Titel: | Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und Sprengtechnik. |
Fundstelle: | Band 265, Jahrgang 1887, S. 274 |
Download: | XML |
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
(Patentklasse 18. Fortsetzung des Berichtes Bd.
263 S. 148.)
Neuheiten in der Explosivstoff-Industrie und
Sprengtechnik.
Die Herstellung von Explosivstoffen aus Pikrinsäure hat
sich Eugène Turpin in Paris (* D. R. P. Nr. 38734 vom
12. Januar 1886) patentiren lassen. Derselbe schlägt folgende verschiedene
Behandlungen der pulverförmigen Pikrinsäure vor: 1) Pressen in Patronen. 2)
Vermischen mit einer Lösung arabischen Gummis oder mit schweren Oelen, und
nachheriges Trocknen. 3) Vermischen mit einer 3 bis 5 procentigen Gallerte von
Collodium (soll wohl Collodiumwolle heiſsen) in einer Alkohol- und Aether-Mischung.
4) Schmelzen bei 130 bis 145° in einem Gefäſse mit Doppelboden durch Wasserdampf
oder eine geeignete Flüssigkeit, wie Oel, Glycerin u.s.w. Bei der letzteren Art soll
die Pikrinsäure den höchsten Grad von Unempfindlichkeit erreichen – in der That
erfordert sie 3g Knallsilber zur Detonation – und
besonders zur Füllung von Granaten geeignet sein, in welchem Falle dieselben einen
Aufsatz von gewöhnlichem oder einem Pulver von Kaliumchlorat, Theer und Kohle
erhalten; Turpin beschreibt auch eine hierzu geeignete
Granate.
Die dritte, von Turpin vorgeschlagene Art, nämlich das
Vermischen mit Collodium ist bekanntlich schon einige Zeit vorher von den
Hauptleuten Locard und Hirondart der Kanonengieſserei in Bourges
(Frankreich) unter dem Namen Melinit als
Granatenfüllung empfohlen worden, und man weiſs aus den Tagesblättern, welche Summen
dafür in Frankreich ausgegeben wurden, und wie die Sache scheinbar einem Miſserfolge
Zugeht. Auch die anderen, von Turpin vorgeschlagenen
Arten der Verarbeitung von Pikrinsäure haben in der
angegebenen Weise wohl kaum Aussicht auf praktische Verwendung; es gibt
übrigens kaum eine gröſsere Militärmacht, welche nach dem ersten Lärme mit dem
Melinit nicht Versuche mit Pikrinsäure gemacht hätte, zu einem endgültigen
Ergebnisse ist man aber wohl noch nirgends gekommen.
Christian Emil Bichel in Berlin (D. R. P. Nr. 39171 vom
29. Mai 1886) behandelt Harzöle und schwere Theeröle unter Erhitzung mit Schwefel,
und vermischt die so „geschwefelten“ Stoffe mit Sauerstoffträgern zu einem
Sprengstoffe, welcher seitdem „Roburit“ genannt
wurde. Er läſst 100 Th. Harzöl mit 28 Th. zerkleinertem Schwefel in einer Retorte
mit Rückfluſskühler bis zum Schmelzen des Schwefels sieden, wonach das Harzöl braun
geworden ist; ebenso geht er mit Theerölen vor, deren Siedepunkt zwischen 120 bis
200° liegt. Diese geschwefelten Kohlen-Wasserstoffe mischen sich leicht mit allen
Nitroverbindungen, und gibt z.B. ein Gemisch von 1 Th. geschwefeltem Theeröle, 0,5
Th. Nitrocumol und 9 bis 10 Th. Natronsalpeter einen Sprengstoff von guter
Wirkung.
