Titel: | Das Erdöl von Baku; von C. Engler. |
Autor: | C. Engler |
Fundstelle: | Band 260, Jahrgang 1886, S. 337 |
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Das Erdöl von Baku; von C. Engler.
Engler, über das Erdöl von Baku.
Die folgende Mittheilung enthält einen gedrängten Bericht über die Wahrnehmungen,
welche ich bei einem im Spätsommer letzten Jahres ausgeführten Besuche Bakus und
dessen Umgebung in Bezug auf die Gewinnung und Verarbeitung des dortigen Erdöles
gemacht habe. Es kann sich dabei, den Zwecken dieser Zeitschrift entsprechend, nicht
darum handeln, eine nach allen Richtungen hin erschöpfende Schilderung der Technik
jenes Industriezweiges zu geben; vielmehr wird mein Bericht sich darauf beschränken,
dasjenige zu bringen, was in fachmännischen Kreisen als entweder noch gar nicht,
oder doch nur unvollständig bekannt vorausgesetzt werden darf. Zur Ergänzung meiner
Mittheilungen verweise ich auf die beiden, von Charles
MarvinEngineering, 1884 Bd. 37 S. 171. und
von Boverthon RedwoodJournal of the Society of Chemical Industry,
1885 S. 70. erstatteten, sehr schönen Reiseberichte, welche, da
sie aus den J. 1883 und 1884 stammen, zwar nicht mehr vollständig dem neuesten
Stande der Baku'schen Naphta-Industrie entsprechen, doch aber sehr viel des
Wissenswerthen über deren Entwicklung und insbesondere über das Vorkommen und die
Ausbeutung der Naphta enthalten. Auſserdem besitzt naturgemäſs Ruſsland eine sehr
reichhaltige Literatur über das kaukasische Petroleum, wobei ich in erster Reihe auf
die zahlreichen, sehr gediegenen Werke von Stephan
GoulischambaroffVersuch einer allgemeinen Bibliographie der
Petroleum-Industrie. (Enthält die Literaturangaben in 11 Sprachen.)
St. Petersburg 1883. – Ueber die
Naphta-Fontänen. St. Petersburg 1879 (russisch). – Naphta-Heizung der Dampfer und Locomotiven. St.
Petersburg 1883 (russisch). – Gesetze betreffend
Gewinnung, Aufbewahrung, Verarbeitung und Transport der Naphta.
Tiflis 1884 (russisch). – Bedeutung des Petroleums
und seiner Derivate in der Medicin. Tiflis 1884 (russisch). – Die Naphta-Quellen von Bradford. Tiflis 1882
(russisch). – Karte der Apscheron-Halbinsel mit
Angaben über Naphtaquellen, Kreosinfabriken, Naphtaleitungen u.s.w.
Tiflis 1886 (russisch und englisch)., eines ausgezeichneten
Kenners nicht bloſs der Naphta-Industrie Ruſslands, sondern auch derjenigen aller
anderen Länder, aufmerksam machen möchte. Des Weiteren besitzen wir ein sehr
schätzenswerthes Werk von Victor RagosineNaphta und Naphta-Industrie. St. Petersburg 1884
(russisch)., worin die geschichtlichen, allgemein
naturwissenschaftlichen und wirthschaftlichen Verhältnisse des kaukasischen
Petroleums eingehend berücksichtigt sind. Ueber die Technik macht K. TumskyTechnologie der Naphta. Moskau 1884
(russisch). theilweise recht brauchbare Mittheilungen, während in
einer neuerdings erschienenen Schrift von E. J.
StarzewBaku'sche Naphta-Production. Baku 1886
(russisch). ein reichhaltiges statistisches Material enthalten
ist.
I. Geschichtliche und statistische
Mittheilungen.
Obgleich die Petroleum-Industrie von Baku in ihrer derzeitigen hoch entwickelten
Technik und gewaltigen Ausdehnung eine Schöpfung allerneuester Zeit ist, so darf
trotzdem die Ausbeutung und Nutzbarmachung der kaukasischen Naphta, nach allerdings
primitiven Methoden und in nur geringem Umfange, als die historisch älteste
Industrie ihrer Art bezeichnet werden.
Zum mindesten ebenso alt, wenn nicht noch älter, ist in derselben Gegend die
Benutzung der dem Boden entströmenden brennbaren Gase bei dem Kultus der
Feueranbetung. Es wird allgemein angenommen, daſs bei Baku schon im 6. Jahrhundert
v. Chr. die Anbetung des Feuers geübt wurde, und es ist nicht unmöglich, daſs Zoroaster, der Begründer dieses eigenthümlichen Kultus,
dessen Heimath der nordöstliche Abhang des Kaukasus gewesen sein soll, durch die
nicht fern davon aus der Erde hervortretenden Quellen brennbarer Gase und Oele zur
Aufstellung seiner Lehre von Licht und Feuer angeregt worden ist. Spätere sicherer
verbürgte historische Nachrichten machen es wahrscheinlich, daſs schon vor unserer
jetzigen Zeitrechnung Tausende von Pilgern nach den Tempeln auf Apscheron zogen und
daſs die dortigen heiligen oder ewigen Feuer bis zu den Zeiten Kaiser Heraclius, der die Tempel niederreiſsen lieſs, also bis
ins 7. Jahrhundert, fast ununterbrochen gebrannt haben. Auch jetzt trat jedoch keine
lange Pause ein; denn die Altäre wurden wieder aufgebaut und der Kultus der
Feueranbetung kam zu neuer Blüthe, als nach Eroberung Persiens durch die Araber die
dem alten Glauben treu gebliebenen Bewohner dieses Landes gezwungen wurden, sich in
die entlegene Gegend bei Baku zurückzuziehen. Von anderen persischen Feueranbetern,
welche sich in dieser Zeit auf die Insel Ormus im persischen Golf flüchteten und
später von da nach Bombay wandten, leiten sich die noch jetzt in Indien über 100000
Köpfe starken Parsen ab und von diesen letzteren gingen auch in späterer Zeit, als
der heimische Kultus durch Islam und Christenthum verdrängt worden war, wiederholt
Priester nach Baku, wo sie bis in die neueste Zeit in den dortigen Tempeln die
heiligen Feuer unterhalten haben. Vor etwa 5 Jahren wurde der Feuer-Dienst in dem
letzten Tempel von Surakhani durch die russische Regierung verboten und die heiligen
Feuer sind damit wahrscheinlich für immer gelöscht worden. Von den letzten
Feueranbetern, welche ihren Kultus nur noch der dabei erhaltenen Almosen wegen
ausübten und durch ihre Bettelei fremde Besucher belästigten, machen Augenzeugen
eine nichts weniger als erbauliche Schilderung. Immerhin bieten aber die noch
vorhandenen Tempel, deren einen, noch recht gut erhaltenen, ich zu besichtigen
Gelegenheit hatte, einen interessanten Anblick dar. Der betreffende Tempel steht
unmittelbar neben der groſsen Petroleum-Raffinerie der Baku'schen Naphta-Gesellschaft in Surakhani und besteht aus einem massiven
quadratischen Baue, der einen groſsen, ebenfalls quadratischen freien Hof
umschlieſst und in seiner Bauart an ein altes Fort erinnert. Inmitten des Hofes
steht ein verhältniſsmäſsig kleiner, nach vier Seiten offener Tempel, der dem Allerheiligsten des
ganzen Baues entsprach. Die mit nur schwach leuchtender Flamme brennenden Gase
entströmten dem Boden an verschiedenen Stellen unmittelbar und brannten, oder sie
wurden durch gemauerte Kanäle weitergeleitet, um in kleinen schornsteinartigen
Aufsätzen, welche sowohl den quadratischen Hauptbau an verschiedenen Stellen, als
auch den mittleren kleinen Tempel krönen, während des Gottesdienstes herauszutreten
und in hohen Flammen emporzulodern.
