerkenswerth war die Ausstellung von E. C. C.
Stanford zur Veranschaulichung seiner Verarbeitung von Meertang. Der Sitz dieser Industrie ist in Glasgow. Der
Kelp wird namentlich aus Laminaria Digitata und Stenophylla gewonnen. Von 100t dieser Pflanzen erhält man nach dem gewöhnlich
benutzten Verfahren 5t Kelp, welcher sich bloſs
zur Hälfte im Wasser löst, so daſs nur etwa 2t,5
nutzbar gemacht werden. Bei der alten Behandlungsweise geht mindestens die Hälfte
des Jodes verloren. Um dies zu verhindern, schlug Stanford trockene Destillation des Tanges in eisernen Retorten vor, wobei
alles Jod erhalten wird. Nach einem noch neueren Verfahren zu Behandlung der Tange
auf nassem Wege wird zuerst Chlorkalium, Kaliumsulfat
und das sogen. Kelpsalz, bestehend aus Chlornatrium, Soda und den Jodiden
ausgelaugt. Es gehen auf diese Weise etwa 33 Procent vom Gewichte der trockenen
Laminarien in Lösung. Der Rückstand enthält die von Stanford entdeckte Verbindung Algin und
Cellulose. Die Ausbeute von 100t Tang bei den
verschiedenen Arbeitsmethoden vergleicht sich folgendermaſsen:
Alter Kelpprozeſs: 18 Procent vom Gewichte der Tange nutzbar gemacht.
Kelp 18t
Salze 9tJod 135k
Verloren gehender Rückstand 18t.
Trockene Destillation: 36 Procent vom Gewichte des Tanges nutzbar
gemacht.
Retortenruckstand 36t
Salze 15tJod 300k
Rückstände: 36t Kohle, Theer
und Ammoniak.
Verarbeitung auf nassem Wege:
Wasserlöslich 33t
Salze 20tJod 300k
Rückstände: 20t Algin, 15t Cellulose, Dexterin u.
dgl.
Der in Wasser unlösliche Theil wird mit Sodalösung gekocht und
die Lösung mit Schwefelsäure behandelt, wodurch das Algin gefällt wird. Nach
Neutralisation der Lösung mit Kalk wird zur Krystallisation von Natriumsulfat
verdampft. Die Mutterlauge, welche alle Kaliumsalze und Jod enthält, wird zur Trockne gebracht,
destillirt und gibt das sogen. Kelpsubstitut. Der in
Soda unlösliche Theil besteht aus Cellulose.
Algin oder Natriumalginat wird gelallt durch Alkohol, Aceton, Collodium, aber nicht
durch Aether; dasselbe fällt ebenfalls aus bei Behandlung mit Mineralsäuren, Kalk-
oder Barytlösung. Von gewöhnlichem Albumin unterscheidet es sich dadurch, daſs es
bei höherer Temperatur nicht coagulirt, von Gelose durch den Stickstoffgehalt und
seine Unlöslichkeit in heiſsem Wasser, von Dextrin, Traganth, Pectin durch seine
Unlöslichkeit in verdünntem Alkohol und verdünnten Mineralsäuren. Mit den Salzen der
meisten Metalle bildet das Algin Niederschläge, sogen. Alginate. Das Algin wie auch
seine Salze sollen mannigfacher Anwendung in der Industrie fähig sein.
