Titel: | Zur richtigen Werthschätzung des Wassergases. |
Fundstelle: | Band 265, Jahrgang 1887, S. 514 |
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Zur richtigen Werthschätzung des
Wassergases.
Zur richtigen Werthschätzung des Wassergases.
Im Laufe der letzten Jahre wurde das, wenn auch mit Unrecht als eine neue
amerikanische Erfindung hingestellte Wassergas als
„der Brennstoff der Zukunft“ unablässig
angepriesen und an seine fernere Verwerthung die höchsten Erwartungen und kühnsten
Hoffnungen geknüpft, so daſs ein nicht unbedeutender und gerade der besonnenere
Theil der Techniker der Sache mit gewissem Miſstrauen gegenüber stand. Auch die
Frankfurter Versuche des Jahres 1881 waren von keinem durchgreifenden Erfolge
begleitet, und geraume Zeit verharrten die Verhältnisse in demselben Stadium. Erst
in der jüngsten Zeit sind wirkliche Fortschritte gemacht worden, so daſs der
Ausblick in die Zukunft ein vielverheiſsender geworden ist. Allerdings ist noch Manches zu klären, und
immer Neues wird das eben alt gewordene ablösen.
Die Weiterentwickelung des Wassergasverfahrens hat diese angeblich amerikanische
Erfindung vor Allem deutschen Fachmännern zu verdanken – theils durch genaueres
Studium und Aufdeckung vorhandener Mängel, theils durch erhebliche Modifikationen
der Apparate selbst – da die Ausbildung, welche ersteres in Amerika erfahren, sich
für unsere Verhältnisse wenig tauglich erwiesen hat.
Beachtenswerthe Verbesserungen in dieser Hinsicht verdanken wir der Fabrik von Schultz, Knaudt und Comp. in Essen, später Europäische
Wassergasgesellschaft (vgl. 1887 264 * 26), und
speciell deren Ingenieur E. Blass, welcher sich dadurch
ein unleugbar groſses Verdienst um die Einführung und praktische Verwerthung der
Wassergasapparate erworben hat.
Dieses neue, vielversprechende Stadium, in welches die Wassergasfrage in letzter Zeit
getreten ist, hat Lunge veranlaſst, derselben
eingehende Untersuchungen zu widmen, um dadurch einerseits vorhandene Vorurtheile zu
beseitigen, andererseits lange bestehende, fest eingewurzelte Irrthümer aufzuklären
und damit endlich aus der Welt zu schaffen.
Zunächst gibt genannter Forscher eine Definition darüber, was wir überhaupt unter der
Bezeichnung „Wassergas“ zu verstehen haben, da bisher unter diesem Worte zwei
ganz verschiedene Arten von Heizgas zusammengeworfen wurden. Eigentliches „Wassergas“ sollte man nur ein Gemenge von (theoretisch) gleichen
Raumtheilen Kohlenoxyd und Wasserstoff nennen, welches bei der Einwirkung von
Wasserdampf auf glühenden Kohlenstoff bei genügend hoher Temperatur entsteht, und
dem in der Praxis natürlich stets noch kleine Mengen von anderen Grasen, wie
Kohlensäure, Stickstoff, Schwefelwasserstoff, Siliciumverbindungen u.s.w.,
beigemengt sind. Häufig versteht man aber auch unter Wassergas ein Generatorgas, dem durch Einführung von Wasser oder
Wasserdampf eine erhebliche Menge (bis zu 15 Raumtheilen) Wasserstoff beigemengt
ist, wie ein solches nach dem Verfahren von Schilling
und Bunte in München (vgl.
1883 248 * 25) in dem Wilson'schen und Dowson'schen Generator, den
neueren Formen des Siemens'schen Generators (vgl. auch
1885 257 * 70) und sonst erzeugt wird. Die Absicht der
Erfinder bei Erzeugung dieses Generatorgases – von Bunte
„Generatorwassergas“, von Lunge
„Halbwassergas“ genannt, da auch bei dem eigentlichen Wassergas
Generatoren zur Anwendung kommen – war die, den betrieb gewöhnlicher
Kohlenoxyd-Generatoren durch Verhütung des Schlackens der Kohlenasche weniger mühsam
und ökonomischer zu gestalten. Das Wasser, welches sofort verdampft, verhindert
durch Temperaturerniedrigung das Zusammenbacken der Kohlenasche und die zu schnelle
Zerstörung der unteren Theile des Generators, so daſs die Asche bequem entfernt werden kann.
