Titel: | Neues Eilzugmaschinensystem von T. R. Crampton in London. |
Autor: | M-M. |
Fundstelle: | Band 262, Jahrgang 1886, S. 145 |
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Neues Eilzugmaschinensystem von T. R. Crampton in
London.
Mit Abbildungen auf Tafel
10.
Crampton's neues Eilzugmaschinensystem.
Der englische Ingenieur T. R. Crampton, dessen
Eilzugmaschine vor 4 Jahrzehnten Aufsehen erregte und welche heute noch auf einigen
französischen Linien im Betriebe steht, ist mit der Construction einer neuen Eilzugmaschine beschäftigt, über welche er der
Société des Ingénieurs civils in
Paris (vgl. deren Sitzungsbericht, März
1886 * S. 204) eine kurze Mittheilung machte.
Die frühere Erfindung Crampton's beruht bekanntlich auf
der ersten Anwendung groſser Treibräder mit Durchmessern von 2m und darüber, deren Achse hinter der Feuerbüchse
gelagert ist, während den Rundkessel zwei oder drei Laufachsen tragen. Die Anordnung
der auſsen liegenden Dampfcylinder, beiläufig im Mittel der Maschine, sichern diesen
Maschinen einen äuſserst ruhigen Gang; die nach den damaligen Verhältnissen
bedeutenden Effectgröſsen (Cylinderdurchmesser etwa 0m,400, Heizfläche 80 bis 90qm,
Rostfläche 1,1 bis 1qm,3, Adhäsion 10 bis 12t) liefern sehr günstige ökonomische Ergebnisse,
welche noch heute nur selten übertroffen werden. Selbstverständlich entspricht aber
Zugkraft und Adhäsion nicht mehr den heutigen Gewichten der zu befördernden
Schnellzüge und werden in Folge dessen alle neueren Eilzugmaschinen gekuppelt, mit
einer Adhäsion von 25 bis 28t, 1,8 bis 2qm,2 Rostfläche und 110 bis 130qm Heizfläche construirt. Ueber die
vortheilhafteste Anordnung herrschen die verschiedensten Ansichten; keine neue Type,
so viele deren auch schon ausgeführt sind, hatte einen durchgreifenden Erfolg gleich
dem der ersten Crampton-Locomotive und dies mag wohl den Anstoſs gegeben haben, daſs
Crampton nun neuerdings mit einer Eilzugmaschine
vollständig abweichender Construction auftritt.
Die neue, in Fig.
2 bis 4 Taf. 10 nach dem Portefeuille économique,
1886 * S. 74 dargestellte Maschine soll zwei nicht gekuppelte Treibräderpaare und
auf jeder Seite zwei hinter einander liegende, um etwas mehr als den halben
Durchmesser versetzte Cylinder erhalten. Die vordere Treibachse hat die Treibkurbel
nur rechts, die hintere nur links, so daſs jedes Cylinderpaar bloſs auf eine Kurbel
wirkt, welche aus zwei um 180° verdrehten und mittels Gegenkurbel verbundenen Zapfen
besteht, wie letzteres schon die von Haswell in Wien
construirte und von der Oesterreichischen Staatseisenbahn in London 1862
ausgestellte ungekuppelte Eilzugmaschine „Duplex“ aufwies. Diese Anordnung,
bei welcher die Cylinder so gesteuert werden, daſs die Kolben sich entgegengesetzt
bewegen, hat den Zweck der Aufhebung der störenden Bewegungen und des einseitigen
Achslagerdruckes; der Umstand, daſs bei Crampton das
halbe Torsionsmoment für das abseitige Rad dauernd durch den Achsschaft gehen muſs,
könnte fast eher als weiterer Vortheil wie als Uebelstand betrachtet werden. Die
Cylinderanordnung erlaubt selbstverständlich das sogen. Compoundiren ohne die bei der Webb'schen Compoundmaschine (1882 246 * 352) auftretenden Uebelstände des beständigen Wechsels im
Receiverdruck; dagegen wäre Crampton's Maschine noch
weitaus hilfloser als Webb's im Falle ungünstiger
Kurbelstellung beim Anfahren, wenn nicht hierfür eine besondere Vorrichtung
angebracht wäre.