Da in der Gegend, in welcher die brennbaren Gase ausströmen, auch an vielen Stellen
die rohe Naphta frei zu Tage tritt, geht auch die Kenntniſs dieses letzteren
Vorkommens voraussichtlich ebenso weit zurück als diejenige der heiligen Feuer. In
dieser Beziehung ist der Bericht Marco Polo's, welch
letzterer in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf seiner Reise nach
Innerasien mit seinem Vater und Oheim auch Baku besuchte, von groſsem Interesse. Er
beschreibt darin die Verwendung der Naphta, welche in damaliger Zeit durch
Kameltransport in die benachbarten Districte, ja bis in die Gegend von Bagdad
verbracht und zum Brennen verwendet wurde. (Noch heutigen Tages wird an einigen
Orten Ruſslands rohes Erdöl auf primitiven Lampen gebrannt.) Besonderes Interesse
bietet der Bericht Marco Polo's über eine schon damals
bekannte natürliche Springquelle, welche so gewaltige Massen von Naphta ausgeworfen
haben soll, daſs sich binnen einer Stunde hundert Schiffe damit befrachten
lieſsen.
Die Ausbeutung der Naphta auf der Halbinsel Apscheron war, entsprechend dem sehr
häutigen Besitzwechsel zwischen Persien, Armenien und Ruſsland, vielerlei Wandlungen
unterworfen und erst, nachdem Baku und dessen Umgebung im J. 1801 an Ruſsland
gefallen war, kam auch die Naphtagewinnung in geregeltere Bahnen. Immerhin war auch
dann noch die Production, welche von der russischen Regierung an Mirzoeff verpachtet wurde, eine sehr geringe; sie
betrug nach Marvin selbst in den J. 1836 bis 1860 nur
etwa 3500t jährlich und auch von dieser Zeit ab,
da man nach dem Vorgange Amerikas doch einen raschen Aufschwung hätte erwarten
sollen, hob sich die Production, wohl hauptsächlich in Folge des von der russischen
Regierung eingeführten Monopols, nur ganz allmählich.
In diese Zeit fallen auch die ersten Versuche der Darstellung raffinirter Brennöle.
Merkwürdigerweise ging man dabei jedoch nicht von der so nahe liegenden Naphta als
Rohmaterial, sondern von der in dortiger Gegend allerdings auch in bedeutender Menge
sich findenden Erdwachs artigen, an Asphalt reichen Masse, „Kirr“ genannt, aus. Schon Mitte der 50er Jahre
bemühte sich ein Baron Thornau in dieser Richtung und
derselbe vereinigte sich bald darauf mit einer dortselbst auftretenden Petersburger
Unternehmung: Transkaspische Handelsgesellschaft, um in
Gemeinschaft mit dieser, nach dem Vorbilde der Darstellung von Photogen in England,
Deutschland u.a., durch trockene Destillation bituminöser Stoffe Leuchtöl zu gewinnen. Man wendete sich,
was noch nicht allgemein bekannt sein dürfte, in dieser Sache an keinen anderen als
an Justus v. Liebig und auf Grund seines Gutachtens und
seiner Pläne wurde die erste Fabrik zur Darstellung raffinirten Brennöles
zu Surakhani bei Baku errichtet. Als Rohmaterial diente der „Kirr,“ der
zuerst ausgeschmolzen und dann in liegenden Retorten trocken destillirt wurde. Moldenhauer, ein Assistent Liebig's, welcher im J. 1859 von letzterem nach Baku geschickt worden war
und den Bau der Fabrik bei Surakhani geleitet hatte, überzeugte sich jedoch bald,
daſs der nur 15 bis 20 Proc. eines sehr schweren Oeles liefernde „Kirr“ sich
nicht eignete und schritt dazu, die „Naphta“ durch Destillation auf Brennöl
zu verarbeiten. Er ging im J. 1860 wieder zurück und sein Nachfolger Eichler, der noch heute in Baku lebende Nestor der
dortigen Industrie, war es dann, der durch Einführung der chemischen Reinigung ein
haltbares helles Brennöl aus der destillirten Naphta zu erzeugen lehrte. Erwähnt sei
hier noch, daſs man von vornherein die Fabrik deshalb nach Surakhani gelegt hatte,
um die dort ausströmenden Gase als Heizmaterial bei der Destillation zu verwenden.
Noch heute sieht man daselbst die groſsen, in den Sandstein getriebenen,
viereckigen, mit eisernen Platten bedeckten Schächte, welche als Sammler der
Bodengase dienten und aus denen man durch weite, im Deckel sitzende Röhren die Gase
weiterleitete. Im J. 1861 errichtete die Firma Witte und
Comp. auf der an der Spitze von Apscheron gelegenen heiligen Insel eine
Fabrik zur Verarbeitung des von der Insel Tscheleken bezogenen Ozokerits durch
trockene Destillation. Es wurden dabei 60 Proc. Paraffin und 8 Proc. Oel erhalten.
Schon Ende der 60er Jahre wurde diese Fabrik, deren Leiter der ältere Roſsmäsler war, jedoch wieder aufgegeben. Eine erste
kleine Destillationsanlage in Baku selbst wurde 1863 durch Melikoff errichtet. Es fehlte jedoch an Geld für gröſsere Ausdehnung und
nur dadurch, daſs schlieſslich eine Gesellschaft mit dem allerdings sehr geringen
Kapitale von 2000 Rubel das Ganze übernahm, wurde dieses Unternehmen gerettet. Bald
darauf folgte die Begründung einer Raffinerie durch Weiser u.a.
Bis zum J. 1872, wo das oben erwähnte Monopol durch eine bloſse Abgabe ersetzt wurde,
konnte die Industrie nicht recht gedeihen, entwickelte sich jedoch von da ab,
insbesondere als 1877 auch noch die Abgabe aufgehoben wurde, aufs rascheste zu ihrer
jetzigen gewaltigen Höhe. Die Production von Rohöl
betrug in MC. zu 100k:
1863
55000
MC.
1871
222000
MC.
1864
87000
1872
248000
1865
89000
1873
640000
1866
111000
1874
780000
1867
161000
1875
940000
1868
119000
1876
1940000
1869
271800
1877
2420000
1870
275000
1878
200000
1879
3700000
MC.
1883
8000000
MC.