Hierbei entsteht aber bei Einwirkung von Wasser auf den Kohlenstoff durch die
Bildung von Kohlenoxyd und Wasserstoff ein Nutzen, welcher keineswegs auſser Acht
gelassen werden darf. Die Reaction verläuft jedoch nur bei Einhaltung bestimmter
Temperaturgrenzen in diesem Sinne, sie tritt zwischen 700 und 800° ein und ist bei
1000 bis 1200° vollständig nach folgender Gleichung:
C + H2O = CO + H2.
Wird aber der glühenden Kohlenmenge eine so groſse Wassermasse
zugeführt, daſs die Temperatur auf 500° oder noch weiter erniedrigt wird, so
geschieht dies zum Nachtheile der Operation, da die Reaction alsdann nach der
Gleichung C + 2H2O = CO2 + 2H2 eintritt. Man darf deshalb mit der
Wasserzufuhr nicht über eine bestimmte Grenze gehen: nach Bunte's Versuchen ist es am zweckmäſsigsten, auf je 1k vergasten Kohlenstoff nicht unter 0,7 und nicht
über 0k,8 Wasserdampf einwirken zu lassen;
unterhalb dieser Grenze tritt noch immer Schlackenbildung und Verstopfung des Rostes
ein; über 0k,8 aber entsteht zu viel Kohlensäure.
Die günstigste Reaction wird durch die Gleichung:
2C + O + H2O = 2CO + H2
dargestellt; sie verlangt auf 1 Th. Kohlenstoff 0,75 Th.
Wasserdampf. In der Praxis stellt sich die Sache jedoch etwas anders; denn während
obige Formel einem Gase von 40,9 Proc. Kohlenoxyd, 20,4 Proc. Wasserstoff und 38,7
Proc. Stickstoff entspricht, bekommt man nach Schilling
und Bunte's Angaben ein Gas von nachstehender
Volumzusammensetzung:
Kohlensäure
8,6
Proc.
Kohlenoxyd
20,6
„
Wasserstoff
15,0
„
Stickstoff
55,8
„
Die übrigen Generatorgase zeigen eine ähnliche Zusammensetzung mit geringen
Unterschieden im Kohlensäure- und Kohlenoxydgehalte, auſserdem enthalten sie
theilweise Wasserdampf und Kohlenwasserstoffe, wie z.B. Methan.
Das Wilson-Gas hat nach Stoeckmann's Untersuchungen folgende Durchschnittszusammensetzung:
Kohlensäure
6
Proc.
Kohlenoxyd
21
„
Methan
2
„
Wasserstoff
7,5
„
Wasserdampf
4,5
„
Stickstoff
59
„
Alle diese Arten von Gasen, wie auch das Dowson-Gas,
welche Lunge „Halbwassergase“ genannt haben
will, concurriren nur mit dem gewöhnlichen Generatorgas, dem Siemens-Gas und können im besten Falle einen kleinen Vortheil durch
Zersetzung von Wasser auf Kosten von sonst verlorener Ausstrahlungswärme
beanspruchen, suchen und finden aber ihren wesentlichen
Vortheil in der leichteren Bedienung des Generators. Solches Gas eignet sich seiner Concentration
halber namentlich zur Speisung von Gaskraftmaschinen und wird sowohl in England wie
auch auf dem Continente vielfach zum Betriebe von Otto-Maschinen gebraucht.
Irrthümlicher Weise nun wird dieses Wilson- oder Dowson-Gas häutig schon als „Wassergas“ bezeichnet. Ein diesem ähnliches Gas erhält man zwar,
wenn man das wirkliche Wassergas des Essener Apparates
mit dem beim Heiſsblasen erzeugten Generatorgase mischt, jedoch wird ein solches Gas
auch auf dem viel einfacheren Wege der naſs arbeitenden, gewöhnlichen Gasgeneratoren
gewonnen, wozu der kostspielige Wasserapparat, mit seinem complicirten,
intermittirenden Betriebe nicht nöthig ist. Man wird daher einen Wassergasapparat
nur dann anlegen, wenn man das eigentliche Wassergas für
sich auffangen und benutzen will.