Zu den vielen Körpern, welche schon der Nitrirung unterworfen wurden, tritt nun auch
der Molke-Niederschlag (in Oesterreich „Topfen“,
in der Schweiz „Zieger“ genannt), welchen Rudolf
Sjöberg in Stockholm (D. R. P. Nr. 39388 vom 13. Januar 1886) sich
patentiren lieſs. Die Nitrirung wird wie gewöhnlich ausgeführt, und das erhaltene
Product fein Mononitrat) gewaschen. Sjöberg empfiehlt
als Mischungen 30 Proc. Molkenitrat, 55 Proc. salpetersaures oder oxalsaures Ammon,
10 Proc. Astralöl und 5 Proc. Naphtalin, oder 3 Proc. Molkenitrat, 55 Proc. salpetersaures oder
oxalsaures Ammon, 27 Proc. chlorsaures Kali, 10 Proc. Astralöl und 5 Proc.
Naphtalin. Das Astralöl bereitet er aus Erdöl durch Abdestilliren der unter 60°
siedenden Bestandtheile.
Das von Carl Lamm in Stockholm angegebene „Bellit“ ist eine Mischung von krystallisirtem Meta-Dinitrobenzol
mit Ammoniaksalpeter. Das Meta-Dinitrobenzol wird durch Auskrystallisiren aus warm
in Alkohol gelöstem Nitrobenzol gewonnen, und schmilzt bei 90°. Derlei Mischungen
sind gegenwärtig an der Tagesordnung, und tauchen jeden Augenblick mit geringen
Aenderungen unter anderen Namen auf.
Eduard Schultze in Hetzbach (D. R. P. Nr. 38363 vom 25.
Februar 1886) stellt ein Jagd- und Scheibenpulver her,
indem er seinem schon bekannten, aus Pyroxylin (Holznitrocellulose) und Salpeter
bestehenden Pulver bis zu 1/12 eines aus Harzproducten, wie Terpentin,
Terpentinöl, Kolophonium u.s.w., erzeugten Mononitrates hinzufügt. Die festen,
pulverisirbaren Harze werden fein zerkleinert, in einem gröſseren Gefäſse mit etwa
1½ Gewichtstheilen Salpetersäure von 1,42 bis 1,46 specifischem Gewicht übergössen,
und unter stetigem Umrühren im Wasserbade erwärmt, wobei ein sich fortwährend
vermehrendes Aufschäumen entsteht, welches das nitrirte Harzpulver in den Zustand
feiner Vertheilung überführt. Aehnlich werden auch die weichen und flüssigen
Harzproducte behandelt, jedoch setzt man die Salpetersäure nur nach und nach zu. Die
entstandenen Nitroproducte werden ausgewaschen. Als kräftiges Schieſspulver, welches
frei von jeder Sprengwirkung ist, empfiehlt Schultze 1
Th. Nitroharz, 5 Th. Pyroxylin und 6 Th. Salpeter, welche unter Zusatz von
Bindestoffen gekörnt und mit Paraffin, Collodium u.s.w. geglättet werden.
Bekanntlich bietet das gleichzeitige, rasche Anfeuern von Zündschnüren manche
Schwierigkeit, da bei dem üblichen Aufschneiden der Zündschnur entweder das Pulver
herausfällt, oder der Spalt nicht weit genug offen bleibt; in der That bleiben z.B.
in Eisenbahneinschnitten, wo oft 30 und mehr Schüsse auf einmal gezündet werden,
entweder einzelne Löcher stehen, oder der Mineur muſs unverhältniſsmäſsig lange
Zündschnüre verwenden. Major Philipp Heſs in Wien hat
nun eine leicht herzustellende Anfeuerung angegeben (Mittheilungen über Gegenstände des Artillerie- und
Genie-Wesens, 1887 Notizen S. 49). Aus einer etwa 3mm dicken Tafel von Sprenggelatine sticht man mit
einem Gänsekiele runde Scheibchen S aus, steckt einen
verzinnten Drahtstift d durch, schneidet die Zündschnur
scharf ab, und drückt den Stift in die Pulverseele; eine flüchtige Berührung mit der
Lunte genügt zur sicheren Entzündung. Für die Erzeugung im Groſsen und die bequeme
Versendung empfiehlt Heſs ein paraffinirtes
Pappscheibchen p einzuschalten, das Ganze mit
Seidenpapierfleckchen P zu umhüllen, und die
Anfeuerungen, wie Knöpfe in Papptafeln einzustechen. Textabbildung Bd. 265, S. 276
Von befreundeter Seite wird mir nachstehende Reihe von Untersuchungen verschiedener
amerikanischer Sprengstoffe mitgetheilt, welche
Dynamite.
