Titel: | Einfluss des Glases auf die Beweglichkeit der Libellen; von Dr. R. Rieth. |
Autor: | R. Rieth |
Fundstelle: | Band 264, Jahrgang 1887, S. 501 |
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Einfluſs des Glases auf die Beweglichkeit der
Libellen; von Dr. R. Rieth.
Rieth, über Einfluſs des Glases auf die Beweglichkeit der
Libellen.
In der Zeitschrift für Vermessungswesen, 1887 Bd. 16. S.
89 ist über Unregelmäſsigkeiten der Libellen eine
Abhandlung veröffentlicht, deren Verfasser eine Abhilfe erst von dem zu errichtenden
„Reichsinstitute für die experimentelle Förderung der exacten Naturforschung
und der Präcisionsmechanik“ oder von dem „Glastechnischen Laboratorium in
Jena“ erwartet. Folgende von mir gemachten Erfahrungen über den Kiofluſs des
Glases auf die Beweglichkeit der Libellen dürften als Beitrag zur Lösung dieser
Frage nicht ohne Werth erscheinen.
Bei meinem Eintritte 1882 ins kgl. Feuerwerkslaboratorium zu
Spandau muſste ich mich gleich mit der Aufgabe beschäftigen, die Ursache des
Unbrauchbarwerdens der Libellen und in dessen Folge Mittel zur Verhütung dieser
Erscheinung zu finden. Schon war vordem der Lösung dieser Aufgabe längere Zeit
groſse Aufmerksamkeit zugewendet worden, jedoch bis dahin ohne Erfolg, weil man, wie
dies vielfach irrthümlich geschieht, die Materie des Glases als beständig und
unveränderlich ansah und daher die Ursache nur in einer Unreinigkeit oder
Veränderlichkeit der Füllung glaubte suchen zu müssen. Es war mir aus einer meines
Wissens nicht veröffentlichten Untersuchung Wöhler's
bekannt, daſs der weiſse Anflug, den neue Lampencylinder in der ersten Zeit ihres
Gebrauches zeigen, im Wesentlichen aus Natriumsulfat besteht. Es lag nahe, das
Auftreten der warzenförmigen Erhöhungen im Inneren der Libellen und das hierdurch
bedingte Unbrauchbarwerden auf dieselbe Ursache zurückzuführen.
Die zunächst versuchte experimentelle Bestätigung dieser Ansicht
ergab, daſs die Warzen unlöslich in der Libellenfüllung, einem Gemische von Alkohol
und Aether, aber löslich in Wasser waren und daſs die Warzen alkalische Reaction zeigten. Dieser Nachweis gestaltete sich besonders
schwierig, weil die Libellen sehr klein (von etwa 5 bis 6mm innerem Durchmesser) und die punktförmigen
Erhöhungen wegen ihrer auſserordentlichen Kleinheit dem unbewaffneten Auge selten
erkennbar waren, vielmehr mit der Lupe gesucht werden muſsten. Räch dem Entleeren
der Libellen verrieth meistens ein an der inneren Wandung herunterflieſsender
Tropfen einer empfindlich eingestellten Phenolphtalemlösung die Gegenwart einer
Warze durch Bildung eines rothen Streifens sehr deutlich. Die Füllung der Libelle,
das Gemisch von Alkohol und Aether, reagirte zumeist sehr schwach sauer, in wenigen Fällen alkalisch. Bei der Annahme,
daſs der Alkohol und Aether beim Einfüllen neutral gewesen ist, erklärt sich das
Entstehen der sauren Reaction leicht aus der Einwirkung des Sauerstoffes der