Hiermit ist es eigentlich schon ausgesprochen, daſs das wirkliche Wassergas, im
Gegensatze zu dem Generatorgase, zu dem auch das „Halbwassergas“ zu rechnen ist, nicht dazu bestimmt sein kann, die
Möglichst vollständige quantitative Ausnutzung des Brennwerthes der Kohle als
Eigenzweck herbeizuführen, daſs man vielmehr seine eigentliche Nutzanwendung
anderswo suchen muſs.
Lunge wendet sich alsdann gegen die Angaben Naumann's, welcher seinen Berechnungen die Annahme zu
Grunde legt, daſs das Generatorgas vor seiner Verwendung auf die Temperatur der
umgebenden Luft abgekühlt werde, und in Folge der daraus gezogenen Schlusse das
Wassergas weit über das Generatorgas stellt. Nun paſst aber diese Art von Berechnung
nur für den, von keinem modernen Praktiker in Bedacht gezogenen Fall, daſs man
gewöhnliches Generatorgas ebenso, wie es allgemein mit Retorten-Leuchtgas geschieht,
in einer Centralfabrik darstellen und weit entlegenen Abnehmern durch
Röhrenleitungen zuführen wollte, während man heutzutage allgemein die Gasgeneratoren
möglichst nahe an die Stelle setzt, wo das Gas verbrannt werden soll, dasselbe geht
dann noch ganz heiſs in den Verbrennungsraum ein, und man verliert nur unbedeutend
mehr Wärme als bei der direkten Verbrennung, nämlich nur so viel, als die wegen des
gröſseren Umfanges des Generators etwas vermehrte Ausstrahlung des Feuerraumes
beträgt.
Andererseits wird bei den Wassergasapparaten das Wasser in den Prozeſs in flüssiger
Form eingeführt, verläſst denselben aber in den Rauchgasen in Dampfform, so daſs
also beim Wassergas von vornherein die latente Wärme des Wasserdampfes einen schon
der Theorie nach unvermeidlichen, zu allen anderen, mehr zufälligen Verlustquellen
hinzukommenden Wärmeverlust von 8 Proc. verursacht.
Auſserdem geht nicht allein die Erzeugung von Wassergas nicht ohne Verlust an Wärme
durch Ausstrahlung aus dem meist eine groſse Oberfläche bietenden Apparat vor sich,
sondern es wird auch die von dem Wassergas aus dem Kohlenschacht mitgenommene Wärme
keineswegs vollständig ausgenutzt.
Aus den angeführten Gründen ergibt sich, daſs schon nach theoretischen Erwägungen die
Bezeichnung des Wassergases als des „Brennstoffes der Zukunft“ eine durchaus unberechtigte ist. Für die
meisten industriellen Verwendungen der Kohle, nämlich überall, wo es auf möglichst
gute quantitative Ausnutzung des Brennwerthes ankommt, und wo die verlangten
Temperaturen bis zur Stahlschmelzhitze gehen, ist die Umwandlung der Kohle in
Wassergas, abgesehen von der gröſseren Umständlichkeit bei dieser Darstellung, eine
ungünstigere Ausnutzung des Heizwerthes als bei derjenigen im Generatorgas, unter
der selbstverständlichen Voraussetzung, daſs die Generatoren rationell construirt
und betrieben werden. Auch ist nicht zu übersehen, daſs bisher nur eine sehr
begrenzte Klasse von Brennmaterialien als tauglich zur Umwandlung in Wassergas
befunden worden ist.
Bei den Versuchen in Essen hat es sich nicht allein als
zwecklos, sondern sogar als schädlich erwiesen, den Verbrennungsprozeſs der Kohle
beim Heiſsblasen, d.h. in der mit der Wassergasbildung abwechselnden Arbeitsperiode,
so zu leiten, daſs der Kohlenstoff hauptsächlich zu Kohlensäure verbrennt; die
Apparate leiden hierbei auſserordentlich, und es läſst sich doch nur ein kleiner
Theil der überschüssigen Wärme – nicht über 7 Proc. – im Regenerator zurückhalten.
Man verbrennt deshalb in dem Essener Apparate den
Kohlenstoff auch während der Periode, wo man nur überschüssige Wärme zur
Hervorbringung der Wassergas-Reaction ansammeln will, nur bis zum Stadium von
Kohlenoxyd, d.h. zu gewöhnlichem Generatorgas, von dem 4cbm auf 1cbm Wassergas entstehen,
welches natürlich ganz wie gewöhnliches Siemens-Gas
verwendet werden kann; allerdings geschieht dies in den wenigsten Fällen, da
dasselbe beinahe stets und nur in sehr groſsen Apparaten nicht vollständig verloren
geht.