Textabbildung Bd. 265, S. 277
Name; Nitroglycerin Procent; Salze
Procent; Saugestoffe Procent; Andere Beimengungen Procent; Feuchtigkeit Procent;
Giant-Powder Nr.; Kohle; Holzstoff; Vigorite Powder; Kreide; organ.; mit
flüchtig; Magnesia; organ. Subst.; Vulcan Powder Nr.; Schwefel; Holzstoff u.
Kohle; Hercules Powder Nr.; Verunrein.; anorgan.; Zucker; Warren Powder Nr.;
Theer, Harz, Fett; flüchtiges u. Verunreinig.; Atlas Powder A; Kalk; Geröstetes
Mehl; Etna Powder; Safety Nitro Powder; Stärke
Verschiedene Sprengpulver.
Textabbildung Bd. 265, S. 277
Name Salze Schwefel Kohle Anderes
Feucht; Eisler's Schwarzpulver; Zucker; Asche; Zucker u. Weinstein; Zucker u.
Kolophonium; Hardy's; Comet Powder; Anthracit; Nitroglycerin; Sand; Safety BB
Powder; Holzkohle
endlich einmal ein übersichtliches Bild der überseeischen
Industrie gibt. Einige Mittheilungen hat wohl früher schon General Abbot gemacht, aus denen auch wir (1886 261 27) das Wesentliche brachten; in solcher
Vollständigkeit aber haben wir Untersuchungen bisher vermiſst. Es ist natürlich,
daſs, wie dies Jedermann bekannt sein wird, welcher Explosivstoff-Untersuchungen
gemacht hat, die Bestandtheile nicht ganz genau angegeben sein können, ebenso wie
die zugemengten organischen und manche mineralischen Bestandtheile ihrer Natur nach
nicht scharf untersucht wurden; aber die hier folgenden Untersuchungen sind an Ort
und Stelle von sachverständiger Hand gemacht, und haben
deshalb gewissen Werth.
F. Nettlefold hat interessante Untersuchungen über die
Einwirkung der hygroskopischen Eigenschaften von Natron- und Kali-Salpeter auf
Schieſsbaumwolle gemacht. (Chemical News, 1887 Bd. 55
S. 241.) Zu den Versuchen wurden Zündpatronen von 23mm Durchmesser und 32mm Höhe verwendet,
und zwar 1) mit etwas Kalk und 30 Proc. Kalisalpeter, 2) mit Kalk und 30 Proc.
Natronsalpeter, 3) ohne Kalk, nur mit 30 Proc. Natronsalpeter. Auf S. 279 findet
sich eine tabellarische Zusammenstellung der Ergebnisse.
Prüfung auf die Bestandtheile, berechnet auf das ursprüngliche
Gewicht. α) Vor der Aussetzung, β) nach der Aussetzung, γ) Differenz.