Chapman und Messel führten festes Schwefelsäureanhydrid vor, welches sie im groſsen
Maſsstabe herstellen. Auch Sulfurylchlorhydrin, SO2Cl(OH), stellt diese Firma in groſser Menge dar. Dieses Product wird oft
anstatt Anhydrid zum Sulfoniren organischer Substanzen verwendet. Es entsteht dabei
freie gasförmige Salzsäure, wodurch Wärme gebunden und so die Reaction gemäſsigt
wird, was eine bessere Ausbeute an Sulfosäure zur Folge hat. Zur Analyse von
Anhydrid schmilzt Messel eine Probe der geschmolzenen
Substanz in eine dünne Kugelröhre ein. Nach dem Wägen wird die Röhre in einer
verschlossenen, mit Wasser gefüllten Flasche zerschmettert, dann werden die Dämpfe
durch Schütteln im Wasser absorbirt und nachher mit Alkali titrirt. Messel gibt folgende Tabelle der specifischen Gewichte
für Anhydrid haltige Schwefelsäure:
Specifisches Gewicht
Proc. Anhydrid
Beobachtet bei26,6°
Berechnet für15,5°
Bemerkungen
8,330,0
1,8421,930
1,8521,940
Flüssig
40,044,546,259,4
1,9561,9611,9631,980
1,9701,9751,9771,994
KrystallinischeSalpeter ähn-liche
Masse
60,865,069,4
1,9921,9922,002
2,0062,0062,016
Flüssig
72,880,082,0
1,9841,9591,953
1,9881,9731,967
Krystallinisch
Auf dem Gebiete der Fett- und Oelindustrie sowie der Seifenfabrikation war besonders die Ausstellung der Price Patent Candle Company bemerkenswerth. Die Fabrik
scheidet aus Talg die Fettsäuren durch Behandeln mit Magnesiumsalzen im Druckkessel
ab. Die Firma stellte auch sogen. „Feste Glycerinseife“ (solidified glycerine soap) aus, welche durch Zusatz von
50 Proc. Glycerin durchsichtig gemacht ist.
Sehr mannigfaltig war die Ausstellung von Malerfarben.
Nach Angaben der Sankey White Lead Company in
Warrington wird diese Firma bald nach einem Verfahren Bleiweiß herstellen, bei welchem gar kein schädlicher Einfluſs auf die
Gesundheit der Arbeiter ausgeübt werden soll. Der Prozeſs besteht wesentlich in der
Verbesserung eines zuerst von F. Milner vorgeschlagenen
Verfahrens (vgl. J. G. Dale und F. Milner: Englisches Patent 1869 Nr. 2443 bezieh. 1872 Nr. 1881). 4 Th.
Bleioxyd werden mit einer Lösung von 4 Th. Kochsalz auf 16 Th. Wasser in einem mit
Rührwerk versehenen Gefäſse gemischt. Die so erhaltene Flüssigkeit, welche
Natriumhydrat und unlösliches basisches Bleioxyd enthält, wird in ausgebleiten, mit
hölzernen Schlägern versehenen Gefäſsen mit Kohlensäure bis zu einem durch Erfahrung
gefundenen Punkte behandelt.
Th. Griffiths in Liverpool stellte Zinkweiß aus. Die Deckkraft dieser Farbe soll diejenige
des gewöhnlichen Bleiweiſs um 30 Proc. und diejenige von Zinkoxyd um 100 Proc.
übertreffen. Daneben hat die Farbe den groſsen Vorzug, daſs sie nicht giftig ist.
Der Farbstoff wird durch Fällen von Zinkchlorid oder Sulfat mit löslichen Sulfiden
hergestellt. Die Zusammensetzung der besten Sorte soll nach T. L. Phipson 5ZnS + ZnO sein. – T. B. Orr in
London stellt auf ähnliche Weise hergestellte sogen. Hygienische Farben
(hygienic paints) her. Da hauptsächlich Strontium
und Bariumsulfhydrat zum Fällen verwendet werden, bestehen diese Farbstoffe
hauptsächlich aus Mischungen von ZnS und BaSO4 oder
SrSO4.
J. R. Freeman und Comp. in Battersca stellten sogen. nicht giftiges Bleiweiß aus. Diese Farbe ist in
Deckkraft und Schönheit dem besten Bleiweiſs ebenbürtig. Zur Darstellung wird zuerst
Bleisulfat aus Blei bereitet. Dem Sulfate wird etwa 25 Proc. Zinkoxyd zugesetzt und
längere Zeit in einer schweren Kollermühle aufs innigste gemischt. Dadurch wird die
physikalische Beschaffenheit des Bleisulfates, welches für sich allein nicht als
Farbe verwendet werden kann, völlig verändert.