Zur Beurtheilung der Frage nach dem jetzigen Stand der Wassergasfrage in der Praxis
theilt Verfasser die Resultate mit, welche in Essen gewonnen wurden, ergänzt durch persönlich
dortselbst und in Winterthur erhaltene Aufschlüsse.
Diesen Angaben wird man sicherlich nicht vorwerfen können, daſs sie zu ungünstig für
das Wassergas hingestellt worden seien. Hiernach braucht man mit dem schon längere
Zeit bei Schultz, Knaudt und Comp. in Betrieb stehenden
Apparate, welcher stündlich 250 bis 300cbm
Wassergas liefert, durchschnittlich 1k Kohlenstoff
(in Form von 1k,2 Koke) zur Erzeugung von 1cbm Wassergas. Analysen desselben sind:
ungereinigt
gereinigt
Kohlensäure
3,2
Proc.
4,0
Proc.
Kohlenoxyd
42,3
„
41,2
„
Wasserstoff
49,2
„
49,5
„
Stickstoff
4,8
„
5,3
„
Schwefelwasserstoff
0,5
„
Siliciumwasserstoff
Spuren
Dazu bekommt man noch 4cbm Generatorgas von der
Zusammensetzung:
Kohlensäure
2,0
Proc.
Kohlenoxyd
28,0
„
Wasserstoff
2,0
„
Stickstoff
68,0
„
Die folgenden Rechnungen sind der Einfachheit wegen, mit Blass nicht auf die wirklichen, ohnehin immer etwas schwankenden Analysen
von Wassergas, sondern auf das theoretische Wassergas von 50 Volumprocent Kohlenoxyd
und 50 Volumprocent Wasserstoff begründet, welches in 1cbm 0k,627 Kohlenoxyd und 0k,0448 Wasserstoff, zusammen 0k,672 enthält.
1cbm Wassergas
enthält
0k,269
Kohlenstoff.
Die Erzeugungsreaction verbraucht 868Blass setzt den Wärmezuschuſs bei der
Erzeugung von Wassergas in seinem ganzen Aufsatze = 775
Wärmeeinheiten, was aber auf einem leicht ersichtlichen Rechenfehler
beruht (1523 – 648 ist doch nicht 775, sondern 875!) Lunge kommt durch Annahme von CO = 2473
und H2O = 34200 auf 868
Wärmeeinheiten. Wärmeein- heiten, zu erhalten
durch Verbrennung von Kohlen- stoff zu Kohlenoxyd =
0k,351
„
Mehr verbrannt und verloren durch Strahlung und durch
Abkühlung der Gase
0k,380
„
––––––––––––––––––
1k,000
Kohlenstoff
Bei der Verbrennung entwickelt nun 1cbm Wassergas:
0,627 × 2403 + 0,0448 × 28800 = 2797Blass setzt den Heizwerth von 1cc CO + H2
= 3023 Wärmeeinheiten; aber dies beruht auf der praktisch ganz unmöglich zu
erfüllenden Forderung, daſs man den Wasserstoff zu flüssigem Wasser
verbrenne. Wir dürfen unbedingt für Wasserstoff nicht 34200, sondern nur
28800 Wärmeeinheiten einsetzen, wie dies ja auch in allen entsprechenden
Fällen bei rein wissenschaftlichen Benennungen geschieht.
Wärmeeinheiten. Nun entwickelt bekanntlich 1k
Kohlenstoff bei direkter Verbrennung 8080 Wärmeeinheiten. Wenn also das Generatorgas
der Heiſsblasperiode verloren geht, so behält man im Wassergas nur 2797/8080 oder
34,6 Proc. des Brennwerthes der verbrauchten Kohle.