1880
4200000
1884
11300000
1881
4900000
1885
16360000
1882
6800000
Der Preis des Rohöles, welcher 1872 für 100k noch 7
M. betrug, ging 1877 auf 1,20 M. zurück und beträgt heute in Baku nur noch 0,40 bis
0,60 M. Von nicht zu unterschätzendem Einflüsse auf die Productionssteigerung ist
ohne Zweifel auch der Umstand gewesen, daſs man vom J. 1872 ab dazu überging, die
Naphta, welche vorher nur in einfachen brunnenartigen Gruben aufgesammelt wurde,
nach amerikanischem Systeme durch Bohrlöcher zu erschlieſsen und zu fördern.
Desgleichen muſs erwähnt werden, daſs insbesondere auch das Auftreten der Gebrüder Nobel (ältere Brüder des Erfinders des
Dynamites) vom J. 1875 ab mit ihren so sehr verbesserten Transportsystemen erheblich
auf Förderung und Absatz der Naphta eingewirkt hat. In der folgenden
Zusammenstellung über das in Baku erzeugte raffinirte
Erdöl (Kerosin), ausgedrückt in metrischen Centner zu 100k, tritt dies deutlich genug hervor:
Jahr
Gesammterzeugungin Baku
Davon Gebr.
Nobel
Ins Ausland gingen
1872
164000
–
–
1873
245000
–
–
1874
236000
–
–
1875
426000
–
–
1876
571000
1000
–
1877
776000
25000
–
1878
955000
45000
–
1879
1100000
90000
–
1880
1500000
240000
–
1881
1830000
500000
–
1882
2020000
720000
–
1883
2060000
1060000
66000
1884
3570500
1591500
860000
1885
4500000
1750000
1170000
Die Ausfuhr an Erdöl ist nach obiger Zusammenstellung noch
relativ gering und würde noch geringer sein, wenn der Erdölverbrauch in Ruſsland,
wohin das meiste Oel von Baku geht, sich nicht erheblich niedriger stellte als in
den meisten Staaten. Auf den Kopf der Bevölkerung beträgt der jährliche
Erdölverbrauch nach Starzew in:
Belgien
36,5k
Holland
29,5
Dänemark
27,1
Deutschland
9,6
Nordamerika
6,4
England
5,5
Griechenland
5,5
Frankreich
3,3
Türkei
3,1
Italien
3,1
Portugal
2,8
Ruſsland
2,5
Oesterreich
2,5
Schweden und Norwegen
0,8
Spanien
0,2
Auſser dem oben aufgeführten Brennöle wird aus der Rohnaphta in Baku eine sehr
bedeutende Menge der verschiedensten Schmieröle
hergestellt. Die Nobel'sche Raffinerie allein lieferte
1884 über 100000 MC. und könnte nach jetziger Einrichtung jährlich mehr als 150000
MC. darstellen. Die Gesammterzeugung an Schmieröl in Baku belief sich im J. 1885 auf
etwa 260000 MC. und die bedeutendsten Schmierölfabriken waren Gebrüder Nobel, Schibajeff (Verwaltervormals
F. J. Ragosine und Comp.), Oelrich und Comp. (mit Filialen in Riga und Hamburg), Tagjeff und Sarkisoff u.a.
An Rückständen wurden im J. 1884 rund 4700000 MC., 1885 gegen 5100000 MC.
abgesetzt.
Des Vergleiches halber lasse ich die Gesammterzeugung an Roh-Petroleum in Nordamerika
während der letzten 6 Jahre folgen. Dieselbe betrug nach Stowell's Petroleum-Reporter:
Täglich
Im Jahr
1880
71107
Barrels
36335377
MC.1 Barrel zu 140k Erdöl
gerechnet.
1881
74954
38301494
1882
82303
42056833
1883
63336
32364696
1884
67681
34586524
1885
56921
29086631
Ausgeführt wurden nach europäischen Häfen 1884 etwa 15,6
Millionen MC., im J. 1885 etwa 16 Millionen MC. Brennpetroleum.
Immerhin bildet das in Baku gewonnene Petroleum schon jetzt einen nicht unerheblichen
Theil der amerikanischen Production, wozu noch kommt, daſs die Schmierölbereitung
von Baku weit bedeutender als die amerikanische ist.
Die Gesammtzahl der Naphtaquellen bei Balakhani belief
sich im September 1885 auf 482, wovon jedoch 138 vor 1878 nach alter Art angelegte
in Abzug zu bringen sind; es bleiben somit 344 richtige Bohrquellen, welche sich
folgendermaſsen vertheilen:
Im September 1885 Naphta liefernde Quellen
142
Erschöpfte Quellen
40
Durch Bruch der Röhren, Verwerfungen u. dgl. auſser
Betrieb
57
Während der Bohrung unterbrochen
13
In Bohrung begriffen
73
Zum Bohren vorbereitet
19
–––
344.
Auf den nordamerikanischen Oelfeldern belief sich im J. 1885 die Zahl der bis dahin
erbohrten Petroleumquellen, aus denen bekanntlich jedoch das Oel vorwiegend durch
Pumpen gefördert werden muſs, auf nicht weniger als 21950. Dabei ist aber die
Ergiebigkeit der amerikanischen Einzelquellen weit geringer als die der
kaukasischen: sie betrug bei ersteren nach E. J.
Starzew 1884 für Bohrloch und Tag im Mittel 40 MC. (28 Barrels), 1885 sogar
nur etwa 11,5 MC. (8 Barrels), während in Balakhani-Sabuntschi 1885 die mittlere
Tagesleistung 491 MC. (3000 Pud) für jede Quelle ergab.
II. Vorkommen, Gewinnung, Aufsammlung
und Transport der Roh-Naphta.
Wendet man sich von Krakau aus südöstlich, so trifft man, durch die Richtung der
Karpathen angedeutet und vorwiegend auf der Nordseite dieses gewaltigen
Gebirgszuges, wiederholt auf recht bedeutende Erdölvorkommen, von denen die zur Zeit
ausgebeuteten Quellen von Kleczani bei Neu-Sandec, Kryg bei Gorlice, Bobrca bei
Krosno, Zagórz bei Sanok, Boryslav, Truskowice, Mrasnica und Schodnica bei
Drohobycz, Drzwinacz bei Solotwina und Sloboda rungorska bei Kolomea (hier fand ich
156 Bohrbrunnen, deren 40 gegen 1000 MC. Rohöl täglich lieferten) die bedeutendsten
sind. Diese Linie setzt sich in einer von einer Geraden nur wenig abweichenden
Richtung in wiederholten sehr bemerkenswerthen Oelaufschlüssen durch die Bukowina,
einen Theil Siebenbürgens, durch die Moldau und Walachei bis in die Nähe des
Schwarzen Meeres fort, tritt auf der Krim in neuerdings bei Kertsch erschlossenen
Quellen wieder zu Tage, um auf der gegenüber liegenden, den letzten westlichen
Ausläufer des Kaukasus darstellenden Halbinsel Taman in ziemlich umfangreichem
Vorkommen den Anfang der Linie einer neuen Reihe von sehr bedeutenden
Erdölaufschlüssen zu bilden, deren Richtung durch den Gebirgszug des Kaukasus
vorgezeichnet ist und welche auf der Halbinsel Apscheron mit Baku ihr scheinbares
Ende erreicht. Sowohl nördlich, als südlich vom Kaukasus ist an zahlreichen Stellen,
sogar bis in eine Höhe von 2750m, Erdöl
aufgefunden und wird nicht bloſs bei Baku, sondern auch im Westen, im Kubangebiete
und neuerdings 60km landeinwärts von der am
Schwarzen Meer gelegenen Hafenstadt Novorosisk, mit Erfolg ausgebeutet (die lange
Zeit betriebene Siemens'sche Petroleumgewinnung in der
Gegend von Tiflis ist dagegen wegen schlechter Beschaffenheit des Rohöles neuerdings
aufgegeben worden). Bei weitem die massenhafteste Rohölgewinnung findet zur Zeit
jedoch auf der Halbinsel Apscheron in der Umgegend von Baku statt, ein Gebiet,
welches nicht bloſs durch die dort befindlichen Erdölmassen, sondern ganz besonders
auch durch die Gewalt, mit welcher die Naphta oft in Form von gewaltigen
Springquellen zu Tage tritt, in neuester Zeit berühmt geworden ist.