eingeschlossenen Luft auf die Füllung, entsprechend der Thatsache, daſs vollkommen
neutraler Aethylather schon nach wenigen Tagen sauere Reaction annimmt. Dieser
Erscheinung ist jedoch gar kein Einfluſs auf die Warzenbildung beizumessen; vielmehr
muſs die Füllung, welche bisher allgemein als das Unbrauchbarwerden der Libellen
verursachend angesehen wurde, für völlig schuldlos gehalten werden. Die erwähnte
Rothfärbung der Phenolphtalemlösung im Verein mit dem Nachweise von Kohlensäure in
dem fein gepulverten Glase lieſs somit keinen Zweifel an der Gegenwart von
Natriumcarbonat, welches der Silicatbildung entgangen war, sowie auch daſs das Glas
aus Natriumcarbonat und nicht aus Natriumsulfat hergestellt war. Dem entsprechend
konnte bei aus Sulfat hergestellten Gläsern in dem wässerigen Auszuge des fein
gepulverten Glases immer Schwefelsäure nachgewiesen und damit der Beweis erbracht
werden, daſs kleine Reste von Sulfat der Silicatbildung entgangen waren. Sowohl das
Natriumcarbonat, als das Natriumsulfat, je nachdem das eine oder andere Material zur
Fabrikation verwendet worden war, muſs in der Glasmasse als völlig wasserfrei und
geschmolzen angenommen werden. Wird nun die Libelle mit dem Gemische von Alkohol und
Aether gefüllt, so äuſsert sich in kürzerer oder längerer Zeit die Neigung der in
Frage kommenden Natriumverbindungen, aus dem Wassergehalte der Füllung
Krystallwasser aufzunehmen, ihr Volumen somit zu vergröſsern und als in der
Füllungsflüssigkeit unlösliche Warzen sich auszuscheiden.
Der Einfluſs einer Warze auf den Gang der Luftblase einer Libelle
ist so bedeutend, daſs man auf dem Libellenprüfer an der Unregelmäſsigkeit des
Ganges der Luftblase mit bloſsem Auge nicht wahrnehmbare Warzen entdecken konnte.
Die gröſsten vorkommenden Warzen von schätzungsweise 0mm,1 Durchmesser boten für diese Erscheinung ein lehrreiches Beispiel.
Beim aufmerksamen Verfolgen des Ganges der Luftblase bei stetig zunehmender Neigung
des Prüfungslineals konnte man bemerken, daſs die Luftblase eine Einbauchung erlitt,
sobald sie die Warze erreichte und alsdann eine Zeitlang stehen blieb, bis nach
fortgesetzter Neigung des Lineals das Hinderniſs mit einem Ruck überwunden wurde.
Befand sich die Warze nicht an der Grenze der Luftblase, also ganz in der
Flüssigkeit oder in der Luft, so blieb sie ohne allen Einfluſs auf den Gang der
Luftblase. Man könnte einwenden, daſs die löslichen Bestandtheile des Glases sich
gleichmäſsig in der übrigen Glasmasse vertheilen, also nicht als Warzen, sondern als
gleichmäſsig vertheilter Anflug zum Vorscheine kommen muſsten; dem widerspricht aber
die allgemeine Erscheinung, daſs, wie die Bronze und viele andere Metalllegirungen
(z.B. Silber und Blei), auch geschmolzene Gemische verschiedener Salze dem Saigern unterliegen, d.h. daſs beim Erstarren eine
Ausscheidung und Anhäufung der gleichen Bestandtheile eintritt.