Weit besser stellt sich natürlich die Rechnung, wenn man eine vollständige
(theoretische) Verwerthung des beim Heiſsblasen erzeugten Generatorgases annimmt,
was allerdings in der Praxis selten zu erzielen sein wird. Dann bekommen wir
folgenden Ansatz:
1cbm Wassergas
entwickelt
2797
Wärmeeinheiten
4cbm Generatorgas mit 28
Proc. Kohlenoxyd und 2 Proc. Wasserstoff, zu 900 WärmeeinheitenLunge acceptirt hierbei die Angabe von
Blass, daſs man 4cc Gas von 28 Proc. CO, 2 Proc. H
und nur 2 Proc. CO2 erhält, was
sicher nicht unter der
Durchschnittsqualität sein wird, nicht aber seine Schätzung von 1000
Wärmeinheiten für 1cc dieses
Gases, da man durch Rechnung nur auf 900 Wärmeeinheiten
kommt. entwickeln
3600
„
––––––––––––––––––––
6397
Wärmeeinheiten
Auch bei der vollst denkbaren Ausnutzung des Generatorgases bekämen wir also aus diesem und dem
Wassergas zusammen nur 6397/8080 = 79,2 Proc. des direkten Heizwerthes der
Kohle. Mit diesem Verlust von 21 Proc. sind nun die 5 Proc. Verlust zu vergleichen,
welche man bei gewöhnlichen Gasgeneratoren, die das Gas heiſs verwenden,
erleidet.
Bei dem besten bisher bekannten Wassergasapparate und bei der höchstmöglichen
Ausnutzung von dessen Producten erleidet man also beim Wassergas 16 Proc. mehr
Verlust an Heizkraft als durch die Vergasung der Kohle in Generatoren.
Es ist daher nicht möglich zu einem anderen Schluſs zu kommen als dem, daſs die
Vergasung der Kohle in Form von Wassergas in
theoretischer wie in praktischer Hinsicht dieselbe weniger
gut verwerthet, als die Vergasung in Form von Generatorgas, falls letzteres auch am Orte seiner Erzeugung verbraucht
wird.
Es soll jedoch damit dem Wassergase keineswegs jede künftige Verwerthung abgesprochen
werden, vielmehr steht demselben nach einer anderen Richtung hin ein weites Feld
noch offen, da es nach allein vorhin Ausgeführten mit dem Retorten-Leuchtgase
zusammen in die Kategorie der Special- oder Luxusbrennmaterialien gesetzt werden
muſs. Diese aussichtsvolle Zukunft verdankt es vor Allem der auſserordentlich hohen
Temperatur, welche bei seiner Verbrennung mit einfachsten Mitteln zu erzeugen ist.
Diese Temperatur ist höher sowohl als die, welche man mit Generatorgas bei passender
Vorwärmung des letzteren, als auch die, welche man mit dem dem Wassergase
theoretisch an Heizeffect ganz nahestehenden Leuchtgas hervorzubringen vermag.
Wir besitzen daher in dem Wassergase zweifellos ein unschätzbares Mittel zur
Erzeugung sehr hoher Temperaturen, und man wird gerade da, wo es auf eine möglichst
hohe Temperatur ankommt, äuſserst günstige Ergebnisse erzielen können.
Verfasser stellt alsdann Betrachtungen an über die
Ursache der hohen Temperatur der Wassergasflamme namentlich gegenüber der des
Leuchtgases und findet, daſs der Grund wohl der ist, daſs im Leuchtgase bis 40
Raumprocent Methan enthalten sind, welches Gas sich bei der Gasanalyse bekanntlich
viel schwerer verbrennlich als Wasserstoff und Kohlenoxyd erwiesen hat. Diese
verhältniſsmäſsig schwierige Brennbarkeit des Methans bewirkt nun, daſs die
Verbrennung des Leuchtgases viel langsamer als diejenige des Wassergases verläuft,
wodurch sich die längere und dem entsprechend weniger heiſse Flamme genügend
erklärt.
Weiter gibt Verfasser ein Bild von dem künftigen
Arbeitsfeld, welches dem Wassergase in Folge seiner hohen Verbrennungstemperatur
voraussichtlich sich erschlieſsen wird. Es unterliegt keinem Zweifel, daſs, falls
die 4cbm Generatorgas, welche neben 1cbm Wassergas aus 1k Kohlenstoff entstehen, ausgiebig verwerthet werden, was bei gröſseren
Anlagen wohl möglich gemacht werden kann, das Wassergas sich wesentlich billiger stellen wird als
bisher, wo das Generatorgas meist verloren ging. Aber selbst diesen ungünstigeren
Fall vorausgesetzt, wird sein Preis, auch bei Anwendung guter Koke und in ziemlicher
Entfernung vom Fabrikationssitze, 4 Pf. für 1cbm
nicht übersteigen und sogar in den von den Gruben entfernteren Ländern, wie z.B. in
der Schweiz, wird 1cbm nicht viel über 5 Pf. zu
stehen kommen. Rechnet man hierzu noch 2 Pf. auf 1cbm für Verzinsung des Rohrnetzes, Patentabgabe u. dgl., so erreichen die
Kosten höchstens 7 Pf. für 1cbm, was sicherlich
als Durchschnittspreis von Centraleuropa gelten kann. Da hierbei das nebenher
gewonnene Generatorgas nicht mit eingerechnet ist, so wird an diesem bei obigem
Preise ein weiterer schöner Nutzen zu erreichen sein.