Die oben skizzirte, nicht weit von Krakau beginnende Petroleumlinie erreicht jedoch
auch auf Apscheron nur scheinbar ihr Ende; denn verfolgen wir die gleiche Richtung
nach Südost weiter, so treffen wir im Kaspischen Meer wiederholt auf Stellen, an
denen Petroleumgase oder auch Oel vom Grunde des Meeres durch das Wasser
emporquellen, gelangen auf die an Naphta und an Erdwachs ziemlich reiche Insel
Tscheleken und von da auf das turkmenische Festland, wo wieder am kleinen und am
groſsen Balkan sehr bemerkenswerthe Oelaufschlüsse gemacht sind. Man hat in neuester
Zeit sogar eine Zweigbahn nach dem dort befindlichen, an Naphta besonders reichen
„Oelhügel“ oder
„Naphtahügel“ angelegt, um von da aus die Locomotiven der Transkaspischen
Bahn behufs Heizung mit Naphta speisen zu können.
Wenn es auch nicht Gegenstand dieses Berichtes sein kann, die Frage nach der Art und
Weise der Bildung des Petroleums zu beantworten, so sei doch darauf hingewiesen,
daſs fast auf der ganzen oben angedeuteten Linie das Erdöl sich in der
Tertiärformation vorfindet, also, im Gegensatze zu Nordamerika, wo das Vorkommen
desselben sich auf die ganz alten Schichten des Devon
und Silur concentrirt, in einer der neuesten Bildungen,
ein Umstand, der vielfach gegen die Richtigkeit der Annahme einer gleichartigen
Bildungsweise des Erdöles ins Feld geführt wird. Insbesondere wird dabei auch auf
die bei Baku befindlichen zahlreichen Schlammvulkane hingewiesen, um die dortige
Entstehung des Erdöles mit vulkanischer Thätigkeit und namentlich mit der Mendelejeff'schen Hypothese der Bildung des Erdöles
durch Einwirkung von Wasser auf das Eisencarburet des heiſsen Erdinneren in
Verbindung zu bringen (vgl. 1878 228 531). Dem gegenüber
sei nur bemerkt, daſs aus einer mit Petroleum durchsetzten Erde die Auswürfe der
Schlammvulkane nothwendigerweise auch Petroleum enthalten müssen und daſs deshalb aus dieser Thatsache ein Schluſs auf die
Entstehung des Erdöles durch vulkanische Thätigkeit unmöglich gezogen werden kann.
Jedem fällt aber auch auf den Petroleumfeldern von Baku der ganz gewaltige Reichthum
an Muschelkalk artigen Conglomeraten auf, welche ebenso wie die Versteinerungen der
amerikanischen Schichten sammt ihren begleitenden Erscheinungen (kleine
Oeleinschlüsse in allem Anschein nach primären Lagerstätten, welche früher der Sitz
eines Thierkörpers waren u.a.m.) zu der Annahme einer gleichartigen Bildungsweise
des Erdöles aus organischen Thierresten führen.
Die Gesammtausdehnung der Petroleumfelder des Kaukasusgebietes ist eine in neuester
Zeit viel umstrittene Frage; sie soll nach K. Manko auf
Grund officieller Angaben 30000 Quadrat-Werst, also 31000 bis 32000qkm betragen, wovon etwa 6000 auf das Gebiet des
Kuban und der Halbinsel Taman kommen. Die Halbinsel Apscheron, auf welcher an
verschiedenen Stellen schon Erdöl wahrgenommen worden ist und die auch noch in ihren
letzten Ausläufern, der heiligen Insel, Gas-, Kirr- und Oelvorkommen aufweist,
dürfte ein über die zur Zeit in Abbau begriffene Fläche weit sich erstreckendes
Oelgebiet aufweisen. Redwood kommt in seinem erwähnten
Berichte über die Naphta-Industrie Bakus bezüglich Apscherons zu der enorm hohen
Zahl von 1000 bis 1200 englischen Quadratmeilen (2600 bis 3000qkm) Oelgebiet; es ist dies jedoch, wenn man unter
der Halbinsel nur den etwa 70km in das Kaspische.
Meer hineinragenden, 25 bis 30km breiten Theil des
Festlandes mit etwa 1700 bis 2100qkm Flächenraum
versteht, entschieden zu hoch gegriffen. Allerdings schlieſst sich unmittelbar an
die Halbinsel auf dem Festlande ein noch ausgedehnteres Gebiet mit zahlreichen
Petroleumfunden an, welches sich landeinwärts bis etwa Chemakhi, südlich bis über die Mündung der Kura
und auch noch nördlich, hier allerdings nur mit groſsen Unterbrechungen, bis in die
Nähe von Petrowak erstreckt, so daſs, wenn man dieses Gebiet hinzunimmt, die Redwood'sche Angabe welche 2600 bis 3000qkm entspricht, weniger auffallend erscheint.
Die zur Zeit auf Apscheron bei Baku in Ausbeutung begriffene oder schon ausgebeutete
Fläche umfaſst nur etwa 12qkm, was im Verhältnisse
zu den obigen Angaben allerdings eine so kleine Fläche wäre, daſs das Rohmaterial
für die dortige Industrie noch auf fast unberechenbare Zeit gesichert erschiene.