Dieselbe ist in Fig.
5 Taf. 10 ersichtlich gemacht und stellt ein mächtiges Klemm- oder
Daumengesperre dar, dessen Antriebshebel H am einen
Ende frei drehbar auf der Treibachse gelagert ist, am anderen Ende von einem
Dampfcylinder (mit Handsteuerung) bewegt wird und an welchem Hebel das. den
Radreifen umfassende Klemmstück I so angeordnet ist,
daſs dasselbe nur beim Abwärtsgang mitnehmend angreift und leer zurückgeht.
Der Dampfkessel soll, wie in Fig. 1 bis 3 Taf. 10 dargestellt, als
Doppelkessel ausgeführt werden und im Flammrohre des Unterkessels nur den Rost, im
Oberkessel die Siederohre enthalten, also unmittelbar die Anordnung der
Schiffskessel auf die Locomotive übertragen. Als Heizfläche sind 140 bis 150qm in Aussicht genommen; dieselben dürften aber
kaum erreichbar sein, da die Rohrzahl durch die lichte Weite der Räderpaare, die
Rohrlänge aber durch den zulässigen Achsenabstand begrenzt ist. Der Rost hat nach
der Construction Fig. 2 und 3 ungefähr 1qm,7. Der Rauchfang ist doppelt gedacht, für jedes
Cylinderpaar einer, damit sich, wie Crampton meint, die
beiderseitigen Ausströmungen nicht stören. Für die Laufachsen sind zweierlei
Anordnungen vorgesehen nach Fig. 1 und Fig. 2; letztere würde
eine festliegende, unter dem Unterkessel durchgekröpfte Achse bedingen, auf welcher
sich die Laufräder lose drehen.
Es ist kaum anzunehmen, daſs diese neue Maschine der ersten Crampton-Maschine im
Erfolge gleich käme; denn wie jene in Einfachheit, so ragt die gegenwärtige durch
Umständlichkeit hervor, ohne dies durch die zu erzielenden Erfolge zu rechtfertigen.
Die Anordnung der doppelten Cylinder läſst allerdings eine Verminderung der
störenden Bewegungen und damit höhere Geschwindigkeit erreichbar scheinen, eine
Aufgabe, welche übrigens schon bei der oben erwähnten Duplex-Maschine gelöst war;
dagegen dürfte die Abwesenheit der Kuppelstange und der daraus nothwendig erfolgende
ungleiche Gang beider Räderpaare diesen Vortheil voraussichtlich aufheben. Das
Schaltwerk zum Anfahren muſs, wenn es überhaupt wirken soll, äuſserst kräftig
construirt sein und bleibt unter allen Umständen eine lästige Beigabe für die
Construction und für den Betrieb. Die Anordnung des Kessels endlich kann sofort als
vollständig verfehlt erklärt werden, nachdem hierüber genügend entscheidende
Erfahrungen über die Belpaire'schen Dampfwägen
vorliegen, deren Kesselmantel ursprünglich ähnlich ausgeführt waren. Zudem steht
aber diese Kesselconstruction auch weit hinter den bei gewöhnlichen Locomotivkesseln erreichbaren
Gröſsen der Rost- und Heizfläche zurück. Der feste Radstand, 4m, welcher als ein Mindestmaſs durch die Anordnung
des Kessels bedingt wird, ist für Bahnen mit schärferen Curven überhaupt
unanwendbar, die Verwendung des groſsen Antriebsrades als Führungsrad, wie in Fig. 2
beabsichtigt, schon längst als im höchsten Grade gefährlich anerkannt und in
einzelnen Staaten sogar gesetzlich verboten. (Vgl. auch Iron, 1886 Bd. 27 * S. 454.)
M-M.