Es erscheint daher als sehr vortheilhaft, wenn das Wassergas, ganz wie jetzt das
Leuchtgas, an vielen Orten fabrikmäſsig erzeugt und durch Röhrenleitungen an
einzelne Abnehmer in beliebigen Mengen abgegeben wird. Als eine wesentliche
Erleichterung für die Einführung des Wassergases erscheint der Umstand, daſs die
bestehenden Gasfabriken ihre sämmtlichen Condensations- und Reinigungsapparate,
Gasbehälter und Röhrenleitungen unverändert benutzen können, allerdings nur in dem
Falle, daſs sie, wie Lunge sagt, vollständig „umsatteln“. Aber auch für Fabriken anderer Art wird sich die
Aufstellung eines Wassergasapparates empfehlen, da sie dann so viel Generatorgas
umsonst bekommen und das Wassergas selbst sowohl zu Heizzwecken wie zur Beleuchtung
verwenden können.
Obwohl das Wassergas an sich keine leuchtende Flamme besitzt, so ist doch seine
allgemeine Verwendung bisher die zur Beleuchtung
gewesen. Die Leuchtkraft wurde dem Gase durch Dämpfe mitgetheilt, welche durch die
Berührung von Erdölrückständen mit glühenden Flächen entstehen. Auf diese Art werden
über 100 Städte von Nordamerika erleuchtet, und alle die verschiedenen Apparate,
welche zu diesem Zwecke construirt wurden, sind nur Modificationen dieses
Verfahrens. Aber alle diese Systeme haben auch ihre groſsen Schattenseiten, vor
Allem die, daſs trotz sorgfältigster Operation die Licht gebenden Oele bei längerem
Verweilen in den Röhrenleitungen und namentlich bei kaltem Wetter groſsentheils
wieder zur Ausscheidung kommen, und das Gas dann schlecht leuchtend wird; und wenn
diese Art der Beleuchtung in Amerika solch groſse Verbreitung gefunden hat, so hat
sie dies nur dem dortigen hohen Preis guter Gaskohle einerseits und der Billigkeit
von gutem Anthracit und von Erdölrückständen andererseits zu verdanken.
Bei uns dürften also wohl alle ähnlichen Verfahren nicht auf Verdrängung des alten
Steinkohlen-Leuchtgases rechnen können.
Eine aussichtsvolle Zukunft eröffnet sich aber dem „Wassergas-Glühlicht“. Die Mängel, welche eine wirklich praktische
Verwerthung desselben bis heute verhinderten, sind jetzt glücklich überwunden:
einerseits ist das
Wassergas billig genug geworden und andererseits verwendet man jetzt als
Leuchtkörper anstatt der wenig haltbaren Platinkörbchen des in Frankreich mehrere
Jahre eingeführten Systems Gillard mit Vortheil die Fahnehjelm'schen Magnesiakämme (vgl. 1886 261 * 526), welche so billig herzustellen sind, daſs
trotz oftmaliger Erneuerung derselben die Kosten der Beleuchtung dadurch nur um 1
Pf. für 1cbm erhöht werden. Eine mit neuem
Magnesiakamm versehene Wassergasflamme gibt bei einem Gasverbrauche von 150l die Stunde 20 bis 22 Kerzen, während
gewöhnliches Leuchtgas bei demselben stündlichen Verbrauch im Durchschnitt nur 15
Kerzen gibt. Allerdings sinkt auch das Fahnehjelm'sche
Licht nach etwa 50 Brennstunden auf 15 Kerzen, da die Spitzen der Magnesiakämme
allmählich abbrennen, allein letztere können bei ihrer groſsen Billigkeit ohne
weitere groſse Kosten leicht erneuert und die alten Kämme, wenn daran gelegen, immer
noch für Treppenbeleuchtung u. dgl. verwendet werden.