Dieser vielleicht etwas zu optimistischen Annahme gegenüber macht sich in letzter
Zeit von verschiedenen Seiten die Auffassung geltend, daſs man es bei Baku nur mit
einer blasenartigen Einlagerung von Naphta zu thun habe, und wird berechnet, daſs in
etwa 4 bis 5 Jahren das dortige Oelvorkommen erschöpft sein müsse. Daſs derartige
Stimmen verlautbaren, ist ganz natürlich gegenüber einem so unberechenbaren Vorrath,
wie es ja fast alle unsere Petroleumvorkommen sind. Dieser Fall hat sich aber auch
bei den amerikanischen Feldern schon mehrere Male wiederholt. So wird z.B. in der
Times (August 1882) berechnet, daſs der
pennsylvanische Oelreichthum nur noch bis zum J. 1895 vorhalte. Auch hier kommt man
aber immer wieder auf neuere Oelaufschlüsse. Auf Grund der ungemein zahlreichen
Aufschlüsse von Naphta, die sich innerhalb des groſsen Viereckes
Kertsch-Batum-Lenkoran-Petrowsk, also zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer,
finden, in Rücksicht auch auf die groſse Unwahrscheinlichkeit, daſs ein so massiges
Vorkommen wie das von Baku auf einen Kessel von vielleicht 17qkm beschränkt ist, bin ich der Ueberzeugung, daſs
man es im Kaukasusgebiet denn doch mit einem nachhaltigeren Vorrathe zu thun hat. Es
kommt dazu, daſs durch Vertiefung der Bohrlöcher jeweils wieder Naphta erscheint,
was wichtig ist, wenn man bedenkt, daſs die amerikanischen Petroleumbohrlöcher
durchschnittlich mehr als doppelt so tief als die von Baku sind. Immerhin muſs
zugegeben werden, daſs der Beweis des Vorhandenseins so groſser Naphtavorräthe, wie
sie von Marvin, Redwood u.a. angenommen werden, noch zu
erbringen ist.
Auf Apscheron sind es bis jetzt die Felder von Balakhani,
Sabuntschi, Surakhani und Bibieybat gewesen,
welche ausgebeutet wurden. Bei weitem die bedeutendste Gewinnung findet auf den
beiden, ungefähr gleichbedeutenden und neben einander liegenden Oelfeldern von
Balakhani und Sabuntschi statt, welche etwa 10km
landeinwärts von Baku, ziemlich inmitten der Halbinsel Apscheron und 53m über dem Spiegel des Kaspischen Meeres (der
Spiegel dieses Meeres liegt bekanntlich 26m unter
dem des Weltmeeres) sich befinden. Das 6km östlich
davon gelegene Surakhani, der Sitz der alten Feueranbetung, hat zwar viel Gas, doch
nur ganz wenig Oel, welches in der dortigen Raffinerie der
Baku'schen Naphta-Gesellschaft gereinigt wird. Die
Quellen von Bibieybat befinden sich am Golf von Baku südlich der Stadt und in der
Nähe der kaiserlichen Rhede. Das hier gewonnene Oel wird in der einzigen dort
befindlichen Raffinerie von Tagjeff und Sarkisoff
verarbeitet.
Man hat zwischen Gasquellen und Oelquellen zu unterscheiden. Aus den ersteren strömt ein farbloses Gas
aus, welches mit wenig leuchtender Flamme brennt. Nach Analysen von Bimsen und SchmidtTumsky: Technologie der Naphta (russisch), S.
99. besteht das kaukasische Naphtagas aus:
Methan
92,49
93,09
92,24
95,39
97,57
95,56
Olefine
4,11
3,26
4,26
–
–
–
Kohlenoxyd
0,93
2,18
3,50
–
2,49
4,44
Wasserstoff
0,94
0,98
–
–
–
–
Stickstoff
2,13
0,49
–
–
–
–
Nach Angaben von Sattler enthält
das Gas nur 60 bis 90 Proc. Methan, bloſs Spuren Kohlenoxyd, dagegen zwischen 5 und
22,5 Proc. Wasserstoff. Auch Schwefel haltige Gase vermuthet dieser auf Grund des
Geruches als Beimischung.
Der Austritt dieser Gase erfolgt entweder von selbst durch Spalten und Löcher, welche
sich in der Erde befinden, oder aber er ist eine Folge von Bohrungen auf Erdöl. Das
frei austretende Gas wurde, wie schon erwähnt, seit alter Zeit in den Tempeln der
Feueranbeter benutzt, desgleichen, wie auch noch heutigen Tages, zum Brennen von Kalk. Der sämmtliche für die Bauten von
Baku und Umgebung verwendete Kalk wird in der Nähe von Surakhani auf diese Art
gebrannt; ich zählte auf dem Wege von Surakhani nach Balakhani nicht weniger als 70
Kalksteinhaufen, die frei auf der Erde aufgeschüttet lagen und durch welche die
Flammen von kleinen Oeffnungen in der Erde aus hindurchschlugen. Ist der Kalk fertig
gebrannt, so werden die Oeffnungen verstopft, nach Wiederauflagerung neuer
Kalksteinstücke neuerdings geöffnet und das ausströmende Gas angezündet. Desgleichen
verwendet man dieses frei ausströmende Gas in der einzigen bei meiner Anwesenheit in
Betrieb befindlichen Raffinerie von Surakhani (Baku'sche
Naphta-Gesellschaft; eine zweite groſse neu erbaute Raffinerie von Mirzoëff war nicht in Betrieb) zur Fabrikbeleuchtung, sowie als Essenfeuer zum Erhitzen des Eisens in der Maschinenwerkstatt. Hier strömt
das Gas durch einen schlitzförmigen senkrechten Schacht aus und schlägt von da als
etwa 1m breite Flamme in einen wagerechten
Flammofen, in welchen die zu erhitzenden Eisentheile gebracht werden.
Frei austretendes Gas ist endlich auch an verschiedenen Stellen des Kaspischen Meeres
zu beobachten. Bei einer nächtlichen Fahrt in das Meer, wozu mir die Kaspische Gesellschaft eine Dampfbarkasse freundlichst
zur Verfügung stellte, hatte ich Gelegenheit, diese interessante Naturerscheinung zu
beobachten. Nach 22 Minuten langer Fahrt trafen wir auf eine solche Stelle, die sich
beim Stillliegen des Schiffes durch ein eigenthümlich brodelndes Geräusch bemerkbar machte. Durch
ein aufgeworfenes brennendes Wergbündel entzündet, brannte das Gas auf einer Fläche
von mehreren Meter im Quadrat mit hoch auflodernder Flamme über der Wasserfläche.
Noch vom Ufer aus konnte man nach unserer Rückkehr die Flamme, welche nur durch Wind
und Wellen verlischt, durch die Nacht deutlich wahrnehmen.