Nach Erkennung der Ursache der Entstehung des Fehlers wurde nun
versucht, den geschliffenen, zu Libellen bestimmten Röhren die freie
Alkaliverbindung durch Behandeln mit verdünnter Salpetersäure in der Wärme zu
entziehen; jedoch zeigte sich hierbei, daſs das Glas so schlecht, insbesondere so
wenig widerstandsfähig war, daſs dasselbe diese Behandlung zu überdauern nicht
vermochte: es zersprang zu einem gröblich zerfressenen Pulver und die Flüssigkeit
enthielt eine groſse
Menge gelöster Alkaliverbindungen. Das bis dahin zu diesem Zwecke gebrauchte Glas
muſste somit als völlig ungeeignet von der ferneren Verwendung ausgeschlossen und
andere Glassorten versuchsweise herangezogen werden. Die verschiedenen Proben von
Glas wurden einer Untersuchung in der Weise unterworfen, daſs man dieselben so weit
pulverte, bis sie durch ein Sieb von 5000 Maschen auf den Quadratcentimeter fielen,
und nun mit Wasser bis zur Erschöpfung auszog. Das seither verwendete, als
unbrauchbar erkannte Glas, welches ebenfalls der Versuchsreihe eingefügt wurde,
verlor nach mehr als 40 maligem Behandeln mit Wasser schon die Hälfte seines
Gewichtes an wasserlöslichen Substanzen, ohne, wie die noch immer andauernde
alkalische Reaction des Filtrates bewies, erschöpft zu sein, während die
herangezogenen, als schwer oder mittelschwer schmelzbar bezeichneten übrigen
Glassorten nach 4 bis höchstens 8 maliger Behandlung sich völlig erschöpft zeigten,
so daſs die empfindlichste Phenolphtaleïnlösung alkalische Reaction nicht mehr ergab
und auch ein Tropfen des Filtrates auf einem Uhrglase ohne Hinterlassung eines
Rückstandes verdunstete. Der wässerige Auszug wurde in einer Platinschale verdampft
und der Rückstand nach scharfem Trocknen dem Gewichte nach bestimmt; es zeigte sich,
daſs kein Glas, auch selbst nicht die schwerst schmelzbaren, für die
Elementaranalyse bestimmten böhmischen Verbrennungsröhren frei von wasserlöslichen
Bestandtheilen waren; denn auch diese zeigten noch einen durchschnittlichen Verlust
von 2½ Proc., während der Gewichtsverlust der übrigen Gläser bei einzelnen bis auf 8
Proc. stieg. Der wasserlösliche Theil der Gläser enthielt auch immer Kieselsäure, so
daſs, wenn auch dem nicht in Silicat übergegangenen Alkalicarbonat bezieh.
Alkalisulfat vorzugsweise die Bildung der Warzen zuzuschreiben ist, doch nicht
ausgeschlossen bleibt, daſs Alkali reiche Silicate an der Bildung theilnehmen. In
der Möglichkeit der Scheidung des Glases in verschiedenartige Verbindungen liegt
auch ferner eine Bestätigung der vor langer Zeit von H.
Rose gemachten Beobachtung, daſs durch die Einwirkung von Kieselsäure auf
Alkalicarbonat ein je nach der Höhe der Temperatur und der Dauer der Schmelzhitze
verschiedenes Gemenge verschiedener Silicate mit mehr
oder weniger unzersetztem Alkalicarbonat entsteht.
Nachdem diese Art der Untersuchung ein Glas von der Hütte J. Kavalier in Sasava, Böhmen, mit einem
Auslaugerückstande von höchstens 4 Proc. als das geeignetste hatte erkennen lassen,
wurde von diesem eine gröſsere Anzahl innen geschliffener Röhren in verdünnter
Salpetersäure bei Wasserbadhitze innen Tag lang eingelegt und alsdann aus diesen
Röhren Libellen verfertigt, welche nach etwa 4 wöchentlichem Lagern sorgfältigst
geprüft wurden; die über jede einzelne Libelle gemachten Aufzeichnungen stimmten
vollkommen zu Beginn und zum Schlusse des Versuches, so daſs bei keiner Libelle eine
Verminderung während der Lagerzeit nachweisbar war. Dieser Erfolg bestätigte die
Richtigkeit der oben ausgesprochenen Erklärung, daſs die Störungen im Gange der
Luftblasen der Libellen nicht durch die Füllung, sondern durch Ausschwitzung des
Glases bedingt sind und daſs durch Verwendung eines Glases von höherer
Schmelzbarkeit, wie solche das bis jetzt verwendete Glas besitzt, der Fehler mit
Bestimmtheit gehoben werden könne. Die gestellte Aufgabe konnte somit als gelöst
betrachtet werden.