Das Fahnehjelm-Licht oder Magnesia-Glühlicht kommt bei einem Maximalpreis des Wassergases von 7 Pf.
auf 8 Pf. für 1cbm zu stehen. Damit kann nun
Jedermann den Preis vergleichen, den er für 1cbm
Leuchtgas von höchstens ebenso groſser Leuchtkraft bezahlen muſs, und er wird
finden, daſs bei Einführung der Wassergasbeleuchtung mit Magnesia-Glühlicht, ein
sehr bedeutender Vortheil sich für den Abnehmer ergibt, wobei auch den Gasfabriken
ein guter Verdienst gegönnt sein soll. Dabei ist aber dieses Licht dem alten
Gaslicht in mehrfacher Hinsicht überlegen: Nicht allein ist seine Farbe eine
auſserordentlich angenehme, dem Tageslichte ähnliche, da ihm weder das tote
bläuliche Weiſs des elektrischen Bogenlichtes, noch aber eine so groſse Menge gelber
Strahlen eigen ist, wie sie das Gaslicht und das elektrische Glühlicht besitzen,
sondern ein weiterer Vorzug desselben ist auch die völlige Kühe der Flamme und
ferner ist die Erwärmung der Luft durch das Magnesia-Glühlicht eine weit geringere
als die durch die Leuchtgasflamme.
Hiernach ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daſs die Wassergasbeleuchtung mit Fahnehjelm'schem Glühlichte weitaus billiger, schöner
und in Bezug auf die Verbrennungsproducte gesünder als unser jetziges Leuchtgas
ist.
Eine Forderung muſs jedoch hinsichtlich des Wassergases,
ehe man seine allgemeine Einführung in Hausleitungen empfehlen kann, erfüllt werden:
Da dasselbe geruchlos und dabei auſserordentlich giftig ist, muſs man es hinreichend
„parfümiren“, um Lecke in Röhren, offenstehende Hähne u. dgl. leicht
entdecken zu können. Zu diesem Zwecke angestellte Versuche sind schon gelungen und
sehen immer fortschreitenden Verbesserungen entgegen.
Ist das Wassergas einmal durch Röhrenleitungen allgemein zugänglich, so wird dasselbe
bald vielfach als Heizgas für häusliche Zwecke
verwendet werden, zum
eigentlichen Heizen wie zum Kochen. Es ist dafür auſserordentlich bequem, da es aus
einfachen Loch- oder Schlitzbrennern vollkommen rauch- und ruſsfrei brennt.
Für industrielle Zwecke wird man das Wassergas natürlich
in erster Linie da verwenden, wo es sich um die Erzielung sehr hoher Temperaturen
handelt, auſserdem eignet es sich aber auch sonst zu allen technischen Operationen,
bei denen es nicht auf die möglichst vollständige Ausnutzung eines Brennstoffes
ankommt, sondern wo die Regelmäſsigkeit, Reinlichkeit und Einfachheit der Erhitzung
in erster Linie stehen; also Fälle, wo man schon heute gern Leuchtgas anwenden
würde, wenn sein Preis nicht zu hoch wäre.
Endlich wird auch die Anwendung von Gasmotoren bei
Einführung des Wassergases eine unvergleichlich gröſsere Ausdehnung als bisher
gewinnen. Nach in Essen angestellten Versuchen braucht
man für 1e und 1 Stunde 2cbm Wassergas.
Alles in Allem genommen ist dem weiteren Fortschreiten der Wassergaserzeugung eine
sehr günstige Aussicht zu stellen, nicht als „Brennstoff der Zukunft“ zum Ersatze der direkten und der
Generator-Feuerung, sondern zur zweckmäſsigen Ergänzung beider, und vor Allem zur
Beleuchtung. (Nach der Chemischen Industrie 1887 Bd. 10
S. 170.)
Die in Lunge's Abhandlung enthaltene Richtigstellung der
von Naumann in seiner Schrift: Die Heizungsfrage, mit besonderer Rücksicht auf Wassergaserzeugung und
Wassergasheizung, Gieſsen, Ricker'sche
Buchhandlung 1881, gegebenen Erklärungen und Bezeichnungen hat einen lebhaften
Meinungsaustausch zwischen diesen beiden Gelehrten hervorgerufen, auf welchen hier
näher nicht eingegangen werden soll. (Chemiker-Zeitung
1887 Bd. 11 S. 816 und 872.)