Von besonderem Interesse sind auch die Gasquellen, welche nicht selten beim Suchen
nach Naphta wider Willen erbohrt werden, durch die Gewalt, mit welcher hier der
Gasaustritt fast immer erfolgt. Offenbar liegen hier Höhlungen vor, in welchen das
Gas unter gewaltigem Druck eingeschlossen ist. Trifft der Bohrer auf eine solche
Ansammlung, so strömt dasselbe unter Umständen so rasch und mit solcher Kraft aus,
daſs das Bohrgestänge nicht mehr beseitigt werden kann und manchmal heraus
geschleudert wird. Auch Schlamm und Sand, sowie Steine bis zur Gröſse von
Kegelkugeln werden mit ausgeworfen. Man hat aus der Zeit des Aufsteigens und
Wiederherunterfallens solcher Steine berechnet, daſs diese bis zu einer Höhe von 200
bis 250m emporgeschleudert waren. Derartige Gas
führende Bohrlöcher werden neuerdings mit dicht schlieſsenden eisernen Kappen
geschlossen und auf diese Weise war es möglich, daſs ein der Firma Gebrüder Nobel gehöriges Gasbohrloch bei meiner
Anwesenheit geöffnet werden konnte und ich so Gelegenheit hatte, die Gewalt der
Wirkung zu beobachten. Das Geräusch des ausströmenden Gases, verbunden mit dem
Gerassel der Schlamm- und Kiesmassen, welche an das in etwa 20m Höhe über der Mündung übergebaute Holzgerüste
anschlugen, war so durchdringend, daſs es nicht möglich war, in der Nähe zu
verweilen, ohne die Ohren zuzuhalten. Selbstverständlich wird bei so massigem
Gasaustritte die ganze Umgebung mit Gas geschwängert und können durch Entzündung an
benachbarten Kesselfeuerungen gefährliche Brände entstehen.
Auch bei den Oelquellen hat man zwischen solchen zu
unterscheiden, aus welchen das Oel frei austritt und solchen, die durch Bohrung
entstehen. Quellen ersterer Art, bei denen ein schwarzes dickes Oel durch die
Gesteinsmassen des Bodens langsam an die Erdoberfläche dringt, kann man nicht allein
bei Baku, sondern auch an zahlreichen anderen Stellen des Kaukasusgebietes
beobachten und ist man, wie die Schilderung Marco
Polo's (siehe oben) beweist, schon in früher Zeit, offenbar durch Nachgraben an
solchen Stellen, auf Springquellen gekommen. Springquellen von früher nicht geahnter
Groſsartigkeit wurden aber erst in allerneuester Zeit erhalten, als man, wie schon
oben erwähnt, im J. 1872 dazu überging, die Naphta nach amerikanischem System durch
Bohrlöcher zu erschlieſsen. Da sich in den schon angeführten Reiseberichten von Marvin und von Redwood
eingehende Schilderungen der wichtigeren Springquellen befinden, beschränke ich mich
hier auf die folgenden kurzen Mittheilungen.
Auf die erste Springquelle durch Bohrung stieſs 1873 die Gesellschaft „Khalif Compagnie.“ Das Oel sprang 12m hoch und gelang es mit keinen Mitteln, dem
Austritte desselben Einhalt zu thun, so daſs groſse Massen davon verloren gingen.
Auch in den folgenden Jahren traf man wiederholt auf Springquellen, deren Zahl zur
Zeit nicht mehr weit von 100 sein dürfte. Besonders glänzende Ergebnisse in dieser
Beziehung wurden auf der bei Balakhani gelegenen Hochebene von Sabuntschi erzielt.
Dabei kam es unter Umständen – wenn gleich sehr selten – vor, daſs durch
Niedertreiben eines neuen Bohrloches eine benachbarte Oelfontäne zu springen
aufhörte: so 1880 die Ararat-Quelle, welche ungewöhnliche Massen Naphta auswarf, bis
sie durch ein in der Nähe eingetriebenes, eine neue Springquelle bildendes Bohrloch,
welches allem Anscheine nach auf dieselbe Ansammlung traf, zum Stillstande kam.
Beide Quellen warfen zusammen die gewaltige Menge von 2 500000 MC. Oel aus. Den
bemerkenswerthesten Erfolg lieferte aber bis jetzt das J. 1883 durch die drei
gewaltigen Springquellen von Lianozoff, die Drujba-(sprich Druschba-)Quelle einer amerikanischen Gesellschaft und die durch Gebrüder Nobel erbohrte Springquelle Nr. 9. Die Lianozoff'sche Quelle warf zuerst etwa ¾ Stunden lang
trockenen Sand aus bis zu Höhen von 120m, worauf
die Naphta kam, zugleich mit so gewaltigen Massen von Gas, daſs die ganze Umgebung
einschlieſslich des Ortes Balakhani verpestet wurde. Das Oel sprang dabei 60m hoch. Einen noch höheren, zeitenweise 90m hohen Strahl gab einige Monate später die Drujba-Quelle. Hier trat das Oel unerwartet in solchen
Massen auf (bis 80000 MC. täglich), daſs, in Ermangelung von vorbereitenden
Arbeiten, fast das gesammte Product fortlief und nicht allein verloren ging, sondern
auch noch die ganze Nachbarschaft durch Oel und Schlamm derart verwüstete und in den
Arbeiten störte, daſs die betreffende amerikanische Gesellschaft in Folge zu
leistenden Schadenersatzes zu Grunde ging. Nicht weit von dieser Quelle erhielten
Gebrüder Nobel ihre Oelspringquelle Nr. 9 mit
1120000 MC. Ausbeute innerhalb 4 Wochen. Dieselben hatten sich besser vorgesehen als
die amerikanische Gesellschaft und durch zeitiges Aufwerfen von Dämmen und Bildung
natürlicher Behälter das Fortlaufen verhindert, so daſs von den ausgeworfenen
1120000 MC. nur etwa 1/30 verloren ging. Da jedoch kleinere Unternehmer nicht mit gleich
vollkommenen Einrichtungen versehen sind, so ist das Auftreten einer allzu kräftigen
Oelfontäne für sie meist kein Gewinn. Sie sind in Ermangelung geschlossener Behälter
bei jetzigem langsamem Absatze genöthigt, die Naphta innerhalb der aufgeworfenen
Dämme lange Zeit offen stehen zu lassen, wobei sehr viel gerade der werthvollen
Theile sich verflüchtigen. Derartig lange gestandene sogen. „Seenaphta“ kann unter Umständen nur noch als
Heizmaterial benutzt werden.
Auch in neuester Zeit sind wiederholt bedeutende Springquellen erbohrt worden und der
Freundlichkeit des leitenden Ingenieurs der Nobel'schen
Bohrunternehmungen, des Hrn. Sandgreen, verdanke ich
den Anblick einer solchen. Wenn diese etwa 208m
tiefe Quelle (Bohrloch Nr. 44) auch nicht zu den gewaltigsten gehört, so warf sie
das Oel immerhin noch erheblich über den etwa 20m
hohen Bohrthurm hinaus und machte durch die in dickem Strahle ausströmenden groſsen
Massen braunschwarzer Naphta einen gewaltigen Eindruck. Zur Zeit sind bei
Balakhani-Sabuntschi nach mir gewordenen Mittheilungen 11 Springquellen vorhanden,
von welchen 5 der Firma Gebrüder Nobel gehören. Eine
andere (Awakoff) gibt täglich 16500 MC. Naphta. Zur
Zeit meiner Anwesenheit in Baku waren die Nobel'schen
Springquellen im Stande, täglich etwa 27000 MC. Naphta zu liefern; doch wurden
damals bei theilweise geschlossenen Quellen täglich nur etwas über 10000 MC.
gewonnen.