Aussetzungsweise: a
b
c
Mischung 1
2
1
2
1
2
α
β
γ
α
β
γ
α
β
γ
α
β
γ
α
β
γ
α
β
γ
Kaliumnitrat
31,3
26,26
– 5,04
–
–
–
31,3
30,31
– 0,99
–
–
–
31,3
30,99
– 0,31
–
–
–
Natriumnitrat
–
–
–
25,6
21,21
– 4,49
–
–
–
25,6
21,6
– 4,0
–
–
–
25,6
21,4
– 4,2
Lösliche Salze
31,4
29,73
– 1,67
–
–
–
31,65
30,89
– 0,76
–
–
–
31,65
32,23
+ 0,58
–
–
–
Kaliumnitrit
–
0,35
+ 0,35
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Natriumnitrit
–
–
–
–
0,26
+ 0,26
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Schieſswolle
66,75
59,75
+ 7,00
72,80
72,70
– 0,10
66,75
63,11
– 3,64
72,83
72,0
– 0,83
66,75
60,17
– 6,58
72,83
72,9
–
Kaliumcarbonat
–
1,70
+ 1,70
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
–
Natriumcarbonat
–
–
–
–
0,11
+ 0,11
–
–
–
–
–
–
–
–
–
0,23
+ 0,23
–
Die Versuche zeigen, daſs die Kalimischung anfangs an Gewicht abnahm, weil der
Salpeter rascher auswitterte, als die Aufnahme der Feuchtigkeit erfolgte, und daſs
wohl die Natronmischungen einen gröſseren Salpeterverlust aufweisen, dagegen aber
die Schieſswolle unberührt bleibt, während bei den Kalimischungen dieselbe in
ansehnlichen Mengen zersetzt wird.
Die englischen Explosivstoff-Inspectoren
Mischung
1Proc.
2Proc.
3Proc.
a)
In freier feuchter Luft 195 Std.
+ 8,4
+ 21,4
+ 15,3
Nach neuerlichem Trocknen
– 8,5
+ 2,3
+ 1,9
In freier feuchter Luft 173 Std.
+ 3,1
+ 22,3
+ 22,15
b)
Nach neuerlichem Trocknen
– 3,46
+ 0,01
+ 0,15
Im feuchtsatten Raume 98 Std.
+ 0,2
+ 13,91
+ 15,4
Nach neuerlichem Trocknen
– 4,4
+ 0,4
+ 1,3
haben ihren Bericht für das J. 1886 veröffentlicht (vgl. 1883
250 184. 1884 253 74. 1885
258 222. 1886 261 29).
Am Ende dieses Jahres bestanden 107 Fabriken für Explosivstoffe (– 2), 20 Fabriken
von Kleinfeuerwerk, 13 für Spielfeuerwerk. Es wurden 39 Zusatzlicenzen ertheilt,
Magazine bestanden 354 (6 neu, 2 aufgelassen), Lager 1972, Verkaufsläden 22268. 109
Eisenbahn- und 107 Kanal-Gesellschaften befördern Explosivstoffe, 15 bezieh. 11
nicht; in 156 Häfen und Docks ist der Verkehr erlaubt, in 116 nicht. Die Einfuhr
betrug: 1116686k Pulver (– 863549), 496145k Dynamit (+ 11655), 3447k Tonite, 4445k
Knallquecksilber (– 499), 5131k Sprenghütchen (+
1728), die Ausfuhr von Pulver betrug 5638038k (–
167355). Es fanden 143 Unglücksfälle statt (+ 10), wobei 40 Personen getödtet und
136 verwundet wurden. Diese Fälle vertheilen sich wie folgt:
Erzeugung
Aufbe-wahrung
Ver-frachtung
Gebrauch
Summe
Schieſspulver
20
2
–
27
49
Dynamit und Schieſswolle
5
–
–
25
30
Knallquecksilber
–
–
–
–
–
Munition
41
–
–
8
49
Feuerwerkskörper
7
3
–
5
15
verschiedene Stoffe
–
–
–
–
–
Aus Anlaſs mehrfacher Brände in den Säure-Centrifugen der Schieſswollfabrikation
haben die Inspectoren Versuche angestellt und gefunden, daſs besonders bei warmem
Wetter Wasser, noch mehr aber vegetabilisches Oel, selbst in der Menge von einem
Tropfen, Entzündung hervorruft, und daſs mineralisches Oel diese Gefahr wesentlich
verhindert. Versuche haben dies bestätigt, jedoch sind noch andere Ursachen der
Entzündung vorhanden, z.B. Dauer der Ausschleuderung, Temperatur der Luft u.s.w.,
welche vielleicht in der Mehrzahl der Fälle maſsgebend sind.
(Schluſs folgt.)