Die Dauer der Springquellen ist sehr verschieden. Einige sind schon Monate lang
gesprungen, andere haben nach wenigen Tagen aufgehört. Bei dem jetzigen Systeme,
wobei man die Bohrlöcher mit Kappen verschlieſst, um nur von Zeit zu Zeit die Naphta
austreten zu lassen, läſst sich die Dauer der einzelnen Springquellen überhaupt
nicht mehr genau feststellen. Als Regel gilt jedoch, daſs man nach dem Aufhören des
Springens einer Quelle noch nahezu ebenso viel Naphta heraus pumpen kann, als vorher durch eigenen Druck ausgetreten ist. So gab z.B.
die oben erwähnte Ararat-Quelle mit ihrer Nachbarquelle nachträglich noch im Tag je
1000 MC. Oel, welche durch Pumpen gehoben wurden.
Die Bohrungen bieten bei dem weichen Erdreiche, welches
der Hauptsache nach aus abwechselnden Schichten von Sand mit Sandstein, Lehm und
Thonschiefer besteht, keinerlei besondere Schwierigkeiten und erfolgen nach
ähnlichen Methoden wie in Amerika. Der die Gestalt eines flachen oder hohlen
Meiſsels besitzende Steinbohrer ist entweder an einem starken Hanfseile
(Seilbohrer), oder, der häufigere Fall, an mit einander verschraubten, etwa 10m langen eisernen Stangen (Schäften) befestigt und
wird in allgemein üblicher Weise durch Dampf kraft wiederholt gehoben, alsdann
gedreht und wieder gesenkt, bis eine bestimmte Vertiefung des Bohrloches erreicht
ist. Der über der Sohle des Bohrloches sich ansammelnde Bohrschlamm und Sand wird
von Zeit zu Zeit mittels eines Löffels, der „Schalonke,“ herausgehoben; letztere besteht aus einem langen
Blechcylinder zu 180 bis 220l, an dessen Boden ein
beim Aufschlagen sich öffnendes Ventil sich befindet, so daſs die Massen von unten
eindringen und den Cylinder füllen, während sie beim Heben durch das dann
zurückfallende Ventil am Wiederaustritte verhindert werden. Obgleich diese Art des
Schöpfens dadurch sehr umständlich ist, daſs bei tiefen Bohrlöchern, sofern nicht
Seilbohrung angewendet wird, immer eine groſse Zahl von eisernen Schäften an- und
abgeschraubt werden muſs, geht das Heruntersenken und Wiederheben der
„Schalonke“
bei einem über 100m tiefen Bohrloche so rasch von statten, daſs wenn
diese Hebemethode, was üblich, auch für Naphta angewendet wird, täglich 500 bis 800
MC. davon gehoben werden können.
Bei dem meist sehr weichen, in sich zusammensinkenden Erdreiche müssen die Bohrlöcher
selbstverständlich verrohrt werden. Dabei werden die einzelnen Eisenblechröhren von
oben in dem Maſse nachgeschoben, als unten durch den Bohrer vorgearbeitet ist. Die
einzelnen durch Nietung hergestellten Rohrstücke sind etwa 2m lang und verlaufen schwach kegelförmig, so daſs
die oben nachzuschiebende Röhre jeweils mit ihrem nach unten stehenden engeren Ende
in das oben noch herausstehende weitere Ende der schon im Bohrloche befindlichen
Röhre eingeschoben und damit vernietet werden kann. Häufig sinkt der oben
festgeklemmte und so gehaltene Röhrenstrang von selbst nach, wenn nach Ansetzen
eines neuen Röhrenstückes die Klammer gelüftet wird, oder es genügt doch ein
schwacher Druck, um das Nachsinken zu bewirken. Gewöhnlich beginnt man die Bohrung
mit einem Durchmesser des Bohrloches von 38cm,
vermindert aber die Weite in dem Maſse, als man tiefer kommt, und endigt oft mit
weniger als der Hälfte des anfänglichen Durchmessers. Selbstverständlich müssen bei
jedesmaliger Verengerung des Bohrloches auch engere Röhren, und zwar von oben an,
eingesetzt werden. Um ein Platzen der obersten Röhren beim späteren Schlusse
derselben zu verhindern, wird der obere Theil des Bohrloches mit einer die Röhren
umgebenden Schutzhülle von Asphaltmörtel versehen. Bei rascher Arbeit werden täglich
etwas über 2m gebohrt. Die durchschnittlichen
Kosten eines Bohrloches werden rund zu 30000 M. angegeben, was im Vergleiche zu
Amerika hoch genannt werden muſs. Die durchschnittliche Tiefe der Quellen
(Bohrlöcher) betrug in den Jahren:
1873
bis
1877
53
bis
63m
1881
128m
1878
90
1882
124
1879
114
1883
124
1880
97
1884
158
1885
147m.
Nach Angaben von Sokolowsky müssen für jede 10 Millionen
MC. geförderter Naphta die Bohrlöcher um etwa 13m
vertieft werden. Man hat. sich jedoch das Vorkommen der Naphta bei Baku nicht in
gleicher Höhenlage, etwa nach Analogie des Grundwassers, zu denken. Dagegen sprechen
schon die verschiedenen Tiefen, in denen man das Oel antrifft. Auf den Feldern von
Balakhani-Sabuntschi waren beispielsweise im J. 1885 vorhanden:
Zahl der Quellen
mit Tiefe von
14
50
bis
84m
20
84
„
105
30
105
„
126
33
126
„
147
8
147
„
168
22
168
„
189
6
189
„
210
6
210
„
252
Ein bei meiner Anwesenheit in Abteufung begriffenes Nobel'sches Bohrloch hatte bei einer Tiefe von 310m noch keine Naphta ergeben. Die sehr wechselnde
Gewalt, mit welcher das Oel zu Tage tritt, sowie der Umstand, daſs ganz nahe
liegende Springquellen sich in den meisten Fällen gar nicht beeinflussen und daſs
oft in nächster Nähe einer schon vorhandenen Fontäne keine neue Springquelle erbohrt
werden kann, sprechen dafür, daſs die Naphta sich in einzelnen mehr oder weniger
ausgedehnten Höhlungen, die zu gleicher Zeit auch noch Schlamm und Sand enthalten,
vorfindet.
Sobald während des Bohrens deutliche Vorzeichen des Oelausbruches, insbesondere
groſse Gasausströmungen sich zeigen, wird nach Entfernung des Bohrers die Mündung
des Bohrloches mittels einer mit Klappe oder Ventil versehenen Kappe (sogen. „Kolpack“) verschlossen. Gelingt das Befestigen
des Kolpacks in Folge zu plötzlich ausdringender Naphta nicht mehr, so läſst sich
ein Verschluſs meist erst bewerkstelligen, wenn die erste Gewalt des Ausbruches sich
gelegt hat. Bei Bohrloch Nr. 9 der Gebrüder Nobel
gelang beispielsweise der Verschluſs erst, nachdem das Oel 6 Wochen lang frei
ausgeströmt war und auch dann noch kostete es die gröſste Mühe nach Bau eines
groſsen Gerüstes einen Mastbaum mittels Ramme in die Mündung des Bohrloches zu
treiben. Schlamm, Sand, Kies und groſse Steine bis zum Gewichte von 25k werden bei solcher Gelegenheit mit ausgeworfen
und erschweren natürlich nicht bloſs die Arbeit, sondern schädigen und gefährden die
ganze Nachbarschaft. Verschüttung von Arbeitern ist schon mehrmals vorgekommen. Eine
groſse Gefahr entsteht auch dadurch, daſs bei nicht völlig dichtem Kolpack eine
kleine Oeffnung durch die sich hindurchpressenden Oel- und Sandmassen sehr rasch zu
einem groſsen Loche erweitert wird, durch welches dann die Naphta mit immer
gröſserer Gewalt herausdringt.
Um das Oel bequemer auffangen zu können, gibt man dem Aufsatze die Gestalt eines
Knierohres, so daſs bei geöffnetem Ventile der Austritt der Naphta in wagerechtem
Strahl erfolgen muſs. Auch dabei wird nicht selten das dicke eiserne Knierohr in
kurzer Zeit durch den mitgerissenen Sand durchgeschliffen. Ein solches Rohr mit
einer Wandstärke von etwa 4cm, welches vollständig
durchfressen war, wurde mir an Ort und Stelle gezeigt.
Hört die Quelle auf, von selbst zu springen, so wird meist mit Hilfe des Löffels, der
oben erwähnten Schalonke, noch eine bedeutende Menge Naphta durch Pumpen
gewonnen.
Zur Aufsammlung des frei ausflieſsenden Oeles sind die Bohrlöcher in einiger
Entfernung mit Erdwällen umgeben und der Boden ist mit Gräben durchzogen, in denen
sich die Naphta ansammelt, um in eine Vertiefung zusammen zu laufen. Wird sie von
hier aus nicht rasch mittels Pumpen gehoben und in geschlossene Behälter gebracht,
so bildet sich ein
Naphtasee. Ein solcher ist aber, wie schon oben bemerkt, immer ein Nachtheil, weil
beim längeren Stehen des Oeles an freier Luft sehr viel werthvolle Theile
verdunsten. Trotzdem sieht man in Balakhani oftmals solche Seen, da namentlich die
kleineren Unternehmer für Aufnahme und Weiterbeförderung groſser Massen von Naphta
nicht vorgesehen sind.
Die Behälter, welche zur Aufnahme der Rohnaphta in
Balakhani meist benutzt werden, sind von gleicher Einrichtung wie diejenigen, welche
auch zur Aufbewahrung des fertigen Oeles in den Raffinerien oder an groſsen
Umladestellen in Anwendung sind. Es sind gewaltige, bis zu 250000 MC. Naphta
fassende Gefäſse von cylindrischer Gestalt, welche aus zusammen genieteten
Eisenblechplatten frei auf die Erde, also ohne Fundament aufgebaut und mit einem
flachen kegelförmigen Blechdach abgedeckt sind. In Anbetracht der gewaltigen Massen,
die ein solcher Behälter aufzunehmen hat, ist seine Bauart eine sehr leichte: die
unteren Wandbleche haben eine Stärke von nur 9mm
und weiter oben verjüngen sie sich noch, so daſs die obersten nur 4mm,5 dick sind und weder innen, noch auſsen sind
Streben oder Gerüste angebracht. Mittels Pumpen werden sie mit Naphta gefüllt,
welche darin einige Zeit zum Absetzen von Schlamm, Sand und Wasser stehen
bleibt.
Der Transport der Naphta von Balakhani in die
Raffinerien von Baku oder an die Umladestellen geschieht vorwiegend durch frei auf
der Erde liegende Rohrleitungen nach amerikanischem Systeme, deren jetzt 11
vorhanden sind. Zwei davon, mit 125mm und 150mm weiten Eisenröhren, gehören der Firma Gebrüder Nobel, andere Mirzoëff, Lianozoff, der Baku'schen
Naphta-Gesellschaft u.a. – Brunnenbesitzer, welche keine eigene Leitung
haben, benutzen gegen Ersatz von 1 bis 1½ Kopeken für das Pud (12 bis 18 Pf. für 1
MC.) beförderter Naphta die Leitungen der gröſseren Gesellschaften. Für Beförderung
von der Nobel'schen Fabrik bis zur Bahnstation Baku
wird auf das Pud des Weiteren 1 bis 1,25 Kopeken (12 bis 15 Pf. für 1 MC.)
berechnet.
Die Herstellungskosten für die gröſsere Leitung der Firma Nobel betrugen 800000 M. Nach ihrer Erstellung gingen die Transportkosten
von 108 auf 30 Pf. für 1 MC. zurück. Dieselbe Firma benutzt zur Naphtabeförderung
zwei groſse Dampfpumpen zu je 30 Pferd; durch jede derselben können innerhalb 24
Stunden 26000 MC. Naphta von Balakhani nach Baku befördert werden. Auſserdem
besitzen Gebrüder Nobel auf den Petroleumfeldern zu
Balakhani noch 65 Stationspumpen, auch 95 Dampfkessel (insgesammt mit Rohnaphta
geheizt, deren Verbrauch hierfür etwa 1 Procent der Gesammtgewinnung beträgt) und 75
Dampfmaschinen.
Ein kleinerer Theil der Rohnaphta geht auf der Eisenbahn in Cisternenwagen zu je 100
MC. (600 Pud) nach dem Bahnhofe zu Baku. Man wählt dieses immerhin theurere
Transportmittel jedoch meist nur dann, wenn die Rohnaphta auf der Hauptbahn über Batum
weiter befördert werden soll, was dann selbstverständlich in denselben
Cisternenwagen geschieht. Uebrigens geht auch eine Rohrleitung von Balakhani an den
Bahnhof Baku, woselbst mehrere groſse Sammelbehälter sich befinden.
Endlich sei erwähnt, daſs immer noch kleine Mengen Rohnaphta von Balakhani aus auf
Kamelen in die benachbarten Gebiete, nach Daghestan, auch nach Persien bis Kurdistan
verführt werden, wo das ungereinigte Oel in primitiven Ampeln gebrannt wird. Ein
Kamel befördert etwa 300k Oel. Desgleichen wird
auch noch von ganz kleinen Unternehmern eine geringe Menge Rohöl auf den dort
allgemein gebräuchlichen zweiräderigen persischen Wagen, Arba genannt, in die Raffinerien der schwarzen Stadt gefahren, wobei immer
ein Faſs Oel im Wagen liegt, während das andere zwischen den oft über 2m,5 hohen Rädern hängt. Bis zum J. 1875, da Gebrüder Nobel die erste Rohrleitung legten, geschah
die gesammte Oelverfrachtung fast ausschlieſslich in solchen Arbas und dieselbe
bildete für die umwohnenden Tartaren einen sehr bedeutenden Nebenverdienst. Die
Ausgaben für diesen Versandt sollen im letzten Jahre vor Einführung der
Rohrleitungen nicht weniger als etwa 2 Mill. Mark betragen haben und es ist deshalb
leicht begreiflich, daſs es nothwendig wurde, die Rohrleitungen zu Anfang vor
Zerstörung durch die erbitterten Fuhrleute zu schützen.
(Fortsetzung folgt.)